gezwungenermaßen freiwillig
Sehr schönes Oxymoron, @Swen
(und natürlich wie immer herzlichen Dank für deine Erläuterungen!)
Mir graut es trotzdem etwas vor der Zeit, die die Gesetzgeber sich nach dem nächsten Urteil nehmen um es umzusetzen.
Weil sie das Urteil nicht studieren werden um es umzusetzen, sondern um irgendein Schlupfloch zu finden.
Ich hoffe weiterhin auf eine möglichst "schlupflochfreie" Entscheidung des BVerfG..
Gern geschehen, BVerfGBeliever: Die "schlupflochfreie" Entscheidung wird der Anspruch des Senats sein, darauf darf man wetten, und zwar allein schon - aber nicht nur und auch nicht als erstes Interesse -, weil das Bundesverfassungsgericht als Gesamtheit beider Senate ein starkes Interesse daran hat, das Schwert der Justiz scharf zu halten. Denn alles andere führte früher oder später in die eigene Bedeutungslosigkeit. In der Rechtswissenschaft wird seit etwa Mitte des letzten Jahrzehnts ein umfangreiche Debatte über die Verfassungsgerichtsbarkeit unter Druck geführt - so bspw. anhand der ungarischen, polnischen oder israelischen Entwicklungen -; auch diese Debatte verfolgt man in Karlsruhe genau und zieht auch daraus seine Schlüsse.
@ Finanzer
Unterschätze (ich bleib mal beim gegenseitigen Du) nicht die Lernfähigkeit beider Senate. Die ausgeschiedenen Verfassungsrichter heben weitgehend unisono eines hervor, was sie mit ihrem Ausscheiden vermissen, nämlich die umfassenden und auf das Argument ausgerichteten Beratungen. Während die Besoldungsgesetze der letzten Jahre vielfach nur irgendwie zusammengewürfelt worden sind und also wiederkehrend keine hinreichende sachliche Präzision erkennen lassen, analysiert man in Karlsruhe zumeist die Sachlage recht präzise, um auf dieser Grundlage zu Entscheidungen zu kommen - das zeigt im Moment weiterhin die Entscheidung vom 15. November 2023 zum Zweiten Nachtragshaushaltsgesetz 2021 in weitgehender Reinform. Der Senat hat hier die Schärfe seines Schwerts kurz aufblitzen lassen und damit Legislative und Exekutive in und vor aller Öffentlichkeit gezeigt, was ihnen blühen darf, wenn sie sich gezielt über die Verfassung hinwegsetzen wollen. Für eine Diskussion mit Karlsruhe ist hier von dessen Seite kein Platz mehr - der Senat hat alles, was notwendig ist gesagt -, was die Bedeutung, die Karlsruhe für unsere Demokratie hat, noch einmal unterstreicht. Dieser Bedeutung sind sich alle Akteure in Kalrsruhe bewusst - das Ergebnis der umfassenden Beratungen ist i.d.R. keine abgehobene Theorie, sondern einschneidendes Verfassungsrecht.
@ ChRosFw
Präziser hätte ich es nicht auf den Punkt bringen können.
@ xap
Ich kann das, was Du schreibst, sachlich gut nachvollziehen. Zugleich haben aber Gerichte als Kontrollinstanz, also nicht zuletzt als Kontrollinstanz der staatlichen Herrschaft, die Aufgabe, sachliche Präzision walten zu lassen, weil nur das neben dem (Grund-)Rechtschutz den Rechtsfrieden in einem Rechtsstaat garantieren kann, weshalb zum Richter bislang nur genügt hat(te), wer zwei Prädikatsexamen nachweisen konnte. Die Verfahrenslänge, die in den letzten Jahren vielfach im Durchschnitt eher zugenommen hat, hat dabei mehrere Gründe, nämlich insbesondere die zunehmende Verrechtlichung der gesellschaftlichen Wirklichkeit, die für Richter bedeutet, die Vielfalt an Rechtsnormen auf den einen Fall sachgerecht anzuwenden, sodass diese Verrechtlichung also zwangsläufig einen größeren Aufwand und damit eine längere Beschäftigungszeit mit sich bringt, als das zuvor der Fall gewesen ist, und was zweitens auf eine Justiz trifft, die vielfach - und also sicherlich wiederkehrend vielfach nicht zu Unrecht - hervorhebt, dass ihre personelle Ausstattung nicht ausreicht, um entsprechend den effektiven Rechtsschutz ausnahmslos zu garantieren, der sich auch in der Verfahrenslänge bricht. Weiterhin ist auch diesbezüglich bspw. der Roland Rechtsreport eine sachliche Quelle, um sich auch auf seiner Basis ein differenziertes Bild vom Zustand unseres Justizwesens zu machen:
https://www.roland-rechtsschutz.de/unternehmen/presse/roland-rechtsreport-2023.html Zugleich hat Floki hierzu vorhin noch einmal ein paar Gedanken geliefert, die man unterschreiben kann.
Um auf den Zweiten Senat zurückzukommen: Auf Basis dessen, was ich gestern geschrieben habe, hat das Bundesverfassungsgericht idealypisch ab 2016 zwei Alternativen gehabt:
1. Nachdem bis Ende 2015 mit einer Ausnahme die anhängigen Vorlagen vollständig abgearbeitet waren, nun die ab 2016 eingehenden Vorlagen möglichst umgehend und in der Reihenfolge ihres Eingangs abzuarbeiten, ohne dass an ihnen automatisch das Abstandsgebot zwischen vergleichbaren Besoldungsgruppen und die Ausschärfung der prozeduralen Anforderungen hätten erfolgen können, hätte sich dann wie folgt darstellen müssen:
a) Es hätten als erstes die fünf Bremer Vorlagen die Jahre 2013 und 2014 betreffend behandelt werden müssen (2 BvL 2/16 bis 6/16), deren Entscheidung aktuell angekündigt sind und die die Besoldungsgruppen A 6 bzw. A 7, A 11, A 13, R 1 und C 3 betreffen (und damit also drei Besoldungsordnungen). Das wäre ggf. zeitlich 2017 möglich gewesen, wobei nicht vergessen werden darf, dass 2017 über diese eine Ausnahme entschieden worden ist, nämlich in den beiden sächsischen Verfahren 2 BvR 883/14 und 2 BvR 905/14, in denen das Abstandsgebot zwischen vergleichbaren Besoldungsgruppen als hergebrachter Grundsatz des Berufsbeamtentums betrachtet worden ist, dem seitdem - ich denke, hier besteht im Forum Einigkeit - eine wichtige Funktion in der seit 2012 neu entwickelten Besoldungsdogmatik zukommt. Dabei bliebe allerdings zu beachten, dass in diesen beiden sächsischen Verfahren keine Anwendung des umfassenden Prüfprogramms notwendig gewesen ist (was die Arbeit an diesen Verfahren deutlich verkürzt hat), was sich für die fünf bremischen Vorlagen anders darstellt, die darüber hinaus wegen der Form dieser Vorlagen entweder der umfangreichen Einholung weiterer Daten bedurften (was ebenfalls die Länge der seit 2022 ausstehenden Ankündigung mit erklärt) oder die - sofern Karlsruhe diese Arbeit nicht als seine betrachtet hätte (oder aktuelle weiterhin betrachete) - zumindest in zwei Fällen als unbegründet zurückzuweisen gewesen wären. Vielleicht hätte der Zweite Senat diese Aufgabe 2017 leisten können - dann wäre aber über eine gehörige Zahl an anderen Entscheidungen, die 2017 vom Zweiten Senat gefällt worden sind, nicht entschieden worden, da dann für diese Fälle keine Zeit mehr gewesen wäre, oder die bremischen Vorlagen wären mindestens in zwei Fällen ohne viel Zeitaufwand als unbegründet zurückgewiesen worden. Zur Zurückweisung mindestens derer zwei Fälle als unbegründet hätte sich der Senat seit 2016 jederzeit berechtigt sehen können.
b) Im Jahr 2017 sind in Karlsruhe dann folgende Vorlagen eingegangen:
aa) die drei niedersächsischen Vorlagen 2 BvL 9/17 bis 11/17, das Jahr 2013 und die Besoldungsgruppen A 8, A 11 und A 13 betreffend. Auch hier wären vor der Arbeit am Recht umfangreicher weitere Daten einzuholen gewesen;
bb) die sechs sachsen-anhaltinischen Vorlagen 2 BvL 13/17 bis 18/17, insgesamt die Jahre 2008 bis 2014 und die Besoldungsgruppen A 7 bis A 9 sowie R 1 betreffend; auch hier - wie auch in den folgenden genannten Vorlagen - wäre das zu beachten gewesen, was ich unter aa im zweiten Satz geschrieben habe;
cc) die beiden Berliner Vorlagen 2 BvL 20/17 und 21/17, insgesamt die Jahre 2009 bis 2016 und die Besoldungsgruppen A 7 bis A 9 betreffend.
Wenn Du Dir die drei Entscheidungsstränge mitsamt ihren Begründungen anschaust, die des vollen Prüfprogramms bedürfen, was in diesen elf Richtervorlagen ausnahmslos der Fall gewesen wäre (und weiterhin ist), dann stellt sich mir weiterhin die Frage, wie das ab 2019 zu leisten gewesen sein soll, nachdem der Senat 2018 in dem Verfahren 2 BvL 2/17 die Absenkung der Eingangsstufenbesoldung in Baden-Württemberg mitamt der Ausschärfung der prozeduralen Anforderungen betrachtet hat. Den Umfang der Kontrollarbeit in diesen elf weiteren Fällen kannst Du bspw. anhand der beiden Verfahren des Jahres 2015 und dem Umfang deren Entscheidungsbegründungen ermessen. Ich führe mal nur die Entscheidungen 2 BvL 17/09 u.a. auf, an denen sich der Aufwand der Abarbeitung des dreistufigen Prüfprogramms offenbart:
https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2015/05/ls20150505_2bvl001709.htmlc) Im Jahr 2018 gingen in Karlsruhe die folgenden Vorlagen ein:
aa) die beiden sachsen-anhaltinischen Vorlagen 2 BvL 1/18 und 2/18, das Jahr 2015 und die Besoldungsgruppen A 8 und A 9 betreffend;
bb) die fünf Berliner Vorlagen 2 BvL 5/18 bis 9/18, insgesamt die Jahre 2008 bis 2015 und die Besoldungsgruppen A 9 bis A 12 betreffend;
cc) die niedersächsische Vorlage 2 BvL 10/18, insgesamt die Jahre 2009 bis 2013 sowie 2016 und die Besoldungsgruppen R 1 betreffend;
dd) die drei saarländischen Vorlagen 2 BvL 11/18 bis 12/18 und 14/18, insgesamt die Jahre 2011 bis 2016 und die Besoldungsgruppen A 7 sowie R1 und R 2 betreffend;
ee) die schleswig-holsteinische Vorlagen 2 BvL 13/18, das Jahr 2007 und die Besoldungsgruppe A 7 betreffend.
Für alle diese zwölf Vorlagen gilt nun wiederum das, was ich am Ende unter b für das Jahr 2017 gesagt habe.
Diese Betrachtung der bis 2023 erfolgten Eingänge der weiteren Richtervorlagen spare ich mir. Für wie realistisch erachtest Du, dass also die Ausurteilung dieser vielen Eingänge in kurzer Zeit ohne eine ausgearbeitete Dogmatik hinreichend sachgerecht und zugleich, ohne andere Verfahren sachlich zu vernachlässigen, möglich gewesen wäre? Was meinst Du, wieso BVR Maidowski in seiner Stellungnahme den Effizienzgedanken sachlich in den Mittelpunkt rückt? Und wer trägt nun die Verantwortung dafür, dass diese hohe Zahl an Eingängen in kurzer Zeit erfolgte und dass sich der Senat offensichtlich außerstande sah, über sie in absehbarer Zeit - also sagen wir bis 2021 oder 2022 - sachgerecht und ohne Vernachlässigung anderen Verfahren zu entscheiden?
2) Die Darlegung des zweiten Wegs spare ich mir. Ihn hat BVR Maidowski in seiner Stellungnahme dargelegt, die ich gestern zusammengefasst und so interpretiert habe, wie sie sich mir darstellt.
@ Bernd
Hab zunächst Dank für Deine Worte, über die ich mich freue!
Zugleich geht es mir gar nicht in erster Linie um eine möglichst "perfekte" Entscheidung und also eine entsprechende Begründung, also in erster Linie um die Juristerei - sondern es geht um die politischen Folgen einer Entscheidung, die trotz aller sachlichen Präzision im politischen Geschäft nicht trägt. Denn das haben wir mit der aktuellen Entscheidung des Jahres 2020 vor uns: Sie ist präzise ausgearbeitet, rundet letztlich bei sachlicher Betrachtung die bis dahin erstellte neue Besoldungsdogmatik weitgehend ab - und hat zur Wirkung das Folgende gehabt:
1. Durch die sachwidrig hohe Anhebung familienbezogener Besoldungskomponenten hat sich für den größten Teil der Richter, Staatsanwälte und Beamten nichts geändert; ihre Besoldung und Alimentation ist weitgehend unverändert geblieben.
2. Durch die in extremer Form sachwidrige Einführung eines sog. Doppelverdienermodells in einer beträchtlichen Zahl an Rechtskreisen ist die gesetzliche Handhabe geschaffen worden, nun jederzeit das Besoldungsniveau von Richtern, Staatsanwälten und Beamten im Einzelfall bis auf den Betrag von null € abzusenken. Diese Doppelverdienermodelle wären in den letzten beiden Jahren nicht eingeführt worden, wenn es die Entscheidung vom 04. Mai 2020 nicht gegeben hätte. So betrachtet hat jene Entscheidung in einem erheblichen Maße zur Verschlimmbesserung beigetragen.
3. Der Senat darf mit jeder Entscheidung, die er nun treffen wird, damit rechnen, dass dieser Prozess sich fortsetzt und in seiner Extremität noch zunimmt.
Dieser Sachlage sieht sich der Senat seit spätestens Sommer 2022 mehr und mehr gegenüber, da seitdem mehr und mehr Rechtskreise ein entsprechendes Familienmodell zur Grundlage seiner Besoldung gemacht haben - und zwar insbesondere die fünf Nordstaaten offensichtlich konzertiert im Verbund.
Jede Entscheidung des Senats hat die immer extremere Form der Besoldungsgestaltung in den Rechtskreisen zu bedenken; nicht umsonst hat Ulrich Battis bereits 2022 alles, was notwendig ist, gesagt: Vor uns liegt und das bedeutet: vor allem vor dem Senat als Hüter der Verfassung liegt die rechtsstaatsgefährdende Verfassungskrise, die eintreten muss, wenn es ihm nicht gelingt, mit seinen angekündigten Entscheidungen der Missachtung seiner Judikate Herr zu werden. Entsprechend hebe ich sie als den einen "Schuss" hervor, den der Senat im Moment noch hat.
Diese Prozesse haben wir hier vielfach betrachtet - und das gilt genauso für den Senat, wie Peter Müller das unlängst offenbart hat. Wer also eine rasche Entscheidung fordert, fordert damit mit einiger Wahrscheinlichkeit nur eines: Die ewige Wiederkehr des Gleichen. Wenn hier nicht ähnlich wie hinsichtlich der Entscheidung vom 15. November Justitias Schwert nicht hinreichend deutlich aufblitzt, laufen wir mit einiger Wahrscheinlichkeit in Probleme hinein, die ich mir nicht vorstellen möchte - denn dann werden wir in nicht mehr allzu ferner Zukunft in 17 Rechtskreisen entsprechende Doppelverdienermodelle vorfinden, die daraufhin alsbald dazu verwendet werden dürften, um das Besoldungsniveau strukturell abzusenken (worauf man in Bayern bereits einen Vorgeschack gibt).
Genau deswegen lege ich hier so viel Kraft in meine Bemühungen, das Handeln des Senats nachzuvollziehen (nicht: es zu rechtfertigen), also es argumentativ zu erklären, wie sich mir dieses Handeln darstellt. Denn der berechtigte Frust bricht sich meiner Meinung nach am falschen Subjekt - nicht das Bundesverfassungsgericht ist das Problem, denn es hat die Verfahrenslängen nicht zu verantworten, wie ich das mit weiteren Argumenten weiter oben dargelegt habe. Die ausschließliche Verantwortung trifft die Besoldungsgesetzgeber und damit ebenso die die Gesetzentwürfe erstellenden Landes- und Bundesregierung.
Es ist meiner Meinung nach - der ich am liebsten ebenfalls bereits vor mehreren Jahren eine rechtskräftige Entscheidung erlebt hätte - in einem hohen Maße verantwortungsvoll (aber genauso mit dem eigenen Verfassungauftrag und den eigenen Interessen verbunden), dass der Senat offensichtlich sehr viel Zeit und Arbeit in die Heilung dieser schwärenden Wunde des Verfassungsrechts steckt. Und wenn das zu nachvollziehbaren Frust führt, dann sollte der sich auf die erstrecken, die ausnahmslos durch ihr Handeln die Verantwortung für ihn, den Frust, tragen.