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Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
SwenTanortsch:
Ich weiß, dass Du zum Glück ein Mahner und Bremser bist, emdy. "Zum Glück" deshalb, weil ich in verschiedenen Verfahren der letzten Zeit zunehmend wahrnehme, dass die sich erhöhende Zahl an Klägern (sei es gezwungener Maßen bspw. in Hamburg, sei es aus freien Stücken und mit ausnahmslos eigener Motivation) nicht auf eine in den letzten Jahren höher werdende Zahl an sich hinreichend auskennenden Rechtsbeiständen trifft, was mich durchaus mit Sorge erfüllt. Denn gesetzt dem Fall, dass der Senat im Verlauf des Jahres seine Entscheidungen in den angekündigten "Pilotverfahren" treffen und danach zu einer beschleunigten Abarbeitung der anhängigen Verfahren schreitet wird, was ich beides für wahrscheinlich erachte ("beschleunigte Abarbeitung" hieße in Anbetracht der Zahl an anhängigen Verfahren, dass auch das in Anbetracht des Aufwands, den konkrete Normenkontrollverfahren mit sich bringen, hier noch eine recht lange Zeit in einer gewissen Regelmäßigkeit vom Senat vollzogen werden wird), sollte das insgesamt dazu führen, dass mit einiger Wahrscheinlichkeit die Zahl an Klägern eher steigen wird. Das wird die Beliebtheit entsprechender Verfahren bei der Verwaltungsgerichtsbarkeit in Anbetracht der allüberall herrschenden Personalnot nicht unendlich steigern, sodass es für Kammern durchaus im Sinne eigener Notlagen sinnvoll erscheinen könnte, Klagen möglichst rasch als nicht hinreichend substantiiert zu betrachten. Ermittlungsgrundsatz hin oder her, seine sachgerechte Erfüllung ist ein dehnbares Feld - und wenn man nicht den zeitaufwändigen Anspruch hat, eine Vorlage zu begründen, kann man die notwendige Zeit bis zu einer Entscheidung gerichtlicherseits deutlich abkürzen (um es so auszudrücken).
Insofern bin ich mir nicht so sicher wie Du, dass sich in der Verwaltungsgerichtsbarkeit nun so ohne Weiteres die Großwetterlage ändern wird. Vielmehr nehme ich seit 2020 eine überwiegend hervorragende verwaltungsgerichtliche Großwetterlage im Allgemeinen wahr, da die meisten Gerichte, deren entsprechende Arbeit ich verfolge, mit hohem Engagement und beträchtlichen Zeitaufwand in die Verfahren einsteigen.
Ob das aber zwangsläufig so bleiben wird, sofern sich die Fallzahl an Klagen deutlich erhöhen sollte, wäre ich mir (oder bin ich mir) nicht so sicher. Denn dazu säuft die Justiz allenthalben zunehmend mehr ab.
Entsprechend zeigen verschiedene Verfahren vor unterschiedlichen Verwaltungsgerichtsbarkeiten durchaus schon heute eine auch inhaltliche (Über-)Forderung der Kammern, was zum einen an der Komplexität des dreistufigen "Pflichtenhefts" mitsamt des damit im Zusammenhang stehenden Zeitaufwands liegt, zum anderen an der sachlichen Schwierigkeit und damit nicht minder großen Komplexität, die Viefalt neuer Besoldungsregelung in der gerichtlichen Kontrolle sachgerecht zu betrachten. Nicht umsonst hat die Kammer viereinhalb Monate benötigt - und ich kann nur meinen Hut ziehen, dass sie das in Anbetracht der Komplexität der vorgenommenen Entscheidungsbegründung so schnell hat vollziehen können -, um nun diese Vorlagen fertiggestellt haben zu können. Ich möchte nicht wissen, wie viel Arbeit und zeitlichen Aufwand der Berichterstatter in diese Fälle gesteckt haben wird (und er brauchte wiederkehrend "nur" das Mindestabstandsgebot prüfen, was die Sache deutlich abgekürzt hat).
Der langen Rede kurzer Sinn: Ich gehe davon aus, dass sich der Entscheidungsstau anhängiger Verfahren in Karlsruhe nach und nach verkleinern wird (je nachdem zumindest, was im selben Zeitraum von getroffenen Entscheidungen an neuen Vorlagen wieder auf dem Karlsruher Tisch landet). Hier sehe ich erheblich gelassener in die Zukunft als die meisten derer, die hier regelmäßig schreiben. Hinsichtlich der Verwaltungsgerichtsbarkeit und auch der Zahl hinreichende Kenntnis mitbringender Rechtsbeistände bin ich da eher weniger optimistisch.
Denn um es mal so auszudrücken, ich habe längere Zeit benötigt, um zu verstehen, wie wenig ich bis dahin verstanden hatte, und dann noch einmal eine gehörige Zeit, um das abzustellen, mich also so auszukennen, dass ich mir in einer hohen Zahl an möglichen Fragen zutraue, sagen zu können, was der Fall ist. Diese Zeit muss man erst einmal aufbringen - und eine volljuristische Vorbildung wird manchen Umweg, den ich gehen musste, deutlich abkürzen, aber dennoch noch immer einen hohen Aufwand mit sich bringen, um eine sachgerechte, soll heißen hinreichend konkrete Kenntnis zu erlangen. Und dabei ist noch nicht eingerechnet, dass wir davon ausgehen dürfen, dass die angekündigten Entscheidungen in den "Pilotverfahren" uns mit einiger Wahrscheinlichkeit eher noch mehr sachliche Komplexität und einen noch höheren Zeitaufwand bringen werden, um klägerseitig dahin zu kommen, wohin man als Kläger nach Möglichkeit kommen sollte.
Ich freue mich sehr über eure Graswurzelinitiative im Bund, da ich ja nicht minder eine Art Graswurzler bin - nichtsdestotrotz erfüllt es mich teilweise durchaus mit Sorge, was passieren kann, wenn einzelne Klagen nicht auf eine verständige Justiz treffen. Denn es ist eben nicht Auufgabe der Justiz verständig zu sein, sondern formal Recht zu sprechen. Und das kann für Normunterworfene recht schmerzhaft sein, und zwar ggf. von Anfang an, und zwar mit und ohne Rechtsbeistand.
bebolus:
Sven, kein Richter dieser Erde wird den Bundesbeamten das geben, was ihnen zusteht. Ich danke Dir für Deine Mühen. Es ist ein Kampf gegen Windmühlen. Ich erinnere mich an das Dienstrechtsneuordungsgesetz seinerzeit. Da schien vor dem Eugh alles klar und trotzdem wurden wir nach Strich und Faden verarscht. Und diese Verarsche wird auch zu dieser Thematik kommen.
SwenTanortsch:
--- Zitat von: bebolus am 08.03.2025 16:48 ---Sven, kein Richter dieser Erde wird den Bundesbeamten das geben, was ihnen zusteht. Ich danke Dir für Deine Mühen. Es ist ein Kampf gegen Windmühlen. Ich erinnere mich an das Dienstrechtsneuordungsgesetz seinerzeit. Da schien vor dem Eugh alles klar und trotzdem wurden wir nach Strich und Faden verarscht. Und diese Verarsche wird auch zu dieser Thematik kommen.
--- End quote ---
Das wird definitiv nicht passieren (also dass nichts passiert), bebolus - es ist nur eine Frage der Zeit, bis sich der erste Rechtskreis gezwungenermaßen veranlasst sehen wird, Grundgehaltssätze anzuheben. Das wird zwar mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht als erstes der Bund sein. Aber kommen wird es.
Im Sommer 2020 ist verschiedentlich vermutet worden, dass die aktuelle Entscheidung zur Richterbesoldung II zu keinerlei Änderungen führen würde. Diese Sicht auf die Dinge war nachvollziehbar, da ohne größere Kenntnis der Materie kaum anderes zu erwarten war. Im Gefolge jener Entscheidung haben bis heute mit Ausnahme des Bunds, Hessen und der Saarlands alle anderen Besoldungsgesetzgeber das Besoldungsniveau in den unter(st)en Besoldungsgruppen vierköpfiger Beamtenfamilien in einem erheblichen Maß angehoben. Damit haben sie zwar gezielt die bundesverfassungsgerichtliche Rechtsprechung missachtet und also Entscheidungen getroffen, die sich sachlich nicht rechtfertigen lassen. Aber eines können sie nun nicht mehr: zurück zum Besoldungsniveau von 2019.
Um es an einem Beispiel, nämlich dem ersten im Alphabet, festzumachen:
In Baden-Württemberg finden wir heute in der Eingangsstufe der untersten Besoldungsgruppe A 7 eine Bruttobesoldung anhand der Familienalimentation einer vierköpfigen Beamtenfamilie von 4.271,35 € vor (https://oeffentlicher-dienst.info/c/t/rechner/beamte/bw?id=beamte-bawue&g=A_7&s=0&f=3&fstand=v&zulageid=10.1&zulageid=10.2&z=100&fz=100&zulage=&stkl=1&r=0&zkf=0). 2019 hatte es noch 2.864,98 € betragen (https://oeffentlicher-dienst.info/c/t/rechner/beamte/bw?id=beamte-bawue-2019&g=A_7&s=0&f=3&z=100&fz=100&zulageid=10.1&zulageid=10.2&zulage=&stj=2025&stkl=1&r=0&zkf=0&pvk=0). Das Besoldungsniveau ist hier folglich seitdem um 49 % angehoben worden.
2019 hatte das Besoldungsniveau des vergleichbaren Beamten in der Besoldungsgruppe A 16 6352,51 € betragen (https://oeffentlicher-dienst.info/c/t/rechner/beamte/bw?id=beamte-bawue-2019&g=A_16&s=0&f=3&z=100&fz=100&zulageid=10.1&zulageid=10.2&zulage=&stj=2025&stkl=1&r=0&zkf=0&pvk=0). Heute beträgt es 7.054,47 € (https://oeffentlicher-dienst.info/c/t/rechner/beamte/bw?id=beamte-bawue-2024&g=A_16&s=2&f=3&fstand=v&z=100&fz=100&zulageid=10.1&zulageid=10.2&zulage=&stj=2025&stkl=1&r=0&zkf=0&pvk=0). Damit ist es im selben Zeitraum um rund 11 % angehoben worden (https://oeffentlicher-dienst.info/c/t/rechner/beamte/bw?id=beamte-bawue-2024&g=A_16&s=2&f=3&fstand=v&z=100&fz=100&zulageid=10.1&zulageid=10.2&zulage=&stj=2025&stkl=1&r=0&zkf=0&pvk=0).
Im Unterschied der Anhebungen zeigt sich die Wirkung der aktuellen Entscheidung, die gänzlich unzureichend umgesetzt worden ist, die aber wie gesagt in den unter(st)en Besoldungsgruppen für vierköpfige Beamtenfamilien regelmäßig gewaltige Besoldungssteigerungen mit sich gebracht hat. Nun wird mit der aktuellen Entscheidung - so gilt es, begründet zu vermuten - Berlin die Daumenschraube angelegt werden. Und danach werden nach und nach die weiteren anhängigen Entscheidungen aus elf weiteren Rechtskreisen drankommen. Es wird folglich genauso wie nach 2020 Veränderungen im Verhalten der Besoldungsgesetzgeber geben. Je stärker die konkreten Daumenschrauben, desto größer die Wahrscheinlichkeit, dass nach und nach Grundgehaltssätze angehoben werden. So, wie nach 2020 in und zwischen den Rechtskreisen intern wie öffentlich die Diskussionen losgegangen sind, wird das auch nun wieder so geschehen. Sobald ein Besoldungsgesetzgeber aus dem seit 2020 aufgeführten Konzert ausscheren wird (was nur durch ein erhebliches Druckpotenzial geschehen wird, also m.E. nur als Folge einer Vollstreckungsanordnung), werden wir auch nun komplexe Veränderungen erleben. Wie sie konkret aussehen werden, wird sich zeigen.
Da wir mit einiger Wahrscheinlichkeit in den nächsten Jahren in vielfacher Hinsicht beschleunigte Prüf- und Genehmigungsverfahren brauchen werden, was ggf. eher mehr Personal beanspruchen wird als weniger, und weil durch die nun sich anbahnende Neubetrachtung der (Wirkung der) Schuldenbremse komplexe Neujustierungen notwendig und möglich werden werden, werden wir auch hier eine neue Situation vorfinden, die wir uns heute allesamt noch nicht vorstellen können, da die Geschichte offen ist. Schauen wir also mal, was in dem Jahr nach der Entscheidung der angekündigten "Pilotverfahren" geschehen wird. Und schauen wir zuvor mal, wie diese konkret aussehen wird.
Dem Narrativ "Es ändert sich eh nix" habe ich weder 2020 geglaubt, noch glaube ich ihm heute. Die bis heute fast 1.100 Seiten hier zum Thema sowie die knapp 500 im Parallelforum der Länder und auch die vielen weiteren Seiten zu mit der Besoldungsthematik verbundenen Themen sprechen eine klare Sprache. Vor 2020 war das Thema Besoldung hier ein Nischenthema. Seitdem ist mit weitem Abstand in den Mittelpunkt gerückt. Das wäre nicht geschehen, wenn sich nix geändert hätte. Mit den angekündigten Entscheidungen gehen wir nun in eine neue Runde - und zuvor schauen wir mal, ob es in der Jahresvorschau Kopf oder Zahl gibt.
Die nächsten fünf Jahre nach der angekündigten Entscheidung über die "Pilotverfahren" werden sich ebenfalls, was unser Thema betrifft, ereignisreich und nach und nach für eine größere Zahl als bislang erfreulicher erweisen, als es die letzten fünf bis heute waren.
bebolus:
Das werden wir sehen..
SwenTanortsch:
Eben.
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