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Alimentation in Baden-Württemberg (2017–2025) Chronologisch

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2023: Umgang mit Widersprüchen, Klagen und erste Nachbesserungen

Angesichts der angedrohten Klagen stellte Finanzminister Bayaz Anfang 2023 klar, dass Beamte keinen individuellen Widerspruch einlegen müssen, um ihr Recht auf amtsangemessene Besoldung zu wahren . In einem Schreiben vom 10. Januar 2023 an Richterbund und Beamtenbund sicherte er zu, sollten Gerichte das BVAnp-ÄG 2022 für verfassungswidrig halten, werde das Land etwaige Nachzahlungen rückwirkend an alle Betroffenen leisten  . Diese Zusage bedeutete faktisch: das Finanzministerium würde ein entsprechendes Urteil aus Karlsruhe für alle Beamten anwenden – unabhängig davon, ob jemand Widerspruch eingelegt hat. Der BBW nahm dieses Versprechen erfreut zur Kenntnis , und auch der DRB stimmte einer Strategie von Musterklagen (einige wenige ausgewählte Kläger) zunächst zu . Damit blieb die seit 2016 praktizierte Linie gewahrt, wonach man Widersprüche ruhend stellte und Sammelklagen abwartete, um nicht jeden Beamten in ein eigenes Verfahren zu treiben  .

Parallel dazu zeigte sich bereits, dass weitere Anpassungen nötig würden. So wurde zum Beispiel in einer neuen Tarifrunde der Länder im Herbst 2023 ein Inflationsausgleich in Form hoher Sockelbeträge und prozentualer Erhöhungen vereinbart. Bayaz stand damit vor der Frage, wie dieses Tarifergebnis 1:1 auf die Besoldung zu übertragen sei, ohne erneut verfassungsrechtliche Probleme zu erzeugen. Insbesondere Sockelbeträge (einheitliche Erhöhungsbeträge) können die Besoldungsstruktur verzerren, da sie relativ gesehen unteren Gruppen stärker helfen und Abstände verringern. Anfangs deutete das Finanzministerium an, man wolle einen Weg finden, Sockelbeträge nicht eins zu eins zu übernehmen, um das Abstandsgebot zwischen den Besoldungsgruppen zu wahren  . Bayaz’ Haushaltsabteilung und der BBW hatten sich dem Vernehmen nach bereits darauf verständigt, stattdessen linear zu erhöhen  . Doch unter dem Druck insbesondere der Polizeigewerkschaften lenkte die Politik ein: Letztlich entschied man sich doch, den Tarifabschluss 2023 nahezu vollumfänglich auch den Beamten zukommen zu lassen, inklusive des sozialen Elements (Sockelbetrag) . Dies wurde vom DGB begrüßt , da so die unteren Einkommen profitierten, während der BBW davor warnte, bei künftigen Abschlüssen könnten die Abstände zu stark zusammenschrumpfen  . Schon jetzt sei absehbar, so Rosenberger, dass eine nochmalige Eins-zu-eins-Übernahme eines Tarifabschlusses mit hohem Sockelbetrag verfassungsrechtlich problematisch würde .

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2024: Neues Anpassungsgesetz 2024/2025 – Familienergänzungszuschlag und Partnereinkommen

Um den Tarifabschluss vom Dezember 2023 umzusetzen, brachte die Landesregierung das BVAnp-ÄG 2024/2025 ein, das der Landtag am 23. Oktober 2024 verabschiedete . Dieses Gesetz übernahm die ausgehandelten Gehaltserhöhungen für 2024/25, allerdings in einer modifizierten Form („systemgerechte Übertragung“) : Anstelle eines reinen Sockelbetrags wie im Tarifbereich wurde beschlossen, zum 1. November 2024 die Beamtenbesoldung um pauschal 200 € (100 € für Anwärter) plus 4,76 % zu erhöhen und zum 1. Februar 2025 um weitere ca. 5,2 %  . Diese Zweiteilung entsprach letztlich doch der Gewerkschaftsforderung nach voller Übertragung (200 € Sockel + linear), obwohl das Finanzministerium zunächst eine rein lineare Erhöhung erwogen hatte .

Familienergänzungszuschlag und Leitbild: Weitaus bedeutsamer waren die strukturellen Neuerungen des Gesetzes. Erstmals führte Baden-Württemberg ein Element ein, das implizit das Leitbild vom Alleinverdiener-Beamten relativiert: Für die Berechnung der verfassungskonformen Alimentation wurde ein fiktives Partner*inneneinkommen unterstellt . Man ging davon aus, dass in unteren Besoldungsgruppen „fast immer beide Ehepartner arbeiten“  und berücksichtigte pauschal ein zusätzliches Einkommen der Partnerin/des Partners. Nur wenn eine Beamtenfamilie nachweislich kein ausreichendes Partnereinkommen hat, kann sie auf Antrag einen Familienergänzungszuschlag (FEZ) erhalten . Dieser neue Zuschlag – eingeführt mit Artikel 5 Nr. 4 des Gesetzes  – soll in den Fällen „bestimmter, atypischer Familienkonstellationen“ das Einkommen so ergänzen, dass das vom BVerfG geforderte Minimum (115 % des Grundsicherungsniveaus) erreicht wird . Anspruch auf den FEZ haben verheiratete Beamt*innen mit mindestens einem kindergeldberechtigten Kind, wenn das Partnereinkommen unterhalb einer bestimmten Grenze liegt oder gänzlich fehlt  . Die Höhe des Zuschlags ist gestaffelt nach Besoldungsgruppe, Erfahrungsstufe und Kinderzahl und in einer neuen Anlage 12a des LBesGBW festgelegt  . Kurz gesagt folgt das Land nun dem Ansatz: Der Staat alimentiert zunächst unter Annahme eines (fiktiven) Zweiteinkommens – fehlt dieses, stockt er mit dem FEZ auf.

Begründung und Debatte: Finanzminister Bayaz verteidigte diese Neuerung als notwendigen Kompromiss, um die verfassungsrechtlichen Abstandsgebote zu wahren und dennoch die sozialen Elemente des Tarifabschlusses berücksichtigen zu können. In einem offenen Brief an die Polizeigewerkschaft (GdP) erklärten Bayaz und Innenminister Strobl, nur mit der gewählten Methode ließe sich „der Abstand zwischen den Besoldungsgruppen einhalten“, ohne dass bei künftigen Erhöhungen verfassungswidrige Nivellierungen drohten  . Sie verwiesen darauf, dass der BBW und der Richterbund diesem Vorgehen zugestimmt hätten . Tatsächlich begrüßte BBW-Chef Rosenberger die systemgerechte Übertragung: Man müsse die linearen Abstände bewahren, um nicht beim nächsten Abschluss unter das zulässige Mindestmaß zu rutschen  . Er erinnerte daran, dass gerade die niedrigen Besoldungsgruppen durch die letzte Besoldungsreform (2022) am meisten profitiert hätten – nun gelte es, die Struktur insgesamt im Blick zu behalten  .

Von anderer Seite gab es jedoch scharfe Kritik. Der Landesvorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft, Ralf Kusterer, fühlte sich übergangen und forderte eine „ungekürzte Übernahme des Tarifergebnisses“ . Durch die gewählte Methode würden seine Polizisten um bis zu 1.235 € pro Jahr schlechter gestellt . Auch die DGB-Gewerkschaften (ver.di, GEW, GdP) monierten, die Nichtübernahme des Sockelbetrags lasse die soziale Komponente des Abschlusses verloren gehen . Vor allem aber hegen DGB und BBW juristische Zweifel an der pauschalen Anrechnung von Partnereinkommen: Dies laufe dem Alimentationsprinzip zuwider, das in der Regel eine amtsangemessene Besoldung unabhängig vom Einkommen Dritter fordere . Beide Gewerkschaftsbünde rieten ihren Mitgliedern vorsorglich, gegen die neue Regelung Widerspruch einzulegen, um Ansprüche zu sichern .

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2025: Klagewelle, Verbandskritik und unerfüllte Versprechen

Bis Mitte 2025 spitzte sich der Streit um die Besoldung in Baden-Württemberg weiter zu. Über 8000 Beamte hatten Widerspruch gegen ihre Besoldung nach BVAnp-ÄG 2024/2025 eingelegt . Beamtenbund und Richterbund warnten vor einer Klagewelle und forderten das Finanzministerium auf, zu der bewährten Praxis zurückzukehren, diese Widersprüche ruhend zu stellen  . Doch Finanzminister Bayaz änderte im Januar 2025 den Kurs: Er ließ alle eingegangenen Besoldungs-Widersprüche zeitnah mit Ablehnungsbescheiden beantworten, anstatt sie bis zur höchstrichterlichen Klärung auszusetzen  . Damit brach das Finanzministerium mit einer sechs Jahre lang geübten Verwaltungspraxis, was bei den Interessenverbänden Empörung auslöste . BBW-Chef Rosenberger erklärte am 23. Mai 2025 öffentlich, er habe „keinerlei Verständnis für diesen neuen Weg, der zulasten der Beschäftigten geht und unnötigen Bürokratieaufwuchs verursacht“ . Sollte das Finanzministerium nicht einlenken, bleibe den Beamten nichts anderes übrig, als ihren Dienstherrn zu verklagen, um ihre Ansprüche auf verfassungskonforme Besoldung zu wahren – „eine Entwicklung, die niemand wollen kann“ . Ähnlich sah das die CDU-Landtagsfraktion, die sich in einem Brief an Bayaz gegen die neue Anordnung wandte .

Aus Sicht der Verbände stellt dieser Kurswechsel auch einen Bruch gegebener Versprechen dar. Noch Anfang 2023 hatte Bayaz klargestellt: „Widersprüche sind nicht notwendig. Sollten die Klagen Erfolg haben, würden alle Betroffenen Nachzahlungen erhalten.“ . Diese Zusage galt zwar formal für das Gesetz 2022, doch wurde sie 2025 nicht auf das neue Gesetz 2024/2025 übertragen. Im Gegenteil: Durch die sofortige Verbescheidung der Anträge wird nun verlangt, dass jede*r Betroffene jährlich aufs Neue klagen muss, um bei einem möglichen Erfolg vor Gericht Ansprüche zu sichern . Der Deutsche Richterbund BW kritisierte dieses Vorgehen als „völlig falsch“ und warf dem Land einen unwertschätzenden Umgang mit seinen Bediensteten vor  . Der Staat erhöhe im „Poker um die amtsangemessene Besoldung“ den Einsatz und zwinge seine Beamten, mit hohem Risiko mitzuziehen, indem sie nun ihren Arbeitgeber verklagen müssten . Dies widerspreche der beamtenrechtlichen Fürsorgepflicht, so der DRB . Der BBW mutmaßte gar, die Motivation hinter Bayaz’ Kehrtwende liege darin, „Unsummen an Nachzahlungen vermeiden“ zu wollen, falls die umstrittene Anrechnung des Partnereinkommens vom Verfassungsgericht kassiert werde . Kurz: Das Land wolle offenbar die Zahl der potenziell Entschädigungsberechtigten kleinhalten, indem es viele Beamte davor abschreckt zu klagen  .

Politische Bewertung: Die Auseinandersetzung um die Beamtenbesoldung in Baden-Württemberg zeigt bis 2025 ein ambivalentes Bild. Einerseits hat das Finanzministerium – zunächst unter Edith Sitzmann, dann unter Danyal Bayaz – in mehreren Schritten die Besoldung deutlich angehoben, strukturell reformiert und erkennbar bemüht, den Vorgaben aus Karlsruhe nachzukommen. So wurden die Alimentationsgrundsätze (v.a. Mindestabstand nach unten und Kinderzuschläge) erstmals umfassend ins Landesrecht eingearbeitet  . Andererseits sehen wichtige Berufsverbände weiterhin deutliche Mängel. Mehrere Kernversprechen blieben aus ihrer Sicht unerfüllt: Das Versprechen, die Besoldung dauerhaft verfassungskonform zu gestalten, wird durch die anhängigen Verfahren infrage gestellt. Und die Zusage, beim Umgang mit Widersprüchen kulant zu sein und Nachzahlungen ggf. von Amts wegen zu leisten, wurde 2025 insofern relativiert, als nun doch wieder jeder Einzelne aktiv werden muss  . Dieser Kurswechsel wurde vom Finanzministerium damit begründet, man kehre zum „regulären Verfahren“ zurück und verzichte künftig auf den pauschalen Verjährungsverzicht bei Widersprüchen . In der Praxis bedeutet dies allerdings faktisch eine Abkehr von der bisherigen Haltelinie, was von Opposition und Verbänden als Wortbruch gewertet wird. Die endgültige Klärung, ob Baden-Württembergs Besoldungsregelungen seit 2022 tatsächlich vollumfänglich verfassungsgemäß sind, steht nun aus – vermutlich muss erneut das Bundesverfassungsgericht entscheiden. Bis dahin hat Finanzminister Bayaz versprochen, eventuelle gerichtliche Korrekturen für das Gesetz 2022 rückwirkend umzusetzen . Ob und in welchem Umfang sich dieses Versprechen auch für die Reform 2024/2025 hält, wird die Zukunft zeigen.

Quellen: Offizielle Pressemitteilungen und Veröffentlichungen des Landes Baden-Württemberg  ; Gesetzesentwürfe und Begründungen im Beteiligungsportal BW  ; Verlautbarungen des Finanzministeriums (Edith Sitzmann, Danyal Bayaz) in Presse und Schreiben  ; Entscheidungen und Leitsätze des Bundesverfassungsgerichts  ; Stellungnahmen von BBW und DRB BW  ; Berichte seriöser Medien wie Stuttgarter Zeitung, Staatsanzeiger BW und SWR/DPA  .

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