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[NI] Besoldungsrunde 2021-2023 Niedersachsen
SwenTanortsch:
Ich habe die Drucksache gestern nur kurz überflogen. Wenn ich es richtig sehe, hat sich zur Anhörungsfassung bis auf graduelle Änderungen nichts grundlegend verändert. Die in der Anhörungsfassung dargelegten Maßnahmen waren:
1. Anhebung der jährlichen Sonderzahlung in den Besoldungsgruppen A 5 bis A 8 von 920,- € auf 1.200,- € und ab A 9 aufwärts von 300,- € auf 500,- € (Art. 1, Ziff. 2a). Erhöhung der Sonderzahlung für die ersten beiden Kinder von bislang 170,- € auf 250,- € (Art. 1, Ziff. 2b).
2. Wegfall der ersten Erfahrungsstufe in den Besoldungsgruppen A 5 bis A 7 und entsprechende Überleitung der betroffenen Beamten (Art. 1 Ziff. 3).
3. Erhöhung des kinderbezogenen Familienzuschlag um monatlich 100,- € pro Kind bis einschließlich der Besoldungsgruppe A 8 (Art. 1 Ziff. 5).
4. Einführung eines offensichtlich gestaffelten "Familienergänzungszuschlags" von indiziell brutto mindestens mehr als 440,- € pro Monat (Art. 1 Ziff. 1) in der niedrigsten Erfahrungsstufe der untersten Besoldungsgruppe (netto dürfte der Betrag bei mindestens rund 330,- € liegen). Dieser Wert muss selbstständig berechnet werden, da die Begründung weder das Grundsicherungsniveau noch die Mindestalimentation bemisst. Da zumindest die Kosten für Bildung und Teilhabe sowie für die Sozialtarife deutlich zu gering bemessen werden - die KiTa-Gebühren für die ersten drei Lebensjahre werden gezielt vernachlässigt -, wird der sog. "Familienergänzungszuschlag" in der Realität deutlich höher liegen müssen (in der Realität netto um mindestens rund 100,- €).
Die letzte Anmerkung weist bereits darauf hin, dass der Entwurf vielfach nicht sachgemäß prozeduralisiert ist, was das geplante Gesetz bereits für sich genommen verfassungswidrig macht. Darüber hinaus führt, wie hier schon zurecht angemerkt wurde (ich weiß nicht mehr genau von wem), die geplante Regelung dazu, dass ein verheirateter Beamter mit zwei Kindern in der Eingangsstufe der Besoldungsgruppe A 8 am Ende pro Monat brutto rund 15,- € mehr Gehalt erhalten wird als ein entsprechender Beamter in der Besoldungsgruppe A 9, was evident verfassungswidrig ist. Schließlich sollte der sog. "Familienergänzungszuschlag" in der Realität mittelbar geschlechterdiskriminierend sein, da er hinsichtlich von Art. 3 GG die sogenannte "neue" Formel des ersten Senats des Bundesverfasungsgerichts nicht beachtet, nach der das Gleichheitsgrundrecht "vor allem dann verletzt [ist], wenn eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten" (Nußberger, in: Sachs-Battis, GG, 8. Aufl., 2018, Art. 3, Rn. 8 ff.). All das wird umfassend in der bereits genannten Stellungnahme gezeigt und dort jeweils umfassend begründet, weshalb's am Ende gut 60 Seiten geworden sein dürften, denke ich. Diese dürfte der Landesregierung bekannt sein, da sie offensichtlich in Hannover zirkuliert, nicht umsonst sieht sich die Landesregierung in der Begründung gezwungen, auf der S. 13 von Nds. Drs. 18/11498 unter der Nr. 4 gegenüber der Anhörungsfassung einen neuen Absatz einzufügen:
"Der Gesetzentwurf unterscheidet insbesondere bezüglich des Familienergänzungszuschlags weder
zwischen alleinverdienenden noch zwischen hinzuverdienenden Frauen und Männern. Die Alleinver-
dienerfamilie stellt heute nicht mehr das bevorzugte Lebensmodell in der gesamtgesellschaftlichen
Realität dar. Auf Grundlage allgemeiner statistischer Auswertungen ist heute vielmehr die Doppel-
oder Hinzuverdienerehe als gesellschaftliches Grundmodell anzusehen. Der vorgesehene Famili-
energänzungszuschlag ist aufgrund seiner Höhe nicht geeignet, Frauen und Männer von der Aus-
übung einer beruflichen Tätigkeit abzuhalten. Allenfalls in Einzelfällen könnte es für den hinzuverdie-
nenden Ehe- oder Lebenspartner finanziell günstiger sein, den Umfang ihrer oder seiner Tätigkeit zu
verringern oder diese ganz aufzugeben."
Da die allgemeinen statistischen Auswertungen weiterhin fehlen, einzige statistische Auswertung eine allgemeine Presseerklärung des statistischen Bundesamts ist, dahingegen sämtliche differenzierte Daten des Sozialministeriums nicht betrachtet werden, ist der gerade zitierte behauptende Zusatz sachlich weiterhin ungenügend, um eine so weitgehende rechtliche Regelung wie die Aufgabe des "Alleinverdienerprinzips" und die Einführung eines sog. Familienergänzungszuschlags vornehmen zu wollen, was am Ende die familienbezogenen Bezügebstandteile von derzeit monatlich rund 437,- € um indiziell mindestens knapp 650,- € (in der Realität wird dieser Wert deutlich höher liegen, s.o.) auf über 1.080,-, also um mehr als 150 %, erhöhen soll, sodass die familienbezogenen Besoldungskomponenten einer vierköpfigen Famile am Ende mindestens 30 % betragen - derzeit sind es rund 15 %.
Opa:
Bezieht sich das Alimentationsprinzip nicht ursprünglich ausdrücklich auf „Den Beamten und seine Familie“?
Und reicht die (zumal unbelegte) Änderung des „gesamtgesellschaftlichen Grundmodells“ vom Alleinverdiener hin zum Mehrfacheinkommen aus, um diesen hergebrachten Grundsatz mal eben eklatant zu beschneiden?
Mit welchem Recht wird Ehegatteneinkommen einbezogen, wenn beispielsweise die Eheleute Gütertrennung vereinbart haben? Auf welcher Rechtsgrundlage wäre in diesem Fall der nicht verbeamtete Ehegatte überhaupt auskunftspflichtig?
SwenTanortsch:
... all diese Fragen sind nicht geklärt - wie gesagt, der Gesetzentwurf ist sachlich wiederkehrend sachwidrig prozeduralisiert. Das fängt bei der nicht vollzogenen Berechnung des Grundsicherungsniveaus und der Mindestalimentation an und hört bei dem sog. "Familienergänzungszuschlag" noch lange nicht auf, dessen Höhe erst nach der vollzogenen Gesetzgebung auf dem Verordnungsweg bemessen werden soll. Das Aufheben des "Alleinverdienerprinzips" für den Fall, dass das Familieneinkommen das nach Ansicht der Landesregierung zulässt, war schon in Schleswig-Holstein sachwidrig prozeduralisiert, worauf nicht zuletzt der Wissenschaftliche Dienst des Landtags hingewiesen hat, ohne dass es dem dortigen Finanzministerium gelungen wäre, den Hinweis sachlich zu entkräften. In Niedersachsen ist die Prozeduralisierung noch einmal deutlich schlechter, da sich weitgehend nur auf eine undifferenzierte Pressemitteilung des Statistischen Bundesamts berufen wird; sämtliche differenzierenden weiteren Daten werden nicht zur Kenntnis genommen - nicht zuletzt auch die eigene Argumentation der Landesregierung gegen das ebenfalls als "Herdprämie" geplante sog. "Landeserziehungsgeld", das die AfD 2018 vorgeschlagen hatte. Dort hatte die Landesregierung berechtigt den anachronistischen Gehalt solcher Vorschläge hervorgehoben und begründet, den sie nun vergessen hat - die mittelbare Geschlechterdiskriminierung, die sich darin zeigt, dass die von der Gesetzgebung ignorierten Daten eine deutliche die heutige Realität bereits verringerter und geringerer ökonomischer, finanzieller und partizipativer Unabhängigkeit von Frauen gegenüber Männern verstärkt, führt direkt in die Verfassungswidrigkeit, die sich aus der Missachtung des Art. 3 Abs. 2 GG speist, der einen Schutz gegen mittelbare Diskriminierung begründet und sich auch auf das Verbot erstreckt, tradierte Rollenzuweisungen zu Lasten von Frauen durch mittelbare rechtliche Einwirkungen zu verfestigen (vgl. Nussberger, in: Sachs-Battis, GG, 8. Aufl., 2018, Art. 3, Rn. 258 ff.).
Diese Problematik mittelbarer Geschlechterdiskriminierung zeigt sich genau am heutigen Tag nur noch mehr als die vom Land zur Verfügung gestellten Daten, die bis 2019/2020 reichen - denn die schon vor Corona deutlich geringere ökonomische, finanzielle und partizipative Unabhängigkeit, die zwischen 2009 und 2019 insgesamt - wenn auch nur in kleinen Schritten - abgenommen hatte, ist in den letzten zweieinhalb Jahren wieder auf das Maß von 2009 zurückgefallen:
"In der Kategorie »Wirtschaftliche Teilhabe und Chancen« büßte Deutschland bei allen Indikatoren Punkte ein und liegt nun wieder auf dem Stand von 2009. Untersucht wird hier zum Beispiel, ob gleiche Arbeit bei Männern und Frauen gleich bezahlt wird – und in diesem Punkt schneidet Deutschland besonders schlecht ab. Im weltweiten Vergleich reicht es nur für Platz 105." (https://www.spiegel.de/karriere/global-gender-gap-des-weltwirtschaftsforums-corona-hat-gleichstellung-um-eine-generation-zurueckgeworfen-a-d86b6b6d-2adf-4402-b6c3-ddc77d6add7d; Hervorhebung wie im Original)
Umso mehr wäre von der Landesregierung zu erwarten, dass diese Prozesse nicht durch eine "Hedrprämie" noch verstärkt werden sollten. Man fragt sich schon, was eigentlich die Frauen in der SPD und CDU von diesen Ideen aus dem Haus Hilbers hielten, wenn sie sie denn erführen...?!
clarion:
Puh,
mir fiel ganz spontan ein: Andrea Nahles und Ihre Sangeseinlage
--- Zitat ---Zwei mal drei macht vier
Widdewiddewitt und drei macht neune,
Ich mach' mir die Welt,
Widdewidde wie sie mir gefällt.
--- End quote ---
Warum nur habe ich diese Assoziation???
lotsch:
Ich frage mich schon seit einiger Zeit, welche konkreten Auswirkungen es haben kann, wenn ein Gericht, oder auch das BVerfG feststellt, dass der Gesetzgeber nicht ausreichend prozeduralisiert hat. Das Gesetz ist dann vielleicht rechtswidrig oder auch nichtig, ich sehe daraus aber keine materiellen Vorteile für die Beamten.
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