Gern geschehen, Reisinger und A6.
Tatsächlich muss man die Berliner Besoldungsgesetzgebung aus der ersten Jahreshälfte 2021 als die Mutter oder den Vater allen Übels betrachten, das seitdem über das Besoldungsrecht in der Bundesrepublik gekommen ist. Denn wenn sich das Abgeordnetenhaus damals dazu veranlasst gesehen hätte, die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts sachgerecht zu beachten, dann wäre es den 16 anderen Besoldungsgesetzgebern in der weiteren Folge faktisch eher schwer gefallen bis unmöglich geworden, die seitdem vollzogenen Regelungen wirklich in die Tat umzusetzen; denn dann hätte jedem von ihnen das Berliner Beispiel als positives Signal sachgerechter Besoldungsgesetzgebung vor Augen geführt werden können, sodass sie vor einer erheblichen Erklärungsnot gestanden hätten, wenn sie nun anders hätten verfahren wollen. Genau darin lag die Verantwortung des SenFin in der Erstellung der jeweiligen Gesetzentwürfe und des Abgeordnetenhauses von Berlin im Zuge der Debatte und Verabschiedung des Gesetzes. Entsprechend hat Berlin so ab dem Winter 2020/21 bis zum Frühsommer 2021 den Ton gesetzt und damit die Büchse der Pandora geöffnet, die offensichtlich recht schnell den konzertierten Verfassungsbruch freigesetzt hat, von dem Ulrich Battis gut ein Jahr später gesprochen hat (S. 13 f. unter:
https://www.sbb.de/fileadmin/user_upload/www_sbb_de/pdf/2022/GK_und_FK/Stellungnahmen/StN_Battis_4_Gesetz_dienstr_Vorschriften_10_2022.pdf).
Genau deshalb ist ab dem Herbst 2020 bis in den Sommer 2021 hinein vonseiten der Initiative "Berliner Besoldung" ein hoher Aufwand getrieben worden - auch wenn jedem von vornherein klar war, dass es weiterhin ein Kampf gegen Windmühlen und die Wahrscheinlichkeit eines Erfolges eher sehr gering war -, um der sich abzeichnenden Entwicklung Einhalt zu gebieten oder zumindest ein wenig in die Speichen des sich zunehmend schneller drehenden Rades zu greifen (vgl. nur verschiedene der Links unter
https://www.berliner-besoldung.de/page/8/,
https://www.berliner-besoldung.de/page/7/,
https://www.berliner-besoldung.de/page/6/ und
https://www.berliner-besoldung.de/page/5/). Denn am Ende ist das Besoldungsanpassungsgesetz Ende Januar 2021 einstimmig und das Gesetz zur Reparatur der R-Besoldung 2009 bis 2015 Ende Juni 2021 mit Gegenstimmen der FDP-Fraktion verabschiedet worden. Damit war letztlich die Richtung vorgezeichnet, die die Besoldungsgesetzgeber in allen Rechtskreisen seitdem gegangen sind, wenn das auch kein Naturgesetz, sondern die willentliche Entscheidung all jener Abgeordneten war, die seitdem nicht dagegen die Hand gehoben haben.
Entsprechend ist schon damals den Gesetzgebern kurz vor der Verabschiedung des ersten der beiden Entwürfe ins Stammbuch geschrieben worden:
"Der wiederholt bittere Charakter, von dem eben erneut gesprochen wurde, offenbart sich vor allem darin, dass der Berliner Senat mit seinem hier untersuchten Handeln das Bundesverfassungsgericht schwer beschädigt, indem es dessen Autorität untergräbt – ein in Anbetracht des Drucks, dem der Rechtsstaat weltweit ausgesetzt ist, nicht tolerierbares Vorgehen. Wenn der damalige Präsident des Bundesverfassungsgerichts Andreas Voßkuhle 2018 auf den Juristentag in Leipzig betonte, dass in einem Rechtsstaat Rechtsverstöße ermittelt, benannt und sanktioniert werden würden und zugleich daran erinnerte, dass Unrecht erst dann herrsche, 'wenn Recht systematisch missachtet oder sein Geltungsanspruch generell in Abrede gestellt' werden würden, dann verband er das mit dem auf den ersten Blick fast lapidaren Hinweis, dass gerichtliche Entscheidungen auch dann befolgt werden müssten, wenn man sie für unzweckmäßig oder falsch hielte. [Fn. Andreas Voßkuhle, Rechtsstaat unter Druck,
https://www.zeit.de/2018/40/justiz-demokratie-asylverfahren-dieselskandal-rechtsstaat-deutschland/seite-2 (21.01.2021)]. Reflektiert man das dargestellte Handeln des Berliner Senats, dann sieht man, dass jener Hinweis alles andere als lapidar war: Denn genau darum geht es hier, dass eine Landesregierung und damit eine maßgebliche exekutive Gewalt, die selbst darauf angewiesen ist und zugleich maßgebliche Verantwortung dafür trägt, dass die Rechtstreue im Land gestärkt und der Rechtsfriede erhalten bleibe, sich wiederkehrend sachwidrig und unangemessen, missachtend und unzureichend handelnd über das Recht erhebt und so an maßgeblicher Stelle Verantwortungsbewusstsein vermissen lässt, nämlich 'das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in unsere rechtsstaatlichen Institutionen zu stärken', da sie gerade nicht aus 'einem entsprechenden rechtsstaatlichen Ethos, das wir bewusst pflegen müssen', handelt und damit die Einsicht in Voßkuhles weitere Darlegung vorsätzlich vermissen lässt: 'Ohne dieses rechtsstaatliche Ethos und das Vertrauen der Gesellschaft in ihr Recht verliert die Einsicht, dass Demokratie sehr viel mehr bedeutet als die schlichte Vollstreckung des Willens der Mehrheit, schnell an Überzeugungskraft.' [Fn. Ebd.]
Diese hohe Gut, Vertrauen, ist aber flüchtig und es geht verloren, wenn sich die exekutive Gewalt vorsätzlich formeller, instrumenteller und willkürlicher Mittel mit dem Ziel bedient, juristische Entscheidungen, die man für unzweckmäßig hält, weil sie einem vordergründig das eigene politische Leben erschweren, weder zu akzeptieren noch sie umzusetzen. Wenn sich aber bereits die exekutive Gewalt nicht mehr an das Recht gebunden sieht, wer sollte sich dann noch an das Recht halten? Worin unterscheidet sich eine Landesregierungen von anderen politischen Akteuren in der Welt, wenn sie deren Mittel kopiert? Und was sind am Ende die nicht schwer zu erkennenden Folgen? Am Ende verblieben, wenn solch Regierungshandeln auch in Deutschland Schule machen würde, genau jene entleerten, also formalen Hüllen an Institutionen, die antiliberale Machthaber in der Welt Europa andichten – wenn aber Dichtung zur Wahrheit wird und diese nur noch als Rhetorik wirkt, dann ist das Recht, das kann aus den angestellten Betrachtungen geschlussfolgert werden, immer eines ihrer ersten Opfer.
[...]
Eine Betrachtung des fünften Parameters erübrigt sich darüber hinaus, da mittlerweile in Karlsruhe Entscheidungen zu Besoldungsgesetzen von sieben Länder anhängig sind: Berlin, [Fn. BVerwG, Beschluss vom 22.09.2017 – BVerwG 2 C 4.17 –, Rn. 107 bzw. ebd., Rn. 97-115. Vgl. darüber hinaus auch OVG Berlin-Brandenburg: Beschluss des Vierten Senats vom 11.10.2017 – OVG 4 B 33.12 –, Rn. 117-120.] Bremen, [Fn. VG Bremen, Beschluss vom 17.03.2016 – 6 K 280/14 – und weitere.] Hamburg, [Fn. VG Hamburg, Beschluss vom 29.09.2020 – 2 K 7506/17 – und weitere.] Niedersachsen, [Fn. BVerwG, Beschluss des Zweiten Senats vom 30.10.2018 – BVerwG 2 C 32.17 – und weitere.] Saarland, [Fn. OVG Saarlouis, Beschluss vom 17.05.2018 – 1 A 22/16.] Sachsen-Anhalt [Fn. VG Halle, Beschluss vom 20.09.2018 – 12 A 69/18.] und Schleswig-Holstein. [Fn. Schleswig-Holsteinisches VG, Beschluss vom 21.09.2018 – 12 A 69/18.] Da auch diese Länder aktuell das Grundsicherungsniveau mittels unstatthafter und unsachmäßig zu gering bemessenen Pauschalisierungen vollziehen, sind sie kaum als Grundlage zum entsprechenden Vergleich geeignet. Eine angemessene Untersuchung ist von daher nicht möglich, nicht zuletzt deshalb, weil die letzte Anmerkung auch für alle anderen Bundesländer und den Bund gilt. [Fn. Vgl. a. Stuttmann (Fn. 7), 87 f. Schwan (Fn. 7), Abschnitt VI und VII.] Die betreffenden Ausführungen des Senats sind von daher – wie er auch selbst wissen dürfte – im Letzten unerheblich und suggerieren mit Blick auf die Alimentationssituation in Deutschland einen geordneten Zustand, den es mit Blick auf die Alimentation schon lange nicht mehr gibt. Berlin ist nun als erstes Land vom Bundesverfassungsgericht aufgefordert, das zu ändern: In diesem Sinne – und in keinem anderen möglichen – ist die aktuelle Entscheidung des Bundesverfassungsgericht zu verstehen. Der Gesetzgeber und damit jeder einzelne Abgeordnete muss nun entscheiden, ob er sich ebenfalls aus der verfassungsmäßigen Ordnung verabschieden und also der Willkür die Tür öffnen möchte oder ob er sich seinem Mandat verpflichtet weiß."
(S. 46 f. und 50 unter:
https://www.berliner-besoldung.de/wp-content/uploads/2021/01/Untersuchung-von-BerlBVAnpG-2021-24.01.21.pdf)
So verstanden ist es jetzt nur konsequent, dass nun auch Karlsruhe wieder an den Ursprung des Geschehens zurückkehrt und also da weitermacht, wo es am 04. Mai 2020 aufgehört hat: in Berlin für den Zeitraum 2008 bis 2015. Umso gespannter darf man nun knapp fünf Jahre später sein, wie sich dem Zweiten Senat die seitdem vollzogene Entwicklung darstellt.