edit-Vorwort:
Zwei Lesarten - ein Beschluss
Vielleicht erklaert sich ein Teil der aktuellen Missverstaendnisse dadurch, dass derselbe Beschluss mit sehr unterschiedlichen Erwartungshorizonten gelesen wird.
Die allgemeine Forumslesart ist nachvollziehbar normativ gepraegt: Man liest das Urteil als Fortschreibung verfassungsrechtlicher Massstaebe und fragt primaer danach, "Wat nu, Gesetzgeber? Was musst du tun?". In dieser Perspektive erscheint die neue Prekaritaetsschwelle als klare Anhebung der Untergrenze, das Thema Partnereinkommen als weitgehend erledigt und der Beschluss insgesamt als ein weiterer Schritt hin zu einer materiell spuerbaren Verbesserung der Alimentation.
Die Lesart eines Grundsaetzers ist strukturell eine andere. Dort wird ein solcher Beschluss weniger als Handlungsanweisung, sondern als neuer Rahmen mit definierten Bindungen und verbleibenden Spielraeumen gelesen. Die zentrale Frage lautet nicht, was rechtspolitisch wuenschenswert waere, sondern wo die verfassungsrechtlichen Leitplanken verlaufen und wie sich innerhalb dieser noch steuerungsfaehige Modelle begruenden lassen.
Bei einer Tagung in Bad Godesberg sagte einer aus dem BMF mal zu mir:
Urteile beenden keine ministeriellen Prozesse...sie strukturieren den naechsten Durchgangfind ich nach wie vor nach all den Jahren klasse

Trennung.
@alle Verfassungsblogleser hier im Forum
Der verlinkte Beitrag trifft einen wichtigen Punkt, allerdings weniger dort, wo viele jetzt reflexartig hinschauen. Entscheidend ist nicht die bloße Feststellung, dass die Prekaritaetsschwelle hoeher liegt als fruehere Mindestabstaende...denn das ist letztlich nur die rechnerische Konsequenz.
Spannend ist vielmehr, welche Denkrichtung das Gericht damit vorgibt und welche es
bewusst offenlaesst 
Die neue Schwelle zwingt den Gesetzgeber, sich nicht mehr hinter Existenzsicherungsargumenten zu verstecken. Gesellschaftliche Teilhabe als Massstab ist qualitativ etwas anderes und bislang ausschliesslich Lagerfeuerromantik. Gleichzeitig laesst das Gericht aber Raum fuer Typisierung, Vergleichsbetrachtungen und modellhafte Annahmen. Genau in dieser Spannung zwischen erhoehtem Anspruch und offener Ausgestaltung liegt der Kern des Problems und der Grund, warum von einem
Befreiungsschlag keine Rede sein kann.
Das gilt insbesondere fuer die Frage des Partnereinkommens. Dass das BVerfG hier Entwicklungsoffenheit signalisiert, ist kein Freibrief, sondern eher eine Warnung: Wer versucht, die neue Schwelle ueber Haushaltsbetrachtungen „einzufangen“, bewegt sich sehr schnell an der Grenze zur Aufloesung der bilateralen Struktur des Dienstverhaeltnisses. Ob und wie weit das verfassungsrechtlich traegt, ist gerade
nicht entschieden ...sondern
vertagt.
Insofern wuerde ich den Beschluss weniger als Richtungsentscheidung im Detail lesen, sondern als Verschiebung der Argumentationslast. Der Gesetzgeber kann nicht mehr mit Minimalabstaenden operieren, er muss seine Modelle jetzt substantiell rechtfertigen. Dass er dabei versuchen wird, fiskalische Steuerungslogik, Typisierung und zeitliche Streckung weiterhin maximal auszureizen, ist keine Unterstellung, sondern Erfahrung.
Das Urteil macht es dem Gesetzgeber schwerer, aber nicht unmoeglich. Es erhoeht den Preis fuer schlechte Gesetze, garantiert aber keine guten. Unterschaetzt bitte nicht die Beharrungskraefte im Besoldungsrecht.
Um es mit Helmut Schmidt's Worten zu sagen:
"...denn das Grundgesetz erlaubt sowohl schlechte Politik als auch gute Politik.
Schlechte Politik ist nicht grundgesetzwidrig, die ist bloß schlecht."