Der ehemalige BVR wägt, denke ich, Reisinger, materielle Güter gegeneinander ab, was das typische Verhalten von Verfassungsrechtlern ist, und achtet dabei im konkreten strittigen Fall peinlich genau darauf, sich auf keine Seite zu stellen, sich also im Nachhinein als ggf. befangen zu zeigen. Entsprechend ist m.E. mindestens dreierlei interessant:
1. Welche Darlegungen führt er für den ggf. sachlichen Gehalt des Entwurfs ins Feld und welche dagegen? Da er dabei insbesondere - wenn auch nur indirekt, da er sich eines abschließenden sachlichen Urteils i.d.R. zu enthalten versucht - den § 71b als offensichtlich verfassungwidrig betrachtet und darüber hinaus beträchtliche verfassungsrechtliche Zweifel an der Struktur des 2022 neugeregelten Ortszuschlagswesens äußert, kritisiert er augenscheinlich deutlich die zentralen seit dem aktuellen Judikat aus dem Mai 2020 in Nordrhein-Westfalen vollzogenen bzw. derzeit sich im Vollzug befindlichen Neuregelungen.
2. Dabei ist m.E. nicht nur von Interesse, was er explizit sagt, sondern mindestens ebenso, was er - fast hätte ich gesagt: explizit - nicht sagt. Denn er referiert entsprechend über weite Strecken nur die vorliegende bundesverfassungsgerichtliche Rechtsprechung oder setzt diese als bekannt voraus, sodass man sich neben seiner wiederkehrenden Würdigung des Gesetzentwurfs unter der Prämisse, dass die von ihm genannten Daten von ihm unbesehen als sachgerecht vorausgesetzt werden (obgleich er offensichtlich weiß, dass das nicht immer der Fall ist), seine - wie ich finde - so eindeutige wie weitreichende Kritik wiederkehrend selbst erschließen muss. Denn tatsächlich überwiegend in seiner Betrachtung deutlich die - zumeist nur aus der Betrachtung der von ihm zugrunde gelegten bundesverfassungsgerichtlichen Rechtsprechung zu erschließende - sachlich Kritik.
3. Im Ergebnis zeigt sich nun also das Folgende: Wenn sich sowohl das bereits eingeführte Ortszuschlagswesen als auch die nun vorbereitete Regelung, das Partneinkommen zu betrachten, in der gewählten Struktur als verfassungswidrig herauskristallisieren sollte - was der ehemalige BVR für den letzten Fall offensichtlich mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit so betrachtet, um es für den ersten Fall, der im Entwurf bereits keine Neuregelung mehr darstellt und deshalb dort kein Thema ist und den er deshalb nur kurz anreisst, recht deutlich werden zu lassen, dass auch er - also das 2022 neu eingeführte Ortszuschlagswesen - von seiner Struktur her kaum mit dem Abstandsgebot zwischen vergleichbaren Besoldungsgruppen zu vereinbaren sein sollte, dann hat der nordrhein-westfälische Besoldungsgesetzgeber augenscheinlich ein beträchtliches Problem.
Denn im Ergebnis hat er mit diesem und dem Gesetzgebungsverfahren aus 2022 die aktuelle bundesverfassungsgerichtliche Rechtsprechung heute insoweit anerkannt, dass er seiner Gesetzgebung nun ein gehörig höheres Alimentationsniveau zugrunde legt, als das noch 2019 oder 2020 der Fall gewesen ist. Der nordrhein-westfälische Besoldungsgesetzgeber hat also zwischenzeitlich eine deutlich höhere Alimentationshöhe sachlich geregelt als noch in den gerade genannten Jahren - es wird ihm daraufhin nun entsprechend schwer fallen, zukünftig sachlich begründen zu wollen, dass diese Höhe doch nicht sachgerecht sei (indirekt versucht er das mit der Betrachtung des Partnereinkommens in gewisser Weise zu vollziehen; nur erkennt er eben ob des Ergänzungszuschlags zum Familienzuschlag dabei dennoch das nun noch einmal deutlich höhere Alimentationsniveau als 2022 an).
Wenn nun die beiden genannten sozialen Besoldungsbestandteile sich von ihrer gewählten Struktur her sachlich nicht rechtfertigen lassen - was offensichtlich der Fall ist und woran der ehemalige BVR bei genauem Lesen weitgehend kaum einen Zweifel lässt -, dann bleibt zukünftig für den Besoldungsgesetzgeber genau das Problem, nämlich das Niveau der Alimentationshöhe sachlich bereits anerkannt zu haben - zukünftig meint, im Nachklang an eine rechtskräftige Entscheidung. Es muss sich entsprechend zeigen, wie er danach ggf. weiterhin eine vor allem fiskalisch geprägte Besoldungsgesetzgebung vollziehen wollte, ohne damit nicht sachlich untätig zu bleiben bzw. nur so zu handeln, dass das einer Untätigkeit gleichkäme.
Ergo: Der ehemalige BVR ist zum Glück nicht auf der Seite der Beamten. Er hat hingegen nur aus einer offensichtlich neutralen Warte heraus Ausführungen getätigt, die sachlich recht weitgehende Schlüsse zulassen. Das gilt übrigens ebenso für den zweiten Teil seiner mittleren Ausführungen, die ich hier nun als Abschluss meiner Betrachtung anfüge:
2) Ausführungen ab Std. 1:32:56
Im weiteren der beiden mittleren Teile seiner Ausführungen nimmt der ehemalige BVR ab der Std. 1:32:56 ebenfalls Stellung zu einer erneuten Frage des Abgeordneten Witzel, der sich bei den anwesenden Sachverständigen unter anderem erkundigte, ob sie Gefahren und Tendenzen in der Strategie sehen würden, als Folge einer im Marktvergleich unterdurchschnittliche Besoldung die Einstellungsvoraussetzungen abzusenken, sodass man mit dem Besoldungssystem, auf das sich zubewegt werde, nicht mehr die besten Köpfe für den öffentlichen Dienst gewinnen würde (vgl. hier insgesamt ab Std. 1:18:17 und insbesondere ab 1:21.36).
a) Darlegungen des ehemalige BVR und seine Interpretation
Der ehemalige BVR folgt offensichtlich auch hier in seiner Antwort seiner Grundvoraussetzung, dass die vom Entwurf herangezogenen Daten stimmten, und führte zunächst aus, dass auf der zweiten Stufe des bundesverfassungsgerichtlichen „Pflichtenhefts“ geprüft werde, ob sich die Amtsangemessenheit der Alimentation, um ihre qualitätssichernde Funktion zu erfüllen, auch durch ihr Verhältnis zu den Einkommen erweise, die für vergleichbare oder auf der Grundlage vergleichbarer Ausbildung erbrachte Tätigkeiten außerhalb des öffentlichen Dienstes erzielt werden würden (vgl. die Rn. 89 des aktuellen Judikats). Entsprechend spiele diese Prüfung im Gesetzentwurf keine Rolle, weil jener auf der ersten Stufe der Prüfung bereits davon ausgegangen sei, dass keine Vermutung einer verfassungswidrigen Unteralimentation gegeben sei. Damit referiert der ehemalige BVR auch hier das, was der Gesetzentwurf ausführt, der nicht konkret in die Prüfung der zweiten Prüfungsstufe eingestiegen ist, sondern vielmehr zur zweiten Prüfungsstufe auf der Seite 91 ausschließlich hervorhebt: „Nach dem Ergebnis der ersten Prüfstufe wird keiner der fünf Parameter auf der ersten Prüfungsstufe erfüllt. Für die auf der zweiten Prüfungsstufe gebotene Gesamtabwägung sind keine weiteren Umstände ersichtlich, die auf eine Unangemessenheit der Bezüge hindeuten. Die Höhe der Alimentation ist damit amtsangemessen und verfassungskonform.“
Nachdem er sich also zuvor erneut eines Urteils enthoben hatte, weist er im Anschluss aber darauf hin, dass in der mündlichen Verhandlung über die nordrhein-westfälische Besoldung im Jahr 2015 (vgl. BVerfGE 140, 240;
https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2015/11/ls20151117_2bvl001909.html) ein entsprechender Vergleich vorbereitet worden sei, wobei sich dort im Oberlandesgerichtsbezirk Hamm 100 nicht besetzte Richterstellen gezeigt hätten, die über längere Zeit nicht hätten besetzt werden können, was vermutlich mit der gesamten Attraktivität dieser Stellen zu tun gehabt habe. Der genannte Oberlandesgerichtsbezirk umfasst die Gerichtsbezirke Arnsberg, Bielefeld, Bochum, Detmold, Dortmund, Essen, Hagen, Münster, Paderborn und Siegen, von denen einige strukturschwache Regionen oder Gebiete umfassen (vgl. zu den Gerichtsbezirken unter
https://www.olg-hamm.nrw.de/aufgaben/gerichtsbezirk/index.php). Er habe zwar aus der Justiz gehört, dass die Problematik hier heute weitgehend behoben sei. Nichtsdestotrotz sei das schon ein Menetekel, das man nicht zuletzt hinsichtlich der Attraktivität der R-Besoldung im Hinterkopf haben sollte, wobei der ehemalige BVR hier implizit an seine vorherigen Aussagen anschließt, wie sie oben unter der Betrachtung der vergleichsweise sehr niedrigen Richterbesoldung in Deutschland referiert worden sind, ohne dass er auch hier explizite Zusammenhänge herstellte oder sich ein Urteil erlauben würde, das er also wie zumeist in seinen Darlegungen dem Zuhörer überlässt. Entsprechend hebt er im Anschluss hervor, dass die seiner Meinung nach offensichtlich kaum hinreichende Attraktivität der R-Besoldung nicht auf diese beschränkt bleibe, denn das gelte ebenso für die Verwaltung und den Verwaltungsdienst.
Darüber hinaus gebe es ein paar weitere Gesichtspunkte, die er nicht quantifizieren könne – damit hebt er auch hier hervor, dass er sich mit ihrer Darlegung eines Urteils enthalten wolle –, die aber gleichfalls bundesweite eine Rolle spielten, nämlich dass insbesondere im Hinblick auf die geregelten Arbeitszeiten im öffentlichen Dienst Juristen nach einiger Zeit wiederkehrend aus der freien Wirtschaft in die Staatsanwaltschaft wechseln würden, obgleich sie hier eine deutlich geringere Alimentation gegenüber ihrem vormaligen Verdienst vorfänden. Hier offenbare sich ein gegenläufiger Gesichtspunkt, der zeige, dass Geld nicht alles sei, sondern dass es ebenso auch auf die Attraktivität, das Sozialpredige des Berufs und seine Wertschätzung ankomme.
Ebenso käme hinzu, dass Deutschland im europäischen Vergleich überdurchschnittlich viele Richter beschäftige, was möglicherweise für die soziale Wertschätzung und auch die Alimentation diffuse negative Konsequenzen habe. Zugleich könne nicht ausgeklammert werden, dass es heute ein Drittel weniger Jurastudenten gäbe als noch vor zehn Jahren, so wie es ebenfalls einen deutlichen Rückgang bei der Zahl der Absolventen geben würde. Beides mache es aber nur umso wichtiger und umso dringender, dass man nicht nur durch die Senkung der Einstellungsvoraussetzungen, insbesondere der Examensnote, reagiere, sondern dass man vor allem die Dritte Gewalt und den Richterberuf attraktiv halte und attraktiver machte, als letzterer es im Moment sei.
b) Fazit
Nicht zuletzt mit diesen letzten, aber im Ganzen betrachtet mit seinen gesamten hier referierten Ausführungen beantwortete der ehemalige BVR die Abgeordnetenfrage umfassend, ob auch er Gefahren und Tendenzen in der Strategie sehen würde, als Folge einer im Marktvergleich unterdurchschnittliche Besoldung die Einstellungsvoraussetzungen abzusenken, sodass man mit dem Besoldungssystem, auf das sich zubewegt werde, nicht mehr die besten Köpfe für den öffentlichen Dienst gewinnen würde. Denn nachdem er zuvor bereits auf die im europäischen Vergleich sehr niedrige Richterbesoldung in Deutschland verwiesen hatte (vgl. oben) und nun darüber hinaus die seiner Meinung nach offensichtlich kaum hinreichende Attraktivität der R-Besoldung nicht auf diese beschränkt sehen wolle, sondern feststellt, dass eine kaum hinreichende Attraktivität der Besoldung ebenso für die Verwaltung und den Verwaltungsdienst gelte, betrachtet er es jetzt am von ihm hervorgehobenen Beispiel der Justiz als nur umso dringender, dass man nicht vor allem die Einstellungsvoraussetzungen absenkte, sondern dass man vielmehr in erster Linie zur Gewinnung qualifizierten Nachwuchses die Dritte Gewalt und den Richterberuf attraktiv halte und attraktiver machte, als letzterer es im Moment sei.
Damit aber hebt er insbesondere die wichtige Funktion einer amtsangemessenen Alimentation für die Gewinnung von qualifizierten Nachwuchs hervor, um ebenso weitere Faktoren zu nennen, nämlich explizit die Arbeitszeit, genauso wie allgemein die Attraktivität, das Sozialpredige des Berufs und seine Wertschätzung in der Gesellschaft, die im Blick zu behalten sein sollten, und zwar das nur umso mehr, als dass sich heute auch in der Justiz sowohl hinsichtlich der Studierendenzahlen als auch im Hinblick auf die Zahl der Absolventen ein zunehmendes Nachwuchsproblem offenbare.
Ohne dass er es also abschließend als ein Urteil explizierte, pflichtete er den offensichtlichen Sorgen des Abgeordneten im Kontext seiner gesamten Ausführungen augenscheinlich vollumfänglich bei. Denn nicht umsonst hatte er zuvor bereits – ohne sich auch hier ein abschließendes Urteil zu erlauben – implizit darauf verwiesen, dass die Anhebung vor allem von sozialen, leistungslosen Besoldungskomponenten offensichtlich nicht hinreichend sein könnte, um nicht zuletzt die Forderungen, wie sie sich aus dem Leistungsgrundsatz aus Art. 33 Abs. 2 GG ergeben, zu erfüllen (vgl. oben). Ebenso hatte er – auch das ohne ein entsprechend abschließendes Urteil, jedoch in der Sache argumentativ eindeutig – die geplanten Regelungen des Art. 71b, unabhängig davon, dass er das mit ihm einhergehende Antragswesen ebenfalls als „Bürokratiemonster“ betrachtet hat, offensichtlich als einen verfassungswidrigen Rechentrick betrachtet und seine gehörigen Zweifel anklingen lassen, dass das 2022 geregelte Ortszuschlagswesen in der Form, wie es sich heute zeigt, mit der Verfassung in Einklang zu bringen sein könnte (vgl. oben). Es liegt also auf der Hand, dass das Land Nordrhein-Westfalen nach Ansicht des ehemaligen BVRs mit dem Besoldungssystem, auf das es sich derzeit zubewegt, nicht mehr die besten Köpfe für den öffentlichen Dienst gewinnen können wird – das von ihm genannten Menetekel aus der Vergangenheit sollte dabei gleichfalls nicht aus dem Blick verloren gehen –, so wie man davon ausgehen muss, dass der ehemalige BVR aktuell davon ausgeht, dass auch heute schon die Attraktivität im öffentlichen Dienst des Landes Nordrhein-Westfalen gesteigert werden sollte. Denn ansonsten hätte er nicht die Verbesserungsvorschläge anklingen lassen, die er insbesondere in diesem zweiten der beiden mittleren Teile seine Ausführungen gemacht hat.
@ PolareuD
Die Antwort auf Deine Frage ergibt sich aus dem genannten nicht verrechtlichten Kodex genauso wie aus seinem für einen ehemaligen Verfassungsrichter zentralen Bemühen, unter allen Umständen in einer politisch dominierten Rechtsfrage die Neutralität zu wahren, sich also ggf. nicht im Nachhinein als befangen zu zeigen. Auch für aus dem Amt eines Richters am Bundesverfassungsgericht ausgeschiedene Beamte gilt darüber hinaus offensichtlich bis zu ihrem Lebensende das, was § 33 Abs. 2 BeamtStG regelt (
https://www.gesetze-im-internet.de/beamtstg/__33.html):
"Beamtinnen und Beamte haben bei politischer Betätigung diejenige Mäßigung und Zurückhaltung zu wahren, die sich aus ihrer Stellung gegenüber der Allgemeinheit und aus der Rücksicht auf die Pflichten ihres Amtes ergibt."
Ich denke, dass man das Handeln als Sachverständiger in einem Anhörungsverfahren entsprechend so - jedenfalls spätestens dann, wenn eine Äußerung als politisch gewertet werden könnte - betrachten könnte. Ebenso bleibt zu beachten, was § 34 Abs. 1 hervorhebt, nämlich dass das Verhalten von Beamten innerhalb und außerhalb des Dienstes der Achtung und dem Vertrauen gerecht werden muss, die ihr Beruf erfordern. Darüber hinaus wird jeder Richter, auch nach seinem Ausscheiden aus dem aktiven Dienst, den § 39 DRiG weiterhin im Kopf behalten, vermute ich: "Der Richter hat sich innerhalb und außerhalb seines Amtes, auch bei politischer Betätigung, so zu verhalten, daß das Vertrauen in seine Unabhängigkeit nicht gefährdet wird."
Während der Anhörung fand ich insbesondere den Geschäftsführer des DRB NRW, Gerd Hamme, in seinen gesamten Ausführungen sehr klar. Das gilt auch für die von ihm formulierte kurze, aber präzise Stellungnahme, vgl. unter:
https://www.landtag.nrw.de/portal/WWW/dokumentenarchiv/Dokument/MMST18-1645.pdf