Beamte und Soldaten > Beamte der Länder und Kommunen

[Allg] Was zählt (warum) zum Abstandsgebot?

(1/6) > >>

AVP:
Das BVerfG hat bezüglich der Amtsangemessenen Alimentation ja geurteilt, dass zwischen den Besoldungsgruppen gewisse Abstände im Lebensstandard (?) einzuhalten sind. In der Regel wird hier der Besoldungsbetrag - PKV-Beitrag - Steuern betrachtet.

Nun gibt es in Deutschland allgemein neben der Steuerprogression aber noch zahlreiche weitere Umverteilungsmechanismen, zB.:

- einkommensabhängige Kitagebühren für die Kinder
- einkommensabhängige Ansprüche auf Sozialwohnungen, Wohngeld, Kinderzuschläge und Bildung- und Teilhabeleistungen
- einkommensabhängige Sozialtarife (zB GEZ Befreiung)
- einkommensabhängiges Baukindergeld
- einkommensabhängige Förderungen bezüglich des neuen Heizungsgesetz
- einkommensabhängiger Anspruch auf Bafög für die Kinder
- einkommensabhängige Bemessung von Elterngeld (eine Beamtin A10 und eine Beamtin A15 erhalten beide das gleiche Elterngeld = 1.800€, je nach Verdienst des Partners kann für hohe Besoldungsgruppen zukünftig der Anspruch auf Elterngeld vollständig entfallen. Bei niedrigen Gehältern wird zudem ein höherer % als 65% des Nettos angerechnet)
- Übernahme PKV Beiträge in Elternzeit nur bis A8

All dies führt dazu, dass die Nettoalimentation nicht direkt Rückschlüsse auf den wirklichen Lebensstandard geben und je nach Einzelfall kaum Unterschiede im Lebensstandard zwischen Besoldungsgruppen bestehen oder eine niedrigere Besoldungsgruppe insgesamt sogar besser dastehen könnte (häufig alleine schon der Fall zwischen A8 und A9 beim Bezug von Elterngeld durch die PKV Beiträge).

Ist dieser Umstand eurer Meinung nach mit der Rechtsprechung im Einklang oder müsste hier eigentlich eine deutlich umfassendere Betrachtung erfolgen?


SwenTanortsch:

--- Zitat von: AVP am 06.10.2023 01:05 ---Das BVerfG hat bezüglich der Amtsangemessenen Alimentation ja geurteilt, dass zwischen den Besoldungsgruppen gewisse Abstände im Lebensstandard (?) einzuhalten sind. In der Regel wird hier der Besoldungsbetrag - PKV-Beitrag - Steuern betrachtet.

Nun gibt es in Deutschland allgemein neben der Steuerprogression aber noch zahlreiche weitere Umverteilungsmechanismen, zB.:

[1] einkommensabhängige Kitagebühren für die Kinder
[2] [a] einkommensabhängige Ansprüche auf Sozialwohnungen, [ b] Wohngeld, [c] Kinderzuschläge und [d] Bildung- und Teilhabeleistungen
[3] einkommensabhängige Sozialtarife (zB GEZ Befreiung)
[4] einkommensabhängiges Baukindergeld
[5] einkommensabhängige Förderungen bezüglich des neuen Heizungsgesetz
[6] einkommensabhängiger Anspruch auf Bafög für die Kinder
[7] einkommensabhängige Bemessung von Elterngeld (eine Beamtin A10 und eine Beamtin A15 erhalten beide das gleiche Elterngeld = 1.800€, je nach Verdienst des Partners kann für hohe Besoldungsgruppen zukünftig der Anspruch auf Elterngeld vollständig entfallen. Bei niedrigen Gehältern wird zudem ein höherer % als 65% des Nettos angerechnet)
[8] Übernahme PKV Beiträge in Elternzeit nur bis A8

All dies führt dazu, dass die Nettoalimentation nicht direkt Rückschlüsse auf den wirklichen Lebensstandard geben und je nach Einzelfall kaum Unterschiede im Lebensstandard zwischen Besoldungsgruppen bestehen oder eine niedrigere Besoldungsgruppe insgesamt sogar besser dastehen könnte (häufig alleine schon der Fall zwischen A8 und A9 beim Bezug von Elterngeld durch die PKV Beiträge).

Ist dieser Umstand eurer Meinung nach mit der Rechtsprechung im Einklang oder müsste hier eigentlich eine deutlich umfassendere Betrachtung erfolgen?

--- End quote ---

Das Bundesverfassungsgericht hat seine Entscheidung(en) im Mai 2020 getroffen, als die 17 Besoldungsgesetze in weiten Teilen noch recht ähnlich waren, was in ähnlicher (hier aber insgesamt noch einmal komplexerer) Form ebenso für die Beamtengesetze in den 17 Rechtskreisen galt. Ursache war, dass sie ihren Ursprung jeweils in der zumeist bis Ende der 2000er Jahre und zum Teil bis heute (das Thema wäre wiederum ebenfalls ein eigenes, das differenzierter darzustellen wäre) in der zunächst nach der Föderalismusreform I weiter geltenden Bundesgesetzgebung hatten, die zunächst nach 2006 in identischer Form in Landesrecht überführt worden war. Bis 2003/2006 galt die konkurrenzlose Gesetzgebungskompetenz des Bundes in Besoldungsrechtssachen. Nach der Föderalismusreform I sind also nach und nach alle 17 Besoldungsgesetzgeber ihren eigenen Weg gegangen, der dabei vollzogenen Besoldungsgesetzgebung in Landesrecht merkt man aber vielfach den eigentlichen Nukleus der einstmals gegebenen einheitlichen Gesetzgebung bis heute an - was bis 2020/21 noch einmal stärker der Fall war. Auch wenn wir nun nach den beiden 2020er Entscheidungen nur dreieinhalb Jahre weiter sind, sind seitdem die politisch-gesellschaftlichen Entwicklungen zum Teil eruptiven Veränderungen ausgesetzt gewesen, die das Bundesverfassungsgericht damals nicht voraussehen konnte, sodass die damalige Rechtsprechung heute bereits in Teilen historisch-genetisch zu betrachten wäre (was sie sowieso immer ist, aber nun noch einmal offensichtlich komplexer). Zugleich haben seit dem Frühjahr 2021 sich beschleunigende Veränderungen insbesondere hinsichtlich der familienbezogenen Besoldungskomponenten, aber auch in der Bemessung des Grundsicherungsbedarfs eingesetzt, die zunehmend den zunehmend klammen Kassen geschuldet gewesen waren und es weiterhin sind. Dabei gibt es gleichlaufende Entwicklungen, die insbesondere für Norddeutschland in der offensichtlich in Absprache erfolgten Modikfikation des Familienmodells in ein Doppelverdienermodell zu suchen ist, welche - davon muss man, denke ich, leider ausgehen - ob der Vereinheitlichung ein die derzeitigen Reformentwicklungen der letzten knapp drei Jahre hier stark stützende Funktion haben werden, was ein Grund sein könnte, dass nun vom Zweiten Senat drei Nordstaaten betrachtet werden. Denn der Vereinheitlichungsprozess war im März des Jahres deutlich absehbar, nachdem Schleswig-Holstein und Niedersachsen bereits 2022 die entsprechende Modifikation vollzogen hatten, die bremischen Entwicklungen im im Frühjahr 2023 laufenden Gesetzgebungsverfahren absehbar waren und nun Hamburg und Mecklenburg-Vorpommern ebenfalls nachzuziehen planen und dabei bereits recht weitgehend vorangeschritten sind, was im Frühjahr dieses Jahres ebenfalls ggf. erkennbar gewesen sein dürfte. Andererseits zeigen sich seit dem Frühjahr 2021 die seitdem in allen 16 Rechtskreisen der Länder novelierten Besoldungssystematiken (der Bund hat seit 2020 als einziger Rechtskreis noch nicht auf die aktuelle Rechtsprechung des Zweiten Senats reagiert) insgesamt deutlich zersplitterter oder unheinheitlicher als zuvor - soweit zunächst die allgemeine Sicht auf die Dinge: Wir sind heute in einer nicht nur besoldungsrechtlich ganz anderen Situation als vor 2020, und zwar durch die gezielte Missachtung der bundesverfassungsgerichtlichen Rechtsprechung zum Mindestabstandsgebot, welche (die Rechtsprechung) wiederum flankiert ist von der Rechtsprechung zum Abstandsgebot zwischen vergleichbaren Besoldungsgruppen und den prozeduralen Anforderungen, die den Besoldungsgesetzgebung auch hier treffen (die drei Kapitel sind als eine sachliche Einheit zu betrachten, die genauso vom Bundesverfassungsgericht gemeint sind, als sachliche Einheit, was ggf. in den anstehenden Entscheidungen weiter zu Tage treten könnte) und die in der sachlichen Massivität, in der sie (die Missachtung) vollzogen worden ist, 2020 ggf. erahnbar, aber nicht konkret vorauszusehen war (die Missachtung vollzog sich bereits im Rahmen der sich deutlich abzeichendenden zukünftig schweren finanziellen Probleme der öffentlichen Hand, die für das Bundesverfassungsgericht im Frühjahr 2020 so sicherlich noch nicht absehbar waren). Diese Einleitung vorweggeschickt, um das Thema entsprechend einzuordnen.

Nichtsdestotrotz sind die Besoldungsgesetzgeber weiterhin gezwungen - wie gesagt, die beiden Abstandsgebote und prozeduralen Anforderungen sollten sachlich als Einheit betrachtet werden, mitsamt ihrer aus ihr resultierenden Schutzfunktion, auch wenn die Besoldungsgesetzgeber vor dieser Tatsache weiterhin gerne die Augen verschließen wollten -, eine amtsangemessene Alimentation zu betrachten und sie also zu gewähren, was im Gesetzgebungsprozess zu vollziehen und zu dokumentieren ist. Nicht umsonst führt das Bundesverfassungsgericht hinsichtlich des Prüfverfahrens in aller gebotenen Deutlichkeit aus (in den miteinander sachlich verknüpften Ausführungen an verschiedenen Stellen der Rechtsprechung zeigt sich die Einheit, wenn man sie denn sehen will) und beantwortet damit bereits Deine Frage (Hervorhebungen jeweils durch mich; auch die hervorgehobenen Passagen darf man als eine Art Einheit begreifen und sie entsprechend so lesen - das würde ich durchaus gesondert tun, also zunächst die gesamte Passage und danach die drei kursiv gestellten Hervorhebungen, in denen sich ihre Schutzfunktion offenbart):

"Der Gesetzgeber muss den für die Bemessung der amtsangemessenen Alimentation relevanten Kriterien sowohl bei strukturellen Neuausrichtungen im Besoldungsrecht als auch bei der kontinuierlichen Fortschreibung der Besoldung über die Jahre hinweg Rechnung tragen (vgl. BVerfGE 130, 263 <292 f.>; 139, 64 <113 Rn. 98>; 140, 240 <280 Rn. 77>).  Ebenso wenig wie die exakte Höhe der amtsangemessenen Besoldung lässt sich dabei der Zeitpunkt, zu dem diese als gerade noch amtsangemessen anzusehen ist, unmittelbar der Verfassung entnehmen." (Rn. 29 https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2020/05/ls20200504_2bvl000418.html) "Die nachfolgenden Ausführungen stellen keine für den Besoldungsgesetzgeber in jeder Einzelheit verbindliche Berechnungsgrundlage dar. Ihm stünde es insbesondere frei, die Höhe des Grundsicherungsniveaus mit Hilfe einer anderen plausiblen und realitätsgerechten Methodik zu bestimmen (vgl. BVerfGE 137, 34 <75 f. Rn. 82 ff.>). Ihn trifft jedoch die Pflicht, die ihm zu Gebote stehenden Erkenntnismöglichkeiten hinsichtlich der Höhe der Grundsicherungsleistungen auszuschöpfen, um die Entwicklung der Lebensverhältnisse zu beobachten und die Höhe der Besoldung an diese Entwicklung kontinuierlich im gebotenen Umfang anzupassen (vgl. BVerfGE 117, 330 <355>; 130, 263 <302>; 137, 34 <76 Rn. 85>; 146, 164 <197 Rn. 85>)." (Rn. 53) "Weil die gewährten Vorteile überwiegend regional und nach den Lebensumständen der Betroffenen höchst unterschiedlich ausfallen, ist es für Gerichte kaum möglich, hierzu – zumal rückwirkend – Feststellungen zu treffen. Hinzu kommt, dass noch aufzuklären wäre, inwiefern bei der Ermittlung der Regelsätze diese Vergünstigungen berücksichtigt worden sind. Solange aber auch ohne Berücksichtigung etwaiger geldwerter Vorteile feststeht, dass der Mindestabstand zum Grundsicherungsniveau nicht gewahrt ist, sind Feststellungen zu Art und Umfang der genannten geldwerten Vorteile mangels Entscheidungserheblichkeit entbehrlich. Auch insoweit ist in erster Linie der Besoldungsgesetzgeber gefordert, die Entwicklung der Lebensverhältnisse zu beobachten, um Art und Ausmaß der geldwerten Vorteile zu ermitteln und die Höhe der Besoldung diesen kontinuierlich im gebotenen Umfang anzupassen (vgl. BVerfGE 117, 330 <355>; 130, 263 <302>; 137, 34 <76 Rn. 85>; 146, 164 <197 Rn. 85>)." (Rn. 71)

Die Einheit zeigt sich wie so häufig in der bundesverfasungsgerichtlichen Rechtsprechung darin, dass sie sich in ihrer Entsprechung in den in den verschiedenen Stellen der Ausführungen findenden Abstimmungen der Darlegungen erkennen lässt - Rn. 29, 53, 71 -, so wie ich hier die drei Textpassagen nebeneinander (oder hintereinander stellen) kann, um ihre gleichgerichtete Kontinuität darzustellen. Das ist methodisch auch nicht anders zu erwarten, da das Bundesverfassungsgericht die Verfassungsnormen des Grundgesetzes als eine Einheit begreift, was zwangsläufig zu einer hohen Systematik der Rechtsprechung führen musste und führt, die sich in den jeweiligen Dogmatiken wie der Besoldungsrechtsdogmatik widerspiegelt. Im Ergebnis kann man die drei Passagen neben- oder hintereinander stellen, obgleich sie in unterschiedelichen Kontexten zu betrachten wären, was Deine Frage - denke ich - weitgehend bereits beantwortet, was es nun weiterhin vertiefend darzulegen gilt, indem es konkreter wird (die Konkretisierung der Begründung als Teil der prozeduralen Anforderungen ist ein zentrale Pflicht des Gesetzgebers im Gesetzgebungsverfahren, der er verfassungsrechtlich nicht ausweichen kann). Um die Betrachtung also zu konkretisieren, habe ich Deine acht in Spiegelstrichen vollzogenen Punkte im Zitat durchnummeriert, darauf beziehen sich die nachfolgenden, systematisierenden Ausführungen:

Die Nr. 1 sowie 2 a bis c und 3 sind als Teile der Sozialtarife zu betrachten, die das Bundesverfassungsgericht mitsamt der genannten und auch dort genannten Pflichten in der aktuellen Entscheidung (s. den obigen Link) in den Rn. 69 ff. weiterhin präzisiert.

Die Nr. 2d ist Teil der eigenständig zu vollziehenden Betrachtung der Bildungs- und Teilhabegesetzgebung, wobei sich auch hier der Gesetzgeber nicht seiner Pflicht entziehen kann, über reine gesetzliche Anteile hinaus die gewährten Leistungen realitätsgerecht zu betrachten (Rn. 64 ff.).

Die Nr. 4 und 5 dürften vom Bundesverfassungsgericht schwerlich auch zukünftig zu greifen sein, ggf. auch vom Besoldungsgesetzgeber, da es ungewöhnlich wäre, dass eine der Grundsicherung unterworfene Familie baute, auch werden die Förderungen durch das neue Heizungsgesetz allenfalls in geringer Zahl - jedenfalls heute bis auf Weiteres - Grundsicherungsempfängern zuteil werden, sodass m.E. nicht zu erwarten wäre (auch nicht vom Besoldungsgesetzgeber), dass er hier bereits differenzierte Betrachtungen anstellte (was sich zukünftig jedoch ändern könnte, da nicht wenige Grundsicherungsempfänger in den eigenen vier Wänden leben und also die Umstellung des Energieträgers auch sie treffen wird).

Die Nr. 6 - Bafög - unterliegt m.E. ähnlich wie das Kindergeld der Betrachtung einer Sozialleistung, die allen Betroffenen zuteil wird, sodass sie mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht gesondert vom Besoldungsgesetzgeber zu betrachten sein bräuchte, denke ich.

Elterngeld (Nr. 7) ist eine Sozialleistung, die ggf. noch einmal gesonder zu betrachten wäre - das könnte ein komplexes Thema sein, wobei es weiterhin die Aufgabe des Besoldungsgesetzgebers ist, die tatsächlichen Lebensumstände und Bedarfe zu beobachten und die Besoldung und Alimentation diesen kontinuierlich und im angemessenen Rahmen anzupassen. Das gilt eventuell ähnlich für das Elterngeld, wobei in beiden Punkten zu beachten wäre, dass das Mindestabstandsgebot sich auf den Teil der gewährten Nettoalimentation bezieht, der vom absoluten Alimentationsschutz umfasst ist - die Besoldungsgesetzgeber verstehen das Gebot hingegen regelmäßig als eine Art Maximalabstandsgebot, das also irgendwie rechnerisch erreicht werden müsste, um das Mindestabstandsgebot zu erfüllen, um so eine Überalimentation zu verhindern (genauso und genauso verquer argumentiert gerade der Hamburger Senat im dort laufenden Gesetzgebungsverfahren). Soll heißen und das kann praktisch auch als Fazit dieser Ausführungen gelten:

Der Besoldungsgesetzgeber hat zu garantieren, dass das Mindestabstandsgebot nach Möglichkeit in allen Fällen eingehalten wird (Rn. 52) - darüber hinaus ist die Besoldungsgesetzgebung allerdings eine Sache der Begründetheit und kein Spezialfall der Mathematik. Der Besoldungsgesetzgeber hat also beim Ausschluss oder bei Beachtung von einzelnen (Bedarfs-)Posten zur Bemessung des Grundsicherungsbedarfs und der gewährten Nettoalimentation zu begründen, welche Beträge er weshalb in seine Bemessungen mit einfließen lässt oder sie von ihnen ausschließt. Darüber hinaus hat er im Gesetzgebungsverfahren aber ebenso zu beachten:

"Die Parameter [der ersten Prüfungsstufe des bundesverfassungsgerichtlichen Prüfungshefts und damit auch die Bemessung des Grundsicherungsbedarfs] sind weder dazu bestimmt noch geeignet, aus ihnen mit mathematischer Exaktheit eine Aussage darüber abzuleiten, welcher Betrag für eine verfassungsmäßige Besoldung erforderlich ist. Ein solches Verständnis würde die methodische Zielrichtung der Besoldungsrechtsprechung des Senats verkennen. " (Rn. 30)

AVP:
Danke für die ausführliche Antwort.
Soweit ich alles richtig verstanden habe werden die „Sozialtarife“ (darunter fasse ich einfach mal alles angesprochene zusammen) derzeit ja insbesondere nur um Hinblick auf den Abstand zur Grundsicherung betrachtet (wobei hierbei mMn noch die netto Werbungskosten berücksichtigt werden müssten, denn wenn ich 5x die Woche zur Arbeit fahre und Summe X für Auto, Spirt, Versicherung etc. ausgebe zehrt sich der 15% Bonus auch schnell auf - aber anderes Thema), keine Betrachtung finden die Sozialtarife zwischen den Besoldungsgruppen.

Wenn Person X also von A10 nach A11 befördert wird und dadurch dann keinen Anspruch zB mehr auf Baukindergeld hat und 100€ mehr an die Kita abdrücken muss - wodurch er im Endeffekt vielleicht effektiv sogar weniger nach der Beförderung hat, dann interessiert dies aktuell niemanden?!

SwenTanortsch:
Gern geschehen, AVP. Die Sozialtarife beziehen sich ausschließlich auf die Bemessung der Grundsicherungsniveaus, insofern ist es sachlich unerheblich, welche vergleichbaren Bedarfe dem Beamten hier erwachsen, da davon auszugehen ist, dass eine sachgerecht begründete Besoldung und Alimentation im Ergebnis zu einer amtsangemessenen Alimentation führen muss, die es dem Beamten unter anderem ermöglichen soll, sich und seiner Familie einen dem Ansehen seines Amts in der Gesellschaft hinreichenden Lebensstil zu gewährleisten. Weitere Leistungen wie bspw. das Baukindergeld basieren auf politischen Entscheidungen, die über das Alimentationprinzip aus Art. 33 Abs. 5 GG hinausreichen und letztlich unabhängig von ihm zu betrachten sind. Das kann man subjektiv als ungerecht empfinden; über das Alimentationsprinzip hinausreichende Erwägungen haben aber sachlich nichts mit der Beamtenalimentation zu tun, sondern liegen allein in der politisch so vollzogenenen Ausgestaltung des Baukindergelds, sodass man als Betroffener (unabhängig davon, ob man Beamter ist oder nicht) nur im politischen Alltag darauf dringen kann, dass dort bspw. Bemessungsgrenzen geändert werden. Dafür trägt aber der Besoldungsgesetzgeber als solcher keine Verantwortung, hier noch einmal umso mehr, als dass es keine eigene gesetzliche Grundlage für das Baukindergeld gibt. Sofern also das Familieneinkommen als Folge einer Beförderung und dem Aufrücken in der Besoldungsordnung die Bemessungsgrenze für das Baukindergeld überschreitet, bleibt der Beamte dennoch weiterhin amtsangemessen alimentiert (unter der Prämisse, dass die Alimentation amtsangemessen ist, was sie heute offensichtlich nicht ist).

Zugleich verkürzt sich als Folge der von den Besoldungsgesetzgebern seit 2021 wiederkehrend sachlichunzureichenden Fokussierung auf das Mindestabstandsgebot auf die Mindestalimentation und den Vergleich zwischen Grundsicherungsempfängern und Beamten - das eine hat aber mit dem anderen nicht zu tun, da es einen qualitativen Unterschied zwischen der Grundsicherung, die als staatliche Sozialleistung den Lebensunterhalt von Arbeitsuchenden und ihren Familien sicherstellt, und dem Unterhalt, der erwerbstätigen Beamten und Richtern geschuldet ist, gibt. Das Bundesverfassungsgericht hat in der letzten Entscheidung in Erweiterung seiner im Jahr 2015 angestellten Rechtsprechung nur festgestellt, dass die Beamtenalimentation eines verheirateten Bediensteten mit zwei Kindern in der untersten Erfahrungsstufe der niedrigsten Besoldungsgruppe einen mindestens 15 %igen Abstand zum Grundsicherungsniveau aufweisen muss. Das ist eine zwar zu beachtende, aber insgesamt völlig unwichtige Direktive, da die staatliche Grundsicherung sachlich rein gar nichts mit der Beamtenalimentation zu tun hat. Die vielen sachlich wirren Entscheidungen der Gesetzgeber, die irgendwelche krausen Zusammenhänge zwischen staatlicherseits gewährtem Existenzminimum und dem Beamten geschuldeten Unterhalt herstellen wollen, haben i.d.R. keine fundierte Basis, um für irgendetwas stehen zu können, außer für eines: dass sie ausgemachter Unsinn sind. Man könnte auch versuchen, die Beamtenalimentation aus dem Luftischerheitsgesetz ableiten zu wollen, wenn einem danach ist - und es ist zu vermuten, dass, wenn die Besoldungsgesetzgeber so weitermachen wie seit 2020/21, sie bald ggf. entdecken werden, dass eigentlich vor allem § 21 LuftSiG eine fundamentale Bedeutung für die Bemessung der Beamtenalimentation hat, weshalb jene an dieser auszurichten wäre... (Pardon für den etwas polemischen Abschluss, er ist nicht gegen Dich oder das, was Du geschrieben hast, gerichtet, AVP)

AVP:
Das hatte ich mir so schon gedacht und ich erkenne auch dass es praktisch anders wohl schwer umzusetzen wäre, wirklich konsequent ist es mMn aber nicht, denn wenn der Dienstherr/Besoldungsgesetzgeber gleichzeitig auch allgemein Gesetzgeber ist könnte er jegliches Abstandsgebot über weitere Sozialtarife effektiv untergraben. Als etwas abstraktes Beispiel wäre es denkbar die Beamtenalimentation insgesamt um 50% zu erhöhen (damit wäre sie wohl weitestgehend amtsangemessen), gleichzeitig aber weitere Sozialtarife und Gebühren einzuführen um diese Prozentsteigerung direkt wieder abzuschöpfen. Der Fantasie sind hier ja praktisch keine Grenzen gesetzt (höhere einkommensabhängige Gebühren für Ausweise, höhere einkommensabhängige Mehrwertsteuer, einkommensabhängige Schwimmbadeintrittspreise etc.). Es wäre somit mindestens theoretisch möglich eine quasi Einheitsbesoldung einzuführen in der zwar amtsangemessene Löhne ausgezahlt werden, diese aber durch Sozialausgleiche dann wieder auf einen Einheitswert umverteilt werden.

Zudem findet die Einkommenssteuer ja durchaus Einfluss auf die verschiedenen Betrachtungsweise der (Netto)alimentation obwohl diese nicht selber vom Besoldungsgesetzgeber erhoben wird.

Navigation

[0] Message Index

[#] Next page

Go to full version