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Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
SwenTanortsch:
--- Zitat von: NelsonMuntz am 30.09.2024 15:30 ---
[...]
Der von mir genannte Faktor 3 leitet sich ja aus der Berechnung der Grundsicherung ab und ist in deren Nähe faktisch zwingend. In höheren Einkommensregionen wird er natürlich kleiner (ich habe ja noch das Nettoäquivalenzeinkommen angeführt, bei dem die 4k-Familie je nach Alter der Kinder nur noch einen Faktor zwischen 2,1 und 2,5 erhält). Ferner können wir auch berücksichtigen, dass durch Kinder eine gewisse Absenkung des Lebensstandards hinzunehmen ist, wenn sich das Einkommen weit vom Grundsicherungsniveau abgehoben hat. Also ist zwischen Single und 4k-Familie auch ein Faktor von 2 für einen halbwegs vergleichbaren Lebensstandard noch ausreichend. Aber: Das alles gilt nicht für den Kollegen in der A3, da bleibt es eben beim Faktor 3.
Also die Frage bleibt: Wie bilde ich eine Besoldung tabellarisch ab, wenn im untersten Eingangsamt zwischen Single und 4k eine Faktor 3 in der Nettomindestalimentation anliegt, weiter oben irgendwann der Faktor 2 für einen zumindest annähernd äuivalenten Lebensstandard?
Ich bekomme das nicht hin, ohne das Binnenbstandsgebot zu verletzen.
--- End quote ---
Wie gesagt - lies noch einmal, lieber Nelson, was ich vorhin geschrieben habe, insbesondere hinsichtlich der Düsseldorfer Tabelle -, man kann den Faktor 3 nicht sachlich zur Bemessung der Beamtenalimentation und hier also in der Betrachtung sozialer Komponenten betrachten, da es einen qualitativen Unterschied zwischend er Grundsicherung, die als staatliche Sozialleistung den Lebensunterhalt von Arbeitsuchenden und ihren Familien sicherstellt, und dem Unterhalt, der erwerbstätigen Beamten und Richtern geschuldet ist, gibt, der entsprechende Vergleiche weitgehend gegenstandslos macht (Rn. 47; https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2020/05/ls20200504_2bvl000418.html). Der qualitative Unterschied zeigt sich in mehreren Gesichtspunkten:
1. Der Beamte befindet sich durch sein Amt in einem Dienstverhältnis, das zunächst einmal als Beschäftigungsverhältnis zu verstehen ist. Darin unterscheidet er sich als Erwerbstätiger vom Grundsicherungsempfänger, was für andere Erwerbstätige gegenüber Grundsicherungsempfängern ebenfalls gilt. Das Grundsicherungsrecht kennt ausschließlich soziale Leistungen, weshalb es Teil des Sozialrechts ist. Hier liegt ein qualitativer Unterschied vor, der eine Vergleichbarkeit gewährter Leistungen nicht so ohne Weiteres möglich macht.
2. Der Beamte befindet sich in seinem Dienstverhältnis in einem Treueverhältnis zum Dienstherrn, das sich als Sonderrechtsverhältnis darstellt, welches insbesondere mit Grundrechtseinschränkungen verbunden ist oder verbunden werden kann. Der Grundsicherungsempfänger zeigt sich in allen ihm verfassungsrechtlich zugesicherten Grundrechten uneingeschränkt. Hier liegt ein weiterer qualitativer Unterschied vor, der eine Vergleichbarkeit gewährter Leistungen nicht so ohne Weiteres möglich macht.
3. Der Bamte befindet sich in seinem Treueverhältnis zum Dienstherrn in der Pflicht, ihm uneingeschränkt sachgerecht Leistungen zu erbringen, sich also mit seiner ganzen Persönlichkeit dem Dienstherrn zur Verfügung zu stellen und gemäß den jeweiligen Anforderungen seine Dienstpflicht nach Kräften zu erfüllen. Der Grundsicherungsempfänger erhält allerdings die ihm gewährten Leistungen leistungslos. Hier liegt ein weiterer qualitativer Unterschied vor, der eine Vergleichbarkeit gewährter Leistungen nicht so ohne Weiteres möglich macht.
Im Ergebnis ist es von der Form sachlich gegenstandlos, wie sich das Verhältnis von Leistungen, die Grundsicherungsempfänger beziehen können, und der Alimentation gestaltet, die dem Beamten für sich selbst und zum sachgerechten Unterhalt seiner Familie amtsangemessen gewährt werden muss. Hinsichtlich des Mindestanstandsgebots ist nur von Belang, dass hier ein 15 %iger Abstand vom realitätsgerecht bemessenen Grundsicherungsniveau als Mindestalimentation bezeichnet wird und dass ein Einschnitt in jenen Betrag der dem Beamten gewährten Nettoalimentation, der von der Mindestalimentation umfasst wird, dem Besoldungsgesetzgeber nicht gestattet ist. Mehr sagt das Mindestabstandsgebot sachlich nicht aus: Die Höhe der Mindestalimentation bemisst dem vom absoluten Alimentationsschutz umfassten Betrag der Nettoalimentation.
Ergo: Der Faktor 3 oder ein anderer auf das Grundsicherungsniveau zurückgeführter Faktor hat keinerlei Relevanz für die amtsangemessene Alimentation, die am Ende von ihrer Form und Höhe sachgerecht gewährt werden muss, was der Besoldungsgesetzgeber im Gesetzgebungsverfahren sachlich zu begründen hat.
@ Rentenonkel
Das ist ein sehr erhellender Beitrag, den Du vorhin hier dargelegt hast und der grundlegende Erwägungen sowie deren Zweck und Gründe präzise auf den Punkt bringt!
@ Maximus
Auch die GdP/Berlin geht nun davon aus, dass wir erst im kommenden Jahr eine Entscheidung erhalten werden, was ich für realistisch halte, eben weil nun die Stellungnahmen präzise betrachtet werden: https://www.gdp.de/berlin/de/stories/2024/09/never-ending-story-amtsangemessene-alimentation-entscheidung-des-bverfg-wahrscheinlich-nicht-mehr-in-diesem-jahr. Im Ergebnis halte ich es für recht wahrscheinlich, dass Karlsruhe nun hinsichtlich der Berliner Besoldung der ersten Hälfte der 2010er Jahre eine Vollstreckungsanordnung nach § 35 BVerfGG erlässt, da ansonsten nicht erklärbar wäre, wieso nun von Niedersachsen und Schleswig-Holstein nach Berlin "umgesprungen" worden ist. Bliebe das Abgeordnetenhaus von Berlin innerhalb der ihm dann gesetzten Frist untätig bzw. würde nur Entscheidungen treffen, die einer Untätigkeit gleichkämen, wären die vom Bundesverfassungsgericht dazu ermächtigten Institutionen - in unserem Fall dann die Verwaltungsgerichtsbarkeit - im Rahmen der Art und Weise der geregelten Vollstreckung verpflichtet, eine sachgerechte Alimentationshöhe festzustellen und diese Höhe zu vollstrecken. Sofern es so käme, § 35 BVerfGG zur Anwendung käme, dürfte man in Berlin durchaus ins Routieren kommen, denke ich.
HochlebederVorgang:
--- Zitat von: NelsonMuntz am 30.09.2024 17:12 ---
--- Zitat von: Rentenonkel am 30.09.2024 16:18 ---@Nelson: Die Rechtsprechung übernimmt nicht das Denken für den Gesetzgeber. Es obliegt dem Gesetzgeber, eine verfassungsgemäße Besoldung zu "basteln".
....
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Genau das wollte ich ja so ein wenig hier zusammen ausprobieren: "Komm, heute spielen wir Besoldungsgesetzgeber" ;)
Mir ist schon bewusst, dass der Beamte selbst ja anders als all die Angestellen bei der Besoldung kein Mitspracherecht im Rahmen von Verhandlungen hat, aber die Legislative bestimmen wir doch alle gemeinsam in unser Demokratie über Wahlen. "Die Politik" sind wir am Ende doch irgendwie selbst.
Ansonsten hast Du natürlich Recht.
--- Zitat von: DeGr am 30.09.2024 16:57 ---... Ich plädiere beispielsweise seit Jahren für Kindergeld auf Bürgergeld-Niveau. Das würde nicht nur die Beamten näher in Richtung amtsangemessene Alimentation bringen, sondern es würde allen Familien helfen. Auf Bürgergeld wird es zu 100 % angerechnet, sodass sich bei den Bürgergeldempfängern nichts ändert.
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In genau diese Richtung denke ich eben auch.
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Das Ergebnis wird vergleichbar mit dem Beamtenshitstorm sein und die braune Soße zum Kochen bringen, wenn das Kindergeld dann nach sonstwo wandert. Ich habe die Bild-Schlagzeile direkt vor Augen.
BVerfGBeliever:
--- Zitat von: NelsonMuntz am 30.09.2024 15:30 ---Also die Frage bleibt: Wie bilde ich eine Besoldung tabellarisch ab, wenn im untersten Eingangsamt zwischen Single und 4k eine Faktor 3 in der Nettomindestalimentation anliegt, weiter oben irgendwann der Faktor 2 für einen zumindest annähernd äuivalenten Lebensstandard?
Ich bekomme das nicht hin, ohne das Binnenbstandsgebot zu verletzen.
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Wo kommt denn plötzlich der genannte Faktor her?
Auch ein verheirateter A3 mit zwei Kindern bekommt eine Besoldung, die sowohl aus leistungsbezogenen als auch leistungslosen Komponenten besteht (und sei es, dass seine „Leistung“ hauptsächlich darin besteht, jede Woche 41 oder 40 Stunden Dienst zu leisten). Die resultierende Nettoalimentation muss dabei mindestens 115% der Grundsicherung einer vierköpfigen Familie betragen (zuzüglich weiterer Bedingungen, siehe @Swens Beitrag).
Der ledige und kinderlose A3 bekommt hingegen keinen Familienzuschlag, so dass seine Bruttobesoldung etwas niedriger ist (aktuell beträgt der Zuschlag rund 18,3% des Grundgehalts). Seine Nettoalimentation ist aufgrund der höheren Steuer und des fehlenden Kindergelds natürlich deutlich geringer.
Wenn jetzt alle Grundgehälter (und beispielsweise auch der Familienzuschlag) linear so weit angehoben werden, dass der Verheiratete mit zwei Kindern das 115%-Kriterium erfüllt, dann wäre das Leistungsprinzip und die Ämterwertigkeit weiterhin eingehalten. Wo also wäre das „Problem“?
NelsonMuntz:
--- Zitat von: HochlebederVorgang am 30.09.2024 17:04 ---Mit Verlaub, ich möchte kein Geld "für meine Kinder." Ich möchte entsprechend meiner Leistung und Qualifikation besoldet werden, so daß ich allein für meine Kinder sorgen kann. Hier herrscht ein teilweise diskussionswürdiges Menschenbild.
Möchte man alle Familien abhängig vom Staat machen? Wird dann auch die Kita mit 8 Stunden Pflicht? Ich sage nur: Lufthoheit über den Kinderbetten (Scholz).
Eine Orientierung am Bedarf ist auch immer mit Bevormundung verbunden.
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Ich bin schon ein wenig erschüttert. Also die über 90% der nichtverbeamteten Menschen in diesem Land WERDEN entsprechend meiner Leistung und Qualifikation bezahlt. Wenn das nicht für Kinder reicht, passt es wohl mit Leistung und Qualifikation nicht so ganz ;)
Ich halte noch mal fest: Eine der Leistung und Qualifikation entsprechende Besoldung mündet laut Richterbund in der A3 in einer Nettobesoldung von fast 5000 Euro im Monat ... das Nettogehalt eines studierten Ingenieurs in der E11 darft Du gerne selbst ventilieren und anschließend über Dein Menschenbild kurz nachdenken.
Ist echt nicht böse gemeint, aber Du hast den doofen Spruch zuerst gebracht.
Unknown:
--- Zitat von: SwenTanortsch am 30.09.2024 17:19 ---Auch die GdP/Berlin geht nun davon aus, dass wir erst im kommenden Jahr eine Entscheidung erhalten werden, was ich für realistisch halte, eben weil nun die Stellungnahmen präzise betrachtet werden: https://www.gdp.de/berlin/de/stories/2024/09/never-ending-story-amtsangemessene-alimentation-entscheidung-des-bverfg-wahrscheinlich-nicht-mehr-in-diesem-jahr. Im Ergebnis halte ich es für recht wahrscheinlich, dass Karlsruhe nun hinsichtlich der Berliner Besoldung der ersten Hälfte der 2010er Jahre eine Vollstreckungsanordnung nach § 35 BVerfGG erlässt, da ansonsten nicht erklärbar wäre, wieso nun von Niedersachsen und Schleswig-Holstein nach Berlin "umgesprungen" worden ist. Bliebe das Abgeordnetenhaus von Berlin innerhalb der ihm dann gesetzten Frist untätig bzw. würde nur Entscheidungen treffen, die einer Untätigkeit gleichkämen, wären die vom Bundesverfassungsgericht dazu ermächtigten Institutionen - in unserem Fall dann die Verwaltungsgerichtsbarkeit - im Rahmen der Art und Weise der geregelten Vollstreckung verpflichtet, eine sachgerechte Alimentationshöhe festzustellen und diese Höhe zu vollstrecken. Sofern es so käme, § 35 BVerfGG zur Anwendung käme, dürfte man in Berlin durchaus ins Routieren kommen, denke ich.
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Selbst in der Vollstreckungsanordnung werden keine Zahlen zur Höhe der Besoldung genannt. So könnte doch Berlin wieder auf Zeit spielen und wieder eine verfassungswidrige Besoldung auf den Weg bringen und das würde doch die Vollstreckungsanordnung entwerten, wenn beispielsweise ein Jahr Zeit angesetzt wird, bis ein verfassungskonformes Gesetz auf die Beine gestellt wird.
Wird die Vollstreckingsanordnung automatisch ausser Kraft gesetzt, so bald ein weiteres Gesetz zur Heilung des vorherigen Zustandes verabschiedet wurde? Ich würde behaupten, das Berlin gar nicht willens bzw. in der Lage ist, die Vorgaben des BVerfG so umzusetzen, dass das genau rauskommt, was rauskommen soll. Danach ginge doch das gleiche Spiel nochmal von vorne los.
@Swen kannst du was zur Durchführung einer Vollstreckungsanordnung sagen?
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