Autor Thema: Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)  (Read 5961813 times)

SwenTanortsch

  • Erweiterter Zugriff
  • Hero Member
  • *
  • Beiträge: 2,536
Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #16680 am: 22.06.2025 09:18 »
Ich kann Deinen Frust und die daraus resultierende Enttäuschung verstehen, Tom, insbesondere, weil sie leider berechtigt sind.

Allerdings wird es nun offensichtlich in der zweiten Jahreshälfte die angekündigten Entscheidungen geben. Dabei dürfen wir davon ausgehen, dass dem Senat ebenfalls die Entwicklung der Bundesbesoldung bekannt ist, wie sie unlängst hier in der Abb. 4 auf der Seite 7 f. dargestellt worden ist: https://www.thueringer-beamtenbund.de/fileadmin/user_upload/www_thueringer-beamtenbund_de/pdf/2025/Schriftliche_Zusammenfassung_Teilnehmerunterlagen.pdf. Diese Entwicklung kann er - denke ich - nicht unbeachtet lassen, nicht zuletzt, da ja die Kompetenz zur Besoldungsgewährung in Länderhand und also die Reföderalisierung des Besoldungsrechts erst 2006 vollzogen worden ist, weshalb sie sich mindestens bis 2003, als die Länder wieder das Sonderzahlungsrecht erlangt haben, bundeseinheitlich dargestellt hat.

Darüber hinaus gehe ich zwischenzeitlich davon aus, dass sich die Betrachtung von Partnereinkommen bei der Bemessung der amtsangemessenen Alimentation zweifelsfrei als evident sachwidrig anhand der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nachweisen lässt. Sofern diese Sicht auf die Dinge nicht gänzlich falsch sein sollte, dürfte es - denke ich - bis zu einem gewissen Grad nicht unwahrscheinlich sein, dass der Senat darauf bspw. in einem Obiter Dictum eingehen wird, da er sich ja nun mit den aktuellen Entscheidungen anschickt, "in Pilotverfahren Leitlinien zu entwickeln, anhand derer die zahlreichen Vorgänge einer zügigeren Beendigung zugeführt werden" sollen (BVerfG, Beschluss vom 21.12.2023 -- 2 BvL 3/19 - Vz 3/23 -, https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2023/12/vb20231221_vz000323.html, Rn. 3). Nicht umsonst hat die Beschwerdekammer vor anderthalb Jahren weiterhin ausgeführt, dass es "sich als effizient für die Bearbeitung aller anderen Vorlagen erweisen [wird], zunächst solche Verfahren auszuwählen, die möglichst viele der zur Entscheidung gestellten Probleme aufwerfen und damit die Gelegenheit bieten, eine aktuelle Grundlage für die Befassung mit den nachfolgenden Verfahren zu schaffen, insbesondere die Frage zu klären, welche Sach- und Rechtsfragen in der vorliegenden verfassungsgerichtlichen Judikatur noch nicht behandelt worden sind und ob Anlass besteht, diese Judikatur im Hinblick auf seit den letzten Entscheidungen eingetretene Entwicklungen erneut zu hinterfragen" (Rn. 8 ).

Ergo: Es wird alsbald Bewegung ins Thema kommen - und sie wird danach nicht mehr abreissen, da wir davon ausgehen sollten, dass die angekündigten Entscheidungen deutlich ausfallen werden und dass im Anschluss das passiert, was der Berichterstatter in seiner Stellungnahme in Aussicht stellt, eine zügigere Entscheidung über die anhängigen Verfahren, deren Zahl mittlerweile auf über 60 angewachsen ist, sodass der Senat über genügend Möglichkeiten verfügen dürfte, das Thema regelmäßig auf die Tagesordnung zu setzen.
« Last Edit: 22.06.2025 09:29 von SwenTanortsch »

PolareuD

  • Hero Member
  • *****
  • Beiträge: 1,295
  • Bundesbeamter
Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #16681 am: 22.06.2025 15:54 »
Der Kommentar klingt ein wenig danach u.a. leistungsabhängige Besoldungskomponenten einzuführen. Swen hatte sich ja auch, wenn ich mich recht entsinne, in der Richtung geäußert.

https://www.wiwo.de/finanzen/steuern-recht/behoerden-verwaltungsreform-raus-aus-der-komfortzone/100136309.html

emdy

  • Sr. Member
  • ****
  • Beiträge: 664
Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #16682 am: 22.06.2025 16:40 »
Die Experten von der WiWo wollen den öffentlichen Dienst also mit einer weiteren Wasserkopfbehörde aufblähen. Die aktuelle Lage zeigt: Ein „Weiter so“ ist keine Option mehr. Wir benötigen eine Verwaltung, die nicht nur verwaltet, sondern handelt.

In zehn Jahren wird alles genauso versteinert sein wie heute. Der Fisch stinkt vom Kopf. Ein Mentalitätswechsel könnte jederzeit vorgelebt werden, wird er aber nicht. Bestimmt auch nicht von unseren neuen Quereinsteigerministern. Es fehlt vor allem an Konsequenzen für Führungspersonal, das nicht Teil der Lösung sondern Teil des Problems ist. Jedes Jahr mehr Berichtspflichten, mehr sinnlose B-Besoldete und stets wiegt das Wort des Beraters mehr als das des langjährigen Mitarbeiters.

HochlebederVorgang

  • Full Member
  • ***
  • Beiträge: 329
Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #16683 am: 22.06.2025 16:45 »
Und diejenigen, die etwas bewirken, erhalten die Prämie o.ä. sowieso nicht. Die werden ja bereits nicht befördert.

In Teilen liegt der Artikel schon richtig. Aber die Grütze, die man vielerorts über Jahre an Bord genommen hat, weil die Ambitionierten den ÖD nicht attraktiv genug finden, muss man erstmal los werden. Die bestimmt nämlich gerade das Business.

Alles voller Mitschwimmer und Ja-Sager.

Und etwas Weiteres ist richtig: Es ist leider viel zu schwierig, den Öffentlichen Dienst zu verlassen (PKV+Beihilfe, in Teilen noch Nachversicherung, 5-jähriges Tätigkeitsverbot etc.). Unabhängig davon, dass man in Deutschland erst einmal den Malus loswerden muss, dort überhaupt gearbeitet zu haben.
« Last Edit: 22.06.2025 16:54 von HochlebederVorgang »

SwenTanortsch

  • Erweiterter Zugriff
  • Hero Member
  • *
  • Beiträge: 2,536
Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #16684 am: 22.06.2025 18:00 »
Der Beitrag ist bemerkenswert, weil in seiner sachlichen Analyse wiederkehrend schlüssig und also bedenkenswert. Er macht sich dabei allerdings zwei problematische Prämissen und eine wenig realistische Grundvoraussetzung zu eigen.

Die erste probematische Prämisse ist, dass sich das Berufsbeamtentum als Folge der es leitenden hergebrachten Grundsätze nicht im Sinne eines wiederkehrenden Hin- und Zurückwechselns zwischen ihm und der privaten Wirtschaft organisieren kann. Denn für das deutsche Berufsbeamtentum ist das Lebenszeitprinzip bindend, das unter anderem vor allem zwei Zwecke verfolgt: erstens die nach Innen gerichtete Unabhängigkeit des Beamten, die insbesondere dann gewährleistet ist, wenn sich der Beamte in keiner Anstellung auf Zeit befindet. In der für diese Frage maßgeblichen Entscheidung vom 28. Mai 2008 - 2 BvL 11/07 -, https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2008/05/ls20080528_2bvl001107.html?nn=68080, hat der Senat dazu alles, was notwendig ist, gesagt, so insbesondere in der Rn. 71:

"Das Lebenszeitprinzip hat - im Zusammenspiel mit dem die amtsangemessene Besoldung sichernden Alimentationsprinzip - die Funktion, die Unabhängigkeit der Beamten im Interesse einer rechtsstaatlichen Verwaltung zu gewährleisten. Erst rechtliche und wirtschaftliche Sicherheit bietet die Gewähr dafür, dass das Berufsbeamtentum zur Erfüllung der ihm vom Grundgesetz zugewiesenen Aufgabe, im politischen Kräftespiel eine stabile, gesetzestreue Verwaltung zu sichern, beitragen kann (vgl. BVerfGE 7, 155 <162>; 44, 249 <265>; 64, 367 <379>; 99, 300 <315>; BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 19. September 2007 - 2 BvF 3/02 -, Umdr. S. 21). Dazu gehört auch und vor allem, dass der Beamte nicht willkürlich oder nach freiem Ermessen politischer Gremien aus seinem Amt entfernt werden kann, denn damit entfiele die Grundlage für seine Unabhängigkeit (vgl. BVerfGE 7, 155 <163>). Die lebenslange Anstellung sichert dem Beamten persönliche Unabhängigkeit. Das Bewusstsein seiner gesicherten Rechtsstellung soll die Bereitschaft des Beamten zu einer an Gesetz und Recht orientierten Amtsführung fördern und ihn zu unparteiischem Dienst für die Gesamtheit befähigen (vgl. BVerfGE 70, 251 <267>). Die mit dem Lebenszeitprinzip angestrebte Unabhängigkeit der Amtsführung ist dabei nicht etwa ein persönliches Privileg des Beamten, das seiner Disposition unterliegen könnte, sondern soll dem Gemeinwohl dienen. Nur wenn die innere und äußere Unabhängigkeit gewährleistet ist, kann realistischerweise erwartet werden, dass ein Beamter auch dann auf rechtsstaatlicher Amtsführung beharrt, wenn sie (partei-)politisch unerwünscht sein sollte (vgl. BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 19. September 2007 - 2 BvF 3/02 -, Umdr. S. 21). Das Berufsbeamtentum wird so zu einem Element des Rechtsstaates."

Auch (und gerade) in dem, was der Senat hier ausführt, liegt ein wesentlicher Grund, weshalb die amtsangemessene Alimentation von maßgeblicher Bedeutung ist, was sich als Folge auch in den angekündigten Entscheidungen wird widerspiegeln.

Darüber hinaus ist aber ebenfalls die nach außen gerichtete Unabhängigkeit von maßgeblicher Bedeutung. Entsprechend sieht sich der Beamten gezwungen, dem Dienstherrn seine volle Arbeitskraft zur Verfügung zu stellen. Auch deshalb hat der Senat im selben Zeitraum, nämlich in der Entscheidung vom 20.02.2008 - 2 BvR 1843/06 -, https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2008/02/rk20080220_2bvr184306.html, Rn. 16 ausgeführt:

"Beamte sind ihrem Dienstherrn im Vergleich zu Arbeitern und Angestellten in anderer, besonderer Weise umfassend verpflichtet. Mit der Berufung in das Beamtenverhältnis ist die Pflicht des Beamten verbunden, seine ganze Persönlichkeit für den Dienstherrn einzusetzen und diesem - grundsätzlich auf Lebenszeit - die volle Arbeitskraft zur Verfügung zu stellen (vgl. BVerfGE 21, 329 <345>; BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 19. September 2007 - 2 BvF 3/02 -, juris, Rn. 54; stRspr). Ein Beamter ist seinem Dienstherrn darüber hinaus in besonderer Weise zur Treue verpflichtet (vgl. BVerfGE 39, 334 <346 ff.>). Im Gegenzug haben Beamte gegen den Dienstherrn einen Anspruch auf amtsangemessene Alimentation (vgl. BVerfGE 26, 79 <93>; 44, 249 <263>; 117, 330 <350 f.>; 117, 372 <380 f.>; stRspr)."

Ein wiederkehrender Wechsel zwischen dem Beamten- und einem Arbeitsverhältnis in der freien Wirtschaft würde dem besonderen Treueverhältnis widersprechen, das nicht zuletzt deshalb unaufhebbar mit dem Beamtenstatus verbunden ist, um den Beamten nicht Begehrlichkeiten auszusetzen, die jener Wechsel mit sich bringen könnte, nämlich am Ende nicht mehr eindeutig entscheiden zu können, welchem Herrn der Beamte eigentlich diente.

Die zweite problematische Prämisse liegt darin, dass es ein besonderes Kontrollorgan, das gegenüber dem Beamten eine besondere Aufsichtspflicht durchsetzen könnte, gleichfalls nicht geben kann. Der Beamte ist als Folge der hergebrachten Grundsätze einzig seinem Dienstherrn gegenüber weisungsgebunden und darüber hinaus sind alle seinen Beamtenstatus wesentlich regelnden Bedingungen wegen des Gesetzesvorbehalt im Beamtenrecht durch den Gesetzgeber zu regeln. Entsprechend gibt es bereits ein entsprechendes Kontrollorgan, das zugleich über das Weisungsrecht in jeder sachgerechten Form gegenüber dem Beamten tätig werden kann, nämlich der jeweilige Vorgesetzte und im Letzten der Dienstherr selbst. Eine Behörde mit Weisungsrechten neben dem Vorgesetzten kann es entsprechend nicht geben, da so im Letzten gar nicht mehr geklärt werden könnte, wessen Weisungen der weisungsgebundene Beamte nun folgen sollte, was letztlich ein eminentes Rechtsstaatsproblem mit sich brächte.

Und damit zeigt sich die nicht realistische Grundvoraussetzung, nämlich dass der Beamtenapparat sich irgendwie anders als ein Beamtenapparat regeln ließe. Die Regelungskompetenz liegt aber - wegen des genannten Gesetzesvorbehalts - ausschließlich in der Hand des Gesetzgebers, an dessen Regelungen sich am Ende der Dienstherr als Exekutivorgan gebunden sieht, da auch die vollziehende Gewalt als Folge von Art. 20 Abs. 3 GG an Gesetz und Recht gebunden ist.

Ergo: Die Bestandsanalyse der ehemaligen Oberstaatsanwältin ist schlüssig - der Wunsch, ihr durch eine Verwaltungsreform im beschriebenen Sinne nachzukommen, wird so wie gewünscht aber offensichtlich nicht funktionieren, wobei sie m.E. im Sinne ihrer eigenen Analyse das zentrale Problem selbst benennt:

"Weil Behörden sich häufig überlastet, unterbesetzt und schlecht ausgerüstet sehen, nehmen sie sich komplexen Verfahren oft gar nicht erst an. Und das nicht, weil der Verdacht fehlt, sondern weil der Aufwand zu groß erscheint. Keinen Anfangsverdacht einer Straftat zu sehen oder frühzeitige Deals sind dann der bequeme Ausweg, auf Kosten der Gerechtigkeit."

Da der jeweilige Verantwortungsträger am Ende abwägen muss, welchen Personaleinsatz er sachlich rechtfertigen kann - welche anderen Fälle also ggf. unbearbeitet bleiben, solange die Arbeitskraft der Belegschaft auf die komplexen Verfahren angesetzt werden -, ist offensichtlich das eigentliche Problem nicht mangelnde Führungsverantwortung (die es wiederkehrend geben wird, die jedoch kaum systematisch gegeben sein dürfte), sondern schlichtweg Überlastung. Und ihr wird man kaum durch eine Verwaltungsreform mit einer Art "Superbehörde" gerecht, die es wie gezeigt auch nicht geben könnte, sondern indem man hinreichend Personal einstellt, um über entsprechende Kapazitäten zu verfügen, um sowohl die komplexen als auch die Alltagsverfahren sachgerecht bearbeiten zu können.