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[Allg] Was zählt (warum) zum Abstandsgebot?

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SwenTanortsch:
Entscheidend ist auch bei den Sozialtarifen, dass sie realitätsgerecht bemessen werden. Die Abzüge, die Du darlegst, wären aber zunächst einmal nicht realitätsgerecht - und zugleich (und wichtiger): Die gewährte amtsangemessene Alimentation als Gesamtheit des dem Beamten zur Verfügung gestellten materiell-rechtlichen Korrelats dafür, dass er dem Dienstherrn unter Einsatz der ganzen Persönlichkeit – grundsätzlich auf Lebenszeit – die volle Arbeitskraft zur Verfügung stellt und gemäß den jeweiligen Anforderungen die Dienstpflichten nach Kräften erfüllt, ist eine individuelle Garantie, die der Dienstherr nicht aushebeln kann. Das materielle Gut bleibt mit Gewährung ausschließlich dem Beamten überlassen, sodass der Dienstherr irgendwelche Vergünstigungen, die er ihm gewähren will, die sich dann aber nicht als Vergünstigungen, sondern als Einschränkung des Alimentationsprinzips herausstellten, nicht so ohne Weiteres auf die Betrachtung der Mindestalimentation anrechnen könnte - denn es  bleibt dabei, dass sie nur den Teil der gewährten Nettoalimentation umfasst, der vom absoluten Alimentationsschutz umfassr ist und in den also keine Einschnitte möglich sind. Darüber hinaus ist der Beamte monetär zu alimentieren und nicht mit Sachgütern, die keinen hinreichenden Ersatz für das ihm zustehende materielle Gut darstellen können.

Das Thema Einkommensteuer ist noch einmal ein eigenes und reichlich komplexes - allersdings gilt es bis zum Beweis des Gegenteils zu vermuten, dass der Beamte hier ebenfalls den Folgen des allgemeinen Gleichheitssatzes aus Art. 3 Abs. 1 GG unterliegt und entsprechend nicht anders betrachtet werden kann oder sollte. Nichtsdestotrotz ist es ein komplexes Thema, insbesondere unter Gerechtigkeitsvorstellungen, die allerdings zumeist moralischer und nicht juristischer Natur sind, also unseren individuellen Wertungen unterliegen.

AVP:
Ich habe noch ein wenig hierüber nachgedacht und mMn ist der Blick auf die reine Nettoalimentation hier nicht treffend.

Das Grundgesetzt verpflichtet der Dienstherrn „Beamte sowie ihre Familien lebenslang angemessen zu alimentieren und ihnen nach ihrem Dienstrang und ihrer Qualifikation, nach der mit ihrem Amt verbundenen Verantwortung und nach der Bedeutung des Berufsbeamtentums für die Allgemeinheit entsprechend der Entwicklung der allgemeinen wirtschaftlichen und finanziellen Verhältnisse und des allgemeinen Lebensstandards einen angemessenen Lebensunterhalt zu gewähren.“ (BVerfG).

Dies kann sich nur über die Nettoalimentation abwickeln lassen, wenn Geld für alle einen festen Wert hat und somit zu einem vergleichbaren Lebensstandard führen kann.

Dies ist durch die vergangene Sozialpolitik aber mit Nichten der Fall.

Die Nettoalimentation ist nicht geeignet den Lebensstandard verschiedener Personen untereinander vergleichbar zu machen, wenn diese Personen für die gleichen Leistungen unterschiedliche Geldbeträge aufwenden müssen.

Einfaches Beispiel:

Neubau mit 30% Sozialquote, jeweils Baugleiche Wohnungen, 4-köpfige Familien:

1.) Grundsicherung: 1.600€ Bürgergeld + Sozialtarif Wohnung 6,50€/QM (übernimmt Staat) = 500€, Bildung- und Teilhabe für die Kinder (100€), Kitakosten befreit (+500€) = effektiv 2.200€

2.) Beamter A 6: 2.300€ netto + Sozialtarif Wohnung 6,50)/QM = -500€, Bildung- und Teilhabe (100€), Wohngeld 100€, Kinderzuschlag 100€, 100€ (+400€) Kitakosten = effektiv 2.500€

3.) Beamter A 10: 3.000€ netto kein Sozialtarif = 16,50€/QM = -1.250€, 500€ Kitakosten = effektiv 1.250€

Dann wird dem A10er mit weniger als A6 oder Grundsicherung aufgrund fehlender Sozialtarife doch niemals ein amtsangemessener Lebensunterhalt gewährt, völlig irrelevant ob die Nettoalimentation einen gewissen Wert erreicht. Mit der aktuellen Sozialpolitik ist eine Korrelation zwischen Netto“gehalt“ und Lebensstandard einfach nicht mehr ausreichend gegeben um hierauf eine Amtsangemessene Alimentation aufbauen zu können. Vorab müssten alle entsprechenden einkommensabhängigen Sozialtarife erstmal auf einen vergleichbaren einheitlichen Wert gebracht werden bevor Abstandsgebote bewertet werden könnten.

Wenn ich mit weniger Geld einen höheren Lebensstandard erreiche als mit mehr Geld, dann hat Geld keinen absoluten vergleichbaren Bezug mir um einen Lebensstandard zu ermitteln oder zu vergleichen.

clarion:
Kitagebühren fallen nur wenige Jahre an.

Und dass der die Grundbesoldung erhöht werden sollte, waren wir uns ja schon einig. Wenn es bei A6 schon nicht ohne Sozialtarife geht, läuft es meiner bescheidenen Meinung nach nicht richtig im Staat.

AVP:

--- Zitat von: clarion am 21.11.2023 06:11 ---Kitagebühren fallen nur wenige Jahre an.

Und dass der die Grundbesoldung erhöht werden sollte, waren wir uns ja schon einig. Wenn es bei A6 schon nicht ohne Sozialtarife geht, läuft es meiner bescheidenen Meinung nach nicht richtig im Staat.

--- End quote ---

Ich glaube viele wären überrascht wie lange man Anspruch auf Sozialleistungen hat, mit A6 in jedem Fall.

In Niedersachsen geht es auf dem 3. Förderungsweg (+60%) für eine 4-Köpfige Familie auf bis zu 71k brutto als Beamter: https://www.hannover.de/Leben-in-der-Region-Hannover/Planen,-Bauen,-Wohnen/Stadterneuerung-Förderung/Wohnraumförderung-in-Hannover/Einkommensgrenzen

2x A6 Vollzeit läge da drunter, aber auch Alleinverdiener A13 würde noch in einer Sozialwohnungen leben dürfen.

Dann kostet die Wohnung halt nur 6,50€: https://www.immobilienscout24.de/expose/147216706?utm_medium=social&utm_source=other&utm_campaign=expose_sharing&utm_content=expose_toolbar

Statt 15,75€: https://www.immobilienscout24.de/expose/142252458#/

Nach den Kitagebühren kommen Kosten für Klassenfahrten, Schulmaterialien, Schulausfüge, Schulbücher und danach Studiumskosten ohne Bafög


SwenTanortsch:
Das, was Du zu den Kosten schreibst, ist in sich schlüssig, AVP. Du gehst aber bei der Betrachtung von dem gleichen grundsätzlichen Fehler aus wie wiederkehrend die Besoldungsgesetzgeber, die den Beamten mittlerweile zunehmend regelmäßig auf einen Sozialleistungsbezug verweisen, der verfassungsrechtlich allerdings ausgeschlossen ist:

1. Der Besoldungsgesetzgeber hat dem in der untersten Besoldungsgruppe eingruppierten aktiven Beamten, der verheiratet ist und zwei Kinder hat, eine Alimentation zu gewähren, die in möglichst allen Fällen mindestens 15 % oberhalb des Grundsicherungsniveaus einer entsprechenden Bedarfsgemeinschaft liegen muss.

2. Der bis 15 % oberhalb des Grundsicherungsniveaus liegende Betrag der zu gewährenden Nettoalimentation ist materiell-rechtlich vom absoluten Alimentationsschutz umfasst, sodass in ihn keine Einschnitte gestattet sind.

3. Die vom Zweiten Senat angeführte bisherige Rechtsprechung verdeutlicht, dass die vom Besoldungsgesetzgeber zugrundezulegenden Sozialleistungen dann als evident unzureichend zu betrachten sind, wenn es offensichtlich ist, dass sie in der Gesamtsumme keinesfalls sicherstellen können, Hilfebedürftigen in Deutschland ein Leben zu ermöglichen, das physisch, sozial und kulturell als menschenwürdig anzusehen ist,
weshalb es auf die Höhe der Leistungen insgesamt und nicht auf einzelne Berechnungselemente ankommt, die dazu dienen, diese Höhe zu bestimmen (BVerfGE 137, 34 <75 Rn. 81>).

4. Als Folge ist der Besoldungsgesetzgeber verpflichtet, das Grundsicherungsniveau realitätsgerecht zu bemessen und diese realitätsgerechte Bemessung der Gesamtsumme der Sozialleistungen dem Vergleich mit der zu gewährenden Nettoalimentation zugrundezulegen.

5. Von daher ist es verfassungsrechtlich ausgeschlossen, dass ein Beamter auf einen Sozialleistungsbezug verwiesen werden könnte, da ja in möglichst allen Fällen sicherzustellen ist, dass er mindestens 15 % oberhalb des Grundsicherungsniveaus zu alimentieren ist. Der Beamte ist so verstanden durchaus sozialleistungsberechtigt; er kann diese Berechtigung allerdings nicht in Anspruch nehmen, da ein 15 % oberhalb des Grundsicherungsniveaus alimentierter Beamter keinen Anspruch auf Grundsicherungsleistungen gelten machen kann.

6. Das Problem ist so verstanden nicht die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, die sowohl hinsichtlich der Bemessung von Grundsicherungsleistungen als auch hinsichtlich der Mindest- und zu gewährenden Nettoalimentation hinreichend eindeutig ist. Das Problem liegt folglich darin, dass die Besoldungsgesetzgeber die eindeutige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts wissentlich und willentlich und also zielgerichtet missachten, was zu den Folgen führt, die Du beschreibst.

7. Dabei ist das, was Du als Sozialtarif begreifst, wenn Du die kalten Unterkunftskosten beschreibst, verfassungsrechtlich keiner, sondern die kalten Unterkunftskosten sind als solche Teil selbstständig innerhalb des Grundrechtsbezugs von von der staatlichen Alimentation abhängigen Sozialleistungsberechtigten zu betrachten. Entsprechend kann der der Grundsicherung unterworfene Lesitungsempfänger nicht auf eine Sozialwohnung verwiesen werden, und zwar allein schon deshalb nicht, weil es sie in nicht hinreichend genügender Zahl gibt. Sozialrechtlich sind auch deshalb nach § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II die Bedarfe für Unterkunft und Heizung in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen anzuerkennen, soweit diese angemessen sind. Das hier der Bemessung des Grundsicherungsniveaus der entsprechenden Bedarfsgemeinschaft zugrundzulegende 95 %-Perzentil geht für das Jahr 2021 von kalten Unterkunftskosten in Höhe von monatlich 954,- € für Niedersachsen aus, was bei einer dabei zugleich zugrundezulegenden 85 qm großen Wohnung zu einer herangezogenen Quadratmetermiete von 11,22 € führte. Unter Beachtung des 15 %igen Abstand zum Grundsicherungsniveau verbliebe - eine solche Bemessung kann nur eine Übertragung darstellen und ist ansonsten der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts so nicht zu entnehmen - also eine Quadratmetermiete von 12,90 €.

8. Innerhalb des Bemessungsverfahrens darf nicht  unbeachtet bleiben, dass - wie in der Nr. 2 hervorgehoben - die Mindestalimentation nur den vom absoluten Alimentationsschutz umfassten Teil der zu gewährenden Nettoalimentation beschreibt und also darüber hinaus keine Aussagen über den amtsangemessenen Gehalt der gewährten Nettoalimentation macht (sie zeigt allein betrachtet nur, wann eine gewährte Alimentation nicht mehr verfassungskonform ist und kann darüber hinaus deshalb allein betrachtet keine Aussage darüber rechtfertigen, wann eine Alimentation und Besoldung amtsangemessen wäre). Es verbleibt die Pflicht des Besoldungsgesetzgeber, innerhalb des von ihm zu vollziehenden Gesetzgebungsverfahrens eine amtsangemessene Alimentation sachlich hinreichend zu begründen, wozu die Betrachtung der Mindestalimentation allein nicht ausreichend ist.

9. Eine prägnante Zusammenfassung zum sachlichen Gehalt der Mindestalimentation im Prüfverfahren des Bundesverfassungsgerichts findest Du an einem Beispiel angewendet hier auf den S. 8 f. und 20 ff. https://bdr-hamburg.de/wp-content/uploads/Gutachterliche-Stellungnahme-Besoldungsstrukturgesetz-Drs.-22-1272.pdf

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