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Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)

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SwenTanortsch:

--- Zitat von: Fahnder am 08.02.2021 13:26 ---Wie ich es mir gedacht habe, ignoriert der der Entwurf einfach die Berechnung anhand der vom BVerfG vorgegeben 95-Perzentil-Prüfung, und zwar aus "strukturellen Gründen". Diese "strukturellen Gründe" sorgen leider dafür, dass die Wohnkosten evident zu gering angesetzt werden. Warum hat dann das BVerfG trotz dieser "strukturellen Gründe" keine Probleme, diese Daten zu ermitteln, welche im Übrigen keine Zuschlag von 10 %, sondern bis zu 50 % ergeben haben? Aber vielleicht sind diese "strukturellen Gründe" auch einfach ein anderes Wort für "zu teuer". Schließlich gibt es keine einzige in den letzten Jahren nach München oder Stuttgart gezogene vierköpfige Familie, welche für mehr als 1.171,50 EUR wohnt. Aber vielleicht täusche ich mich ja auch, aufgrund der ungenauen Prozeduralisierung wird man es wohl nie erfahren.

Die FamZ oder das Grundgehalt (darüber lässt sich ja diskutieren) sind folglich noch viel zu gering bemessen!

Aus dem Entwurf Seite 54, Absatz 4:

Aufgrund regional stark schwankender Unterkunftskosten werden – wie eingangs beschrieben – für die realitätsnahe Bedarfsberechnung die Höchstbeträge der einzelnen Mietenstufen des WoGG 2021 zuzüglich eines in diesem Gesetz verankerten, mit zehn Prozent bezifferten Sicherheitszuschlags berücksichtigt. Der Rückgriff auf statistische (Landes-)Perzentile der Bundesagentur für Arbeit erscheint aufgrund der aktuellen nicht differenzierenden Vermischung der Bedarfe nach dem Zweiten Sozialgesetzbuch (SGB II) sowie des
Asylbewerberleistungsgesetzes (AsylBewG) sowie aus strukturellen Gründen nicht angezeigt.


Abgesehen davon wurde die Berechnung nur für die Mietstufe 7 vorgenommen. Woher soll ich nun wissen, ob Wohnstufe 1 bis 6 verfassungsgemäß ist? Fehlende Prozeduralisierung!

Und das Abstandsgebot zwischen den Besoldungsgruppen wurde überhaupt nicht berechnet, obwohl man Eingangsstufen verschoben hat und zwischen A6 und A8 im Eingang nur noch wenige EUR liegen? Fehlende Prozeduralisierung!

Für 2022 fehlen sämtliche Berechnungen. Fehlende Prozeduralisierung!

Fehlende Prozeduralisierung führt im Übrigen automatisch zur Verfassungswidrigkeit.

--- End quote ---

Du triffst den Nagel auf den Kopf - denn hier liegt ein vorsätzlicher Verfassungsverstoß vor, der also ebenfalls auf einer willkürlichen Bemessung beruht:

Das Bundesverwaltungsgericht hat 2017 und 2018 ein Bemessungsverfahren anhand der Mietenstufen des Wohngeldgesetzes vorgeschlagen (vgl. BVerwG: Beschlus des Zweiten Senats vom 22.09.2017 - 2 C 4.17 -, Rn. 141 f. und BVerwG: Beschluss des Zweiten Senats vom 30.10.2018 - 2 C 32.17 -, Rn. 106-109). Das Bundesverfassungsgericht hat diesen Ansatz in der aktuellen Entscheidung direktiv als nicht realitätsgerecht zurückgewiesen (vgl. in der aktuellen Entscheidung Rn. 52 in Verbindung mit Rn. 56 und 58), um daraus - so wie Du das richtig beschreibst - das sogenannte 95 %-Perzentil als realitätsgerechte Bemessungsgrundlage für eine vierköpfige Familie zu entwickeln:

"Die Höhe der grundsicherungsrechtlichen Kosten der Unterkunft wird realitätsgerecht erfasst, wenn die von der Bundesagentur für Arbeit länderspezifisch erhobenen und in ihrer Auskunft übermittelten Daten über die tatsächlich anerkannten Bedarfe (95 %-Perzentil) zugrunde gelegt werden. Hierbei handelt es sich um den Betrag, mit dem im jeweiligen Jahr bei rund 95 % der Partner-Bedarfsgemeinschaften mit zwei Kindern der anerkannte monatliche Bedarf für laufende Kosten der Unterkunft abgedeckt worden ist. Der Anteil der Haushalte, bei denen ein noch höherer monatlicher Bedarf für die laufenden Kosten der Unterkunft anerkannt worden ist, liegt bei unter 5 %. Auf diese Weise werden die tatsächlich als angemessen anerkannten Kosten der Unterkunft erfasst, während zugleich die statistischen Ausreißer, die auf besonderen Ausnahmefällen beruhen mögen, außer Betracht bleiben. Damit wird sichergestellt, dass die auf dieser Basis ermittelte Mindestbesoldung unabhängig vom Wohnort des Beamten ausreicht, um eine angemessene Wohnung bezahlen zu können." (ebd., Rn. 59)

Das für die Bemessung der Unterkunftskosten zu Grunde zu legende 95 %-Perzentil lag beispielsweise für das Land Berlin 2019 bei 1.450,- €, was im Sinne des BVerfG als realitätsgerecht anzusehen ist. Zwei Jahre später setzt der Bund nun die entsprechenden Unterkunftskosten nur mit 1.171,50 € an (S. 52 im Entwurf), die Judikatur des BVerfG gezielt missachtend und das wie folgt begründend: Jener Betrag in Höhe von 1.171,50 € sei der "Höchstbetrag für die Bruttokaltmiete eines 4-Personenhaushalts in der Mietenstufe VII inkl. eines Sicherheitszuschlags in Höhe von 10 Prozent entsprechend des WoGG 2021" (ebd.).

Dahingegen hat BVerfG darauf hingewiesen, dass die Mietenstufen zur Bemessung von Besoldungsdifferenzierungen herangezogen werden können, aber eben eben nicht zur Bemessung der Unterkunftskosten des Grundsicherungsniveaus. Diesbezüglich hat es deren Verwendung explizit als nicht realitätsgerecht untersagt, was den Bund nun offensichtlich nicht weiter stört, sodass er den gleichen Weg geht wie das Land Berlin, nämlich die Gewaltenteilung aufzuheben und seine eigene Rechtslage zu konstruieren. Denn der Bund nimmt nun nicht den Maßstab des 95 %-Perzentils zur Grundlage seiner Bemessung der Unterkunftskosten, sondern er überträgt die Methodik zur Bestimmung der Mehrkosten von Beamten mit mehr als zwei Kindern auf die Berechnung der Unterkunftskosten für Beamte mit zwei Kindern: Er erklärt also entgegen aller diesbezüglich maßgeblichen Direktiven des BVerfG einen sozial- und besoldungsrechtlichen Sonderfall (die Mehrkosten von Beamten mit mehr als zwei Kindern) zum Regelfall. Darin liegt dann auch der tiefere Sinn, wieso die Ergänzungsbeträge auf die Kinder übertragen werden, da man nur so die verpflichtend zu beachtenden Direktiven des BVerfG gezielt missinterpretieren kann. Das BVerfG hat dahingegen in seinem Verfahren zun den Familienzuschlägen für Beamte mit kinderreicher Familie hervorgehoben:

"Die von der Bundesagentur für Arbeit im Verfahren 2 BvL 4/18 vorgelegte statistische Auswertung ermöglicht eine realitätsgerechte Erfassung der absoluten Höhe der grundsicherungsrechtlichen Kosten der Unterkunft für eine Familie (vgl. BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 4. Mai 2020 - 2 BvL 4/18 -, Rn. 59 [Hervorhebungen durch mich; in Rn. 59 wird das 95 %-Perzentil direktiv betrachtet, vgl. das gerade weiter oben wiedergegebene BVerfG-Zitat der Rn. 59]). Im vorliegenden Verfahren geht es jedoch darum, den Mehrbetrag zu ermitteln, der einer Familie mit drei Kindern im Vergleich zu einer Familie mit zwei Kindern zugestanden wird. Es kommt also auf den relativen Unterschied der Kosten der Unterkunft an. Dieser kann mit Hilfe der von der Bundesagentur vorgelegten Daten, denen eine Auflösung in 50-Euro-Schritten zugrunde liegt [also anhand des 95 %-Perzentils; Anmerkung durch mich], nicht hinreichend genau bestimmt werden.

(4) Für den Fall, dass belastbare Erhebungen zu den tatsächlich angemessenen Kosten der Unterkunft für einen Vergleichsraum in einem bestimmten Zeitraum nicht vorliegen, hat das Bundessozialgericht eine alternative Methode entwickelt, um die grundsicherungsrechtlichen Kosten der Unterkunft bemessen zu können. In einer solchen Situation ist der für den jeweiligen Wohnort maßgebliche wohngeldrechtliche Miethöchstbetrag mit einem Sicherheitszuschlag von 10 % den Berechnungen zugrunde zu legen, weil die Festsetzung aufgrund der abweichenden Zweckrichtung des Wohngeldes nicht mit dem Anspruch erfolgt, die realen Verhältnisse auf dem Markt stets zutreffend abzubilden" (BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 04. Mai 2020 - 2 BvL 6/17 -,  Rn. 49 f.).

Der Bund tut also so, als wären die angemessenen Kosten der Unterkunft nicht zu ermitteln, obgleich die BfA sie durchgehend zur Verfügung stellen kann (insbesondere für die Regionen wie München, in denen die höchsten Unterkunftskosten anfallen); daraufhin tut er weiter so, als könne er die Direktiven aus der Entscheidung 2 BvL 6/17, die diesbezüglich nichts mit der realitätsgerechten Bemessung des Grundsicherungsniveaus für eine vierköpfige Familie zu tun haben, umstandslos über die tatsächlich anzuwendenden Direktiven für eine vierköpfige Familie stellen; am Ende bindet er die Unterkuftskosten an die Familienzuschläge, um das Bemessungsverfahren zur Differenzierung der Familienzuschläge einer fünfköpfigen Familie unstatthaft auf den Regelfall der vierköpfigen Familie zu übertragen - und das stellt er dann so dar, als würde eine sachgerechte Begründung vorliegen. Sehr viel mehr ins Blaue hinein geht's nimmer, denke ich. Denn wie das BVerfG in der Entscheidung 2 BvL 4/18 direktiv hervorhebt, muss einer realitätsgerechter Ansatz zur Bemessung der Unterkunftskosten "so bemessen sein, dass er auch in den Kommunen mit höheren Kosten der Unterkunft das Grundsicherungsniveau nicht unterschreitet" (ebd., Rn. 57). Da durch das Bemessungsverfahrens des Bunds entsprechende Unterschreitungen gegeben sind - nicht umsonst liegen die vom Bund aktuell zu Grunde gelegten Unterkunftskosten knapp 300,- € niedriger als 2019 in Berlin -, ist auch hier ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 gegeben, da Grundsicherungsempfänger rechtwidrig besser gestellt werden als Beamte.

Asperatus:

--- Zitat von: SwenTanortsch am 08.02.2021 17:47 ---Du triffst den Nagel auf den Kopf - denn hier liegt ein vorsätzlicher Verfassungsverstoß vor, der also ebenfalls auf einer willkürlichen Bemessung beruht:

--- End quote ---
Wie aus dem Gesetzentwurf ein Vorsatz abgeleitet werden soll, ist spannend.


--- Zitat von: SwenTanortsch am 08.02.2021 17:47 ---Das für die Bemessung der Unterkunftskosten zu Grunde zu legende 95 %-Perzentil lag beispielsweise für das Land Berlin 2019 bei 1.450,- €,

--- End quote ---
Wo findet sich diese Angabe oder aus welcher Berechnung ergibt sie sich?


--- Zitat von: SwenTanortsch am 08.02.2021 17:47 ---Dahingegen hat BVerfG darauf hingewiesen, dass die Mietenstufen zur Bemessung von Besoldungsdifferenzierungen herangezogen werden können, aber eben eben nicht zur Bemessung der Unterkunftskosten des Grundsicherungsniveaus. Diesbezüglich hat es deren Verwendung explizit als nicht realitätsgerecht untersagt, was den Bund nun offensichtlich nicht weiter stört, sodass er den gleichen Weg geht wie das Land Berlin, nämlich die Gewaltenteilung aufzuheben und seine eigene Rechtslage zu konstruieren.

--- End quote ---
Wo hat das BVerfG das explizit untersagt? Ich finde es nicht. Dass die Gewaltenteilung hier aufgehoben wird, ist eine steile These.


--- Zitat von: SwenTanortsch am 08.02.2021 17:47 ---Es kommt also auf den relativen Unterschied der Kosten der Unterkunft an. Dieser kann mit Hilfe der von der Bundesagentur vorgelegten Daten, denen eine Auflösung in 50-Euro-Schritten zugrunde liegt [also anhand des 95 %-Perzentils; Anmerkung durch mich], nicht hinreichend genau bestimmt werden.

--- End quote ---
Finden sich die Daten der Bundesagentur irgendwo oder woraus ergibt sich die 50-Euro-Stückelung? Wieso sollten diese nicht hinreichend sein?


--- Zitat von: SwenTanortsch am 08.02.2021 17:47 ---Da durch das Bemessungsverfahrens des Bunds entsprechende Unterschreitungen gegeben sind - nicht umsonst liegen die vom Bund aktuell zu Grunde gelegten Unterkunftskosten knapp 300,- € niedriger als 2019 in Berlin -, ist auch hier ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 gegeben, da Grundsicherungsempfänger rechtwidrig besser gestellt werden als Beamte.

--- End quote ---
Woraus ergibt sich dass denn?

Die DPolG hat sich mittlerweile auch zum Gesetzentwurf geäußert:

https://dpolg-bpolg.de/wp/?p=20325

SwenTanortsch:

--- Zitat von: Asperatus am 08.02.2021 20:03 ---
--- Zitat von: SwenTanortsch am 08.02.2021 17:47 ---Du triffst den Nagel auf den Kopf - denn hier liegt ein vorsätzlicher Verfassungsverstoß vor, der also ebenfalls auf einer willkürlichen Bemessung beruht:

--- End quote ---
Wie aus dem Gesetzentwurf ein Vorsatz abgeleitet werden soll, ist spannend.


--- Zitat von: SwenTanortsch am 08.02.2021 17:47 ---Das für die Bemessung der Unterkunftskosten zu Grunde zu legende 95 %-Perzentil lag beispielsweise für das Land Berlin 2019 bei 1.450,- €,

--- End quote ---
Wo findet sich diese Angabe oder aus welcher Berechnung ergibt sie sich?


--- Zitat von: SwenTanortsch am 08.02.2021 17:47 ---Dahingegen hat BVerfG darauf hingewiesen, dass die Mietenstufen zur Bemessung von Besoldungsdifferenzierungen herangezogen werden können, aber eben eben nicht zur Bemessung der Unterkunftskosten des Grundsicherungsniveaus. Diesbezüglich hat es deren Verwendung explizit als nicht realitätsgerecht untersagt, was den Bund nun offensichtlich nicht weiter stört, sodass er den gleichen Weg geht wie das Land Berlin, nämlich die Gewaltenteilung aufzuheben und seine eigene Rechtslage zu konstruieren.

--- End quote ---
Wo hat das BVerfG das explizit untersagt? Ich finde es nicht. Dass die Gewaltenteilung hier aufgehoben wird, ist eine steile These.


--- Zitat von: SwenTanortsch am 08.02.2021 17:47 ---Es kommt also auf den relativen Unterschied der Kosten der Unterkunft an. Dieser kann mit Hilfe der von der Bundesagentur vorgelegten Daten, denen eine Auflösung in 50-Euro-Schritten zugrunde liegt [also anhand des 95 %-Perzentils; Anmerkung durch mich], nicht hinreichend genau bestimmt werden.

--- End quote ---
Finden sich die Daten der Bundesagentur irgendwo oder woraus ergibt sich die 50-Euro-Stückelung? Wieso sollten diese nicht hinreichend sein?


--- Zitat von: SwenTanortsch am 08.02.2021 17:47 ---Da durch das Bemessungsverfahrens des Bunds entsprechende Unterschreitungen gegeben sind - nicht umsonst liegen die vom Bund aktuell zu Grunde gelegten Unterkunftskosten knapp 300,- € niedriger als 2019 in Berlin -, ist auch hier ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 gegeben, da Grundsicherungsempfänger rechtwidrig besser gestellt werden als Beamte.

--- End quote ---
Woraus ergibt sich dass denn?

Die DPolG hat sich mittlerweile auch zum Gesetzentwurf geäußert:

https://dpolg-bpolg.de/wp/?p=20325

--- End quote ---

Was hieltest Du denn davon, wenn Du erst einmal meine Frage von heute morgen beantworten würdest?

Unknown:
Wie hoch muss denn der Mindestabstand zwischen den einzelnen Besoldungsgruppen sein?
Beispielsweise von A5 zu A6 oder A10 zu 11.
Ich bin mir sicher das es hier bereits ausgeführt wurde, nur konnte ich es hier leider nicht mehr finden.

SwenTanortsch:

--- Zitat von: Unknown am 09.02.2021 07:35 ---Wie hoch muss denn der Mindestabstand zwischen den einzelnen Besoldungsgruppen sein?
Beispielsweise von A5 zu A6 oder A10 zu 11.
Ich bin mir sicher das es hier bereits ausgeführt wurde, nur konnte ich es hier leider nicht mehr finden.

--- End quote ---

Das BVerfG geht davon aus, dass der vierte Parameter der ersten Prüfungsstufe - der sog. systeminterne Besoldungsvergleich - die Vermutung einer unzureichenden Alimentation indiziert, wenn die Abstände zwischen Besoldungsgruppen in den zurückliegenden fünf Jahren um mindestens 10 % abgeschmolzen werden (vgl. beispielsweise in der aktuellen Entscheidung die Rn. 45).

Die Gesetzesvorlage stellt aktuell keine Berechnungen zum systeminternen Abstand an, sondern postuliert mit Blick auf und Berechnungen im Rahmen der letzten Besoldungsanpassung, dass sich nichts verändert habe (vgl. im Entwurf S. 50). Das dürfte unter einer rein formalen Betrachtung höchstwahrscheinlich so sein, da formal die Grundbesoldung verglichen wird.

Jedoch wird durch dieses rein formale Vorgehen offensichtlich die Prozeduralisierungspflicht verletzt. Denn am Ende der Betrachtung der fünf Parameter der ersten Prüfungsstufe vollzieht der Entwurf eine - ebenfalls formale - Gesamtabwägung, die aus zwei Sätzen besteht (ebd., S. 50 f.). Prozedural wäre aber zunächst gefordert, dass im Anschluss an die Betrachtung der fünf Parameter der ersten Prüfungsstufe zunächst eine Gesamtbetrachtung zu vollziehen gewesen wäre. In diesem Sinne hebt das BVerfG in seiner aktuellen Entscheidung in regelmäßiger Rechtsprechung hervor:

"Dafür sind zunächst die Feststellungen der ersten Prüfungsstufe, insbesondere das Ausmaß der Über- oder Unterschreitung der Schwellenwerte, im Wege einer Gesamtbetrachtung zu würdigen und etwaige Verzerrungen – insbesondere durch genauere Berechnungen (vgl. oben C. I. 2. a), Rn. 30 ff.) – zu kompensieren." (ebd., Rn. 85).

Da der Bund durch seine Neustrukturierung der Orts-/Familienzuschläge offensichtlich einen Systemwechsel vollzieht, hätte diese Gesamtbetrachtung umfassend ausfallen müssen. In diesem Sinne hebt das BVerfG hervor:

"Prozedurale Anforderungen in Form von Begründungs-, Überprüfungs- und Beobachtungspflichten gelten sowohl bei der kontinuierlichen Fortschreibung der Besoldungshöhe in Gestalt von regelmäßigen Besoldungsanpassungen als auch bei strukturellen Neuausrichtungen in Gestalt von Systemwechseln. Nimmt der Gesetzgeber eine Umgestaltung der Besoldungsstruktur vor, ist zu berücksichtigen, dass ein solcher Wechsel verschiedene Unsicherheitsfaktoren birgt und dass sich seine Tragfähigkeit und Auswirkungen erst allmählich herausstellen. Insoweit steht dem Gesetzgeber für die Etablierung neuer Besoldungsmodelle ein Einschätzungs- und Prognosespielraum zu, der bei der Beurteilung der Amtsangemessenheit in Rechnung zu stellen ist". (BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 14. Februar 2012 - 2 BvL 4/10 -, Rn. 165)

Nach der Gesamtbetrachtung, die die Vorlage also nicht durchführt, da es in nur zwei Sätzen ausschließlich die Gesamtabwägung vollzieht, wäre nun diese Gesamtabwägung zu vollziehen gewesen (vgl. in der aktuellen BVerfG-Entscheidung die Rn. 160). Hier nun sind die Ergebnisse der ersten Prüfungsstufe zusammenzuführen (vgl. ebd., 6. Leitsatz). Spätestens in der Zusammenführung dürfte von Interesse sein, ob der Systemwechsel auch Auswirkungen auf die Abstände zwischen den Besoldungsgruppen haben wird. Und ohne dass ich solche Berechnungen bislang durchgeführt habe, dürfte es sehr wahrscheinlich sein, dass die Zusammenführung deutliche Abschmelzungen zeigen wird, da ja durch den aktuellen Entwurf real sehr große Unterschiede zwischen einzelnen regionalen Besoldungen vollzogen werden.

Um das an einem Beispiel festzumachen: Die Gemeinde Buchholz in der Nordheide mit der Mietenstufe VI liegt in Niedersachsen zentral innerhalb des Kreises Harburg, für den die Mietenstufe III gilt. Weiter grenzt sie unter anderem an die Samtgemeinde Tostedt, für die ebenfalls die Mietenstufe III gilt. Hat nun ein Bundesbeamter mit zwei Kindern seinen Haupwohnsitz in Harburg, erhält er als Zuschlag aus Familienzuschlägen sowie Ergänzungszuschlägen 708,16 €, der Kollege der identischen Behörde, der drei Straßen weiter wohnt, nun aber in der Gemeinde Buchholz, erhielte 1.137,16 € an Zuschlägen. Damit aber dürften mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit die Abstände zwischen Besoldungsgruppen nicht nur eingeschmolzen, sondern ins Gegenteil verkehrt werden. Realitätsgerecht dürfte die Regelung also kaum sein, da der Bund ja keinen reinen Ortszuschlage gewährt, der also ausschließlich die Unterkunftskosten betrachtet, sondern einen Ergänzungszuschlag zum Familienzuschlage, der an die Kinderzahl gebunden wird. Es liegt auf der Hand, dass die Unterhaltskosten eines Kindes in Harburg nicht pro Monat um über 400,- € niedriger liegen als in Buchholz - oder genauer: dass so, wie die Regelung des aktuellen Entwurfs vollzogen wird, eine trennscharfe Abgrenzung nicht möglich ist, eben weil die ökonomische Lebensrealität der Kinder jener beiden Beamten in einem hohen Maße identisch ist. Und Buchholz' und Harburgs gibt es in der Bundesrepublik am Laufenden Band...

Da ein Systemwechsel vollzogen wird, hätte die aktuelle Vorlage also diese oder vielfach ähnliche Gedanken vollziehen und also präzise darlegen müssen, ob ihnen mit dem Entwurf materiell und prozedural Genüge getan wird; dabei könnte er sich nicht auf seinen Einschätzungs- und Prognosespielraum zurückziehen, da solche Einschätzungen und Prognosen wie die gerade getätigten nicht unendlich schwer zu vollziehen sind - tatsächlich wird aber keine Gesamtbetrachtung vollzogen und lautet die Gesamtabwägung wie folgt:

"Es sind auch keine weiteren Umstände ersichtlich, aus denen sich im Wege der gebotenen Gesamtabwägung eine Unangemessenheit der Alimentation im Sinne der Rechtsprechung des BVerfG ergeben könnte. Auf die entsprechenden Ausführungen in der Begründung zum BBVAnpG 2018/2019/2020 (BT-Drucksache 19/4116, S. 48) wird verwiesen." (S. 51).

Letztlich geht der Bund mit dieser Vorlage einen weitgehend ähnlichen Weg wie vormals das Land Berlin, es nimmt an zentralen Stellen Berechnungen ins Blaue hinein vor mit dem Hauptziel, in unstatthafter Weise - also sachwidrig - Personalkosten in sehr großer Höhe einzusparen.

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