Aus dem Forum über die Tarifverhandlungen nach hier verschoben, da hier eher der Ort der Frage und Antwort ist:
Deine Frage(n) könnte man nun an einer ganzen Reihe an Punkten festmachen, Bundi ich will nur fünf zentrale Sachverhalte kurz herausgreifen, die ich ja in der Vergangenheit bereits an verschiedenen Stellen herausgestellt habe:
1. Wie ich ja schon mehrfach ausgeführt und begründet habe, gehe ich zunächst einmal von einer recht hohen Wahrscheinlichkeit aus, dass der Senat eine Vollstreckungsanordnung nach § 35 BVerfGG betreffend den Berliner Rechtskreis für den Zeitraum 2010 bis 2015 hinsichtlich der A-Besoldung oder Teile von ihr erlassen und dabei auch mindestens bis zu einem gewissen Grad Maßnahmen hinsichtlich der im Einzelfall anzuwendenden Art und Weise der Vollstreckung als Teil des Regelungskontextes festlegen wird. Wie das im Einzelnen aussehen könnte, dürfte schwierig abzuschätzen sein. Die Verfahren 2 BvL 5/18 bis 2 BvL 9/18 betreffen für die folgenden Zeiträume folgende Besoldungsgruppen:
2 BvL 5/18: 2010 bis 2015, A 10 betreffend
2 BvL 6/18: ebenso
2 BvL 7/18: 2010 bis 2015, A 12 betreffend
2 BvL 8/18: 2010 bis 2015, A 10 betreffend
2 BvL 9/18: 2010, A 10 betreffend; 2011 bis 2014, A 11 betreffend; 2014 und 2015, A 12 betreffend.
Dabei ist hier davon auszugehen, dass in einem Teil der Verfahren eine unmittelbare Verletzung des Mindestabstandsgebots festgestellt werden wird, in anderen Teilen werden die verletzten Grundgehaltssätze als Folge des vollständig abgearbeiteten "Pflichtenhefts" festzustellen sein. Die Art und Weise der von mir angenommenen Vollstreckung dürfte folglich mindestens diese Besoldungsgruppen umfassen, mit einiger Wahrscheinlichkeit auch jene, die sich im genannten Zeitraum hinsichtlich des Mindestabstandsgebots als unmittelbar verletzt zeigen, aber nicht Teil der fünf Verfahren sind, also Besoldungsgruppen unterhalb von A 10. Damit würden wir also eine vergangenheitsbezogene Regelung der Art und Weise der Vollstreckungsanordnung vorfinden, die den Besoldungsgesetzgeber in futuro nicht unmittelbar in seinem weiten Entscheidungsspielraum einschränkt.
2. Darüber hinaus dürfte so aber ebenfalls auf der Hand liegen, dass die Besoldung in Berlin ebenso nach 2015 allein wegen der Summe der Fehlbeträge in allen in den fünf betrachteten Verfahren kontrollierten Besoldungsgruppen kaum amtsangemessen gewesen sein dürfte. Insofern sollte erwartbar sein, dass der Senat eine Methode erstellen wird, die es indiziell ermöglicht, im Sinne des "Grundgehaltsäquivalents" oder einer anderen zielführenden Methodik den Verletzungsgrad der Besoldungsordnung A zu ermitteln. Auch damit würde sich der Besoldungsgesetzgeber, was zukünftig die Ausgestaltung der Besoldung in Form und Höhe anbelangt, nicht in seinem weiten Entscheidungsspielraum eingeschränkt sehen, da diese Methodik bekanntlich eine ausschließlich indizielle ist. Sie würde "nur" offenbar, wann sich ggf. die Höhe der Grundgehaltssätze und damit die Form der Besoldungsordnung A - also eine ggf. vorzunehmende Anhebung der Grundgehaltssätze unterer Besoldungsgruppen unter der Zielsetzung, gehobene und höhere Besoldungsgruppen nicht anheben zu wollen - nicht mehr sachlich rechtfertigen lassen. Auch damit sieht sich der Besoldungsgesetzgeber dann zukünftig nicht in seinem weiten Entscheidungsspielraum eingeschränkt, jedoch veranlasst, sachgerechte Grundgehälter in der Besoldungsbemessung zu begründen.
3. Entsprechend sollte weiterhin davon auszugehen sein, dass der Senat den weiten Entscheidungsspielraum des Besoldungsgesetzgebers, den er bislang durch die entsprechend formulierten Begründungspflichten kanalisiert hat, nun durch die weitere Konkretisierung jener Pflichten einhegt (auch dazu ist ja in der Vergangenheit bereits einiges geschrieben worden). Diese Einschränkung des weiten Entscheidungsspielraums, über den der Gesetzgeber verfügt, greift nicht unmittelbar in materielles Recht ein, sondern verschärfte dann die prozeduralen Anforderungen. Das dürfte mit einiger Wahrscheinlichkeit das Verhältnis von leistungsbezogenen Gehaltsbestandteilen und nicht-leistungsbezogene Besoldungsbestandteile betreffen. Die aus den Begründungspflichten resultierende "Einhegung" bliebe dabei ggf. bis zu einem gewissen Grad auch "nur" eine formelle, indem sie den Fachgerichten weitere Direktiven zur Prüfung dieser "zweiten Säule" des Alimentationsprinzips an die Hand geben würde. Die Auswirkungen auf den Besoldungsgesetzgeber wären so dann mindestens mittelbare, schränkten aber zugleich ebenfalls den weiten Entscheidungsspielraums des zukünftigen Besoldungsgesetzgeber nur bedingt ein, stärkten und konkretisierten aber ebenso wie schon die unter 2. genannte Maßnahme die fachgerichtlichen Mittel, was die ungebrochene Fortsetzung auch im Hinblick auf das, was ich unter 1. geschrieben habe deutlich unattraktiver bzw. auch politisch gefährlicher machte, da ein fortgesetzt aufrechterhaltener und weiter vorangetriebener - also dann für die Öffentlichkeit offen erkennbarer - Verfassungsbruch die so vorgehenden politischen Verantwortungsträger diskreditieren sollte.
4. Die weitere Konkretisierung der den Besoldungsgesetzgeber treffenden Begründungspflichten könnte oder dürfte weiterhin mit einer Herleitung der Stellung der sozialen Besoldungskomponenten, die als solche keine besonderen verfassungsrechtlichen Schutz beanspruchen können, da sie kein Teil des Alimentationsprinzips sind, ihre Gewährung also auf keinem hergebrachten Grundsatz des Berufsbeamtentums beruhen sollte - anders stellt sich das hinsichtlich der Alimentation der Familie dar; sie ist Teil der hergebrachten Grundsätze, anders jedoch als ihre nicht verfassungsrechtlich festgelegte Gestalt -, im Gefüge der Besoldungsbemessung einhergehen, die - ggf. im Rahmen eines Obiter Dictums - gleichfalls aus der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts herleitet, dass eine Betrachtung zivilrechtlicher Einkünfte mindestens bei aktiven Beamten dem Besoldungsgesetzgeber nicht gestattet ist. Auch damit würde der weite Entscheidungsspielraum, über den der Besoldungsgesetzgeber verfügt, in futuro nicht weiter eingeschränkt werden, da das Referat ja nur die heute sowieso schon von ihm zu beachtenden Grundsätze noch einmal in Erinnerung brächte.
Das wären zunächst einmal vier zentrale Leitpflöcke, von denen ich ausgehe, dass sie in den Boden gebracht werden müssten, um so die beiden "Säulen" des Alimentationsprinzips weiter zu festigen. Eine "Versteinerung" des Besoldungsrechts würde von ihnen nicht ausgehen, allerdings würde sich der Besoldungsgesetzgeber nun eindeutig daran gebunden sehen, dass die Form und Höhe der seit 2021 neu geregelten sozialen Besoldungskomponenten wie auch in weiten Teilen die Höhe der zuvor schon von der Form her geregelten sozialen Bestandteile - also die Familienzuschläge - sich nicht sachlich rechtfertigen lassen.
5. Entsprechend dürfte es dann m.E. wahrscheinlich sein, dass nächste Jahr neben Schleswig-Holstein, das die Sache nun vonseiten des dbb-SH durch eine Verzögerungsbeschwerde vorantreibt, ebenfalls Niedersachsen, wo konkrete Normenkontrolvlerfahren ebenfalls wie Berlin als Folge einer Revisionsentscheidung anhängig sind, aufgerufen werden sollten, wo wiederum schon 2023 offensichtlich zugleich eine Art verfassungsrechtliches "Faustpfand" zurückgehalten werden sollte. Auch das sollte dann den Druck auf zwei weitere Rechtskreise deutlich erhöhen - was gleichfalls Folge eines nun nach Abschluss des weiteren "Pilotverfahrens" mitsamt der Folge einer "Leitentscheidung" erwartbaren schnelleren Entscheidungsfluss sein sollte, ohne dass das zur "Versteinerung" des Rechtsgebiets führte.
Da dieser Beitrag letztlich nicht unmittelbar mit den Tarifverhandlungen verbunden ist, überführe ich ihn zugleich ins Forum der Bundesbeamten, da da die Diskussion von einer größeren Zahl an Personen geführt wird als im Länderforum, wo ggf. der eigentliche Ort dieser Betrachtung wäre.
Swen, im Kern bin ich bei dir: Berlin wird aus Karlsruhe nicht ohne deutliche Auflagen rauskommen. Ich setze aber ein paar andere Schwerpunkte:
1) § 35 BVerfGG ist kein Allzweckhammer.
Eine Vollstreckungsanordnung wird es m.E. nur in enger Form geben. Also Fristen, klare Vorgaben für Nachzahlungen (pauschaliert, sonst ersäuft die Verwaltung), evtl. ein paar Rechenleitplanken. Aber Karlsruhe wird bestimmt keine fertige Tabelle „erlassen“. Das bleibt beim Gesetzgeber.
2) Methodik ja – aber bitte belastbar.
Ein „Grundgehaltsäquivalent“ oder ähnliches macht Sinn, aber nur, wenn die Datengrundlage stimmt. Heißt konkret:
Referenzhaushalt mit realen Unterkunftskosten,
15 %-Abstand nicht als Ziel, sondern als Untergrenze,
vertikale Abstände und Tarifabstand messbar, nicht geschätzt.
Wenn das nicht einheitlich geregelt wird, klickt sich jedes Land seine eigenen Werte zurecht. Lösung: ein einheitliches Daten-Set, jährlich aktualisiert, das zwingend in die Gesetzesbegründung gehört.
3) Struktur statt Flickwerk.
Alles was auf AEZ-Krücken oder kreative Zulagen hinausläuft, produziert die nächste Normenkontrolle. Unten muss das Grundgehalt hoch. Familienalimentation ja – aber sauber und mit echter Dynamik, nicht über irgendwelche Sonderkonstrukte.
4) Begründungspflichten werden schärfer.
Das könnte für die Politik unangenehm werden: wenn Karlsruhe die formellen Anforderungen hochschraubt, reichen schon Begründungsmängel, um ein Gesetz zu kippen – ganz ohne materielle Prüfung. Konsequenz: Der Gesetzgeber wird gezwungen, Parameter und Daten sauber in den Gesetzentwurf zu schreiben und jährlich Bericht zu erstatten.
5) Der dicke Brocken sind die Finanzen.
Hebst du unten, musst du automatisch in der Kaskade nachziehen, sonst brechen die Abstände. Das wird teuer, ist aber am Ende alternativlos.
Wo ich dir widerspreche / ergänze:Karlsruhe wird sich hüten, über Berlin hinaus „Gesetzgeber zu spielen“. Der Druck entsteht politisch durch Übertragbarkeit, nicht durch unmittelbare Bindung.
Ein echter Index (CPI + 15 %-Floor + Tarif-Benchmark) ist keine Versteinerung, sondern eher Versicherung gegen den nächsten Verfassungsbruch.
Wer beim Berechnen des Floors Fantasiemieten nimmt, baut sich gleich den nächsten Skandal. Ohne echte KdU-Zahlen bleibt alles Theorie.
Kurz gesagt:
Wenn Berlin per § 35 zum Handeln gezwungen wird, ist das nur der Startschuss. Entscheidend wird, ob es danach gelingt, ein sauberes System zu etablieren:
Grundgehalt unten strukturell anheben,
einheitliches Datenset nutzen,
Automatismus (Index) ins Gesetz schreiben.
Sonst sitzen wir in fünf Jahren wieder hier und führen die gleiche Diskussion.