Autor Thema: Sind die Klischees über den öffentlichen Dienst überhaupt wahr? (Bereich IT)  (Read 5395 times)

Die Münchnerin 1993

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Hallo liebe Gemeinde,

ich bin ein IT-ler und war zunächst im öffentlichen Dienst tätig.

Im öffentlichen Dienst habe ich folgendes erwartet: Lockere Arbeitsatmosphäre, geringer Arbeitsaufwand, wenig bis keinen Leistungsdruck - alles in allem ein sehr entspannter Arbeitsplatz mit viel Leerlauf ohne viel Leistungsdruck.

Bekommen habe ich stattdessen: Eine gestresste und toxische Arbeitsatmosphäre, viele Lästereien & hinterfotzige Kollegen (viel Flurfunk), ein sehr höher bis extremer Arbeitsaufwand (Arbeitslast war sehr hoch - die etwas älteren Kollegen haben fast nichts gemacht und verweilten in der Komfortzone und die neueren Kollegen durften sich bis zu Tode schuften) usw.

Nun bin ich zu der freien Wirtschaft (auch in der IT-Branche) gewechselt und hier habe ich tatsächlich all das, was ich eher vom öffenlichen Dienst erwartet habe: eine sehr lockere und familäre Arbeitsatmosphäre, nette und sehr offene Kollegen und ein allgemein sehr entspannter Job.

Daher die Frage: Sind die Klischees über den öffentlichen Dienst überhaupt wahr? Zumindest im Bereich IT im öffentlichen Dienst habe ich genau das Gegenteil erlebt und in der freien Wirtschaft fühlt sich nun alles viel entspannter und lockerer.

Meinungen?

E15TVL

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Daher die Frage: Sind die Klischees über den öffentlichen Dienst überhaupt wahr?
So wie es weder "den" öffentlichen Dienst gibt, gibt es noch "die" freie Wirtschaft. Kannst auf beiden Seiten mal Glück oder Pech haben.

Bist aber auf jeden Fall nicht die erste oder einzige, die mit einer Faulenz-Erwartungshaltung in den öffentlichen Dienst gegangen ist und dann doch mit erschrecken feststellen musste, dass man eben doch arbeiten muss und sich nicht den ganzen Tag den Arsch breitsitzen kann.

Elur

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Ich denke, das ist je nach Tätigkeit sehr verschieden. Ich bin seit über 30 Jahren im öffentlichen Dienst und habe total unterschiedliche Behörden/Referate erlebt. Mal gab es fast gar nichts zu tun, so dass man sich fast zu Tode langweilen konnte, mal gab es nur zeitweise sehr viel zu tun (oberste Bundesbehörde), man musste manchmal auch bis Mitternacht und länger arbeiten und die restlichen Wochen konnte man nach einem  halben Tag gehen (War Anfang der 90er, damals gabs dort noch keine Zeiterfassung). Dann wieder habe ich Behörden kennengelernt (Bundesministerium), bei denen zwar permanent gejammert wurde, wie viel Stress man doch hätte, die aber tatsächlich sich täglich um 10 Uhr für bis zu 1 Stunde zur Frühstückspause trafen, die Mittagspause musste nicht ausgestempelt werden und einige machten eine deutlich ausgedehnte Mittagspause. Seit einigen Jahren bin ich in einem Tätigkeitsbereich, bei dem ich durchgehend so viel zu tun habe, dass ich eigentlich 24 Stunden an 7 Tagen einer jeden Woche im Jahr durcharbeiten könnte. Es gibt viel Druck, die Arbeit wird extrem (auch im Homeoffice) überwacht. Und dennoch habe ich sehr viel Spaß an der Arbeit und werde hier wohl nicht mehr weggehen. Mein Mann und mein Sohn arbeiten in der freien Wirtschaft in jeweils weltweiten und großen Unternehmen und dort ist vieles gechillter,  und zwar nicht nur wegen der lächerlichen wöchentlichen Arbeitszeit von 35/37 Stunden. Die verstehen oft nicht, warum ich so viel arbeite, ich wäre doch Beamtin. Das Klischee über den Öffentlichen Dienst, bei dem man nichts zu tun hat, hält sich in der öffentlichen Wahrnehmung weiterhin. Ich bin es auch leid, darüber aufzuklären, kenne ich doch auch andere Behörden/Referate, wo dies wirklich der Fall ist.

E15TVL

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Amen!

Edit:
Ich würde sogar noch ergänzen, dass ab einer gewissen Größe der privatwirtschaftlichen Institution, die "Strukturen" denen des öffentlichen Dienstes doch sehr ähneln.

FearOfTheDuck

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Selbst innerhalb einer Behörde kann der Leistungsdruck wie das Arbeitsaufkommen völlig unterschiedlich sein. Und genauso kann das in anderen Unternehmen sein.

Ich vermute zumindest, dass außerhalb des ÖD die Vorgänge häufiger auf ihre Sinnhaftigkeit überprüft werden (?).

JC83

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Mein Eindruck vom öD nach 20 Jahren ist, dass die Belastung wie eine Sanduhr verteilt scheint.

Es gibt Stellen mit extrem viel Arbeit & Druck und Stellen, wo man quasi fürs Fast-Nichtstun bezahlt wird.

Stellen mit ausgeglichenem Workload scheint es wiederum kaum zu geben.

MoinMoin

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Amen!

Edit:
Ich würde sogar noch ergänzen, dass ab einer gewissen Größe der privatwirtschaftlichen Institution, die "Strukturen" denen des öffentlichen Dienstes doch sehr ähneln.
Korrekt und da ist es auch, wie im öD leichter low performer mitzuschleppen.
Und auch in der pW bei grösseren Unternehmen gehen agile Menschen weg vom Ag, weil der ja wie eine Behörde ist (lange Entscheidungswege, Formalisten, ....)  8)

Einziger Unterschied zwischen pW und öD den ich so sehe:
im öD kann es dich nur deinen (zukünftigen) Job kosten, wenn du im wissenschaftlichem Bereich als Drittmittelabhängiger deinen Job nicht machst, sonst nicht.
Wenn du als ITler nach 40h Feierabend machst und andere deswegen nicht arbeiten können, dann wird dies keine persönlichen Folgen haben, in der pW schon eher, da da dann Gelder fehlen, die sich auf deine Bezahlung niederschlagen.


Swiss

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an Elur:  wie wird Homeoffice bei euch denn "extrem überwacht"? 🙂

Dakmer

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Eine Pauschalisierung geht hier nicht. Es gibt nette Sachgebiete/Ämter und unnette. Es gibt Lästertanten und -onkels und es gibt Leute, die nichts von solchen Sachen halten.
Es gibt Mitarbeiter, die tun so, als wären sie mega im Stress, sind aber einfach zu blöd, ihre Arbeit zu organisieren.
Auch gibt es Mitarbeiter, die wirklich viel zu tun haben, aber trotzdem ausgeglichen und freundlich sind.
Es gibt die LowPerformer, die das ganz normal finden und das ärgert mich schon. Kann ich aber nicht ändern.
Auch hier wieder das Problem der unfähigen Führungskräfte, die all das nicht sehen oder sehen wollen.
Fazit: Das Klischee stimmt teils und teils auch nicht.

sebbo83

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Hallo liebe Gemeinde,

ich bin ein IT-ler und war zunächst im öffentlichen Dienst tätig.

Im öffentlichen Dienst habe ich folgendes erwartet: Lockere Arbeitsatmosphäre, geringer Arbeitsaufwand, wenig bis keinen Leistungsdruck - alles in allem ein sehr entspannter Arbeitsplatz mit viel Leerlauf ohne viel Leistungsdruck.

[...]

Meinungen?

Da hat das Schicksal genau die richtige Person erwischt. Was soll man zu den Comment sonst sagen ? >:(

MoinMoin

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Fazit: Das Klischee stimmt teils und teils auch nicht.
So wie das Klischee, dass in der pW nur Performer Überleben und man dort immer im Stress ist. :o

Elur

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an Elur:  wie wird Homeoffice bei euch denn "extrem überwacht"? 🙂

Meine Arbeit ist in Zahlen messbar. Es ist durch die Vorgesetzten genau nachvollziehbar, wer wieviel schafft. Egal, ob er im Homeoffice ist oder im Büro. Anfangs hab ich mich mal gefragt, ob irgendwo eine versteckte Kamera im Büro installiert ist, da mein Vorgesetzter mich anrief und wusste, an welchem Fall ich gerade arbeitete. Wie das technisch funktioniert, weiß ich nicht. Ist mir im Grunde auch egal, da ich die Arbeit ja sehr gerne mache und auch im Homeoffice durchgehend arbeite.

MoinMoin

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an Elur:  wie wird Homeoffice bei euch denn "extrem überwacht"? 🙂

Meine Arbeit ist in Zahlen messbar. Es ist durch die Vorgesetzten genau nachvollziehbar, wer wieviel schafft. Egal, ob er im Homeoffice ist oder im Büro. Anfangs hab ich mich mal gefragt, ob irgendwo eine versteckte Kamera im Büro installiert ist, da mein Vorgesetzter mich anrief und wusste, an welchem Fall ich gerade arbeitete. Wie das technisch funktioniert, weiß ich nicht. Ist mir im Grunde auch egal, da ich die Arbeit ja sehr gerne mache und auch im Homeoffice durchgehend arbeite.
Dann frage doch den PR woher der Vorgesetzte weiß, welchen Fall du gerade bearbeitest, wenn dich diese Technik interessiert. Denn so etwas muss dem PR bekannt sein, da zustimmungspflichtig, wenn ich mich nicht täusche.

brian

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So ist es. Nicht alles, was technisch möglich ist, ist auch erlaubt.

Opa

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Kann ja Zufall sein. Beispiel: Wenn ich in einem Office-Dokument in einer gemeinsamen Ablage arbeite, weiß jeder, der versucht, diese Datei zu öffnen, dass ich gerade da drin bin. Ist bei manchen Fachanwendungen genau so.
Und zu einer mitbestimmungspflichtigen Leistungs- und Verhaltenskontrolle wird es allein dadurch noch nicht.