Beamte und Soldaten > Beamte der Länder
[SH] Widerspruch amtsangemessener Alimentation / Sonderzahlung
SwenTanortsch:
Die Aussage "'Die Verfahren aus Schleswig-Holstein werden derzeit bearbeitet', bestätigte ein Sprecher des Verfassungsgerichts" ist die typische Formulierung des Bundesverfassungsgericht, vgl. bspw.
https://www.berliner-besoldung.de/wp-content/uploads/2022/03/Entscheidung_nicht_2022_anonym.png
https://www.berliner-besoldung.de/wp-content/uploads/2022/03/BVerfG_Antwortschreiben-vom-24.03.2022.pdf
Dennoch halte ich es für wahrscheinlich, dass nach der angekündigten Entscheidung über die anhängige konkrete Normenkontrollverfahren des Verwaltungsgerichts der Freien Hansestadt Bremen (2 BvL 2/16 bis 6/16) Geschwindigkeit in die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts kommt. Denn wenn ich es richtig sehe, könnte das Bundesverfassungsgericht mit jener Entscheidung den mit dem Urteil vom 14.02.2012 - 2 BvL 4/10 - eingeleiteten Rechtsprechungswandel insofern zu einem vorläufigen Ende bringen, als dass nun die letzten substanziellen Fragen zur neuen, also seit 2012 entwickelten Besoldungsdogmatik beantwortet werden. Sofern das der Fall wäre, bedürfte es keiner Senatsentscheidungen mehr, sondern dann wären Kammerentscheidungen nach § 81a BVerfGG möglich, was hieße, dass nun nicht mehr der sechsköpfige Senat, sondern eine aus nur drei Richtern bestehende Kammer die jeweilige Entscheidung in den heute mehr als 40 offenen Normenkontrollverfahren fällen würde.
Kammerentscheidungen trifft das Bundesverfassungsgericht in dem Moment, wenn ein Fall auf Grundlage der vorliegenden Dogmatik von vornherein klar ist, sodass es nicht mehr nötig ist, noch den Senat entscheiden zu lassen. Voraussetzung für einen Kammerbeschluss ist die Einstimmigkeit (deshalb muss eine ausgeformte Dogmatik vorliegen, die wiederum zu einem von vornherein klaren Ergebnis führt). Das Ziel der Anwendung von Kammerbeschlüssen ist es, die generell immer (zu) hohe Zahl an konkreten Normenkontrollverfahren beschleunigt bearbeiten und entscheiden zu können.
Denn Senatsbeschlüssen geht zunächst die umfangreiche Bearbeitung des Falls durch den Berichterstatter und seine wissenschaftlichen Mitarbeiter voraus. Der Berichterstatter erstellt zunächst die Vorlage für ein Votum. Hierzu wird das Klageverfahren als Ganzes mitsamt der dafür notwendigerweise zu beachtenden Rechtsprechung der Vergangenheit betrachtet, einschließlich der Sichtung der maßgeblichen rechtswissenschaftlichen Literatur. Ist die Vorlage erstellt, beinhaltet sie ebenfalls einen Entscheidungsvorschlag. Auf Grundlage dieses Vorlage erfolgt dann die in vielen Fällen langwierige Beratung des Senats, die eben das Für und Wider für oder gegen den Entscheidungsvorschlag diskutiert und abwägt. Nicht selten wird dabei die Vorlage - insbesondere in im Senat strittigen Fällen - wiederholt um weitere Argumente ergänzt, ggf. sogar noch einmal (ganz) neu geschrieben, je nachdem, welche der kontroversen Argumente sich in der Beratung durchsetzen. Am Ende der Beratung steht schließlich die Senatsentscheidung, also ein mit Mehrheit für oder gegen den Entscheidungsvorschlag getroffenes Votum des Senats, womit die Entscheidung des Senats feststeht. Auf Grundlage der Beratung und des Votums arbeitet der Berichterstatter im Anschluss das Votum als sog. Entscheidungsentwurf aus. Im Anschluss wird dann dieser Entwurf erneut vom Senat in der sog. Leseberatung ggf. noch einmal ausführlich diskutiert und auch verändert (ohne dass sich das Votum oder die Entscheidung noch änderte). Dieses umfangreiches Procedere - das nach Möglichkeit gerne zu einer einstimmigen oder deutlichen Mehrheitsentscheidung geführt wird, weshalb es ggf. langwierige beratende Diskussionen um das Für und Wider von Argumenten gibt - ist der tiefere Grund, wieso Senatsentscheidungen vielfach recht lange dauern. Denn sie sind vielfach mit der Erweiterung oder gar dem Bruch einer bestehenden Dogmatik verbunden. Auch deshalb fallen weniger als ein Prozent aller bundesverfassungsgerichtlichen Entscheidungen als Senatsentscheidungen und also mehr als 99 Prozent als Kammerentscheidungen. Bislang waren Senatsentscheidungen nötig, da das Bundesverfassungsgericht seit 2012 eine vollständig neue Dogmatik zum Besoldungsrecht entwickelt hat, die den weiten Entscheidungsspielraum des Gesetzgebers zunehmend eingeengt hat. Mit der nun anstehenden Entscheidung könnte diese Dogmatik praktisch abgeschlossen vorliegen, sodass keine Senatsentscheidungen mehr nötig wären, was wiederum zu einer deutlichen Beschleunigung der Verfahren führen dürfte.
Denn da bei Kammerentscheidungen davon auszugehen ist, dass der Fall - auf Grundlage der vorhandenen Dogmatik - klar ist, was dazu führt, dass es i.d.R. keine Beratung gibt, erstellt der Berichterstatter zunächst einen vollständigen Begründungsentwurf, über den dann im sog. Umlaufverfahren entschieden wird, soll heißen, wenn es keinen Widerspruch von den anderen beiden Richtern gibt, erfolgt das Votum ohne Beratung. Ist dieses Votum einstimmig - und das ist es i.d.R., da die zugrunde zu legende Dogmatik den Fall klar macht -, ist die Entscheidung gefallen. Kann keine Einstimmigkeit hergestellt werden - was ob der wegen der Dogmatik i.d.R. gegebenen Klarheit des Falls eben weit überwiegend nicht geschieht -, kommt es zu einer Senatsentscheidung. Senatsentscheidungen werden in jedem Fall in der Amtlichen Sammlung "Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts" veröffentlicht, sie weisen vielfach eine umfassende Begründung der Entscheidung auf; beides gilt für Kammerentscheidungen vielfach nicht.
Der langen Rede kurzer Sinn: Nach der für dieses Jahr angekündigten und wohl im nächsten Jahr zu fällenden Entscheidung über die Bremer Vorlagebeschlüsse wissen wir mit einer nicht geringen Wahrscheinlichkeit mehr. Diese Vorlagebeschlüsse ermöglichen es dem Bundesverfassungsgericht sowohl hinsichtlich przozeduraler als auch materieller Fragen eindeutige Antworten zu geben. Das dürfte der Grund sein, vermute ich, dass genau diese Vorlagebeschlüsse ausgewählt worden sind.
Nordlicht97:
Letzte Woche gab's offenbar ein Schreiben der DGB-Gewerkschaften aus S-H mit folgendem Inhalt:
"Besoldung und Versorgung:
Sachstand der amtsangemessenen Alimentation in Schleswig-Holstein
Mit der Kürzung bzw. Streichung der Sonderzahlung im Jahr 2007 war seitdem stets die jährliche Zusage des Finanzministeriums verbunden, dass im Falle einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes zu den Musterverfahren gegen das Land die entsprechende Entscheidung für alle Beamtinnen und Beamten gelten sollte. Eigene Anträge und Klagen auf amtsangemessene Alimentation waren damit bisher nicht notwendig. Es wurden durch die Gewerkschaften Musterverfahren geführt, andere Anträge wurden ruhend gestellt. Mittlerweile liegen die Musterverfahren dem Bundesverfassungsgericht vor. Zu einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes könnte es im Jahr 2023 kommen. Eine Gleichbehandlung aller Beamtinnen und Beamten mit den Klägerinnen und Klägern wird nach den bisherigen Zusagen für die Jahre 2007 bis 2021 erfolgen.
Keine Gleichbehandlungszusage mehr ab 2022
Für 2022 ist aktuell keine Gleichbehandlungszusage des Landes mehr für alle Beamtinnen und Beamten geplant. Das Finanzministerium geht vielmehr davon aus, dass mit den im Frühjahr 2022 beschlossenen Besoldungsgesetzen eine verfassungsgemäße Alimentation für das Jahr 2022 sichergestellt ist. Das Finanzministerium beabsichtigt deshalb, Anträge und Klagen auf amtsangemessene Alimentation im Jahr 2022 nicht mehr ruhend zu stellen, sondern einzeln zu bescheiden. Dann bleibt es den Antragstellerinnen und Antragsstellern überlassen, ob sie nach Durchführung eines erfolglosen Widerspruchsverfahrens Klage vor dem Verwaltungsgericht erheben.
Hintergrund ist, dass in den Jahren 2021 und 2022 auf Druck der Gewerkschaften und zur Sicherung einer amtsangemessenen Alimentation eine Reihe von besoldungsrechtlichen Maßnahmen beschlossen wurden. Hierzu gehörte unter anderem eine Erhöhung des Familienzuschlags um 40 Euro pro Kind, die Erhöhung der Besoldung und Versorgung um zusätzlich ein Prozent neben der zeit- und wirkungsgleichen Übernahme der tariflichen Steigerungen und die Streichung unterer Besoldungsgruppen. Hinzu kommt, dass das Bundesverfassungsgericht in seinen bisherigen Entscheidungen von einem rückwärtigen Betrachtungszeitraum von 15 Jahren bei der Prüfung der amtsangemessenen Alimentation ausgeht. Da die Kürzung bzw. Streichung der Sonderzahlung nun mehr als 15 Jahre zurückliegt, kommt sie ab 2022 bei der Prüfung der amtsangemessenen Alimentation nicht mehr zum Tragen. Beide Faktoren zusammen führen dazu, dass die Landesregierung nun ab 2022 von einer amtsangemessenen Alimentation ausgeht.
Was bedeutet das nun konkret?
Wie bereits dargelegt, gibt es eine Gleichbehandlungszusage des Finanzministeriums mit den Klägerinnen und Klägern der Musterverfahren für die Jahre 2007 bis 2021. Ob und in welchem Umfang es hier zu Nachzahlungen kommen wird, hängt von der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes und dem anschließend eventuell notwendigen Gesetzge-bungsverfahren ab.
Ab dem Jahr 2022 müssten Beamtinnen und Beamten eigene Anträge auf amtsangemessene Alimentation einreichen und nach dem Widerspruchsverfahren Klage erheben. Die Erfolgsaussichten hierfür sind angesichts der oben skizzierten Rahmenbedingungen allerdings als gering einzuschätzen. Der DGB und seine Gewerkschaften rufen deswegen nach dem aktuellen Stand im Jahr 2022 nicht zu Anträgen auf amtsangemessene Alimentation auf und werden hierfür voraussichtlich auch keinen Rechtsschutz gewähren.
Eine besondere Situation ergibt sich jedoch bei Beamtenfamilien, die aufgrund der Einbeziehung des Familieneinkommens keinen Anspruch auf die neuen Familienergänzungszuschläge haben. Dies betrifft insbesondere kinderreiche Beamtenfamilien mit Doppeleinkommen oberhalb der neuen Freigrenzen. Hier besteht die Möglichkeit, durch Anträge, Widersprüche und Klagen eine rechtliche Überprüfung der neuen Regelungen herbeizuführen. Die Gewerkschaften des DGB werden hier im Einzelfall auf Antrag von Mitgliedern über die Gewährung von Rechtsschutz entscheiden.
Wie geht es weiter? Was ist noch offen?
Wie sich das Besoldungs- und Versorgungsrecht in Schleswig-Holstein weiter entwickeln wird, hängt stark von den weiteren Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichtes ab. Offen sind dabei nicht nur die Musterverfahren aus Schleswig-Holstein, die anlässlich der Kürzung bzw. Streichung der Sonderzahlung eingereicht wurden. Offen ist auch, welche Maßstäbe das Bundesverfassungsgericht an eine amtsangemessene Alimentation von Versorgungsempfängerinnen und Versorgungsempfängern anlegen wird. Hierzu liegen dem Bundesverfassungsgericht ebenfalls Vorlagebeschlüsse aus anderen Ländern vor. Die bisherige Rechtsprechung bezieht sich ausschließlich auf die amtsangemessene Alimentation aktiver Beamtinnen und Beamter. Nach entsprechenden Entscheidungen werden eventuell Gesetzesanpassungen im Besoldungs- und Versorgungsrecht notwendig. Diese werden der DGB und seine Gewerkschaften politisch eng begleiten.
Ebenfalls noch offen ist die Frage, welche Auswirkungen die Einführung des Bürgergeldes ab dem Jahr 2023 auf die Besoldung haben wird. Hier ist ein Mindestabstand zu den untersten Besoldungsgruppen einzuhalten. Entsprechende Berechnungen müssen allerdings eine Vielzahl von Faktoren berücksichtigen und liegen aktuell noch nicht vor. Hier sind aber durchaus rückwirkende Regelungen durch den Gesetzgeber möglich. Der DGB und seine Gewerkschaften bleiben auch hier am Ball."
Ich weiß ehrlich nicht, was ich dazu sagen soll.
Die Gewerkschaften rufen dazu auf, keinen Widerspruch einzulegen?!
Die gehen doch nicht wirklich davon aus, dass die Alimentation jetzt verfassungskonform ist mit den bisherigen Maßnahmen?
Und offenbar halten sie die Einbeziehung von Familieneinkommen für eine rechtssichere Maßnahme...
Irgendwie kann ich gerade nur den Kopf schütteln...
Finanzer:
@Nordlicht: Mit Kopfschütteln ist es dabei echt nicht mehr getan.
In anderen Bundesländern schafft es zumindest die regionale Dependance des Deutschen Richterbundes sich ordentlich zu der Thematik zu äussern... wie sieht es mit dem SH-Ableger aus?
tantekaethe:
Ich habe folgendes von der DSTG-SH (inkl. Widerspruchsformular) bekommen:
--- Zitat ---Liebe Kolleginnen und Kollegen,
infolge der im Jahr 2007 vorgenommen Streichung bzw. Kürzung der jährlichen Sonderzahlung („Weihnachtsgeld“) sind wir auf politischer und juristischer Ebene aktiv, um diesen nach unserer Überzeugung ungerechtfertigten und rechtswidrigen Eingriff zu korrigieren. Durch neue Entwicklungen sehen wir uns durchaus bestätigt. Gern informieren wir Sie über die aktuelle Lage:
Bekanntlich ist es gelungen, Musterfällen aus Schleswig-Holstein dem Bundesverfassungsgericht vorzulegen. Da kürzlich Stellungnahmen angefordert wurden, spricht einiges dafür, dass in absehbarer Zeit – hoffentlich in 2023 – eine Entscheidung ansteht. Der dbb hat Stellungnahmen abgegeben und unsere Überzeugung, dass die Kürzungen ein wesentlicher Grund für eine verfassungswidrige Alimentation sind, untermauert. Da es auch gelungen ist, dass das Land im Falle einer Verurteilung Nachzahlungen für die Jahre 2007 bis 2021 zugesagt hat, wird es sehr spannend und hoffentlich gerechtigkeitsfördernd.
Davon losgelöst ist die Situation ab dem Jahr 2022 zu sehen. Das Land hat Korrekturen im Besoldungsrecht vorgenommen und geht davon aus, damit die verfassungsrechtlichen Anforderungen zu erfüllen. Das sehen wir allerdings anders. Die Konzentration auf familienbezogene Leistungen und die Abhängigkeit vom Familieneinkommen ist erneut verfassungsrechtlich bedenklich und lässt viele von den Kürzungen Betroffene weiterhin vollständig im Regen stehen. Das kann uns nicht zufrieden stellen. Deshalb gehen wir auch gegen die neue Rechtslage vor. Der dbb sh hat dafür einige Musterfälle ausgewählt. Unser Ziel sind Korrekturen des Besoldungsrechts.
Ob und in welcher Höhe für den Fall einer erfolgreichen Verfassungsbeschwerde auch rückwirkende Ansprüche ab dem Jahr 2022 realistisch sind, kann derzeit kaum beurteilt werden. Für die Absicherung eventueller Ansprüche wären Anträge an den Dienstherren erforderlich. Diese würden nach dem Stand der Dinge allerdings auch jeweils ein Klageerfordernis nach sich ziehen, da das Land keine Bereitschaft erkennen lässt, Anträge ruhend zu stellen.
Mitglieder, die ungeachtet dessen sicherstellen möchten, dass eventuelle Ansprüche auch des Jahres 2022 nachgezahlt werden, müssten noch in diesem Jahr einen entsprechenden Antrag stellen. Dafür kann auf das von uns bereitgestellte Muster zurückgegriffen werden.
Sobald neue relevante Erkenntnisse vorliegen, werden wir darüber entscheiden, ob wir unsere Mitglieder zu einem späteren Zeitpunkt geschlossen zur Antragstellung aufrufen.
Wir bitten um Mitteilung, wenn Sie einen Antrag gestellt haben, um Sie über das weitere Vorgehen – auch hinsichtlich eventueller Klageerfordernisse - zu informieren. Unabhängig davon werden wir über unsere üblichen Informationswegen über die weitere Entwicklung informieren.
Viele Grüße
Michael Jasper
Landesvorsitzender
DSTG Schleswig-Holstein
--- End quote ---
Was ist jetzt richtig, doch Widerspruch einlegen?
Finanzer:
--- Zitat von: tantekaethe am 12.12.2022 10:17 ---
Was ist jetzt richtig, doch Widerspruch einlegen?
--- End quote ---
Das sollten Sie. Sie haben nichts zu verlieren und sehr viel zu gewinnen.
Navigation
[0] Message Index
[#] Next page
[*] Previous page
Go to full version