Verdi Statement:
Die Vereinigung der kommunalen Arbeitgeber (VKA) hat uns gestern am späten Nachmittag mitgeteilt, dass die Auszahlung der vereinbarten Tariferhöhung von 1,4 Prozent ab 1. April 2021 zunächst nicht erfolgen soll.
Keine Tariferhöhung zum April!
Eine größere Missachtung der Leistungen der Beschäftigten gerade in Zeiten einer Pandemie ist kaum vorstellbar. Schon in der Tarifrunde hatten die Arbeitgeber ganz offensichtlich versucht, die Situation auszunutzen in der Erwartung, dass die Beschäftigten nicht in der Lage sind, ihre berechtigten Interessen wegen der Corona-bedingten Einschränkungen durchzusetzen. Jetzt kommt die nächste Provokation. So sieht Sozialpartnerschaft in einer Ausnahmesituation aus!
Zähe Umsetzung der Tarifeinigung
Die Tarifeinigung vom 25. Oktober 2020 hat neben den Tariferhöhungen eine ganze Reihe von Punkten. Üblich ist, dass es einige Zeit dauert, bis diese Punkte in konkrete Tarifvertragstexte umgesetzt sind. Dies findet in sogenannten Redaktionsverhandlungen zwischen Arbeitgebern und Gewerkschaft statt. In mehreren ganztägigen Treffen wurden Details in 20 einzelnen Änderungstarifverträge geklärt. Von den Arbeitgebern erhielten wir ständig neue Entwürfe der Tarifverträge, zuletzt am 10. Februar. Immer wieder musste über einzelne Punkte nachverhandelt werden, so über den Zeitpunkt der Erhöhung des Samstagszuschlags in der Pflege oder die Umsetzung der Änderungen bei der leistungsorientierten Bezahlung (sogenannte „Gießkanne“).
Beim bisher letzten Treffen am Dienstag dieser Woche waren alle Punkte soweit geklärt und einzig und allein noch die Umsetzung von Punkt 5. a) des Einigungspapiers strittig: die Umwandlung von Teilen des Entgelts zum Zwecke des Leasings von Fahrrädern.
Fahrradleasing wichtiger als die Beschäftigten
Es hat seinen Grund, warum gerade über diesen Punkt der Tarifeinigung zuletzt verhandelt wurde. Ende Dezember hat der Gesetzgeber ein größeres Gesetzespaket verabschiedet, das auch eine Änderung bei steuerrechtlichen Fragen zum Thema Entgeltumwandlung enthält. Die Auslegung dieser Änderung war nicht eindeutig. Das sah auch die VKA so. Daher haben wir uns in einem gemeinsamen Schreiben mit der VKA an den Bundesminister der Finanzen mit der Bitte um Aufklärung gewendet. Verabredet war, dass wir die tarifvertragliche Umsetzung des Fahrradleasings zurückstellen, bis die steuerrechtlichen Fragen geklärt sind. Die Antwort aus dem Bundesfinanzministerium ging bei uns am 24. Februar ein.
Klärungsbedarf um mögliche Nachzahlungen zu vermeiden
Die Antwort lässt weiterhin Fragen offen, auch die VKA räumte ein, dass die Antwort eher kryptisch sei – etwas unklar und nicht leicht zu deuten. Es geht um die Frage, ob der Teil des Entgelts, der für die Leasingrate verwendet wird, tatsächlich steuer- und sozialversicherungsfrei ist und wie dazu die Bedingungen für die Entgeltumwandlung genau aussehen müssen. Denn die Ersparnis von Steuern und Sozialversicherungsabgaben ist genau der Aspekt, der den Fahrradkauf für Beschäftigte günstiger machen soll – und attraktiv für Arbeitgeber, die ihren Teil der Sozialversicherungsabgaben ebenso einsparen.
Immer wieder gibt es Urteile zu Modellen der Entgeltumwandlung, bei denen Sozialversicherungsträger bei der Nachforderung von Sozialversicherungsbeiträgen Recht bekommen – zuletzt ein Urteil des Bundessozialgerichts vom 23. Februar 2021. Im Interesse der Beschäftigten wie der kommunalen Arbeitgeber ist es daher wichtig, Rechtssicherheit zu haben.
Trotz des weiterhin bestehenden Klärungsbedarfs waren und sind wir bereit zur tarifvertraglichen Umsetzung der Entgeltumwandlung für Fahrradleasing, um die Umsetzung der Tarifeinigung insgesamt nicht zu gefährden. Jetzt benutzt die VKA genau die Umsetzung als Druckmittel, um die Entgeltumwandlung für Fahrradleasing ganz in ihrem Interesse zu regeln!
Arbeitgeber wollen sich mit Fahrradleasing schmücken ohne jegliche Verpflichtung
Zur unklaren Rechtslage hat sich die VKA zunächst eine besondere Provokation einfallen lassen: Das Risiko einer möglichen Nachzahlung von Steuern und Sozialversicherungsbeiträgen sollte auf die Beschäftigten übertragen werden können!
Auch sonst verfährt die VKA bei allen ihren Vorschlägen zur Umsetzung nach der Devise „keinerlei Verpflichtungen für den Arbeitgeber“. Doch als Arbeitgeber mit attraktiven Angeboten gut dastehen, das wollen sie – nur eben da, wo es ihnen passt. Ob Beschäftigte die Möglichkeit erhalten, ein Fahrrad via Entgeltumwandlung zu leasen, hinge nur vom Gutdünken des Arbeitgebers ab. Ob Arbeitgeber sich um Fahrradabstellplätze bemühen sollten oder Beschäftigte E-Bikes aufladen können, soll nicht einmal als Möglichkeit oder Anregung in den Tarifvertrag. Das seien alles Fragen, die von den Betriebsparteien vor Ort geklärt werden könnten.
Über diese Fragen wäre in der letzten Verhandlungsrunde am Dienstag sicherlich noch eine Einigung möglich gewesen. Die VKA wollte sich jedoch in keiner Form auf einen irgendwie gearteten Anspruch von Beschäftigten auf Entgeltumwandlung für Fahrradleasing tarifvertraglich festlegen. Auch nicht einen abgeschwächten, der Ausnahmen zum Beispiel für Arbeitgeber mit nur sehr wenigen Beschäftigten möglich machen würde. Dazu müsse sie sich zuerst organisationsintern verständigen.
Erst auf unsere Initiative hin wurde ein weiterer Termin zur Klärung dieser letzten Frage für den 11. März vereinbart.
Provokation für alle Beschäftigten
Das Vorgehen der VKA ist beispiellos. Eine solche Provokation kurz vor Abschluss der Umsetzung der Tarifeinigung ist ungehörig und scharf zu verurteilen!
Daher informieren wir alle Kolleginnen und Kollegen. Denn alle sind betroffen, egal ob sie jemals ein Fahrrad leasen wollen oder nicht. Alle werden durch die Verweigerung der Tariferhöhung abgestraft, weil der VKA Fahrradleasing wichtiger ist als die Beschäftigten.
Thematisiert dieses skandalöse Verhalten der VKA bei euch vor Ort! Sprecht eure Bürgermeister*innen und Personalverantwortlichen an. Fragt sie, ob sie mit solchen Provokationen ihres Arbeitgeberverbands einverstanden sind. Hier findet ihr das Schreiben der VKA.
Wenn wir uns gegen solches Verhalten nicht zur Wehr setzen, drohen bald die nächsten Provokationen.
Christine Behle
stellvertretende ver.di-Vorsitzende