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Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)

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SwenTanortsch:
Hallo Nelson,
nein, das "absolute Minimum" ist auch als Übersetzung keine sachgerechte Darlegung (s. Deinen Beitrag von 13:02 Uhr). Nicht umsonst sind 2019 - also zu einer Zeit, als man davon ausgehen konnte, dass die familienbezogenen Besoldungskomponenten noch sachgerecht gewährt worden sind - die Grundgehaltssätze des Musterbeamten durch die sozialen Besoldungskomponenten in den 14 Ländern, die zu jener Zeit noch kein Doppelverdienermodell betrachtet haben, zwischen 16,7 % und 21,5 % angehoben worden. Das ist offensichtlich kein "absolutes Minimum" und dürfte mit der bundesverfassungsgerichtlichen Rechtsprechung sowohl von der Struktur als auch von der Höhe her im Einklang gestanden haben. In Brandenburg und Rheinland-Pfalz, die zu jener Zeit bereits Doppelverdienermodelle in ihr Besoldungsrecht eingeführt hatten, wurden die Grundgehaltssätze entsprechend um 13,9 % und 20,4 % erhöht, was offensichtlich gleichfalls im Rahmen der konkreten gesetzlichen Regelungen als sachgerecht zu begreifen war. Entsprechend habe ich vorhin einen Maßstab für eine offensichtlich sachgerechte Betrachtung hervorgehoben: Auch die sozialen Besoldungskomponenten sind sachgerecht zu gewähren und dürfen sich also an den tatsächlichen Bedarfen orientieren.

Der Faktor 3, den Du zurecht ins Feld führst, beinhaltet allerdings keinerlei sachliche Zusammenhänge mit der Bemessung der Beamtenalimentation. Nicht umsonst hebt der Senat im aktuellen Judikat hervor, dass bei der Bemessung der Besoldung der qualitative Unterschied zwischen der Grundsicherung, die als staatliche Sozialleistung den Lebensunterhalt von Arbeitsuchenden und ihren Familien sicherstellt, und dem Unterhalt, der erwerbstätigen Beamten und Richtern geschuldet ist, hinreichend deutlich werden muss (Rn. 47; https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2020/05/ls20200504_2bvl000418.html).

Als möglichen Vergleichgegenstand für die Betrachtung der tatsächlichen Bedarfe, die aus der Kinderzahl erwachsen, hebt das Bundesverfassungsgericht bspw. die Düsseldorfer Tabelle hervor, die also nicht auf Bedarfssätze von Grundsicherungsempfängern abstellt. Als sachgerechte Betrachtung hat der Senat 1990 in seiner zweiten maßgeblichen Entscheidung über den alimentationsrechtlichen Mehrbedarf kinderreicher Beamter hervorgehoben, wobei zu vermuten ist, dass diese Betrachtung auch heute noch vom Grundsatz her ebenso in der Betrachtung der sozialen Komponenten herangezogen werden kann (die Düsseldorfer Tabelle bietet also eine Orientierungshilfe; am Ende müssen ebenfalls die sozialen Besoldungskomponenten in ihrer Form und Höhe sachgerecht vom Besoldungsgesetzgeber begründet werden):

"Bei der Bemessung des zusätzlichen Bedarfs, der für das dritte und die weiteren Kinder des Beamten entsteht und vom Dienstherrn über die Alimentation der Zwei-Kinder-Familie hinaus zu decken ist, kann der Gesetzgeber, wie im Beschluß vom 30. März 1977 (BVerfGE 44, 249 [274]) dargelegt, von denjenigen Regelsätzen für den Kindesunterhalt ausgehen, die die Rechtsordnung zur Verfügung stellt. Allerdings sind diese Sätze auf die Befriedigung unterschiedlicher Bedürfnisse hin ausgerichtet. Ihre ungleiche Aussagekraft für die Höhe des dem Beamten von seinem Dienstherrn geschuldeten amtsangemessenen Unterhalts hat der Gesetzgeber in Rechnung zu stellen. So sind etwa Bedarfssätze, die an dem äußersten Mindestbedarf eines Kindes ausgerichtet sind, also insbesondere die Sozialhilfesätze, staatliche Hilfen zur Erhaltung eines Mindestmaßes sozialer Sicherung. Die Alimentation des Beamten und seiner Familie ist demgegenüber etwas qualitativ anderes (vgl. BVerfGE a.a.O., S. 264 f.). Diesen Unterschied muß die Bemessung der kinderbezogenen Bestandteile des Beamtengehalts deutlich werden lassen. Beispielsweise bieten die Unterhaltssätze für die ehelichen Kinder nach der sogenannten Düsseldorfer Tabelle einen Anhalt dafür, wie der auf jeden Fall durch zusätzliche Leistungen auszugleichende Unterhaltsbedarf eines Kindes zu bemessen ist, soll nicht die Amtsangemessenheit des Gehalts insgesamt unterschritten werden. Freilich ist hierbei wiederum zu berücksichtigen, daß in diesen Sätzen nicht etwa der gesamte Lebensbedarf des unterhaltsberechtigten Kindes veranschlagt wird. Auch die vom Statistischen Bundesamt errechneten Indices für die Lebenshaltung eines Kindes sind grundsätzlich eine geeignete Orientierungsgröße für die Höhe des auszugleichenden Bedarfs. Der Gesetzgeber darf also nicht in der Weise verfahren, daß er die verfügbaren Regelsätze addiert und deren arithmetisches Mittel seiner Regelung zugrundelegt. Vielmehr muß er diese Regelsätze nach Maßgabe ihrer Aussagekraft gewichten." (BVerfGE 81, 363 <378 f.>, Hervorhebungen durch mich; https://www.servat.unibe.ch/dfr/bv081363.html).

Dabei bliebe aber ebenso bis auf Weiteres zu beachten, was der Senat 1977 in seiner ersten entsprechenden Leitentscheidung ausgeführt hat, was bislang bis auf Weiteres als zu betrachten sich anbieten sollte und worin sich die Spannbreite der zu begründenden Höhe der jeweiligen sozialen Komponente dokumentieren kann:

"Legt man etwa das gegenwärtige System der Besoldungsstruktur zugrunde, das, wie dargelegt, verfassungsrechtlich nicht festgeschrieben ist, so entspricht es bei natürlicher Betrachtung einer gewissen Selbstverständlichkeit, daß bei der Familie mit einem oder zwei Kindern der Kindesunterhalt ganz überwiegend aus den allgemeinen, d. h. 'familienneutralen' und insoweit auch ausreichenden Gehaltsbestandteilen bestritten werden kann und die kinderbezogenen Gehaltsbestandteile ergänzend hinzutreten. In diesem Fall bestehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken dagegen, wenn dieser Betrag in seiner Höhe erheblich unter den Beträgen bleibt, die von der Rechtsordnung als Regelsätze für Kindesunterhalt als angemessen erachtet und veranschlagt werden." (BVerfGE 44, 240 <274 f.>; https://www.servat.unibe.ch/dfr/bv044249.html)

Am Ende erscheint es mir als Folge von Doppelverdienermodellen als mit einiger Wahrscheinlichkeit sachgerecht:

1. Den Verheiratetenzuschlag deutlich zu reduzieren (wie das in den 2010er Jahren Rheinland-Pfalz getan hat) oder ihn ganz abzuschaffen (entsprechend ist in der Zeit Brandenburg verfahren),

2. Die kinderbezogenen Besoldungskomponenten ggf. abzusenken, da der Gesetzgeber ja mit dem Doppelverdienermodell davon ausgehen möchte, dass die überwiegende Anzahl an Familien zwei Ernährer aufweist,

3. Die bis 2021 überkommene Struktur wie gehabt beizubehalten, da die Betrachtung eines Doppelverdienermodells in Rechnung zu stellen hätte, dass insbesondere bei Familien mit jungen Kindern ggf. nicht mehr als deren Hälfte über einen zweiten Verdienst verfügt und dass darüber hinaus die Einkünfte des zweiten Verdieners nach der Geburt von Kindern tendenziell eher geringer liegt als davor.

@ Organisator

Eine Orientierung an Durchschnittswerten, also an den Mietenstufen des WoGG, ist dem Besoldungsgesetzgeber bei der Betrachtung des Grundsicherungsniveau nicht gestattet, da sich so keine sozialrechtlich realitätsgerechten Kosten bemessen lassen, die aber vorausgesetzt werden müssen, um einen sachgerechten Vergleichsmaßstab bilden zu können, was hier im Forum schon mehrfach so betrachtet worden ist: Der Besoldungsgesetzgeber sieht sich gezwungen, den Bedarf für die Kosten der Unterkunft so zu erfassen, wie ihn das Sozialrecht definiert und die Grundsicherungsbehörden tatsächlich anerkennen (vgl. die Rn. 57 im aktuellen Judikat).

Ein "unterste[s ] Minimum der Grundbesoldung" kann es nicht geben, da der Verfassung entsprechende Beträge nicht zu entnehmen sind (vgl. in der aktuellen Entscheidung die Rn. 26). Von daher sieht sich der Besoldungsgesetzgeber gezwungen, eine sachgerechte Höhe der Grundbesoldung im Gesetzgebungsverfahren zu begründen.

Es nützt allgemein recht wenig, hier wiederkehrend eigene Vorstellungen ohne sachliche Prüfung an der Besoldungsrechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts hier einzustellen, da das die Diskussion eher verunklart als sie präzisiert, und zwar unabhängig davon, wer so vorgeht. Denn nicht wenige der hier Diskutierenden kennen sich nicht hinreichend genug aus, um eine sachgerechte Diskussion zu führen, woraus man - denke ich - in diesem Fall die Konsequenz ziehen sollte (auch das betrifft alle, die sich nicht hinreichend genug auskennen), die eigenen Thesen vorsichtig hier einzuführen, um damit in Rechnung zu stellen, dass man mit einiger Wahrscheinlichkeit sachlich falsch liegt. Eine Diskussion ist möglich und meines Erachtens auch sinnvoll - aber sie betrachtet ein verfassungsrechtlich komplexes Feld, was man, denke ich, bei der Thesenbildung beachten sollte.

BVerfGBeliever:
@Nelson, OK, ich sehe deinen Punkt. Aber ich denke, das sollte sich durch ein paar flankierende Maßnahmen (wie beispielsweise die Einführung eines moderaten Ortszuschlags) zusätzlich zur absolut unabdingbaren signifikanten Erhöhung der Grundgehälter lösen lassen.

Und nur zur Erinnerung: Alles hier (ok, ausgenommen @Swen ;)) sind lediglich persönliche Meinungen, die der Diskussion dienen (dafür ist das Forum schließlich da), aber eigentlich absolut irrelevant sind.

Einzig relevant und entscheidend ist, was das BVerfG demnächst den Besoldungsgesetzgebern auferlegen wird. Und da denke und hoffe ich, dass Leute wie @Organisator anschließend ungläubig mit den Ohren schlackern werden..  :)


[P.S. Und natürlich ist noch unsere Forums-Sammelklage zu nennen, die hoffentlich auf individueller Ebene etwas erreichen wird.]

Lichtstifter:
Ich lese immer wieder, dass die gerechte Besoldung nicht vermittelbar ist. Das klingt genauso hoffnungslos wie die alternativlose Politik im Zuge der damalige Finanzkrise.

Konsequenz war eine Politik des Stillstands.



--- Zitat ---30 % sind nicht realistisch, weil dann Beamteneinkommen generiert werden würden, die in keinem Verhältnis (mehr) zu den Gehältern in der Privatwirtschaft stehen würden. Demzufolge finden sich dafür keine Mehrheit.
--- End quote ---

Wie bereits schon einmal geschrieben passierte jahrelang merklich nicht viel. Dann wirken 30% natürlich nicht mehr verhältnismäßig. In der Vergangenheit hatte man bestimmt schon die Beamten im Hinterkopf, aber deren Abstand zum Existenzminimum war noch groß genug, sodass man keinen dringenden Reformbedarf sah. Erstmal musste man unten korrigieren für den sozialen Frieden (Satt geht nicht auf die Straße). Nun haben innerhalb weniger Jahre  - bedingt durch die Polykrise - die Kosten den Turbo gezündet und das führte nun dazu, dass Beamte von Leistungsbeziehern teilweise überholt werden. Passiert ist in der Kürze für die Beamten bis auf die gescheiterten Entwürfe nichts und man will wohl wirklich den schwarzen Peter dem BVerfG zuschieben, weil jaaaa nicht vermittelbar.
Vielleicht hätte man schon zeitig eine "Indexbesoldung" in Abhängigkeit zur Inflation einführen sollen. Dann stünden wir jetzt bestimmt woanders.

Den Einwand, dass die gerechte Besoldung nicht mit dem Erwerb in der Privatwirtschaft in Relation stehen könne, teile ich nicht. Eventuell bekommen normale Arbeitnehmer ja auch schon jahrelang viel zu wenig vom Kuchen ab, obwohl sie die Stütze von so vielem sind. Nur bemisst sich der Lohn nach einem Arbeitsvertrag, der bestenfalls im Sinne beider Parteien ausgehandelt wurde. Bei uns Beamten stehen wir in einem gegenseitigen Dienst- und Treueverhältnis mit dem Staat und es gibt gewisse Vorgaben, an denen eigentlich nicht zu rütteln ist.
Gegenwärtig ist dieses Verhältnis ziemlich einseitig und nicht auf Augenhöhe. Und die negativen Konsequenzen wirken sich auf lange Sicht auch auf die Allgemeinheit aus.

NelsonMuntz:
Lieber Sven,

ich schätze Deine Ausführungen und Deine juristische Expertise wirklich sehr, muss aber an dieser Stelle noch mal darauf hinweisen, dass ich Deinen Worten zwar durchaus folgen, auf dieser Ebene aber leider nicht qualifiziert in die Diskussion mit Dir kommen kann. (Im nächsten Leben mach ich aber ein Jura-Studium und wir holen das dann auf jeden Fall nach! :))

Ich brauche (und die Bitte geht wirklich an alle hier) eine grobe, aber doch konkrete Darstellung eines "Besoldungsregimes", welches zu einer verfassungsrechtlich sauberen Alimentation des A3er führt - unabhängig davon, ob dieser eine Single, oder eben verheiratet mit 2 Kindern ist, und in der die ebenfalls geforderten Binnenabstände der Besoldung eingehalten werden.

Der von mir genannte Faktor 3 leitet sich ja aus der Berechnung der Grundsicherung ab und ist in deren Nähe faktisch zwingend. In höheren Einkommensregionen wird er natürlich kleiner (ich habe ja noch das Nettoäquivalenzeinkommen angeführt, bei dem die 4k-Familie je nach Alter der Kinder nur noch einen Faktor zwischen 2,1 und 2,5 erhält). Ferner können wir auch berücksichtigen, dass durch Kinder eine gewisse Absenkung des Lebensstandards hinzunehmen ist, wenn sich das Einkommen weit vom Grundsicherungsniveau abgehoben hat. Also ist zwischen Single und 4k-Familie auch ein Faktor von 2 für einen halbwegs vergleichbaren Lebensstandard noch ausreichend. Aber: Das alles gilt nicht für den Kollegen in der A3, da bleibt es eben beim Faktor 3.

Also die Frage bleibt: Wie bilde ich eine Besoldung tabellarisch ab, wenn im untersten Eingangsamt zwischen Single und 4k eine Faktor 3 in der Nettomindestalimentation anliegt, weiter oben irgendwann der Faktor 2 für einen zumindest annähernd äuivalenten Lebensstandard?

Ich bekomme das nicht hin, ohne das Binnenbstandsgebot zu verletzen.

Organisator:

--- Zitat von: BVerfGBeliever am 30.09.2024 14:24 ---Einzig relevant und entscheidend ist, was das BVerfG demnächst den Besoldungsgesetzgebern auferlegen wird. Und da denke und hoffe ich, dass Leute wie @Organisator anschließend ungläubig mit den Ohren schlackern werden..  :)

--- End quote ---

Ich fürchte, darauf läuft es hinaus und der Gesetzgeber beraubt sich damit seiner Gestaltungsmöglichkeiten.

Ich fürchte auch, dass @Swen insoweit Recht hat, als dass das Thema tiefergehenderer verfassungsrechtlich fundierter Kenntnisse über die Besoldungssystematik bedarf, als mir lieb ist.

Hier gilt es den Spagat zu schaffen zwischen rechtlicher Notwendigkeiten, der Identifikation vorhandener Spielräume und einem angemessenen (und somit gesetzgeberisch vermittelbaren) Verhältnis zur übrigen Arbeitnehmerschaft.

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