Beamte und Soldaten > Beamte der Länder
[Allg] Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
cyrix42:
Was spricht eigentlich dagegen, bei einer Reform der Beamten-Besoldung vom Ideal des Alleinverdiener-Haushalts abzuweichen? (Gesamtgesellschaftlich hat sich die Anzahl der Doppelverdiener-Haushalte ja deutlich erhöht, sodass nicht ersichtlich ist, warum sich die Mindestalimentation aus einer Situation ableiten sollte, die nicht [mehr] der überwiegenden Lebenswirklichkeit entspricht.)
DerOptimist:
Vielen Dank an euch für die ausführliche Darstellung des Urteils und seine möglichen Folgen!
Nun mal eine ganz dumme Frage: Wenn ich nun – gemäß der zahlreichen Empfehlungen – Widerspruch einlegen möchte, wie genau mache ich das (Niedersachsen)?
Gibt es irgendwo einen Mustertext?
Danke!
Der Optimist
WasDennNun:
--- Zitat von: SwenTanortsch am 21.08.2020 19:37 ---Der langen Rede kurzer Sinn: Doch, die derzeitige Höhe des Grundgehalts sollte - in Anbetracht der deutlichen Steigerung der Mindestalimentation - generell verfassungswidrig sein. Ein System, in dem die Mindestalimentation um streckenwesie mehr als dreißig und vierzig Prozent erhöht werden muss, kann nicht anhand der ausschließlichen Erhöhung von Beihilfeleistungen, Zulagen, Zuschlägen und Sonderzahlungen ausdifferenziert werden, ohne gänzlich aus dem Lot zu geraten.
--- End quote ---
Die Mindestalimentation für Beamte mit (zwei) Kinder, ja.
Für Singles, Nein.
Änderung der Höhe des Famzuschlages und schon bleiben Singles bei einer +1€ in der Alimentationserhöhung.
Ich verstehe nicht warum das nicht gehen sollte.
Oder bist du ernsthaft der Meinung, dass die Alimentation eines Singles zwingend um 30% erhöht werden muss, damit diese Verfassungskonform ist?
Der Jahrelange Fehler im Besoldungssystem ist, dass die Kinderzuschläge zu niedrig sind im Gesamtgefüge und damit das Grundgehalt zu teuer wurde.
Weiterhin kann man ja die Einstiegsstufen abschaffen und die Laufzeiten der oberen erhöhen, somit die jüngeren Beamten mit nem Geldregen versorgen und die oberen gehen dann auch leer aus. Warum sollte diese Variante nicht greifen? Wo wäre da ein Verfassungskonflikt?
Ich sehe bezogen auf die Mindestalimenation genug Spielraum, dass es für die Endstufe kein nennenswerten Cent mehr gibt, wenn man die Besoldungssystematik ein wenige verdreht.
SwenTanortsch:
--- Zitat von: Fahnder am 21.08.2020 20:03 ---
--- Zitat von: SwenTanortsch am 21.08.2020 18:53 ---
--- Zitat von: Fahnder am 21.08.2020 16:56 ---Hallo SwenTanortsch,
vielen Dank für Ihre umfangreichen und aus meiner Sicht wirklich substantiellen Ausführungen. Ich verfolge die rechtliche Situation seit 2015, habe jedoch nicht im Ansatz mit diesem Ergebnis gerechnet. Es klingt für mich unglaublich, dass das BVerfG monetär deutlich über die Urteile des BVerwG und der weiteren Instanzen hinaus gegangen ist (Sie haben sich ja bereits bei Herrn Voßkuhle bedankt). Insbesondere der umfassende und damit höhere Ansatz der Wohnkosten wird in den Ministerien und Ausschüssen Kopfschmerzen bereiten.
Ich versuche im Moment, etwaige Auswirkung auf mein Bundesland nachzuvollziehen, da ich im letzten Jahr zum Glück noch rechtzeitig Widerspruch für 2019 einlegen konnte und für 2020 dies abhängig von der weiteren Entwicklung noch tuen werde. Die meisten Parameter sind ziemlich gut zu recherchieren (Regelsätze, Besoldung, Steuer, Kindergeld, Mindestbetrag, usw.) bzw. anhand des Sachverhaltes in Berlin zumindest ohne größere Unsicherheiten zuungunsten der Beamtenschaft zu schätzen (Pkv, Heizkosten, Teilhabeleistung, ...).
Die große Unbekannte sind m. E. die Unterkunftskosten. Wie Sie auf Seite 15 festgestellt haben, wurden die Unterkunftskosten laut BVerfG im Gegensatz zum BVerwG in Höhe von genau 50 % bzw. 58,8 % über den im WoGG festgelegten Werten ermittelt. Das BVerfG schreibt jedoch dazu, dass man die Daten seitens der Bundesagentur erhalten habe und diese 95 % aller Fälle einer vierköpfigen Bedarfsgemeinschaft im Bundesland abdecken sollte. Heißt das nun, dass man die Wohnkosten generell dadurch ermitteln kann, dass man die höchste Mietstufe im Land laut WoGG um 50 % erhöht oder handelt es sich hierbei um einen großen Zufall?
Wenn es wirklich so einfach sein sollte wäre eine Alimentationsberechnung für jedes Bundesland in Minuten zu erledigen, ich kann mir dies jedoch kaum vorstellen. Wie sehen Sie das?
--- End quote ---
Hallo Fahnder,
mir ging es genauso, ich war im Vorfeld gespannt, ob das vom Bundesverwaltungsgericht entwickelte Wohnkostenmodell als verfassungskonform betrachtet werden würde. Womit ich ebenfalls nicht gerechnet hätte, ist, dass das Bundesverfassungsgericht aus der bisherigen Rechtsprechung eine offensichtlich schlüssige und zugleich noch einmal zwangsläufig über das Bundesverwaltungsgericht hinausgreifende Bestimmungsmethodik für die Unterkunftskosten ableiten würde. Wie schon geschrieben, die ganze Entscheidung nötigt mir höchsten Respekt ab (unabhängig davon, dass sie mir nun inhaltlich passt). Wenn ich auch kein Jursit bin, so empfinde ich sie auch sprachlich sehr elegant (das war bei den beiden Entscheidungen des Jahres 2015 anders).
Während also das Bundesverwaltungsgericht die Mietenstufe als hinreichend betrachtet, sind sie nach dem aktuellen Beschluss des Bundesverfassungsgerichts nur ein mögliches (aber kein zwingendes) Kriterium, und zwar - wenn man es genau betrachtet - nicht für die Unterkunftskosten als solche, sondern in der möglichen Abstufung "eines an den örtlichen Wohnkosten orientierten (Orts-)Zuschlags" (Rn. 61).
Da es diese Abstufung für Berlin mit großer Wahrscheinlichkeit offensichtlich nicht geben kann, ansonsten hätten das die dem Gericht von der Bundesagentur für Arbeit zur Verfügung gestellten Werte widerspiegeln sollen (und zugleich sollte dann in ganz Berlin nicht eine einheitliche Mietenstufe gelten), konnte ich die beiden Varianten erstellen. Für alle anderen Länder - selbst für die, deren höchstes Mietenniveau ebenfalls + 5 bis unten + 15 %ig überdurchschnittlich ausfällt, sodass dort die Mietenstufe IV zugrunde zu legen wäre (Bremen, Mecklenburg-Vorpommern, Saarland und Thüringen) - wäre ich vorsichtiger, da das Gericht mit Ausnahme von Berlin nicht klärt, was es generell unter realitätsgerechten Unterkunftskosten versteht.
Zugleich gehe ich zwar wie Sie ebenfalls nicht davon aus, dass die für die Jahre 2009 und 2010 und dann für die Jahre 2011 bis 2015 jeweils identischen prozentualen Steigerungen Zufall sein können; aber daraus lässt sich eben leider nicht sachlogisch folgern, dass sie in anderen Regionen ebenfalls zur Bestimmung der Unterkunftskosten anhand der Mietenstufen (also mittels der Konstante 1,5 bzw. 1,58 multipliziert mit dem Betrag der jeweiligen Mietenstufe) herangezogen werden könnten.
Das Bundesverfasungsgericht ist folglich vorgegangen, wie es immer vorgeht, wenn es nicht in den weiten Entscheidungsspielraum der Besoldungsgesetzgeber eingreifen darf: Es hat sie auf ein realitätsgerechtes Vorgehen festgelegt, also unsachgemäße Pauschalisierungen anhand des Existenzminimumberichts für die Kosten von Unterkunft, Heizung und der Bedarfe von Bildung und Teilhabe für verfassungswidrig erklärt, auch eine Methodik als mögliche Leitplanken konkretisiert, zugleich aber wie gehabt betont (anderes könnte es nicht, ohne unverhältnismäßig in den breiten Gestaltungsspielraum der Besoldungsgesetzgeber einzugreifen), dass seine Methodik keine für die Besoldungsgesetzgeber in jeder Einzelheit verbindliche Berechnungsgrundlage darstellt, sodass es ihnen freistünde, die Höhe des Grundsicherungsniveaus mit Hilfe einer anderen plausiblen und realitätsgerechten Methodik zu bestimmen (Rn. 53).
Plausibel wäre eine solche Methode, wenn sie ohne sachfremde Erwägungen auskäme, realitätsgerecht, wenn sie in ihren notwendigerweise typisierenden und also vereinfachenden (aber nicht sachfremden) Erwägungen von dem Ziel bestimmt wäre, sicherzustellen, dass die Nettoalimentation in möglichst allen Fällen den gebotenen Mindestabstand zu dem den Empfängern der sozialen Sicherung gewährleisteten Lebensstandard wahrt (Rn. 52).
Ergo müssen wir abwarten, wie sich jetzt die Rechtspraxis entwickelt. Eines kann man aber auf jeden Fall tun, nämlich das Grundsicherungsniveau an folgenden Prämissen für den jeweiligen Höchstwert eines Landes (also dem Kriterium der höchsten Mietenstufe) ausrechnen:
a) Regelsatz für zwei in einer Bedarfsgemeinschaft lebende Erwachsene
b) Regelsatz für zwei Kinder
c) Unterkunftskosten anhand der höchsten Mietenstufe
d) Heizkosten anhand unverhältnismäßig hoher Heizkosten mittels des entsprechenden Heizspiegels
e) Bedarfe für Bildung und Teilhabe anhand der Werte des BVerfG erstellen
Damit erhält man ein Grundsicherungsniveau, das offensichtlich recht deutlich zu gering ausfallen dürfte (die Faktoren c und e liegen ja offensichtlich zu tief), das aber eine Ahnung hinterlässt, wohin die Reise gehen kann. Denn spaßeshalber kann man ja mal die 50- und 58%ige Steigerung für die Unterkunftskosten hinzurechnen...
Da ich mir gerade noch einmal die Begründungen der aktuellen Besoldungsgesetze anschaue: In welchem Land leben Sie?
--- End quote ---
Vielen Dank für die schnelle Antwort. Mich irritiert dennoch rein handwerklich, dass man eindeutig vom 95 %-Perzentil spricht, dann jedoch offensichtlich als Ausgangsbasis die höchste Mietstufe ansetzt und diese mit den immer gleichen o. g. Prozenten erhöht. Soweit dies dann 95 % der Haushaltsgemeinschaften erfasst, stimmt es ja, aber ein "Störgefühl" bleibt. Ggf. liegt es an der Berechnung des WoGG, der eine entsprechende Würdigung zulässt. Aber wofür hat sich das Gericht dann die Daten der Bundesagentur kommen lassen?
Ich lebe in Sachsen, wo man 2016 bereits auf ein Urteil des BVerfG von 2015 reagieren musste. Lustigerweise wurde damals explizit in der Gesetzesbegründung zum "Gesetz zur Umsetzung der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes zur Verfassungsmäßigkeit der Beamtenbesoldung" darauf hingewiesen, dass für einen ausreichenden Abstand zur Grundsicherung "mangels Hinweisen des BVerfG" keine Zweifel bestünden. Man macht in Sachsen zwar seit 2015 offensichtlich handwerkliche Fehler in der Berechnung (z. B. Kindergeld wird bei der Berechnung vom Hartz 4 abgezogen und mindert so die Mindestalimentation), aber bis heute wurde nicht darauf reagiert, obwohl das VG Chemnitz bereits im Beschluss vom 08.11.2018 auf Fehler hingewiesen hat (Az.: 3 K 2000/15). Die Frage der Mindestalimentation wurde auch in Sachsen neben den bereits von Ihnen erwähnten Ländern ebenfalls dem BVerfG vorgelegt und liegt dort (leider nur für die R-Besoldung) zur Entscheidung vor.
Ich habe für das wahrlich wohngünstige Sachsen die Berechnung analog BVerfG anhand der höchsten Mietstufe 3 für Dresden vorgenommen. Selbst mit dieser geringen Mietstufe (ohne Berücksichtigung des 95.-Perzentil) wird der Abstand zum Existenzminimum um wenige Prozent gerissen. Soweit man jedoch analog der Entscheidung in Berlin die Unterkunftskosten entsprechend erhöht, um 95 % aller Haushalte zu erfassen, kann man (mit entsprechenden Abstufungen) von einer Unteralimentation 2020 von bis zu 21 % (bei 58,8 % Erhöhung von Mietstufe 3) ausgehen. Das ist wahrlich faszinierend, ist aber aufgrund der bereits ausführlich genannten Gründe nur konsequent und sollte denjenigen Kollegen, die in ähnlichen Ländern wohnen und erst Recht denjenigen, die in teuren Ländern wohnen, ermutigen, wenigstens noch für 2020 Widerspruch einzulegen, um sich ggf. mehrere tausend EUR zu sichern.
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Das, was Sie im ersten Absatz geschrieben haben, hat mich auch verwundert. Denn wenn die (a) Daten der Bundesagentur für Arbeit gänzlich unabhängig von denen wären, die sich ergeben, wenn man die (b) Mietenstufen zur Grundlage wählte, dann sollten prozentuale Abweichungen, aber nicht in zwei Jahreskohorten (2009 und 2010 sowie die Jahre ab 2011) die absolut gleichlaufenden prozentualen Steigerungen der auf (a) und (b) basierenden Ergebnisse erfolgen, genauso wie Sie es schreiben.
Ich vermute ebenfalls, das Ganze hat mit der Herkunft des Datenmaterials zu tun, dass die Bundesagentur für Arbeit verwendet. Denn die BA wird mit Blick auf ihre Aufgaben, zu denen ja eigentlich nicht der ganze Bereich der Unterkunftskosten gehört, höchstwahrscheinlich über einen Fundus an Daten verfügen, durch den der Maßstab des 95%-Perzentils erfüllt wird. Jener wird dann wohl aus einem sozialgesetzlichen Kontext (die Grundlage der BA-Arbeit) herrühren und ausgewertet vorliegen (alles andere dürfte zu viel Arbeit machen). Denn ansonsten wäre eher zu erwarten gewesen, dass das Verfassungsgericht auf Daten des Amts für Statistik Berlin-Brandenburg zurückgreift, das ja eigentlich für statistische Erhebungen zuständig ist.
Sachsen war ja in der Vergangenheit mit Blick auf die Beamtenbesoldung das traurige Beispiel, nicht umsonst hat es als einziges Land bereits zwei Mal - 2015 und 2017 - eine jeweils deftige Niederlage vor dem Verfassungsgericht erlitten. Wenn man nun das aktuelle Besoldungsgesetz betrachtet, dann kann man dem Land nicht absprechen, dass es aber zumindest streckenweise versucht hat, aus beiden Niederlagen zu lernen, wobei am Ende dann doch wieder instrumentelles Handeln durchscheint.
Denn anders als die meisten anderen Bundesländer hat es in seiner aktuellen Gesetzesbegründung offensichtlich in Teilen die Bundesverwaltungsgerichtsentscheidung der Jahre 2017 und 2018 mit herangezogen, indem es sich bei den zugrunde gelegten Unterkunftskosten offensichtlich an den Mietenstufen orientiert hat und deshalb einen differenzierenden Wert anhand von Dresden wählte (ich habe mir das jetzt gerade noch einmal angeschaut, vgl. die Gesetzesbegründung Drs. 6/17566 v. 2.5.2019, S. 43 f. unter https://oeffentlicher-dienst.info/g/sn-anpg-2019-2020-2021). Am Ende kommt es aber doch zu verschiedenen Normverstößen, was auch dieses Gesetz verfassungswidrig werden lässt. Ich gehe es noch einmal inhaltlich durch.
Die Regelleistung für zwei in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Erwachsene wird zunächst korrekt anhand des 11 Existenminimumberichts in Verbindung mit der Regelbedarsstufen-Fortschreibungsverordnung 2019 ausgewiesen. Die Regelbedarfe für zwei Kinder übersteigen wegen der nach Lebensalter differenzierenden Zugrundelegung (sieben- und zehnjährig; S. 43) den möglichen niedrigeren, anhand der relevanten 18 Lebensjahre gewichteten Durchschnittswert analog dem Existenzminimumbericht um 28,- € p.m. bzw. 336,- € p.a. Hier zeigt sich ein Lernverhalten; denn das Land konnte nicht wissen, dass das Verfassungsgericht den niedrigeren Durchschnittswert für verfassungskonform anerkennen würde. Es hat vorsichtshalber den höheren zugrunde gelegt. So sind nicht viele Länder vorgegangen.
Die Unterkunftskosten werden einerseits differenzierend anhand der Bruttokaltmonatsmiete für Dresden in Höhe von 603,63 € angesetzt. Auch hier zeigt sich höchstwahrscheinlich ein Lernverhalten, denn hier werden höchstwahrscheinlich die Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts beachtet, was ebenfalls kaum ein anderes Land getan hat. Als Folge liegen die beachteten Unterkunftskosten oberhalb derer, die beispielsweise die Länder Brandenburg und Bremen ihren Berechnungen zugrunde legten, obgleich in jenen beiden Ländern in den Höchstwerten ein höheres Mietenniveau vorhanden ist und deshalb eine höhere Mietenstufe (Mietenstufe IV) gilt. Auch liegen die beachteten Unterkunftskosten als nächstes Beispiel nur um rund 40,- € unterhalb derer, die Baden-Württemberg angesetzt hat, wo ja in den Höchstwerten ein deutlich höheres Mietenniveau vorhanden ist, weshalb 2019 dort als Höchststufe die Mietenstufe VI vorlag (die Mietenstufe VII wurde erst zum 01.01.2020 eingeführt).
Andererseits wird jedoch an keiner Stelle dargelegt, auf welcher Basis bzw. anhand welcher Quelle dieser Wert von 603,63 € erstellt wird. Damit erfolgt keine ausreichende Prozeduralisierung, da so nicht nachprüfbar ist, ob ein materieller Verstoß vorliegt (was der Fall ist; das war aber bei Erstellung der Gesetzesbegründung nicht erkennbar, weil die aktuelle Entscheidung des Verfassungsgerichts noch nicht vorlag). Zugleich liegt der Wert von 603,63 € unterhalb dessen, was laut Mietenstufe III zu erwarten gewesen wäre: Denn für diese Stufe lag der Regelwert 2019 bei 656,- €. Hier scheint eventuell - trotz allen Lernverhaltens - ein instrumentelles Interesse durch, nämlich entsprechend Personalkosten zu sparen. Die mangelhafte Prozeduralisierung macht das Gesetz zugleich nach der aktuellen Entscheidung des Verfassungsgericht unabhängig von der materiellen Dimension verfassungswidrig. Darüber hinaus liegt, da der zugrundegelegte Wert noch unterhalb des nach der Mietenstufe III zu erwartenden liegt, offensichtlich ein Normverstoß vor, der das Gesetz ebenfalls verfassungswidrig macht.
Auch bezüglich der Heizkosten wird einerseits differenzierend anhand der Heizspiegel für Deutschland 2018 vorgegangen, wodruch Sachsen auch hier höhere Kosten als beispielsweise Baden-Württemberg, Brandenburg und Bremen ansetzt. Andererseits wird jedoch nicht der Höchst-, sondern ein Durchschnittswert herangezogen, ohne dass weiter ausgeführt wird, worauf dieser beruht. Auch das verfehlt offensichtlich die nötige Prozeduralisierung und macht das Gesetz deshalb verfassungswidrig. Darüber hinaus stellt die Festsetzung eines Durchschnitts- und nicht des Höchstwerts einen Normenverstoß dar, wie das Verfassungsgericht in seinem aktuellen Beschluss entschieden hat. Auch deshalb ist das Gesetz verfassungswidrig.
Auf die Bedarfe für Bildung und Teilhabe wird an keiner Stelle eingegangen; dass keine Kosten für sie angesetzt werden, ist offensichtlich ein Normverstoß, der das Gesetz verfassungswidrig macht. Zugleich bleibt gänzlich unverständlich, wieso gerade hier keine Werte angesetzt werden, da das auf den ersten Blick als Normverstoß erkennbar ist. Die Wege des Herrn und auch des Dienstherrn sind unergründlich, nicht nur in Sachsen.
Darüber hinaus wird das Grundsicherungsniveau für die Jahre 2020 und 2021 nicht berechnet (S. 48 und 52), was eventuell die Prozeduralisierungspflichten verletzt.
Die Normverstöße werden offensichtlich aus einer Melange an instrumentellen Interessen und mangelnder Durchdringung der Materie begangen, so ist zu vermuten. Denn es ist unsinnig, dass das Kindergeld dem Grundsicherungsniveau entzogen wird (S. 44), auch stellt ja die Grundsicherung kein "verfügbares Jahresnettoeinkommen" dar, wie dort behauptet wird, da es das steuerrechtlich nicht sein kann.
Andererseits erfolgt dort, wo der Kindergeldbetrag subtrahiert werden müsste, nämlich bei der Nettobesoldung, kein entsprechnder Abzug. Da der korrekte Wert von 4.776,- € so verstanden zwar an der falschen Stelle abgezogen wurde, jedoch am Ende zum identischen Ergebnis führt, liegt hier kein Normverstoß vor.
Der langen Rede kurzer Sinn: Wie Sie ja auch schon anhand der materiellen Dimension gezeigt haben, ist auch das Sächsische Besoldungsgesetz in seiner jetzigen Form verfassungswidrig - so wie jedes andere Besoldungsgesetz in Deutschland auch. Da das Bundesverfassungsgericht in seiner aktuellen Entscheidung die Kriterien für eine verfassungskonforme, also amtsangemessene Alimentation präzisiert hat, dürfte folglich jedes Besoldungsgesetz nun auf dem untergerichtlichen Weg, also vor dem Verwaltungsgericht, angefochten werden können, ohne dass dann noch der weitere Rechtsweg über höhere Instanzen beschritten werden sollte. Denn wie jetzt gerade noch einmal am Beispiel Sachsen gezeigt, liegen in allen aktuellen Besoldungsgesetzen so viele Normverstöße und Prozeduralisierungsunzulänglichkeiten vor, dass die Verwaltungsgerichte kaum eine Berufung zulassen können sollten - ergo: Das wäre jetzt eigentlich der Weg, den man den Gewerkschaften und Verbänden empfehlen sollte, denke ich. Eine amtsangemessen Alimentation sollte nun mitels der anhand der A-Besoldung zu erstellenden und für sie gleichmaßen geltenden Mindestalimentation auf dem Rechtsweg über das Verwaltungsgericht einklagbar sein.
SwenTanortsch:
--- Zitat von: Tyrion am 21.08.2020 21:23 ---Ich kann mir gut vorstellen, dass die Gesetzgeber u. a. die Grundgehälter für die Eingangsstufe jeder Besoldungsgruppe werden erhöhen müssen, dafür dann aber auch die Struktur der Besoldungstabellen deutlich verändern werden. Bis zur Dienstrechtsreform 1997 waren die Dienstaltersstufen der A-Besoldung alle zwei Jahre gestiegen. Danach wurden die Tabellen neu strukturiert, wobei die Grundgehälter der unteren Dienstaltersstufen erhöht und ab der fünften bzw. neunten Stufe verlängerte Stufenlaufzeiten von drei bzw. vier Jahren eingeführt worden sind.
Ähnliches böte sich auch jetzt an, in dem man z. B. die Anzahl der Stufen deutlich verringert, die Stufenlaufzeiten verlängert und die Erhöhungsbeträge für die folgenden Stufen verringert oder einfriert. Insoweit dürften wohl künftig die jüngeren Beamten durch eine solche Neuregelung stärker von Erhöhungen profitieren als die bereits länger Verbeamteten. Zugleich würde eine solche Regelung aber auch die Auswirkungen auf die Höhe der späteren Versorgungsbezüge begrenzen.
Es ist gut, dass das Thema hier noch mal ausführlich diskutiert wird. Nach dem Wegfall der Sonderzahlung im Jahr 2005 haben viele Beamte Widerspruch eingelegt. Von dem Thema noch unbeleckt dürfte aber ein Großteil der Beamtinnen und Beamten sein, die erst in den letzten Jahren neu eingestellt worden sind und entsprechende Aufrufe nicht mitbekommen haben. Dafür auch mein Respekt an SwenTanortsch, da es doch viel Zeit und Aufwand beansprucht, sich so umfassend in das Thema einzuarbeiten.
--- End quote ---
Hab Dank für Deine abschließenden Worte, Tyrion, sie zu lesen, freut einen natürlich.
Und zugleich sehe ich es auch so wie Du. Die Besoldungsgesetzgeber werden, da sie die Systematik sowieso werden grundlegend überarbeiten müssen, das womöglich dazu nutzen, die Erfahrungsstufen zu verändern (und die Länder, die bislang nicht die untersten Besoldungsgruppen ersatzlos gestrichen haben, werden mit nicht geringer Wahrscheinlichkeit auch diese Möglichkeit jetzt nutzen). Das Ziel wird weiterhin sein, möglichst viel Personalkosten einzusparen - nicht zuletzt, weil diese in den nächsten Jahren auf Grundlage der neuen Rechtslage deutlich ansteigen werden.
Interessant wird es sein, ob sie diese neuen Systematik so gestalten können, dass ein eventuell neues Erfahrungsstufenmodell auf alle Beamten angewandt werden kann. Dann würden die Beamten übergeleitet, ohne dass sie bis zum aktuellen Datum Nachteile davon haben dürften. Durch daran anschließende Abschmelzungen könnte die insgesamt erhöhte Alimentation danach sicherlich abgeschmolzen werden. Wie weit, das müsste die Zukunft zeigen. Denn insgesamt bleibt ja das Abstandsgebot, in das auch die Erfahrungsstufen mit einbezogen sind, erhalten.
Zugleich könnte es auch sein - das kommt darauf an, wie eine neue Systematik konkret ausgestaltet wird -, dass eine neue Systematik nicht mit der alten zur Deckung zu bringen sein würde. Dann würde eine neue Systematik für alle zukünftig Verbeamtete eingeführt werden und würden die bis zum Zeitpunkt der neuen Systematik bereits Verbeamteten im Sinne des Bestandsschutzes in der alten fortlaufen. Es würden also zwei Systematiken parallel laufen. Die bereits Verbeamteten dürften dann durch die neue Systematik nicht benachteiligt werden und müssten das Recht erhalten, in diese neue freiwillig übergeleitet zu werden.
So oder so: Die Informatiker sollten nicht arbeitslos werden.
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