Die Angst der Bundesländer ist nicht ganz unbegründet.
Das Urteil hat weit tiefgreifendere Folgen für die Besoldung als nur die reine Anpassung der jeweiligen "Mindestalimentation" in den zurückliegenden Jahren, wie man es offenbar anhand der bisherigen Rechtssprechung mit dem 15 % Abstand erwartet hat.
Nach meinem Verständnis und wie es auch aus der Zusammenfassung des Urteils hervorgeht, ist die Mindestalimentation der erste Prüfungsschritt, um festzustellen ob die Besoldung in den zurückliegenden Jahren überhaupt verfassungsmäßig sein kann. Das Urteil gilt für das Land Berlin rückwirkend bis zum Jahr 2008. Die Besoldung in diesem Jahr muss also nachträglich zumindest auf die Mindestalimentation gebracht werden einschließlich der Abstandsgebote zwischen den einzelnen Besoldungsgruppen. Sofern ich mal grob überschlagen konnte, hat vermutlich keines der Länder zu diesem Zeitpunkt verfassungsgemäß alimentiert. Die Prekaritätsschwelle liegt dabei i.d.R. höher als die 15% Zusatz zur Grundsicherung.
In den nächsten Prüfungsschritten ist dann auch das Verhältnis zu Tariflohnindex, Nominallohnindex, Inflation und Bundesbesoldungsentwicklung zu prüfen und ein Abstand von über 5 % macht das Ganze erneut verfassungswidrig, auch wenn Prüfschritt 1 erfüllt ist.
Sieht man sich jetzt die Historie der Besoldungserhöhungen an, gab es in verschiedenen Ländern auch Nullrunden, die wiederum die 5 % Marke wahrscheinlich reißen und weshalb die Differenz zwischen der sich dem Urteil nach ergebenden Mindestalimentation für diese Jahre im Vergleich zur tatsächlichen Zahlung nochmals größer wird. Über die Dauer von fast 20 Jahren ergeben sich dabei erhebliche Ansprüche für jeden Beamten, insbesondere mit Familie.
Die Einbeziehung eines Partnereinkommens schließt das Urteil eigentlich ebenfalls aus, da sich die Mindestalimentation auf die zu leistenden Zahlungen an den Beamten, sprich dessen Nettobesoldung bezieht - unabhängig was der Partner verdient - da die Alimentation dem Beamten UND seiner Familie gilt.
Die Berechnung dieser rechtmäßigen Besoldung ist also sehr komplex und wird auch selbst nach Umsetzung noch viel Angriffsfläche für Klagen bilden.
Der Zeitrahmen für Berlin ist mit einem reichlichen Jahr für den gesamten Zeitraum sportlich, aber auch fair im Sinne der Betroffenen, die nach wie vor ihren täglichen Dienst leisten und ihre Treupflichten erfüllen, während der Dienstherr seine Pflichten seit nunmehr fast zwei Jahrzehnten nicht vollumfänglich erfüllt.
Interessant wird es auch, inwiefern sich die Alimentationsrechtssprechung auch auf Versorgungsempfänger auswirkt, da diese auch weiterhin 'alimentiert' werden. Auch ob und inwiefern die Ansprüche aus den zurückliegenden Jahren zu verzinsen sind.
Die Problematik wird jetzt gerade erst einmal sichtbar, allerdings ist das nur die Spitze des Eisbergs. Immerhin wurden die 'zurückgehaltenen' Gelder in den letzten Jahren ja auch nicht angespart sondern an anderen Stellen ausgegeben. Die Haushalte haben aktuell vermutlich auch überall ein Defizit, in Sachsen sind es 2,9 Mrd Euro für den kommenden Doppelhaushalt.