Beamte und Soldaten > Beamte der Länder
[Allg] Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
BVerfGBeliever:
--- Zitat von: Verwaltungsgedöns am 29.10.2025 10:07 ---Bemerkenswert ist, dass der Senat selbst Nachzahlungen von 180.000 Euro pro Beamten formuliert. :o :o :o
--- End quote ---
Nein, das stimmt nicht.
1.) Das Verwaltungsgericht Hamburg hatte dem BVerfG am 29.09.2020 fünf Musterverfahren zur Entscheidung vorgelegt:
- 20 K 7506/17 (A13)
- 20 K 7509/17 (A15, drei Kinder, geboren 1992, 1994 und 1994)
- 20 K 7510/17 (A10, ein Kind, geboren 2016)
- 20 K 7511/17 (A11, zwei Kinder, geboren 1966 und 1969)
- 20 K 7517/17 (A9, zwei Kinder, geboren 1988 und 1988)
2.) Laut Drucksache 22/3821 hat der Hamburger Senat für diese fünf Musterkläger für den Zeitraum 2013 bis 2019 eine Rückstellung in Höhe von 4,3% der jeweiligen Besoldung sowie bis zu 480 Euro an zusätzlichen monatlichen Kinderzuschlägen gebildet, insgesamt rund 180.000 Euro.
3.) Kurzer Plausibilitätscheck: 180.000 Euro durch 5 Kläger durch 7 Jahre durch 12 Monate ergeben eine durchschnittliche Nachzahlung in Höhe von rund 429 Euro pro Monat. Passt aus meiner Sicht sehr gut zu den obigen Angaben (4,3% der Besoldung, ggf. plus zusätzliche Kinderzuschläge).
HansGeorg:
EGMR-Urteil Meïdanis/Griechenland (2008) einfach erklärt
zur Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) im Fall Meïdanis gegen Griechenland (Urteil vom 22.05.2008, Beschwerde-Nr. 33977/06): In diesem Fall klagte ein griechischer Arbeitnehmer (Herr Meïdanis), der für ein öffentliches Krankenhaus gearbeitet hatte, auf ausstehende Lohnzahlungen. Das Besondere war, dass nach griechischem Recht öffentliche Einrichtungen deutlich weniger Verzugszinsen auf rückständige Gehälter zahlen mussten als private Arbeitgeber. Herr Meïdanis hätte nach allgemeinem Zinsrecht sehr hohe Zinsen (zeitweise rund 23–27% pro Jahr) auf den rückständigen Lohn erhalten; weil sein Arbeitgeber aber ein staatliches Krankenhaus war, galt ein Sondergesetz, das den Zinssatz auf nur 6% pro Jahr begrenzte
Der EGMR hat diese Ungleichbehandlung klar als Verstoß gegen das in der Europäischen Menschenrechtskonvention garantierte Eigentumsrecht bewertet
.Einfach ausgedrückt: Der Lohn, den Herr Meïdanis zu bekommen hatte, ist sein Eigentum. Wenn der Staat die Zahlung dieses Lohns jahrelang verzögert und sich selbst das Privileg einräumt, viel geringere Zinsen (hier nur 6% statt ~25%) zahlen zu müssen, entsteht dem Betroffenen ein finanzieller Nachteil. Das Gericht stellte fest, dass es keinen ausreichenden sachlichen Grund gab, dem öffentlichen Arbeitgeber einen so niedrigen Zinssatz zu gewähren
.Ein öffentliches Krankenhaus, das als Arbeitgeber auftritt, soll im Grundsatz wie ein privater Arbeitgeber behandelt werden und kann nicht allein mit finanziellen Sparzwängen begründen, warum es weniger zahlen muss
.Der EGMR entschied einstimmig, dass diese Zinsbegrenzung die friedliche Eigentumsnutzung des Klägers verletzte und somit die Menschenrechtskonvention (Artikel 1, 1. Zusatzprotokoll – Schutz des Eigentums) verletzt wurde
Für einen Laien bedeutet dieses Urteil: Der Staat darf sich nicht selbst bevorteilen, indem er bei verspäteten Zahlungen an Bürger geringere oder gar keine Verzugszinsen zahlt, wenn Bürger untereinander viel höhere Zinsen zahlen müssten. Das Geld, das jemand zu bekommen hat (z.B. Gehalt), wird als sein Eigentum betrachtet. Wird es verspätet ausbezahlt, muss ein angemessener Ausgleich (Zinsen) erfolgen. Andernfalls verliert die Summe an Wert (z.B. durch Inflation oder entgangene Nutzung) – und das stellt nach Auffassung des EGMR eine unzulässige Entwertung dieses Eigentums dar
Im Ergebnis musste Griechenland Herrn Meïdanis Schadenersatz zahlen, um den Zinsverlust auszugleichen, und der EGMR machte deutlich, dass künftig solche Zinsprivilegien des Staates problematisch sind.
Verwaltungsgedöns:
@Believer
Nun ist der Groschen gefallen. Danke für die Richtigstellung. Ich sammle mal kurz wieder meine Kinnlade ein...
BVerfGBeliever:
--- Zitat von: Verwaltungsgedöns am 29.10.2025 12:37 ---@Believer
Nun ist der Groschen gefallen. Danke für die Richtigstellung. Ich sammle mal kurz wieder meine Kinnlade ein...
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Kein Problem! Und trotzdem auf jeden Fall danke fürs Raussuchen (jegliche monetäre Einordnung ist aus meiner Sicht sehr interessant)!
Malkav:
--- Zitat von: HansGeorg am 29.10.2025 12:36 ---EGMR-Urteil Meïdanis/Griechenland (2008)
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Für mich klingt die Lage hinsichtlich der Verzinsung eigentlich sehr gut für deutsche Beamte.
Betrag X wird aufgrund Gesetz gezahlt. Von Verfassung wegen müsste Betrag Y gezahlt werden. Die Differenz zwischen X und Y wird nach deutscher Rechtsprechung und einfacher Gesetzeslage nicht verzinst.
Die spannendere Frage ist eher, wie man einen diesbezüglichen Fall zum EGMR bekommt.
Der Verfahrensgang müsste sich wie folgt darstellen:
1. Klage "gegen Alimentationshöhe" aka Feststellugn der Unteralimentation
2. positiver Beschluss des BVerfG
3. Reparaturgesetz nebst entsprechender unverzinster Nachzahlung
4. Klage "gegen die Höhe der Nachzahlung" aka Feststellugn der Unteralimentation
5. negativer Beschluss des BVerfG (entweder aufgrund Richtervorlage oder Verfassungsbeschwerde)
6. Beschwerde an den EGMR wegen Ausschöpfung des innerdeutschen Rechtswegs
Das kann also seeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeehr lange dauern :o
Aber sonst scheitert man halt an der Zulässigkeit der Beschwerde zum EGMR wegen der Notwendigkeit der Ausschöpfung aller innerstaatlichen Mittel.
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