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[NW] Altersgeld
photosynthese:
Liebe Community,
zufällig bin ich bei einer regelmäßigen Suche zum Thema "Altersgeld" in Nordrhein-Westfalen über das Urteil Az.: 2 C 3.21 vom 04.05.2022 aus dem Bundesverwaltungsgericht gestolpert.
Verhandelt wurde hier, soweit ich das sehe, der sehr spezifische Fall eines Lehrers, der nach Österreich wechseln wollte, und mit der Begründung der Arbeitnehmerfreizügigkeit innerhalb der EU eine Ausgleichszahlung zusätzlich zur Nachversicherung in der Rentenversicherung zuerkannt bekommen hat.
Klar ist, dass das Thema Altersgeld in NRW offensichtlich ein ganz heißes Eisen ist. Ich habe auch gelesen, dass Klagen von ehemaligen Beamten aus dem Inland wenig Aussicht auf Erfolg haben. Wenn der Beamte aber eine Folgebeschäftigung im EU-Ausland hat, sollte das allgemein und übergreifend, also rechtssicher gelten, oder sehe ich das falsch? Mit anderen Worten: Eine wie auch immer geartete Beschäftigung im EU-Ausland wäre für Beamte aus NRW der kleine Umweg zu einem fast echten Altersgeld?
Danke für eure Einschätzungen.
Rentenonkel:
Derzeit gibt es keine Möglichkeit, anstelle der Nachversicherung "Altersgeld" in NRW zu beantragen.
Auch der aktuelle Entwurf eines "Gesetzes zur Modernisierung des öffentlichen Dienstes in Nordrhein-Westfalen - Laufbahnrecht" sieht kein Altersgeld vor.
Die nordrhein-westfälische Praxis der Nachversicherung von Beamten, die auf eigenen Antrag aus dem Dienst ausgeschieden sind, um in anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union als Arbeitnehmer*innen tätig zu sein, ist unvereinbar mit dem Europarecht. Sie stellt eine Beschränkung der Freizügigkeit der Arbeitnehmer*innen dar.
Entsprechend ist der erlittene finanzielle Nachteil vom Land Nordrhein-Westfalen auszugleichen.
Der kann zwar schon vorab langwierig eingeklagt werden, aber erst im Falle eines tatsächlichen Versorgungsfalles beziffert werden.
Da in Österreich allerdings auch Beamte in den Schutz der gesetzlichen Rentenversicherung aufgenommen werden und sich nur Zeiten in der gesetzlichen Rentenversicherung in Deutschland (also nachversicherte Zeiten) sich auch dort anspruchsbegründend und anspruchserhöhend auswirken können, ist ein solcher Schaden nicht immer vorhanden und auch nicht immer bezifferbar. Ein ggf. früherer Rentenanspruch aus den gesetzlichen Systemen, der mit dem Altersgeld nicht erreicht werden könnte (bspw. weil die 35 oder 45 Jahre nicht erfüllt wären) ist daher den dauerhaft geringeren Bezügen gegenüber zu stellen.
Einfaches Beispiel:
A) Beamter wird nachversichert, und bekommt daher mit 63 Jahren aus Deutschland aus diesen Zeiten eine Rente mit Zuschuss zur Krankenversicherung von beispielsweise 1000 EUR. (Aus den Zeiten aus Österreich und Deutschland ist im Rahmen des EWG Abkommens die vorzeitige Wartezeiterfüllung gegeben)
B) Beamter hätte theoretisch alternativ Anspruch auf Altersgeld von 1200 EUR gehabt, wenn NRW die EWG Vorgaben umgesetzt hätte und der Beamte stattdessen Altersgeld beantragt hätte. Problematisch ist allerdings die Möglichkeit einer vorzeitigen Inanspruchnahme. Die Möglichkeit der vorzeitigen Inanspruchnahme einer Altersversorgung vor 67 Jahren ist in diesem Beispiel nicht möglich, da Zeiten, die nicht nachversichert wurden, in der österreichischen Rentenversicherung keine anrechenbare Zeiten sind und somit die Wartezeit für eine vorzeitige Inanspruchnahme alleine aus Zeiten als österreichischer Beamter oder Angestellter nicht erfüllt ist. Die Zahlung von Altersgeld ist jedoch an die Inanspruchnahme einer anderen Regelversorgung geknüpft, so dass ohne eine österreichische Rente auch kein Altersgeld gezahlt werden kann.
Schaden: Grundsätzlich ist der Schaden 200 EUR monatlich (1000 EUR deutsche Rente aus der Nachversicherung gegenüber einem theoretischen Altersgeldanspruch von 1200 EUR). Demgegenüber zu stellen ist allerdings der frühere mögliche Renteneintritt in der gesetzlichen Rentenversicherung von 48 Monaten mal 1000 EUR Rente, die der Beamte von 63 bis 67 Jahren bereits erhalten hat, als 48.000 EUR.
Um mit den monatlich 200 EUR die 48.000 EUR einzuholen, benötigt man daher zunächst freundliche 240 Monate.
Sollte der Beamte also das 87. Lebensjahr erreichen, steht ihm ab da ein Schadensersatzanspruch von monatlich 200 EUR zu, den er zivilrechtlich gegenüber dem LAND NRW durchsetzen kann.
Aufgrund der bekannten langen Verfahrensdauer bis zum EUGH können sich die Erben dann irgendwann darüber freuen.
Ergo: Einen Anspruch auf Altersgeld kann man derzeit in NRW nicht einklagen. Man kann allenfalls Schadensersatzansprüche geltend machen, sofern einem durch die Nachversicherung gegenüber dem Altersgeld tatsächlich finanzielle Nachteile entstehen.
Jargon:
Hallo Rentenonkel,
ich bin etwas irritiert, weil ich den besagten Fall in zwei Punkten anders verstanden hatte. Zum einen war in der Berichterstattung immer davon zu lesen, dass die Nachversicherung 1000 Euro bedeuten würde, das Altersgeld jedoch 2000 Euro (und nicht 1200). Zum anderen klang es für mich so, dass nach der Kündigung durch das Altersgeld eine Zahlung an die gesetzliche Rentenversicherung geleistet wird und damit die Ansprüche abgegolten sind. In Ihrem Beitrag klingt es nach einem "Schadensersatz", der erst mit Eintritt in die Rente geleistet würde. Habe ich das was falsch verstanden?
Rentenonkel:
Freiwillig aus dem Dienstverhältnis ausscheidende Beamte haben bei bestimmten anderen Dienstherren ein Wahlrecht zwischen Altersgeld und Nachversicherung. Die Wahl erfolgt durch eine unwiderrufliche Erklärung innerhalb einer bestimmten Frist.
Das Altersgeld wurde eingeführt, um mögliche (finanzielle) Nachteile einer Nachversicherung gegenüber der Beamtenversorgung zu vermeiden.
Während die Beamtenversorgung die Regelversorgung und die betriebliche Altersversorgung in sich vereint, erhalten Tarifbeschäftigte im Alter zwei getrennte Versorgungen.
Bei einer Nachversicherung werden allerdings nur Beiträge in die gesetzliche Rentenversicherung nachgezahlt. Eine Nachzahlung in die betriebliche Altersvorsorge erfolgt nicht, weil die Tarifvertragsparteien das ausgeschlossen haben. Dadurch ergibt sich bei der Altersversorge für nachversicherte Beamte gegenüber immer tarifbeschäftigten Angestellten ein Delta.
Basis für die Nachversicherung ist das jeweilige Jahresbrutto, welches der Beamte während seiner aktiven Zeit hatte. Dieses Brutto ist dann die Berechnungsgrundlage für eine spätere, gesetzliche Rente. Da Beamte von vorneherein in der Regel ein geringeres Brutto haben als Tarifbeschäftigte, ergibt sich auch daraus ein Delta.
Bei dem Altersgeld dagegen werden eben keine Beiträge in die gesetzliche Rentenversicherung geleistet. Stattdessen bleibt ein Anspruch auf Altersgeld gegenüber dem jeweiligen Landesamt für Besoldung und Versorgung bestehen. Grundlage der späteren altersgeldfähigen Dienstbezüge und Dienstzeiten werden dabei im wesentlichen aus der tatsächlich geleisteten Dienstzeit (ohne Vor- und Ausbildungszeiten) errechnet.
Damit sollen die bereits erdienten Versorgungsanwartschaften aus der Beamtenversorgung bei freiwilligem Ausscheiden vor Eintritt des Versorgungsfalles erhalten bleiben.
Es ist nicht so ohne weiteres möglich, beide Versorgungsanwartschaften miteinander zu vergleichen. Bei der Höhe der zu erwartenden gesetzlichen Rente kommt es auch noch auf die restliche Erwerbsbiographie an, um zu wissen, ob und wie sich die Zeiten der Nachversicherung auswirken. Dabei werden auch Vor- und Ausbildungszeiten mit angerechnet, die bei dem Altersgeld außen vor bleiben. Dennoch will ich es mal groß skizzieren.
Die Höhe des Altersgeldes beträgt für jedes Jahr altersgeldfähiger Dienstzeit 1,79375 % der altersgeldfähigen Dienstbezüge, insgesamt jedoch höchstens 71,75 %, multipliziert mit dem Faktor 0,85 sofern eine altersgeldfähige Dienstzeit von weniger als 12 Jahren berücksichtigt wird.
Wenn jemand nach 10 Dienstjahren mit etwa 3500 EUR altersgeldfähige Dienstbezüge brutto ausscheidet. ergibt sich grob folgende Rechnung:
1,79375 % * 10 Jahre * 0,85 * 3500 EUR = 533,64 EUR Anspruch auf Altersgeld
Wenn er in der gesetzlichen Rentenversicherung nachversichert würde und dafür etwa 10 Entgeltpunkte erhalten würde, würde er 393,20 EUR Rente erhalten. Sollten noch Vordienstzeiten vorhanden sein, kann es allerdings deutlich mehr sein.
Nicht alles, von dem Beiträge eingezahlt werden müssen, ist allerdings auch gleichzeitig ein altersgeldfähiger Dienstbezug, wie beispielsweise die Familienzuschläge für Kinder.
Die Differenz zwischen der Altersvorsorge für Arbeitnehmende und Beamte ist ja auch nicht das Doppelte. Meistens haben Angestellte, die immer im ÖD waren, aus der Summe von gesetzlicher Rente plus Betriebsrente nicht viel weniger Gesamteinkommen (netto) als ein verheirateter Beamter mit einer privat krankenversicherten Ehefrau.
Die Zahlen, die ich genannt habe, mögen daher in jedem Einzelfall durchaus anders sein. Möglicherweise sind es im Einzelfall auch mehr als 20 % sein. 100 % mehr halte ich aber für sehr unwahrscheinlich.
Es ging mir hier auch nur darum, das Grundprinzip zu erläutern und darzustellen, dass das Altersgeld im Einzelfall nicht immer günstiger sein muss als die Nachversicherung und das man im Einzelfall erst einmal einen Schaden haben muss, um ggf. später vom LBV Schadensersatz einfordern zu können.
photosynthese:
Danke für die vielen umfassenden Antworten.
Die Rechnung und die konkreten Zahlen sind natürlich vom Einzelfall abhängig, deine Beispielrechnung hilft hier aber wirklich weiter, also auch dafür danke @Rentenonkel. Tatsächlich gibt es aber auch noch die ominöse Berücksichtigung von Krankenversicherungskosten, oder?
Ich habe allerdings noch eine Nachfrage: Für mich geht es an dieser Stelle nicht so sehr darum, ob es sich lohnt, sondern ob das Urteil insofern rechtsverbindlich ist als dass es für jeden Beamten gilt, der aus dem Dienst ausscheidet, um im europäischen Ausland zu arbeiten, und man sich dann ggf. noch über die Höhe streitet; oder ob schon der Grundsatz in jedem Fall eingeklagt werden muss? Ich bin kein Jurist (wie man sicher merkt) und denke, dass eine Klarstellung hier für das ganze Forum sinnvoll sein kann.
Im ersteren Fall wäre das ja in der Tat ein gangbarer Weg zu "Altersgeld light", denn ich lese in dem Urteil nicht, dass die neue Tätigkeit dann auch für immer fortgeführt werden muss, auch nicht, dass ein späterer Rückumzug nach Deutschland ausgeschlossen ist. Ob das im Einzelfall dann sinnvoll ist oder nicht, steht natürlich auf einem anderen Blatt und müsste jeder für sich entscheiden.
Danke und lG
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