Autor Thema: Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 5/18 u.a.)  (Read 255364 times)

Hobbyjurist

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 5/18 u.a.)
« Antwort #1920 am: 01.12.2025 11:14 »
Nein, du siehst das genau richtig: 4,5 von 104,5 ist weniger als 5 %. Den Unsinn, auf die nur 95%-ige Übernahme von Tariferhöhungen einen weiteren Abschlag um 5 Prozentpunkte (!) draufzusatteln, hatte ich schon hier angeprangert: https://forum.oeffentlicher-dienst.info/index.php/topic,127191.msg431323.html#msg431323

simon1979

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 5/18 u.a.)
« Antwort #1921 am: 01.12.2025 11:59 »
Nur als Beispiel hier ein paar aktuelle Fragen, zu denen (fundierter!) Input mehr als willkommen wäre:
- Sind etwaige Ortszuschläge im Lichte der Rn. 71 und Rn. 78 weiterhin "möglich"?
- Welches oder welche MÄE ist/sind für uns Bundesbeamte relevant?
- Was ist mit der Alimentation ab dem dritten Kind?
- usw., usf.

Die Entscheidung laesst dem Gesetzgeber formal einen Spielraum, aber materiell ist er extrem eingeschraenkt. Wer die Randnummern ernst nimmt, kommt unweigerlich zu dem Punkt, dass viele der FlexInstrumente faktisch nicht mehr in der politisch gewuenschten Form einsetzbar sind.

Bei den Ortszuschlaegen scheint die Lage auf den ersten Blick offen :) das Gericht schliesst sie nicht aus, im Gegenteil, es erkennt regionale Unterschiede ausdruecklich an. Jedoch: Der verfassungsrechtliche Maßstab verlangt eine empirisch belastbare, wiederholbar verifizierbare und methodisch konsistente (dieses Dreiergespann bitte gut merken, kommt kuenftig oefter) Ableitung. Ein politisch motivierter Pauschalansatz ist damit praktisch tot. Der Aufwand, einen verfassungskonformen Zuschlag zu entwickeln, waere enorm, denn man muesste fuer jede Region nachweisen, dass der Zuschlag tatsaechlich den notwendigen Kaufkraftausgleich bewirkt (bei den Auslandsdienstbezuegen funzt das ohne Probleme). Genau das kollidiert mit dem politischen Wunsch, ein einfaches Steuerungsinstrument zu haben. Der Gesetzgeber darf also, aber nur wenn er es richtig macht.... und genau das will er koennte sein, dass er es aus Kostengrunden vermeiden will.

beim MÄE fuer Bundesbeamte ist die Lage noch deutlicher: Entscheidend ist der Mindestabstand zur Grundsicherung, kombiniert mit dem innerdienstlichen Abstandsgebot und dem eigenstaendigen familienbezogenen Mehrbedarf. Das Gericht laesst keine Vermischung dieser Elemente zu und unterbindet explizit die Praxis, den Mehrbedarf ueber pauschale Zuschlaege oder strukturelle Verschiebungen zu nivellieren. Die datengesteutzte Herleitung des Mindestabstands ist zwingend, und jede politische Konstruktion, die versucht, die vertikalen Abstaende innerhalb der Besoldungsordnung zu glaetten, wird scheitern. Der Bund steht damit vor dem Problem, dass sein bisheriges Besoldungsmodell aus politisch gesetzten Pauschalen besteht, waehrend das Gericht eine normative, sachliche und vor allem transparente Begruendung verlangt, die bislang nicht existiert(!).

Der Zuschlag ab dem dritten Kind ist ein besonders sensibler Punkt (seit ungefaehr.....drei Monaten). Das Gericht hat wiederholt klar gemacht, dass dieser Zuschlag nicht als „Bonus“ zu verstehen ist, sondern als zwingende verfassungsrechtliche Korrektur, die den realen Mehrbedarf abbilden muss. Die Hoehe, wie sie bisher gewaehlt wurde, ist evident unzureichend und laesst sich weder methodisch noch empirisch verteidigen. Jede Loesung, die den Mindestabstand nicht dauerhaft herstellt, wird erneut verfassungswidrig sein. Politisch bedeutet das hohe Folgekosten, juristisch ist die Richtung aber Eindeutig. Dass der Bund das Thema schiebt, liegt nicht an Interpretationsspielraeumen, sondern an der fiskalischen Sprengkraft einer echten Umsetzung. (vgl. meine Aussage "2026 selbst machen oder 2027 durch Karlsruhe gemacht werden")


Nachklapp/Edit
Was viele in der Debatte konsequent übersehen: Das BVerfG prüft ausschließlich den kleinsten 4K-Beamten, weil dessen Existenzminimum den absoluten Untergrenzwert definiert. Der Single ist keine Sonderkategorie und bekommt auch keine eigene Pruefmatrix. Sein Niveau ergibt sich zwingend aus der verfassungsrechtlichen Logik, nicht aus irgendwelchen konstruierten Nebenrechnungen. Wer weiterhin mit „Single-Vergleichen“ argumentiert, operiert an der Systematik vorbei. Die Normuntergrenze wird nicht zweimal bestimmt.

Gleiches beim Thema Fortschreibungspflicht.... Rn. 92 ist kein Dekoelement, sondern der Punkt, an dem sich entscheidet, ob ein Besoldungsgesetz Bestand hat. Jedes Abweichen von Tariflohnindex, Nominallohnindex, Verbraucherpreisindex oder innerdienstlichem Abstandsgebot >5 % ist formal ein verfassungsrechtlicher Warnschuss. Das Gericht hat die Leitplanken eng gesetzt ,nicht aus Versehen, sondern weil die Praxis der letzten 20 Jahre gezeigt hat, dass ohne harte Begrenzungen kein Gesetzgeber freiwillig zu einer verfassungskonformen Alimentationsstruktur zurueckkehrt.

Wenn jemand jetzt immer noch behauptet, „hat sich ja nichts geaendert“, dann ist das kein Rechtsstandpunkt sondern schlicht ein Lesedefizit.

Erstmal danke für deine ganzen detaillierten Ausführungen.

Was ich und wahrscheinlich noch ein paar andere nicht verstehen ist die Herangehensweise an die Kritik des Gerichts und ziehen dann den Vergleich beim niedrigsten Beamten, nehmen wir mal an A5, als Single und als Alleinverdiener in einer 4K Familie.

Einerseits verstehe ich es so, dass der 4K Beamte in A5 die Basis von Allem ist. Aber gibt es dann in Zukunft überhaupt noch einen Unterschied zwischen dem 1K Beamten in A5 und dem 2K, 3K oder 4K Beamten oder nicht.

Das will mir nach dutzenden von Beiträgen immer noch nicht in den Kopf.


Illunis

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 5/18 u.a.)
« Antwort #1922 am: 01.12.2025 12:49 »
Ich denke, so streng ist das 5%-Kriterium nicht gemeint. Wenn etwa die Inflation um 4.5 Prozent steigt, die Besoldung aber konstant bleibt, dann würde das Kriterium nicht gerissen. Denn der Vergleichsindex wäre dann 104.5, und der (unveränderte) Besoldungsindex immer noch 100, und die Differenz 4.5 Prozent, also kleiner als 5 Prozent. Es wird doch immer auf Basis von 1996 verglichen, und erst wenn der Index im Jahr x vom Besoldungsindex im Jahr x, immer bezogen auf 1996, sich um 5% unterscheidet, ist das Kriterium auf rot.


Oder sehe ich das falsch?

Ich hoffe doch! Wenn es immer nur von Jahr zu Jahr wäre könnte Jahrzehnte lang sowohl der Lohnindex als auch die Inflation steigen ohne das eine Besoldungsanpassung notwendig wäre solang es unter 5% bleibt.

MentorGAF

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 5/18 u.a.)
« Antwort #1923 am: 01.12.2025 13:05 »
Nein, wenn ich nächsten Jahr dann wieder 4,5% Inflation vorliegen steigt der Vergleichsindex von 104,5 auf 109,2 (104,5 +4,5%) und ist damit vom Besoldungsindex, der ja noch bei 100 steht über 5% entfernt. Dann müsste ein Anpassung vorgenommen werden.

Staatsdiener1969

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 5/18 u.a.)
« Antwort #1924 am: 01.12.2025 13:20 »
Zum einen wird auch in den Leitsätzen Bezug zum Medianeinkommen genommen.

Es ist mir ein absolutes Rätsel, warum euch das MÄE alle so wuschig macht. In erster Linie natürlich MoinMoin, aber z.B. Nelson hatte sich ebenfalls schon gemeldet und jetzt fängst du auch noch damit an.

Das BVerfG hat lediglich die Vergleichsgröße zur Bestimmung der Mindestbesoldung "fortentwickelt" (früher 15% über Grundsicherungsniveau, jetzt 80% des MÄE). Das ist alles! Nichts anderes steht in Leitsatz 7.


Jetzt schauen wir uns mal die Familienzuschläge des Bundes, des Landes Bayern und NRW.

Aha. Jetzt also Bayern und NRW. Du scheinst ja jeden Tag eine neue Sau durchs Dorf treiben zu wollen (wie geht es eigentlich deinem "Delta"?).


Es scheint so, als wenn das Modell von NRW oder Bayern bundesweiter Vorreiter sein könnte. Es gibt bisher keine Rechtsprechung, die diese Familienzuschläge als verfassungswidrig angesehen hätte. Ganz im Gegenteil soll das BVerfG diese Modelle aus NRW und Bayern im Rahmen der mündlichen Verhandlung ausdrücklich gelobt haben.

- Wann und wo genau hat das BVerfG dieses Lob ausgesprochen?
- Von welcher "mündlichen Verhandlung" redest du?
- Passend dazu: Wann und wo hat das BVerfG etwas in Richtung Ortszuschläge angedeutet? (eine Behauptung, die du gestern aufgestellt hast)

Nochmals meine Bitte: Aussagen solchen Kalibers bitte mit Quellenangabe!


Ich halte das Szenario, dass NRW als Vorbild genommen wird, für alles andere als abwegig.

Wie bringst du die nordrhein-westfälischen Zuschläge mit Rn. 71 und Rn. 78 in Einklang (Stichwort "alle Beamte einer Besoldungsgruppe", "unterschiedslos")?


Es wird erstmal so kommen [...]

Nochmals der Hinweis: Deine persönliche Meinung (die darüber hinaus gewissen "Schwankungen" unterworfen zu sein scheint) ist nicht zwangsläufig eine Tatsachenbehauptung.


Auch erschließt sich mir nicht, wieso für Bundesbeamte das Medianeinkommen von Bayern gelten soll. Kannst Du das näher erläutern?

Das habe ich bereits mehrfach getan. Sowohl der Deutsche Richterbund als auch Swen haben in meiner Erinnerung bei ihren letztjährigen Berechnungen zum damaligen Mindestabstandsgebot Bayern als Referenz für uns Bundesbeamte herangezogen. Entsprechend habe ich das Gleiche getan. Sollte sich im Rahmen der neuen Vorabprüfung ein anderes (oder auch mehrere) MÄE als heranzuziehende Referenz herauskristalliseren, hätte ich keinerlei Problem damit.

Ich hatte unterschiedslos so verstanden, dass sie jeder bekommen kann bzw. bekommt. Sprich wenn er heiratet bekommt er auch den Verheiratetenzuschlag oder eben den für Kinder. Während Zuschläge wie Wechselschicht oder Polizeizulage nicht jeder in der gleichen Besoldungsgruppe bekommen kann da es dies beim Finanzamt nicht gibt oder man nicht vollzugsdiensttauglich ist. Deshalb habe ich gedacht Polizeizulage zählt nicht aber Zuschläge für Verheiratete Kinder oder auch Wohnort kann jeder bekommen wenn er die Voraussetzungen erfüllt.

Hobbyjurist

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 5/18 u.a.)
« Antwort #1925 am: 01.12.2025 13:22 »
Nein, wenn ich nächsten Jahr dann wieder 4,5% Inflation vorliegen steigt der Vergleichsindex von 104,5 auf 109,2 (104,5 +4,5%) und ist damit vom Besoldungsindex, der ja noch bei 100 steht über 5% entfernt. Dann müsste ein Anpassung vorgenommen werden.

Ganz genau. Nach 2 Tariferhöhungen um je 4,5 % (gesamt 9,2025 %) ist der Tariflohnindex auf 109,2025 gestiegen. Mathematisch vernünftig wäre, eine Besoldungserhöhung um 9,2025 % * 95 % = 8,742375 % zu fordern, jedoch würde dem BVerfG völlig unsinnig auch 3,742375 % genügen, also 5 Prozentpunkte weniger, da

(109,2025 - 103,742375) / 109,2025 * 100 = 5

clarion

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 5/18 u.a.)
« Antwort #1926 am: 01.12.2025 14:17 »
@simon1979.

Für die Bemessung der Mindestbesoldung gilt der Herr/Frau Musterbeamter mit der Musterfamilie bestehend aus ihr/ihm selbst, Partner*in und zwei Kinder, eines u14, eines ü14. Her/ Frau Muestbeamter hat die niedrigste Besoldungsgruppe in der niedrigsten Stufe.

Bei der Fortschreibungsprüfung wird der Single in der jeweils höchste  Stufe genommen. Damit wird erreicht,  dass in der Fortschreibungsprüfung die Grundbesoldung maßgeblich ist

Streber22

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 5/18 u.a.)
« Antwort #1927 am: 01.12.2025 14:26 »
Ist Stand jetzt eher davon auszugehen, dass im kommenden Jahr lediglich ein Gesetz kommt bzgl. der Übertragung aus den Tarifverhandlungen ohne aA?

Nautiker1970

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 5/18 u.a.)
« Antwort #1928 am: 01.12.2025 15:03 »

Auch das fiktive Partnereinkommen ist Geschichte.


Eine steile These. Worauf stützt Du die? Im Beschluss des Bundesverfassungsgerichtes steht das so jedenfalls nicht. Vielmehr heißt es dort (vgl. Rn. 115):
"Über die Verfassungsmäßigkeit dieser konzeptionellen Änderung (Abkehr vom Alleinverdienerprinzip) ist im vorliegenden Verfahren indes nicht zu entscheiden."


Maximus

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 5/18 u.a.)
« Antwort #1929 am: 01.12.2025 15:11 »
Ist Stand jetzt eher davon auszugehen, dass im kommenden Jahr lediglich ein Gesetz kommt bzgl. der Übertragung aus den Tarifverhandlungen ohne aA?

Der Bund könnte ja auch Abschlagszahlungen hinsichtlich der aA zahlen (z.B. die bereits eingeplanten 1,2 Mrd) - das wäre zumindest mal ein positives Signal. Zumindest der Kinderzuschlag ab dem dritten Kind könnte vorab erhöht und später dann verrechnet werden.   

simon1979

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 5/18 u.a.)
« Antwort #1930 am: 01.12.2025 15:18 »
@simon1979.

Für die Bemessung der Mindestbesoldung gilt der Herr/Frau Musterbeamter mit der Musterfamilie bestehend aus ihr/ihm selbst, Partner*in und zwei Kinder, eines u14, eines ü14. Her/ Frau Muestbeamter hat die niedrigste Besoldungsgruppe in der niedrigsten Stufe.

Bei der Fortschreibungsprüfung wird der Single in der jeweils höchste  Stufe genommen. Damit wird erreicht,  dass in der Fortschreibungsprüfung die Grundbesoldung maßgeblich ist

Danke. Ganz ehrlich, vielen Dank .... aber ich verstehs immer noch nicht. Sorry.

Ich bin ein Mensch der Zahlen und kann nur damit etwas Anfangen bzw. mir dabei etwas vorstellen.
Komme halt aus der Naturwissenschaft, da gab es immer schöne Graphen oder Tabellen mit Werten die zu einem Fixpunkt Bezug hatten.

Hier ist mir das alles noch viel zu theoretisch! Leider,

BVerfGBeliever

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 5/18 u.a.)
« Antwort #1931 am: 01.12.2025 16:15 »

[...]    (Aus Platzgründen gelöscht, bei Interesse einfach oben draufklicken)

Nachklapp/Edit
Was viele in der Debatte konsequent übersehen: Das BVerfG prüft ausschließlich den kleinsten 4K-Beamten, weil dessen Existenzminimum den absoluten Untergrenzwert definiert. Der Single ist keine Sonderkategorie und bekommt auch keine eigene Pruefmatrix. Sein Niveau ergibt sich zwingend aus der verfassungsrechtlichen Logik, nicht aus irgendwelchen konstruierten Nebenrechnungen. Wer weiterhin mit „Single-Vergleichen“ argumentiert, operiert an der Systematik vorbei. Die Normuntergrenze wird nicht zweimal bestimmt.

[...]

Wenn jemand jetzt immer noch behauptet, „hat sich ja nichts geaendert“, dann ist das kein Rechtsstandpunkt sondern schlicht ein Lesedefizit.

Herzlichen Dank, Durgi, für den aus meiner Sicht wieder mal ausgesprochen erhellenden Beitrag!

Und ebenfalls danke, dass du (genau wie vorher bereits GoodBye) nochmals auf die korrekte Bestimmung der Mindestbesoldung hingewiesen hast.

Die Einführung des MÄE scheint aus mir unerfindlichen Gründen bei einigen hier absurde (negative) Begehrlichkeiten geweckt zu haben, Stichwort "wuschig". Und zwar insbesondere auch bei einigen Nicht-Beamten, die anscheinend der Meinung sind, mit Hilfe des MÄE die Beamtenbesoldung faktenwidrig nach unten argumentieren zu können (Hint: No chance!).

Auch dein letzter Satz gefällt mir ausgesprochen gut! :)

BVerfGBeliever

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 5/18 u.a.)
« Antwort #1932 am: 01.12.2025 16:17 »
Ganz genau. Nach 2 Tariferhöhungen um je 4,5 % (gesamt 9,2025 %) ist der Tariflohnindex auf 109,2025 gestiegen. Mathematisch vernünftig wäre, eine Besoldungserhöhung um 9,2025 % * 95 % = 8,742375 % zu fordern, jedoch würde dem BVerfG völlig unsinnig auch 3,742375 % genügen, also 5 Prozentpunkte weniger, da

(109,2025 - 103,742375) / 109,2025 * 100 = 5

Völlig richtig. Kleiner "Lichtblick": Je weiter wir uns von 1996 wegbewegen, desto geringer wird das "Problem" (zumindest relativ).

Konkretes Beispiel: Das E11-Gehalt wird ab Mai 2026 um 95,52% höher sein als im Jahr 1996, entsprechend wird der korrespondierende Tariflohnindex (ohne Spitzausrechnung) bei 195,52 liegen. Nach BVerfG-Rechnung muss der A11-Besoldungsindex also mindestens bei 185,744 liegen, nach deiner Rechnung hingegen bei mindestens 190,744.

Die Differenz beträgt logischerweise immer noch fünf Prozentpunkte, aber 85,7% statt 90,7% ist in meinen Augen deutlich weniger "schlimm" als 3,7% statt 8,7%..

Luftpumpe

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 5/18 u.a.)
« Antwort #1933 am: 01.12.2025 16:20 »
Würde nun gern einen aktualisierten Widerspruch einlegen wollen.
Gibt es bereits Ideen für eine sinnvolle Erweiterung der Version von 2024?

Danke

Rentenonkel

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 5/18 u.a.)
« Antwort #1934 am: 01.12.2025 16:42 »
Der nächste Post wird extrem lang. Zunächst einmal bin ich hier ja unterwegs, weil meine Hauptmethode des Erkenntnisgewinns "Try and error" (Versuch und Irrtum) ist. Bei dieser Methode, wird durch wiederholtes Ausprobieren und Korrigieren eine Lösung erarbeitet. In der wissenschaftlichen Theorie ist dies ein wichtiger Prozess des Erkenntnisfortschritts, bei dem Hypothesen aufgestellt, getestet und gegebenenfalls widerlegt werden. Dabei hilft mir das hier vorhandene know how, also das Schwarmwissen, und die kritische Betrachtung meiner Thesen enorm. Das das bisweilen anstrengend ist, weiß ich. Sofern mich die Argumente von Euch überzeugen, korrigiere ich auch gerne meine Lösungsvorschläge oder Lösungsideen unter Einbeziehung neuer Fakten oder neuer Ideen.

Zu der Frage, wann und wo das BVerfG das gelobt haben soll, muss ich gestehen, dass ich diese Information von einem Arbeitskollegen erfahren habe. Es gab wohl beim Landtag in NRW auf Initiative der FDP nochmal eine Expertenrunde zur Frage der Besoldungsreform 2022:

https://fdp.fraktion.nrw/witzel-fdp-einhelliges-expertenurteil-zur-verfassungswidrigkeit-des-fiktiven-partnereinkommens-bei

Dabei wurde auch der ehemalige Richter am BVerfG Udo Di Fabio zu seinem Rechtsgutachten für den DBB NRW befragt. Im Gutachten hat er dabei vor allem herausgearbeitet, dass ein „Partnereinkommen“ nicht im Einklang mit Art. 33 Abs. 5 GG gebracht werden kann. Mein Arbeitskollege hat gedacht, dass Udo di Fabio auch an dem jetzigen Urteil mitgewirkt hat, aber da war er schon im Ruhestand. Somit war es entgegen seiner Annahme keine mündliche Verhandlung des BVerfG sondern lediglich eine Expertenbefragung im Landtag NRW und auch war es nicht die Meinung des gesamten BVerfG, sondern nur eines einzelnen ehemaligen Richters. Das schwächt das, was ich geschrieben habe, natürlich ab, auch wenn ich davon ausgehe, dass ein ehemaliger Richter des BVerfG nicht leichtfertig seine Äußerungen macht. Dennoch hätte ich die Aussage meines Arbeitskollegen nicht unreflektiert und ohne Gegenprüfung hier ins Forum stellen dürfen.

Dabei konnte er bei seinem Gutachten die Änderungen, die im Lichte des aktuellen Urteils gemacht wurden, noch nicht berücksichtigen. Bei den Fragen zu den Familienzuschlägen ergibt sich aus seinem Rechtsgutachten (auszugsweise, sonst wird das alles noch viel länger):

Das Berufsbeamtentum gründet auf Sachwissen, fachlicher Leistung und loyaler Pflichterfüllung. Es wird grundsätzlich auf Lebenszeit begründet und soll der Hauptberuf sein. Der Dienstherr hat eine Fürsorgepflicht.
Auch hinsichtlich der Strukturierung der Besoldung verfügt der Besoldungsgesetzgeber über einen breiten Gestaltungsspielraum (vgl. BVerfGE 44, 249 <267>; 81, 363 <376>; 99, 300 <315>). Es besteht insbesondere keine Verpflichtung, die Grundbesoldung so zu bemessen, dass Beamte und Richter ihre Familien als Alleinverdiener unterhalten zu können. Vielmehr steht es dem Besoldungsgesetzgeber frei, etwa durch höhere Familienzuschläge bereits für das erste und zweite Kind stärker als bisher die Besoldung von den tatsächlichen Lebensverhältnissen abhängig zu machen.

Der Besoldungsgesetzgeber hat die Besoldung so zu regeln, dass Richter nicht vor die Wahl gestellt werden, entweder eine ihrem Amt angemessene Lebensführung aufrechtzuerhalten oder, unter Verzicht darauf, eine Familie zu haben und diese entsprechend den damit übernommenen Verpflichtungen angemessen zu unterhalten (vgl. BVerfGE 44, 249 <267, 273 f.>; 99, 300 <315>).

Dem Familienzuschlag kommt eine soziale, nämlich ehe- und familienbezogene Ausgleichsfunktion zu. Er tritt zu den leistungsbezogenen Besoldungsbestandteilen hinzu, um diejenigen Mehraufwendungen auszugleichen, die typischerweise durch Ehe und Familie entstehen. Dadurch erfüllt der Gesetzgeber die sich aus dem Alimentationsgrundsatz gemäß Art. 33 Abs. 5 GG ergebende Verpflichtung, die dem Beamten obliegenden Unterhaltspflichten gegenüber Ehegatten und Kindern realitätsgerecht zu berücksichtigen. Zugleich kommt er der durch Art. 6 Abs. 1 GG begründeten Pflicht nach, Ehe und Familie durch geeignete Maßnahmen zu fördern.
Der Ergänzungszuschlag aus § 71 b LBesG soll gerade nicht gezahlt werden, um besondere Belastungen durch Kindererziehung oder Mehrbedarfe aus Ehe und Partnerschaft auszugleichen. […] Der Besoldungsgesetzgeber will hier davon profitieren, dass das BVerfG die einzelnen Komponenten der Vergleichsberechnung (noch) nicht exakt definiert hat.

Diese Hinweise zu den Familienzuschlägen und zur Grundbesoldung sind jetzt natürlich im Lichte des aktuellen Urteils kritisch zu hinterfragen. Dabei sind aus meiner Sicht insbesondere folgende Punkte interessant:
Die Leitsätze, Randnummer 78 und 92, Randnummer 74, Randnummer 76, Randnummer 63, Randnummer 71, Randnummer 67

Gerade in Randnummer 92 finden sich am Ende noch Hinweise zu früheren Rechtsprechungen; mithin wollte das BVerfG sicherlich zum Ausdruck bringen, dass es davon nicht abrücken möchte. Ich zitiere sie mal:

Beschluss vom 17. November 2015
Dabei hat der Gesetzgeber einen weiten Gestaltungsspielraum, wie bei der Festsetzung der Bezüge den Anforderungen des Gebotes eines Mindestabstandes zum Grundsicherungsniveau Rechnung zu tragen ist. Dies kann etwa durch eine Anhebung des Bemessungssatzes der Beihilfe auf 100 v.H. der entstandenen Aufwendungen, eine Anhebung des Eingangsgehaltes einer Besoldungsstufe verbunden mit einer geringeren prozentualen Steigerung in den Erfahrungsstufen, eine Anhebung des Familienzuschlags in den unteren Besoldungsgruppen oder durch sonstige geeignete Maßnahmen unter Berücksichtigung der sich in diesem Fall für höhere Besoldungsgruppen möglicherweise aufgrund des Abstandsgebotes ergebenden Konsequenzen geschehen.
Beschluss des Zweiten Senats vom 4. Mai 2020 - 2 BvL 6/17 u.a. -

Die von der Bundesagentur für Arbeit im Verfahren 2 BvL 4/18 vorgelegte statistische Auswertung ermöglicht eine realitätsgerechte Erfassung der absoluten Höhe der grundsicherungsrechtlichen Kosten der Unterkunft für eine Familie (vgl. BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 4. Mai 2020 - 2 BvL 4/18 -, Rn. 59). Im vorliegenden Verfahren geht es jedoch darum, den Mehrbetrag zu ermitteln, der einer Familie mit drei Kindern im Vergleich zu einer Familie mit zwei Kindern zugestanden wird. Es kommt also auf den relativen Unterschied der Kosten der Unterkunft an. Dieser kann mit Hilfe der von der Bundesagentur vorgelegten Daten, denen eine Auflösung in 50-Euro-Schritten zugrunde liegt, nicht hinreichend genau bestimmt werden. (4) Für den Fall, dass belastbare Erhebungen zu den tatsächlich angemessenen Kosten der Unterkunft für einen Vergleichsraum in einem bestimmten Zeitraum nicht vorliegen, hat das Bundessozialgericht eine alternative Methode entwickelt, um die grundsicherungsrechtlichen Kosten der Unterkunft bemessen zu können. In einer solchen Situation ist der für den jeweiligen Wohnort maßgebliche wohngeldrechtliche Miethöchstbetrag mit einem Sicherheitszuschlag von 10 % den Berechnungen zugrunde zu legen, weil die Festsetzung aufgrund der abweichenden Zweckrichtung des Wohngeldes nicht mit dem Anspruch erfolgt, die realen Verhältnisse auf dem Markt stets zutreffend abzubilden (vgl. BSG, Urteil vom 12. Dezember 2013 - B 4 AS 87/12 R -, juris, Rn. 26 f.).

Jetzt findet sich sowohl in Randnummer 71 als auch in Randnummer 78 der Begriff „unterschiedslos“, jedoch dürfte der in beiden Randnummern unterschiedlich zu interpretieren sein.

Während in Randnummer 71 der Gesetzgeber die Bezugsgröße für die Mindestbesoldung definieren wollte, wollte er in Randnummer 78 die Bezugsgröße für die Fortschreibungspflicht definieren.

In Randnummer 70 findet sich eine Erläuterung für die Bemessung der Mindestbesoldung. Darin heißt es: Die Bezugsgröße für die Bemessung der Mindestbesoldung ist eine vierköpfige Familie, die aus dem Beamten, seinem Ehegatten und zwei Kindern, von denen eines jünger als 14 Jahre ist, besteht, deren alleiniges Einkommen im Sinne von § 8 Abs. 1 Nr. 3 MZG die Besoldung – einschließlich der Familienzuschläge für den Ehegatten und die ersten beiden Kinder – ist. Das Bundesverfassungsgericht geht (…) grundsätzlich davon aus, dass der Gesetzgeber die Besoldung so bemessen wollte, dass eine vierköpfige Familie durch einen Beamten als Alleinverdiener amtsangemessen unterhalten werden kann (…)

Die Bezugsgröße für die Fortschreibungspflicht ist die jeweils höchste Erfahrungsstufe zugrunde zu legen und neben dem Grundgehalt nur solche Besoldungsbestandteile, die strukturell dem Grundgehalt ähneln, also weder Familienzuschläge noch Ortszuschläge dabei zu berücksichtigen sind.

Aus den Leitsätzen ergibt sich folgendes:

Er überschreitet die Grenzen dieses Spielraums, wenn die Besoldung im Hinblick auf Zweck und Gehalt des Alimentationsprinzips evident unzureichend ist.

Die verfassungsrechtliche Kontrolle muss nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte die Gewähr dafür bieten, dass dem – nicht zum Streik berechtigten – Beamten ein wirksames Mittel zur Verfügung steht, sein individuelles verfassungsmäßiges Recht auf einen angemessenen Lebensunterhalt gerichtlich durchsetzen.

Die Besoldung ist immer evident unzureichend, wenn die Mindestbesoldung (des 4 K Modellbeamten) unterschritten ist. Dann wird aus dem individuellen Recht auf einen angemessenen Lebensunterhalt ein Kollektivrecht der gesamten Besoldungsgruppe.

Somit komme ich zu folgendem Schluss:

1.   Unter Einbeziehung der Rechtsprechung des EGMR hat das BVerfG entschieden, dass die absolute Untergrenze für eine amtsangemessene Besoldung 80 % des MÄE ist.

2.   Solange der Gesetzgeber die Besoldung so bemessen will, dass eine vierköpfige Familie durch einen Alleinverdiener amtsangemessen unterhalten werden kann, ist die Mindestbesoldung die Summe der Untergrenzen der Anzahl der Familienmitglieder, mithin 80 vom Hundert des 2,3 fachen MÄE (kleiner Spoiler: Wenn das anders wäre, könnte man die Berechnung der Mindestbesoldung dann nicht auch anpassen?)

3.   Bei der Fortschreibungspflicht bleiben Zuschläge, die nicht unterschiedslos wie Ortszuschläge oder Großstadtzulagen gezahlt werden, unberücksichtigt.

Aus dieser ganzen Urteilsbegründung, insbesondere unter Berücksichtigung der Querverweise, komme ich daher zu folgenden weiteren Schlüssen

a.)   Auch die Grundbesoldung des Singles muss immer so bemessen sein, dass er unabhängig vom Wohnort (unterschiedslos im Sinne der Randnummer 78) nicht prekär besoldet wird. Sollte er prekär besoldet werden, wäre dennoch sein individuelles Recht auf einen angemessenen Lebensunterhalt beschnitten.

b.)   So verstanden muss sich die Grundbesoldung des am schlechten bezahltesten Single Beamten auch an der in seinem Zuständigkeitsbereich höchsten MÄE aus der Logik des Besoldungssystems orientieren. Andernfalls würde er ja in München unter die 80 % Schwelle fallen und wäre prekär besoldet. Dabei ist das natürlich kein eigener Prüfmaßstab, mithin würde auch nicht die gesamte Besoldung evident unzureichend sein, wenn der Single in München die 80 % Schwelle reißt. Spannend wäre allerdings, was passieren würde, wenn er sein Individualrecht auf amtsangemessen Besoldung einklagen würde, weil er nur unter 80 % des örtlichen MÄE bekommen würde. Ich denke, er würde gewinnen, auch wenn es nicht ausdrücklich aus dem Urteil hervorgeht sondern nur aus meiner Sicht der Logik des Besoldungssystems geschuldet ist.

c.)   Die Familienzuschläge dagegen sollen regionale und familiäre Mehrbelastungen auffangen. Daher macht es bei der Betrachtung der Familienzuschläge Sinn, hier die regional unterschiedlichen MÄE zu berücksichtigen, mithin auch danach zu differenzieren. Jedenfalls erscheinen so nach Wohnort differenzierte Familienzuschläge sachgerecht, sofern dadurch nicht eine zu geringe Grundbesoldung im Sinne des Punktes b) geheilt werden soll. Allerdings darf der Gesetzgeber hier aus meiner Sicht auch pauschalieren, solange er das nach oben macht  ;D Daher scheint die Orientierung an den Mietenstufen nicht ganz falsch zu sein, so wie es NRW und Bayern machen, wenn man das ungerechtfertigte Anrechnen von Partnereinkommen mal außen vor lässt. Jedenfalls habe ich bei meinen Stichproben in Kombination mit der von mir gewählten Methode der Grundbesoldung des Single keinen Fall gefunden, der unteralimentiert wäre.