Autor Thema: Hilfe zur Berechnung des neuen Prekariatsniveau in Baden-Württemberg  (Read 1935 times)

Ozymandias

  • Hero Member
  • *****
  • Beiträge: 1,403
Neues Urteil: https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2025/09/ls20250917_2bvl002017.html?nn=68112

Weitere vorliegende Informationen:

Seite 88 Grundsicherung 2024 mit Partnereinkommen

https://beteiligungsportal.baden-wuerttemberg.de/fileadmin/redaktion/beteiligungsportal/Dokumente/240624_Gesetzentwurf_Anpassung_Dienst_Versorgungsbezuege_und_Aenderung_dienstrechtlicher_Vorschriften_20242025.pdf

Seite 109 alte Grundsicherungsberechnungen 2014-2022:

https://beteiligungsportal.baden-wuerttemberg.de/fileadmin/redaktion/beteiligungsportal/Dokumente/220623_Gesetz_%C3%BCber_die_Anpassung_von_Dienst-_und_Versorgungsbez%C3%BCgen_und_zur_%C3%84nderung_dienstrechtlicher_Vorschriften.pdf

Median-Äquivalenzeinkommen:

https://www.statistikportal.de/de/sbe/ergebnisse/einkommen-armutsgefaehrdung-und-soziale-lebensbedingungen/armutsgefaehrdung-und-9 (Link aus BVerfG-Entscheidung Rn. 114)

https://www.statistikportal.de/sites/default/files/2024-04/A7%20Mediane%20und%20Armutsgef%C3%A4hrdungsschwellen%20bis%202019.xlsx bis 2019

https://www.statistikportal.de/sites/default/files/2025-07/A7%20Mediane%20und%20Armutsgef%C3%A4hrdungsschwellen.xlsx bis 2024


Berechnungsmethodik:

Zitat
Dabei ist auch für die Berliner Besoldungsgesetze die Bezugsgröße – nicht normatives Leitbild – für die Bemessung der Mindestbesoldung die sogenannte Alleinverdienerfamilie, also eine vierköpfige Familie, die aus dem Beamten, seinem Ehegatten und zwei Kindern, von denen eines jünger als 14 Jahre ist, besteht, deren einziges Einkommen im Sinne von § 8 Abs. 1 Nr. 3 MZG die Besoldung – einschließlich der Familienzuschläge für den Ehegatten und die ersten beiden Kinder – ist. Soweit der Senat von Berlin mit seinen Stellungnahmen geltend macht, dass „die Abkehr vom Alleinverdienerprinzip in der Besoldungspraxis tatsächlich bereits vor vielen Jahren“ erfolgt sei und daher bei „der Überprüfung der Einhaltung des Mindestabstandsgebots für die Jahre 2008 bis 2020 […] das Mehrverdienerprinzip zugrunde zu legen“ sei, kann dem nicht gefolgt werden. Denn aus der Begründung der Neufassung von § 40a Abs. 1 BBesG BE im Jahr 2024 ergibt sich, dass der Berliner Gesetzgeber selbst davon ausgeht, dass die Besoldung sich bis zu diesem Zeitpunkt an der Alleinverdienerfamilie orientiert habe und dass er erst jetzt der Lebensrealität der Mehrverdiener- beziehungsweise Hinzuverdienerehe gerecht werden wollte (vgl. Abghs.-Drucks. 19/2002 vom 30.10.2024, S. 5 f., 42 f., 53 ff., 93 f.). Über die Verfassungsmäßigkeit dieser konzeptionellen Änderung ist im vorliegenden Verfahren indes nicht zu entscheiden.

Zitat
(1) Das Median-Äquivalenzeinkommen ist ein statistischer Ansatz, um die nominalen Netto-Haushaltseinkommen einer Gesellschaft durch differenzierte Gewichtung nach Zahl und Alter der Haushaltsmitglieder miteinander vergleichbar zu machen. Im Gegensatz zum schlichten Pro-Kopf-Einkommen wird berücksichtigt, dass in einem Mehrpersonenhaushalt durch das gemeinsame Wirtschaften und gegebenenfalls durch die unterschiedliche Altersstruktur Einspar- und Synergieeffekte bestehen (vgl. Bohr/Janßen, in: Marquardsen, Armutsforschung, 2022, S. 59 <61> m.w.N.). Das Bundesverfassungsgericht legt dabei seiner Berechnung die modifizierte Äquivalenzskala (modified scale) der OECD zugrunde. Danach werden die erste erwachsene Person (Haushaltsvorstand) mit dem Faktor 1, weitere erwachsene Personen im Haushalt mit dem Faktor 0,5 und Kinder, das heißt Personen jünger als 14 Jahre, mit dem Faktor 0,3 gewichtet. Diese Skala wird sowohl von der Europäischen Union als auch von den 38 Mitgliedstaaten der OECD, darunter auch die Bundesrepublik Deutschland, und zudem von der statistischen und soziologischen Armutsforschung als Standard anerkannt (vgl. Cremer, NZS 2024, S. 846 <848>; Becker, in: Berlit/Conradis/ Pattar, Existenzsicherungsrecht, 4. Aufl. 2025, Teil I Kap. 5 Rn. 24).

1 Beamter + Ehepartner + Kind über 14 + Kind unter 14
1 + 0,5 + 0,5 + 0,3 = 2.3 als Faktor zur Bestimmung des Median-Äquivalenzeinkommens.


Formel:
2.3 * Median-Äquivalenzeinkommen Baden-Württemberg * 12 Monate * 0,8 (da 80% des Median)


Fehlende Daten:
Grundsicherung 2023 fehlt mir


Wäre diese Berechnungsmethodik in euren Augen korrekt?


Hier die vorläufigen Ergebnisse ohne Gewähr auf die schnelle erstellt:

   Bisherige Mindestbesoldung 115% Grundsicherung als Vergleich
2014   31945,68
2015   32436,72
2016   33111,96
2017   34272,84
2018   35642,28
2019   36556,56
2020   37841,52
2021   39724,2
2022   40328,4
2023   
2024   49052,52


Prekaritätsschwelle BW
37138,56
38021,76
38816,64
40141,44
41444,16
42945,6
43850,88
44932,8
46235,52
48046,08
50651,52

Differenz:

-5192,88
-5585,04
-5704,68
-5868,6
-5801,88000000001
-6389,04
-6009,35999999999
-5208,60000000001
-5907,12
keine Daten
-1599 (-6000 Partnereinkommen)

knapp 60k.






« Last Edit: 19.11.2025 11:37 von Ozymandias »

waykay

  • Newbie
  • *
  • Beiträge: 4
Super vielen Dank für die Ausführungen. Ich bin ja gespannt wann sich die Länder dazu das erste mal melden... eventuell nach den Tv-L Verhandlung und der Übertragung auf die Beamten.

Ich bin aktuell noch in der Lage gegen den Widerspruchsbescheid ab 01.11.24 zu klagen und werde es auch machen. Habe nur gehofft mehr darüber zu erfahren aus dem aktuellen Urteil ob es meine Chancen stark erhöht oder nicht.

A11 Stufe 3 - verheiratet 2 Kinder.

Ozymandias

  • Hero Member
  • *****
  • Beiträge: 1,403
Ich habe hier leider noch nicht ganz verstanden, welche Region das BVerfG benutzen will. Bei Bundesbeamten gibt es das Problem noch größer als bei Landesbeamten. Wohnort, Dienstort oder Deutschland.

Für BW sieht es wie folgt aus:

 Bundesland --------------------- NUTS II-Region   Jahr                                          
                                             
   2005   2006   2007   2008   2009   2010   2011   2012   2013   2014   2015   2016   2017   2018   2019
                                             
Baden-Württemberg                                             
Freiburg   1.291   1.325   1.375   1.415   1.434   1.465   1.509   1.545   1.595   1.655   1.691   1.718   1.781   1.845   1.904
Karlsruhe   1.339   1.348   1.368   1.414   1.439   1.469   1.526   1.577   1.609   1.647   1.692   1.748   1.777   1.832   1.914
Stuttgart   1.360   1.374   1.410   1.440   1.473   1.519   1.553   1.603   1.654   1.722   1.756   1.798   1.860   1.926   1.992
Tübingen   1.322   1.344   1.378   1.428   1.452   1.500   1.582   1.619   1.658   1.687   1.735   1.737   1.835   1.882   1.943



 Bundesland --------------------- NUTS II-Region   Jahr         
   2021   2022   2023   20243)
            
Baden-Württemberg            
Freiburg   1.988   2.040   2.116   2.235
Karlsruhe   2.021   2.081   2.159   2.269
Stuttgart   2.074   2.135   2.216   2.335
Tübingen   2.026   2.091   2.196   2.313

Da gibt es also durchaus einige Abweichungen und das gleiche damalige Problem der unterschiedlichen Wohnkosten. Ich denke als Landesbeamter muss man sich mit dem Einkommen des Bundeslandes zufrieden geben. Aber der Unterschied Freiburg und Stuttgart sind halt auch ca. 200 Euro Unterschied im Monat nach Anwendung der Formel
.
Was man bei den Bundesbeamten machen will - erschließt sich mir noch nicht ganz.

Wie gesagt alles noch vorläufig - das Urteil ist ja noch frisch.

MitleserBW

  • Jr. Member
  • **
  • Beiträge: 82
Jetzt mal für Unwissende gefragt:

Ich müsste nun mein Nettoeinkommen mit dem Median vergleichen oder? Welche Steuerklasse muss hier verwendet werden um sich das auszurechnen? Die Zulagen/Erfahrungsstufen etc. hinzugerechnet oder nur das Grundgehalt?

Unknown

  • Moderator
  • Sr. Member
  • *****
  • Beiträge: 530
@Ozimandias
Wo findet man die Tabellen bzw. die Werte die du ermittelt hast.

Ozymandias

  • Hero Member
  • *****
  • Beiträge: 1,403
Alles aus den oben genannten Links. Auf die Äquivalenzeinkommen hat das BVerfG selber im Urteil verlinkt, siehe Rn 114. https://www.statistikportal.de/de/sbe/ergebnisse/einkommen-armutsgefaehrdung-und-soziale-lebensbedingungen/armutsgefaehrdung-und-9

Den Rest hat Excel gemacht.

Tabelle A.7.1 Median der Äquivalenzeinkommen in Euro nach Bundesländern*)                                             
                                             
Bundesland/Region   Jahr                                          
                                             
   2005   2006   2007   2008   2009   2010   2011   2012   2013   2014   2015   2016   2017   2018   2019
Baden-Württemberg   1.334   1.352   1.386   1.427   1.452   1.492   1.541   1.587   1.631   1.682   1.722   1.758   1.818   1.877   1.945

Beispiel für 2019:

Formel:
2.3 * Median-Äquivalenzeinkommen Baden-Württemberg * 12 Monate * 0,8 (da 80% des Median)


2.3 * 1945 Euro * 12 Monate * 0,8 (da 80% des Median) = 42945,6


Meine Formel macht bei den Nachberechnungen zu den Zahlen des BVerfG bezüglich Berlin leider Fehler im einstelligen Euro Bereich für die Jahre 2008 bis 2020. Ich vermute, die haben die Zahlen ohne Rundungen benutzt. In der Tabelle die wir sehen, gibt es nur ganze Zahlen. Ein Fehler kann daher nicht ausgeschlossen werden.

Beispiel Berlin 2008:

2.3 * 1219 Euro * 12 Monate * 0,8 (da 80% des Median) = 26915,52 Euro

BVerfG-Tabelle Rn. 117    26.917,73 Euro

teclis22

  • Full Member
  • ***
  • Beiträge: 354
genau, wenn man das rückwärts rechnet, komme ich auf ca. 1219,11€

Ozymandias

  • Hero Member
  • *****
  • Beiträge: 1,403
Ich hatte da am Anfang alles probiert, mit den Faktoren bei den Kindern, die Zahlen zu Deutschland. Damit liegt man aber immer meilenweit daneben. Es müssen daher die fehlenden Kommazahlen sein. Vielleicht findet sich hierzu noch eine genauere Quelle die vom BVerfG verwendet wurde.

Leider ist die Entscheidung des BVerfG hier etwas ungenau geraten, man hätte die Berechnung auch beispielhaft erläutern können.

Rn. 69
Zitat
Die Daten sind im Internet beispielsweise auf dem gemeinsamen Statistikportal der Statistischen Ämter des Bundes und der Länder allgemein verfügbar und zeigen den Median der Äquivalenzeinkommen nach Ländern und zusätzlich nach der Gemeinsamen Klassifikation der Gebietseinheiten für die Statistik (nomenclature des unités territoriales statistiques – NUTS) auf Ebene 2, was in der Bundesrepublik Deutschland den Regierungsbezirken entspricht, sowie nach Raumordnungsregionen und in ausgewählten deutschen Großstädten (vgl. zum Vorstehenden Hochgürtel, WISTA 2019, S. 53 ff.).

Warum werden die NUTS Regionen erwähnt, wenn man diese nicht verwendet?
Berlin, Bremen und SH haben nur eine, andere Bundesländer 3, 4 oder noch mehr. Bayern sogar 7 mit gigantischen Unterschieden. Vielleicht erläutert die nächste Entscheidung das besser. Was bei Bundesbeamten verwendet werden soll, steht noch in den Sternen für mich.

Ozymandias

  • Hero Member
  • *****
  • Beiträge: 1,403
Fehler gefunden.

Die Excel-Tabellen sind so formatiert, dass die Kommazahlen nicht angezeigt werden, sind aber vorhanden. Klickt man die einzelnen Felder an, dann erscheinen die Zahlen mit Kommazahlen.

Wer also genaue Zahlen haben will, sollte die Formatierung ändern.

1219,1 war die gesuchte Zahl  :) ;)

Zerot

  • Jr. Member
  • **
  • Beiträge: 72
In welcher Phase des Klageweges befindet man sich gerade bezüglich des 4 Säulenmodell? Hier wird das Verfahren aufgrund der Stauchung und des Abstandsgebotes bestimmt an das Bundesverfassungsgericht abgegeben falls dieses noch schon vorliegt.

Ozymandias

  • Hero Member
  • *****
  • Beiträge: 1,403
In welcher Phase des Klageweges befindet man sich gerade bezüglich des 4 Säulenmodell? Hier wird das Verfahren aufgrund der Stauchung und des Abstandsgebotes bestimmt an das Bundesverfassungsgericht abgegeben falls dieses noch schon vorliegt.

Bislang gab es nur eine Klageabweisung am VG Karlsruhe, gegen die höchstwahrscheinlich Berufung eingelegt wurde.
Eine angebliche Verhandlung in Freiburg ist noch unklar, muss man auf den Newsletter des DRB BW warten.
Eine Dritte Musterklage gegen das Säulen-Modell 2022 gibt es auch noch, dazu gab es aber lange keine Nachrichten.
Für 2024 gibt es zwei weitere Musterklagen in BW.

Was aber klar ist, die zig Tausend anhängigen Verfahren sind nun, zumindest was die seitenlange Rechnerei der Verwaltungsrichter angeht, komplett für den Papiereimer gewesen.

Ebenso die Begründungen der Kläger...

Neuer12

  • Full Member
  • ***
  • Beiträge: 255
In welcher Phase des Klageweges befindet man sich gerade bezüglich des 4 Säulenmodell? Hier wird das Verfahren aufgrund der Stauchung und des Abstandsgebotes bestimmt an das Bundesverfassungsgericht abgegeben falls dieses noch schon vorliegt.

Bislang gab es nur eine Klageabweisung am VG Karlsruhe, gegen die höchstwahrscheinlich Berufung eingelegt wurde.
Eine angebliche Verhandlung in Freiburg ist noch unklar, muss man auf den Newsletter des DRB BW warten.
Eine Dritte Musterklage gegen das Säulen-Modell 2022 gibt es auch noch, dazu gab es aber lange keine Nachrichten.
Für 2024 gibt es zwei weitere Musterklagen in BW.

Was aber klar ist, die zig Tausend anhängigen Verfahren sind nun, zumindest was die seitenlange Rechnerei der Verwaltungsrichter angeht, komplett für den Papiereimer gewesen.

Ebenso die Begründungen der Kläger...

Insgesamt müsste es hier für die oberen Besoldungsgruppen große Nachzahlungen geben?

Und gleichzeitig die Widersprüche gegen 2024 und 25 berechtigt, da dann ja alles auf den alten Tabellen aufbaut?

Ozymandias

  • Hero Member
  • *****
  • Beiträge: 1,403
"Insgesamt müsste es hier für die oberen Besoldungsgruppen große Nachzahlungen geben?"
Hätte es eigentlich schon damals geben müssen, aber man hat ja alles so hingebogen, dass es nichts gab.
Weiß jetzt nich was groß ist, aber leider ist auch das Thema Partnereinkommen noch nicht ganz geklärt. Das ist in BW momentan der größte Posten mit 6000 Euro pro Jahr, die rein fiktiv sind.

Wenn für die niedrigsten Beamten seit 2020 ca. 30k fehlen, dann müsste es an der Tabellenspitze eigentlich das doppelte geben. Das ist aber leider Wunschmusik, aber die Abstände können nur noch bedingt abgeschmolzen werden. Das Besoldungsgefüge kann nicht noch weiter zerstört werden. Also müsste es zumindest ebenfalls rund 30k geben. Meine laienhafte Einschätzung.

Die Rechtslage hat sich nun geändert, Widersprüche gegen 2024, 2025 und auch 2026 haben sehr gute Erfolgschancen. Vermutlich muss man auch 2027 noch Widerspruch einlegen.

Ozymandias

  • Hero Member
  • *****
  • Beiträge: 1,403
80% Prekariatsschwelle in BW
2014   37.136,13
2015   38.015,13
2016   38.815,53
2017   40.146,51
2018   41.454,97
2019   42.944,93
2020   43.845,36
2021   44.927,50
2022   46.233,53
2023   48.050,71
2024   50.660,13
2025 bei 3% hochgerechnet 52.179,89
2026 bei 3% hochgerechnet 53.745,30

Hab noch 2025 und 2026 dazugepackt. Das Medianeinkommen in BW ist in den letzten 20 Jahren im Durchschnitt um 2,9% angestiegen. Wegen der Inflation in den letzten Jahren deutlich darüber.

LehrerBW

  • Sr. Member
  • ****
  • Beiträge: 680
Danke für deine Arbeit und deine Mühen Ozymandias :)