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[NI] Besoldungsrunde 2019 - Niedersachsen

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_restore:
Bestimmt schon mehrmals beantwortet, ich trau mich trotzdem:
Warum ist das Gehalt im öffentlichen Dienst nicht einfach an die Inflationsrate gekoppelt?

MoinMoin:

--- Zitat von: _restore am 14.03.2019 13:57 ---Bestimmt schon mehrmals beantwortet, ich trau mich trotzdem:
Warum ist das Gehalt im öffentlichen Dienst nicht einfach an die Inflationsrate gekoppelt?

--- End quote ---
Weil die Gewerkschaft das nicht will und wir Tarifautonomie haben. (bzgl. Gehalt)
Und weil es keine Lösung für den Sold wäre, da auch damit eine gesetzeswidrige Alimentierung möglich wäre.

Jebo11:

--- Zitat von: _restore am 14.03.2019 13:57 ---Bestimmt schon mehrmals beantwortet, ich trau mich trotzdem:
Warum ist das Gehalt im öffentlichen Dienst nicht einfach an die Inflationsrate gekoppelt?

--- End quote ---

Oder wie die Diäten an die allgemeine Lohnentwicklung? Ich schlage einfach mal die Metallbranche als Vergleich vor 😊

SwenTanortsch:
Die Koppelung an festgelegte Indizes würde bei Tarifbeschäftigten und also mit Blick auf die Tarifparteien tatsächlich in die Tarifautonomie eingreifen, ist also verfassungsrechtlich nicht möglich; der Grundsatz "Besoldung folgt Tarif" ist eine pragmatische Lösung, wobei zugleich das Alimentationsprinzip innerhalb des beamtrechtlichen Überbaus eine - um's mal so auszudrücken - komplexe rechtshistorische Entwicklung hinter sich hat, deren Beachtung insbesondere mit Blick auf die sogenannten "hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums" nicht so einfach beiseite geschoben werden könnte. Der Wunsch nach einfachen Lösungen und der Ruf nach ihnen kann also durchaus verständlich sein, beide prallen aber an der Verfassung ab.

Auch die Diskussion um Arbeitsproduktivität kann man führen; sie hat aber ihren Platz eher in Industriegesellschaften, in denen die Arbeitsproduktivität auf's Ganze gesehen verhältnismäßig einfach bestimmt werden kann; für Dienstleistungsgesellschaften führt sie tendenziell schnell zu nicht auflösbaren Problemen. Um es exemplarisch an zwei der großen Berufsgruppen zu verdeutlichen, die in Deutschland den verbeamtet sind. Wie wollte man eine erhöhte Arbeitsproduktivität messen? Müsste der Polizist heute dann mehr Kriminelle dingfest machen, als es der Polizist vor zehn Jahren gemacht hat, oder sollte der Lehrer heute mehr Bildung vermitteln als der Kollege vor zehn Jahren? Eine solche Diskussion könnte man sich sparen, da sie inkommensurable (also nicht miteinander in Verbindung zu setzende) Prämissen miteinander vermischte (als Folge enden solche Diskussionen dann zumeist in einem infiniten Regress - sie gehen also immer weiter und werden dabei tendenziell zunehmend moralisch aufgeheizt).

Die Arbeitsproduktivität könnte man allerdings zum Beispiel auch bei Polizisten und Lehrern formal messen. So könnte man mit Blick auf Lehrer bei gleich bleibender Arbeitseinsatzmenge (also bei gleich bleibender Arbeitzeitszeit) von Jahr zu Jahr die Ausbringungsmenge erhöhen, also beispielsweise die Anzahl von Schülern, die ein Lehrer in dieser Arbeitszeit unterrichtet. Noch allgemeiner: Man könnte bei Polizisten und Lehrern bei gleich bleibender Arbeitszeitmenge die von jedem einzelnen zu verrichtenden Aufgaben erhöhen. Das wäre ein verhältnismäßig reliables Vorgehen zur Messung der gesteigerten Arbeitsproduktivität - an dessem Ende der Zusammenbruch der Rechtssicherheit und des staatlichen Bildungswesen ständen. In von sozialer Differenzierung geprägten Gesellschaften ist der Wunsch nach einfachen Lösungen verständlich, weil die voranschreitende Differenzierung zu Veränderungen und zunehmender Unübersichtlichkeit führt; die Realität passt aber leider meistens weniger zu solchen Wünschen.

Insofern scheint es pragmatisch, dass die Tarifparteien des öffentlichen Dienstes einen Kompromiss aushandeln, der sich bei gleichbleibenden Differenzen beider Parteien um den Preis der Arbeit bei den Arbeitgebern (vereinfacht ausgedrückt) um den Qualitätserhalt des öffentlichen Dienstes dreht und bei den Arbeitnehmern (genauso vereinfacht ausgedrückt) um den fortwährenden Anschluss an die Tarifergebnisse anderer gesellschaftlicher Gruppen.

Nun gut, da im beschriebenen Kontext den Beschäftigten interessiert, was er am Ende im Portemonnaie vorfindet, und sich darauf genau die Frage bezieht, ob ein Tarifergebnis gut oder schlecht ist, betrachten wir also noch einmal die Nettoergebnisse. Das lege ich im nächsten Beitrag dar, damit ein einzelner Beitrag nicht noch länger wird.

SwenTanortsch:
Der Berechnung der realen Nettobesoldungserhöhung über die zu betrachtenden drei Jahre 2019 bis 2021 lege ich die bekannten Brutto-Daten zugrunde (die allgemeine Stellenzulage hatte ich vormals nicht mit eingerechnet, MoinMoin, es ist richtig und sinnvoll, dass Du sie von Anfang an verwendet hast) und ergänze die dazugehörigen Netto-Daten:

A13, Stufe 12 (Endstufe) Niedersachsen (auch im Folgenden: Steuerjahr 2019, Lohnsteuerklasse I, keine Familienzulage, keine Kinderfreibeträge, keine Kirchensteuer Arbeitszeit 100 Prozent, inklusive allgemeine Stellenzulage höherer Dienst, vgl. http://oeffentlicher-dienst.info/c/t/rechner/beamte/ni?id=beamte-nds-2018i&g=A_13&s=12&f=0&z=100&zulage=&stj=2019&stkl=1&r=0&zkf=0):


2019
(a) Jahresbruttobesoldung ohne Tariferhöhung (12 x 5.164,88): 61.978,56 €
(b) Jahresnettobesoldung ohne Tariferhöhung (12 x 3.756,82): 45.081,84 €

(c) Jahresbruttobesoldung mit Tariferhöhung: (2 x 5.164,88 + 10 x 5.330,15): 63.631,26 €
(d) Jahresnettobesoldung mit Tariferhöhung: (2 x 3.756,82 + 10 x 3.848,85): 46.002,14

Besoldungserhöhung brutto ((c/a) x 100) - 100): 2,67 Prozent
Besoldungserhöhung netto ((d/b) x 100) - 100): 2,04 Prozent

Bei einem (harmonisierten) Verbraucherpreisindex (verkürzt: dem in der Öffentlichkeit lieber verwendeten Begriff der Inflationsrate) von 1,7 Prozent (wie im Jahr 2018) bliebe 2019 eine reale Nettobesoldungserhöhung von rund 0,35 Prozent.


2020:
(a) Jahresbruttobesoldung ohne Tariferhöhung (12 x 5.330,15): 63.961,8 €
(b) Jahresnettobesoldung ohne Tariferhöhung (12 x 3.848,84): 46.186,08 €

(c) Jahresbruttobesoldung mit Tariferhöhung: (2 x 5,330,15 + 10 x 5.500,72): 65.667,5 €
(d) Jahresnettobesoldung mit Tariferhöhung: (2 x 3.848,84 + 10 x 3.943,81): 47.135,78

Besoldungserhöhung brutto ((c/a) x 100) - 100): 2,67 Prozent
Besoldungserhöhung netto ((d/b) x 100) - 100): 2,06 Prozent

Bei einem (harmonisierten) Verbraucherpreisindex von 1,7 Prozent (wie im Jahr 2018) bliebe 2020 eine reale Nettobesoldungserhöhung von rund 0,4 Prozent.


2021:
(a) Jahresbruttobesoldung ohne Tariferhöhung (12 x 5.500,72): 66.008,64 €
(b) Jahresnettobesoldung ohne Tariferhöhung (12 x 3.943,81): 47.325,72 €

(c) Jahresbruttobesoldung mit Tariferhöhung: (2 x 5.500,72 + 10 x 5.577,73): 66.778,74 €
(d) Jahresnettobesoldung mit Tariferhöhung: (2 x 3.943,81 + 10 x 3.986,71): 47.754,72

Besoldungserhöhung brutto ((c/a) x 100) - 100): 1,17 Prozent
Besoldungserhöhung netto ((d/b) x 100) - 100): 0,91 Prozent

Bei einem (harmonisierten) Verbraucherpreisindex von 1,7 Prozent (wie im Jahr 2018) bliebe 2021 eine reale Nettobesoldungskürzung von rund 0,8 Prozent.


Gesamtergebnis: Über die drei Jahre wären wir (bei insgesamt gleich bleibender Inflationsrate) also netto real genau dort, wo wir jetzt auch sind. Es würde zwei reale Jahresnettobesoldungserhöhungen von rund 0,4 Prozent geben und eine Nettobesoldungskürzung von 0,8 Prozent. Summa summarum würde es also bei gleich bleibenden Verhältnissen in Niedersachsen über drei Jahre keine reale Nettobesoldungserhöhung geben.

Das beschriebene Ergebnis kann man nun gut oder schlecht finden. Mir ging es zunächst einmal um die Darlegung dieses Sachverhalts.

Das niedersächsische Finanzministerium fand diesen Sachverhalt offensichtlich so sinnvoll und wird (so vermute ich zumindest) bei den Berechnungen in etwa so vorgegangen sein, dass es abgewogen hat, wann bei fortgeführten heutigen Verhältnissen der letztjährigen Inflationsrate über die kommenden drei Jahre die entsprechende reale Nettobesoldungserhöhung von weitgehend Null herauskommt (ob die Besoldungserhöhung also entsprechend zum März, April, Mai oder Juni erfolgen müsste). Zugleich macht es, ohne es zu sagen, der Öffentlichkeit weis, dass eine Besoldungserhöhung, die tatsächlich nur einen extrapolierten Inflationsausgleich gewährleistet, den Steuerzahler recht stark belastet, so ist jedenfalls die gestrige Mitteilung des Finanziminsteriums zu verstehen: „Der Tarifabschluss und die wirkungsgleiche Übertragung auf den Beamtenbereich stellen eine große Belastung für die öffentlichen Finanzen dar." (http://www.mf.niedersachsen.de/aktuelles/presseinformationen/niedersachsens-beamtinnen-und-beamten-erhalten-ab-01-maerz-hoehere-besoldung-174855.html)

Ein solches Vorgehen nenne ich desorientierend, weil erstens durch die Zeitverzögerung der Anpassung tatsächlich keine Wirkungsgleichheit besteht (jedenfalls im Sprachgebrauch der Allgemeinheit, die so also desorientiert wird) und weil die Öffentlichkeit zweitens ein anderes Bild von der Besoldungsanpassung erhalten würde, wenn man realistischer gesagt hätte: "Wir gewähren den Beamten nach heutigen Daten einen vollständigen Inflationsausgleich, obgleich es in den letzten beiden Jahren in Deutschland in vielen Branchen eine - zum Teil recht deutliche - Reallohnerhöhung gegeben hat. An diese Entwicklung können oder wollen wir unsere Beamten nicht beteiligen."

Lange Rede, kurzer Sinn: Ich empfinde dies beschriebene Form der Nicht-Beteiligung der niedersächsischen Beamten am Aufschwung der letzten Jahre eher als nicht so ergiebig und sie zugleich von der gesamten Art her auch verhältnismäßig wenig wertschätzend. Aber das ist nur mein (moralisches) Fazit.

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