@cyrix42 Bisher dachte ich, es war wirklich ein Missverständnis von dir, inzwischen frage ich mich, ob es Absicht war. Darum schreibe ich diesen langen Beitrag vor allem für andere Leute, die sich ernsthaft fragen, wie es denn jetzt ist mit der Situation von Doktorandinnen und Doktoranden, ob die es wirklich so viel schlechter oder gar besser haben als andere.
Aber Cyrix, lies deine (pauschale!) Aussage bitte nochmal. Es bricht dir doch keine Zacke aus der Krone und ist auch kein Zeichen von Schwäche, wenn du eingestehst, dass du da fälschlicherweise pauschal geantwortet hast und tatsächlich etwas an der Aussage dran ist, dass man mit einer Qualifikationsstelle (oft) so wenig verdient, dass es zu einem normalen Erwachsenenleben -- in aller Regel gezwungenermaßen in oder nahe einer Uni-Stadt! -- kaum reicht... dass aber auch diese pauschale Aussage natürlich so nicht richtig ist.
Die pauschale Aussage "reicht nicht" ist jedenfalls deutlich weniger häufig falsch als die pauschale Aussage "aber es ist doch EG 13, was sollen erst weniger hoch Eingruppierte sagen", denn der Vergleich hinkt auf verschiedensten Ebenen offensichtlich. Ganz sicher ist das durchschnittliche(!) Entgelt eines 25-28-jährigen Promovenden niedriger als eines durchschnittlichen 25-28-jährigen Menschen im öD mit abgeschlossener Berufsausbildung. Gleichzeitig sind die durchschnittlichen monatlichen Fixkosten (insb. fürs Wohnen wg. gezwungenermaßen Uni-Stadt vs. unterschiedlichster anderer Arbeitgeber-Orte) deutlich höher. Und wenn man dann noch anfängt, durchschnittliche(!) aufgelaufenen Schulden durch Studiendarlehen u.ä. mit den durchschnittlichen aufsummierten Entgelten während und nach der Ausbildung zu vergleichen, bleiben allerspätestens keine Zweifel mehr.
Aber man könnte neben dem rein objektiven Entgelt noch lange weitermachen mit zwar "weicheren" Faktoren, die aber ebenso zur prekären Lage vieler Promovenden und mancher Postdocs beitragen, z.B. mit "üblicherweise(!) Jobgarantie in jungen Jahren nach 0,5 bis 2 Jahren" vs. "üblicherweise extrem unsichere Beschäftigungsperspektive spätestens drei oder vier Jahre nach Start der Qualifikation (Forschungsgelder), oft auch jedes Jahr (immer noch oft bei Lehrstuhl-Haushaltsstellen)" oder "auf Gedeih und Verderb einer einzigen Person (Prof.) ausgeliefert, wenn man in der Forschung bleiben will" vs. "wenigstens ein paar unterstützende Strukturen wie Betriebsräte" oder "Arbeitszeitschutzgesetz? Verpflichtende Dokumentation der geleisteten Stunden? Gleitzeitkonto? Was sollen das für Begrifflichkeiten sein? Nie gehört" oder oder oder.
Dann kommt als nächstes wieder das (Strohmann-)Gegenargument "Aber was ist mit den vielen Jahren im Beruf nach der Qualifikation?!!" oder "aber die suchen sich das ja alle selber aus, zwingt sie ja keiner!!!", und dann ist jeder Versuch einer sachlichen Diskussion wieder tot. Es bleibt aber dabei: Dass Leute auf wissenschaftlichen Qualifikationsstellen ganz objektiv monetär üblicherweise schlecht oder auch sehr schlecht gestellt sind (und auch schlechter als "die Entgeltgruppen darunter"), daran kann kein vernünftiger Mensch ernsthaft zweifeln.
Disclaimer 1: Ich habe sehr bewusst oft "durchschnittlich", "üblich" usw. geschrieben, denn natürlich ist wie gesagt die Spannweite sehr groß, und zwar auf beiden Seiten.
Disclaimer 2, als Beispiel für "Ausnahmen gibt es immer": Ich bin wie gesagt selbst promoviert. Und zwar in einem Fach, das bei der Zulassung zum Studium an fast allen Standorten einen sehr hohen NC verlangt. Vor dem Hintergrund sollen meine Aussagen zu zeitlichen Aufwänden bitte gelesen werden.
Ich hatte das riesige Privileg, dass meine Eltern mich finanziell etwas unterstützen konnten, sodass ich mit meist 6-8 Wochenstunden Nebenjob neben dem Vollzeit(!)studium (auch während der vorlesungsfreien Zeit, Stichwort Prüfungen, Hausarbeiten usw.) mit 24 Jahren ohne Schulden aus dem Studium gekommen bin - aber auch, ohne irgendwas an Vermögen aufgebaut zu haben.
Ich hatte auch das große Glück, dass ich zur Promotion direkt einen 3-Jahres-Vertrag über Drittmittel (50%, beginnend mit Stufe 1) bekommen habe, sodass ich von vielen allgemeinen Lehrstuhlaufgaben entbunden war. Meine Promotion hat in diesen drei Jahren nur meist 75-85% Arbeitszeit gekostet. also nur 25-35% mehr als ich bezahlt wurde. Darum konnte ich bald einen 25%-Nebenjob anfangen. Weil ich - wie nahezu alle in meinem Feld - längsschnittliche Forschungsdesigns über mehrere Jahre gemacht habe, hat die Promotion 4 Jahre gedauert (und damit war ich ein Jahr schneller als die meisten anderen). Das letzte Jahr über habe ich die meiste Zeit 50 Wochenstunden oder mehr für die Promotion gearbeitet, ein üblicher Einsatz. Urlaub habe ich in dem Jahr nur eine Handvoll Tage genommen und habe zum Ende des Vertrags "freiwillig" 6 Wochen Urlaub verfallen lassen, da mich mein Chef ja nicht gezwungen hat ihn nicht zu nehmen (anders hätte ich während der bezahlten Stelle aber die Promotion nicht fertigbekommen). Für den Nebenjob war im letzten Jahr natürlich auch keine Zeit mehr. Ich hatte aber wieder Glück, denn meine Stelle am Lehrstuhl wurde 4 oder 5 Monate vor Auslaufen des 3-Jahres-Vertrags durch einen Lehrstuhl-Vertrag ersetzt, und der hatte sogar 65% - zu der Zeit ungewöhnlich viel für mein Fach.
Ich habe im Studium und während der Promotion immer in den billigsten WG-Zimmern der Stadt gewohnt, während der Promotion hieß das z.B.: 12m² Zimmer in einer 4er-WG unterm Dach eines unsanierten Nachkriegsbaus mit völlig ineffizienter Gas-Etagenheizung, direkt neben der sechsspurigen Hauptstraße. Ich habe mir in 10 Jahren Studium + Promotion genau drei Mal einen (günstigen) Urlaub geleistet. Und während der Promotion einen 10 Jahre alten VW Polo, habe aber nahezu alle Wege bis 15 km mit dem Fahrrad gemacht. Durch meine sparsame Lebensweise konnte ich in den vier Jahren Promotion unfassbare 8.000 Euro zur Seite legen. Nach 10 Jahren ziemlich anspruchsvollem Leben mit durchschnittlich deutlich über 40 Wochenstunden. Als Alleinstehender. Mit wie gesagt extrem einfachen Wohnverhältnissen, immer in WGs.
Das alles ist jetzt ein paar Jahre her (aber noch keine Jahrzehnte) und seitdem hat sich für Promovenden sowohl vieles verbessert (z.B. an einigen Unis initial mindestens 3-Jahres-Verträge bei Promotionsstellen; in vielen Fächern standardmäßig 65% von Zuwendungsgebern und mit ordentlicher Argumentation im Antrag auch 75%; ernsthafte Diskussion über Machtmissbrauch von Profs. in einigen Fächern; ...), aber auch vieles verschlechtert (noch schlimmere Wohnungsnot und noch höhere Mietpreise gerade auch in Uni-Städten, extreme Heizenergiepreise in denjenigen Wohnungen, in die Studis und Promovierende üblicherweise ziehen müssen).
Ich bin aus Idealismus nicht in die Wirtschaft gegangen, wo ich direkt nach dem Studium ein Jobangebot hatte, bei dem ich sofort annähernd so viel verdient hätte wie mein Prof. Ich habe die Forschung zwar vor einigen Jahren verlassen, bin aber wegen des Idealismus trotzdem in einem verwandten Bereich im öffentlichen Dienst geblieben. Ich weiß die Vorteile des ÖD weiterhin sehr zu schätzen. Als nach der Promotion endlich Zeit für eine vernünftige Partnersuche war und nochmal etwas später Familie kam und wir (mit 35 Jahren, Akademiker und Akademikerin!) nach weiteren Jahren Sparen dann relativ bescheidenes Wohneigentum in der Kleinstadt auf 30 Jahre finanzieren konnten, habe ich mich teil-selbständig gemacht um mehr Geld reinzubekommen -- und mich immer noch nicht über das Gehalt im ÖD beschwert. Auch nicht nach den letzten Tabellenstauchungen zu meinem persönlichen Nachteil. Mir ist es wichtig, in meinem Job etwas für die Allgemeinheit zu leisten und nicht für irgendein Top-Management und für den Börsenwert. Mir ist bewusst, dass sich viele andere im ÖD niemals Wohneigentum leisten können, sei es noch so bescheiden. Unsere engste Freundin hier arbeitet in der Pflege und hat dabei Kinder, die gesamte Familie leidet unter den beruflichen und finanziellen Nöten... wenn jemand Grund zur Klage hat, dann Menschen wie sie.
Dennoch: Wenn mein ganz persönliches Entgelt noch einige weitere Jahre deutlich unter der Inflation liegt und die Tabelle immer weiter gestaucht wird, dann mache ich es wohl auch wie schon einige Leute in meiner Abteilung, die in die Wirtschaft gegangen sind -- wo sie weniger regelmäßige und weniger planbare Arbeitszeiten sowie einen weniger sicheren Job haben, dafür 30-100% mehr Gehalt, ein insgesamt viel professionelleres Arbeitsumfeld und extrem viel weniger Sand im Arbeitsgetriebe.
Extem langer Rede kurzer Sinn: Der ÖD tut sich keinen Gefallen damit, bei den Gehältern immer weiter gegenüber den meisten anderen Arbeitgebern abzustinken. Und die Beschäftigten innerhalb des ÖD tun sich keinen Gefallen damit, gegenseitige Neid-Debatten zu führen.