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Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
HochlebederVorgang:
@ Swen
Ich werde weitere Gedankenanstöße liefern. Es tun sich immer wieder neue Punkte auf. Ein Zeichen dafür, dass die Besoldungssystematik eigentlich keine mehr ist. Es gibt dort viel zu tun, und damit meine ich nicht die Ausgestaltung der Mindestalimentation.
lotsch:
(was ihr nicht zum Vorwurf gemacht werden kann, da die Kläger das nicht substantiiert haben)
Das hat Swen in seinem letzten Beitrag geschrieben.
Könnten wir einmal stichpunktartig zusammentragen, was derzeit alles in einer Klage substantiiert werden sollte. oder vielleicht gibt es so etwas schon.
SwenTanortsch:
Es ist zunächst einmal einfach das dreistufige bundesverfassungsgerichtliche "Pflichtenheft" abzuarbeiten, wie es seit 2015 vorliegt und seitdem vom Senat weiter konkretisiert worden ist, lotsch, wobei dabei in unseren Fällen ggf. die lange Verfahrensdauer zu betrachten wäre, was aber bislang m.W. noch kein Verwaltungsgericht in Betracht gezogen hat. Deshalb gilt es, wie ich das kurz angerissen habe, diese mit ihren Folgen zu betrachten, sofern das eine Rolle spielen sollte und also genau diese Folgen zu substantiieren.
Darüber hinaus muss weiterhin betrachtet werden, ob mit den jeweils angegriffenen gesetzlichen Regelungen Verletzungen weiterer Verfassungsnormen einhergehen, also insbesondere hinsichtlich von Art. 33 Abs. 2 GG und Art. 33 Abs. 5 GG, jeweils ggf. im Zusammenhang mit Art. 3 Abs. 1 GG, also ob evidente Verletzungen des Leistungsgrundsatzes, des Alimentationsprinzips oder des allgemeinen Gleichheitssatzes begründet werden können. Hinsichtlich der "Herdprämien" einführenden Normen dürfte ebenso zu prüfen bzw. begründen sein, ob bzw. dass evidente Verletzungen von Art. 3 Abs. 2 GG und ggf. auch von Art. 6 Abs. 1 GG sowie Art. 6 Abs. 4 GG gegeben sind.
Ein allgemeiner "Fahrplan" über das "Pflichtenheft" hinaus lässt sich dabei nicht festlegen; vielmehr gilt es die jeweilige bundesverfassungsgerichtliche Rechtsprechung zu den genannten Verfassungsnormen hinreichend zu betrachten und dann eben deren jeweilige evidente Verletzung sachgerecht zu begründen.
In für die jeweilige Stellungnahme notwendigen Teilen ist das bspw. hier vorgenommen worden, wobei zu beachten bleibt, dass es sich jeweils um eine Stellungnahme in einem Gesetzgebungsverfahren handelt und nicht um die Begründung einer Klage (für diese werden hier also ggf. nur Vorarbeiten getätigt, die aber zunächst einmal im Kontext des Gesetzgebungsverfahrens erfolgt sind):
https://bdr-hamburg.de/wp-content/uploads/Gutachterliche-Stellungnahme-Besoldungsstrukturgesetz-Drs.-22-1272.pdf
https://bdr-hamburg.de/wp-content/uploads/Gutachterliche-Stellungnahme-Besoldungsstrukturgesetz-Drs.-22-1272.pdf
Letztlich gilt es, die Begründung möglichst zu konkretisieren, und zwar nach Möglichkeit an der dafür beachtlichen bundesverfassungsgerichtlichen Rechtsprechung. Je konkreter sie ausfällt - das kann man als Faustregel festhalten -, desto wahrscheinlicher dürfte es sein, dass sie in der gerichtlichen Prüfung und Kontrolle heranzuziehen ist.
Anforderungen an eine hinreichende Substantiierung führt das Bundesverfassungsgericht bspw. hier aus:
https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2010/01/rk20100105_1bvr298306.html
https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2016/11/rk20161117_1bvr247212.html
https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2017/10/rk20171002_1bvr157417.html
https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2024/07/rk20240723_2bvr055719.html?nn=68080
BVerfGBeliever:
@Swen, vielen Dank, dass du gestern noch mal schön den Unterschied zwischen (a) einer unmittelbar verfassungswidrigen Unteralimentation aufgrund einer unmittelbaren Verletzung des Mindestabstandsgebots sowie (b) einer mittelbar verfassungswidrigen Besoldung aufgrund der Verletzung weiterer Bedingungen erläutert hast.
Bisher haben sich sowohl die Besoldungsgesetzgeber als auch die über das Thema berichtenden Medien quasi ausschließlich auf Punkt (a) konzentriert, also die Tatsache, dass eine vierköpfige Beamtenfamilie mindestens 15% mehr als eine vierköpfige Bürgergeldfamilie bekommen muss.
Und klar, wenn man möglichst "billig" die Verletzung des Mindestabstandsgebots heilen möchte, kommt man eben auf solche abstrusen Ideen wie den AEZ, der durch die Mietstufen-Differenzierung und die Abschmelzung in höheren Besoldungsgruppen quasi das alleinige Ziel hat, jede Beamtenfamilie (egal wo sie wohnt und welches Amt bekleidet wird) gerade so über die 115%-Grenze zu hieven, aber keinen Millimeter höher. Dass der aktuelle Bundes-Entwurf selbst dieses Minimalziel noch meilenweit verfehlt, macht natürlich umso sprachloser.
Aus meiner Sicht ist Punkt (b) aber mindestens genauso relevant und wichtig. Natürlich verletzt ein A16-, B- oder R-Besoldeter (zumindest noch ;-) nicht unmittelbar das Mindestabstandsgebot zur Grundsicherung. Trotzdem ist in meinen Augen auch hier die Besoldung nahezu überall mittelbar verfassungswidrig, wie ja ausführlichst in diesem und anderen Threads diskutiert.
Somit bin ich sehr gespannt, ob das BVerfG auch zu Punkt (b) demnächst etwas mehr "Guidance" bereitstellen wird, nachdem es vor einigen Jahren Punkt (a) konkretisiert und "quantifiziert" hat..
SwenTanortsch:
An einer Stelle muss ich Dich formell korrigieren, BVerfGBeliever, wenn ich Dir in den anderen Punkten allerdings Recht gebe: Es gibt keine "mittelbar verfassungswidrige Besoldung", sondern der Fall a) führt wegen der Verletzung des hergebrachten Grundsatzes des Mindestabstandsgebots materiell-rechtlich für die von der Verletzung unmittelbar betroffenen Besoldungsgruppen zur Verfassungswidrigkeit der Norm. Sie sind also in jedem Fall in nicht amtsangemessener Weise unteralimentiert. Dahingegen - hier die Korrektur - ist die unmittelbare Verletzung des Mindestabstandsgebots in den unter(st)en Besoldungsgruppen für die höheren Besoldungsgruppen, die nicht unmittelbar die Mindestalimentation unterschreiten, nur ein Indiz, das mit der Schwere der Verletzung in die Betrachtung der fünf Parameter der ersten Prüfungsstufe im Zuge der Gesamtbetrachtung und Gesamtabwägung in das Prüferverfahren einzustellen ist.
Entsprechend finden wir die von mir regelmäßig betonte "Zwitterfunktion" der Mindestalimentation: Materiell-rechtlich bedeutet die Unterschreitung der Mindestalimentation eine Verletzung des Alimentationsprinzips für die davon unmittelbar betroffenen Besoldungsgruppen, die für sie zwangsläufig zur Verfassungswidrigkeit der davon unmittelbar betroffenen Alimentation führt; indiziell muss die Verletzung des Mindestabstandsgebots für die davon nicht unmittelbar betroffenen Besoldungsgruppen mit der Schwere der Verletzung in das weitere Prüfverfahren eingestellt werden. Entsprechend führt das Bundesverfassungsgericht in den Rn.48 f. der aktuellen Entscheidung aus (https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2020/05/ls20200504_2bvl000418.html; Hervorhebungen durch mich):
"Wird bei der zur Prüfung gestellten Besoldungsgruppe der Mindestabstand zur Grundsicherung für Arbeitsuchende nicht eingehalten, liegt allein hierin eine Verletzung des Alimentationsprinzips. Hinsichtlich der Verfassungsmäßigkeit der Alimentation einer höheren Besoldungsgruppe, bei der das Mindestabstandsgebot selbst gewahrt ist, lässt sich eine solche Schlussfolgerung nicht ohne Weiteres ziehen. Eine Verletzung des Mindestabstandsgebots betrifft aber insofern das gesamte Besoldungsgefüge, als sich der vom Besoldungsgesetzgeber selbst gesetzte Ausgangspunkt für die Besoldungsstaffelung als fehlerhaft erweist. Das für das Verhältnis zwischen den Besoldungsgruppen geltende Abstandsgebot zwingt den Gesetzgeber dazu, bei der Ausgestaltung der Besoldung ein Gesamtkonzept zu verfolgen, das die Besoldungsgruppen und Besoldungsordnungen zueinander in Verhältnis setzt und abhängig voneinander aufbaut. Erweist sich die Grundlage dieses Gesamtkonzepts als verfassungswidrig, weil für die unterste(n) Besoldungsgruppe(n) die Anforderungen des Mindestabstandsgebots missachtet wurden, wird der Ausgangspunkt für die darauf aufbauende Stufung in Frage gestellt. Der Besoldungsgesetzgeber ist danach gehalten, eine neue konsistente Besoldungssystematik mit einem anderen Ausgangspunkt zu bestimmen.
Allerdings hat der Gesetzgeber einen weiten Gestaltungsspielraum, wie er bei der Festsetzung der Bezüge den Anforderungen des Gebotes eines Mindestabstands zum Grundsicherungsniveau Rechnung trägt. Neben der Anhebung der Grundgehaltssätze und Veränderungen im Beihilferecht kommt insbesondere auch eine Anhebung des Familienzuschlags in Betracht (vgl. BVerfGE 140, 240 <287 Rn. 94>). Ob eine zur Behebung eines Verstoßes gegen das Mindestabstandsgebot erforderliche Neustrukturierung des Besoldungsgefüges zu einer Erhöhung der Grundgehaltssätze einer höheren Besoldungsgruppe führt, lässt sich daher nicht mit der für die Annahme eines Verfassungsverstoßes erforderlichen Gewissheit feststellen. Die Wahrscheinlichkeit hierfür ist umso größer, je näher die zur Prüfung gestellte Besoldungsgruppe selbst an der Grenze zur Mindestbesoldung liegt. Je deutlicher der Verstoß ausfällt und je mehr Besoldungsgruppen hinter dem Mindestabstandsgebot zurückbleiben, desto eher ist damit zu rechnen, dass es zu einer spürbaren Anhebung des gesamten Besoldungsniveaus kommen muss, um die gebotenen Abstände zwischen den Besoldungsgruppen wahren zu können. Die Verletzung des Mindestabstandsgebots bei einer niedrigeren Besoldungsgruppe ist daher (nur) ein Indiz für die unzureichende Ausgestaltung der höheren Besoldungsgruppe, das mit dem ihm nach den Umständen des Falles zukommenden Gewicht in die Gesamtabwägung einzustellen ist."
Genau deshalb ist - der Senat spricht in der Hervorhebung von der Mindestbesoldung und nicht von der Mindestalimentation, führt hier also den indiziellen Teil der "Zwitterfunktion" ins Feld - das indizielle Mittel des Grundgehaltsäquivalents entwickelt worden, das also den jeweiligen Verletzungsgrad einer Besoldungsordnung bestimmt, sodass er dann mit der ihm zukommenden Schwere in den am Ende vom Gesetzgeber bzw. Gericht durchzuführenden Abwägungsprozess eingestellt werden kann (vgl. die ZBR-Beiträge aus den Jahren 2022 und 2023: www.zbr-online.de/click_buy/2022/schwan.pdf und www.zbr-online.de/click_buy/2023/schwan.pdf).
Wenn sich nun bspw. 30 bis 60 oder mehr % der Tabellenfelder einer Besoldungsordnung A als indiziell unmittelbar verletzt zeigen, dürfte es m.E. sachlich - also auf Basis des Zitats - nicht mehr gerechtfertigt werden können, nicht signifikant die Grundgehaltssätze, sondern vor allem familienbezogene Besoldungskomponenten extensiv anzuheben. Genau das wird in den beiden genannten ZBR-Beiträgen begründet.
Entsprechend wäre es m.E. begrüßenswert, wenn der Senat in der aktuellen oder einer späteren Entscheidung genau solche methodische Verfahren, wie sie in den beiden Beiträgen entwickelt werden, in das Prüf- bzw. Kontrollverfahren aufnehmen würden. Denn dann hätte wir die m.E. notwendige Verbindung von an Indizien angelehnter Prüfung und Kontrolle mit den prozeduralen Anforderungen, die den Besoldungsgesetzgeber in Form von Begründungspflichten treffen. Er sähe sich dann also gezwungen, anhand des konkretisierten Verletzungsgrads einer Besoldungssystematik sachgerechte Entscheidungen zu fällen und diese dann hinreichend zu begründen.
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