Problematik der Fortschreibungsprüfung und Mindestbesoldung
Ob der Gesetzgeber bei der kontinuierlichen Fortschreibung der Besoldung der allgemeinen Einkommensentwicklung ausreichend Rechnung getragen hat, muss im Rahmen einer zweistufigen Prüfung anhand von vier Parametern geprüft werden. Die ersten drei sind dabei volkswirtschaftliche Vergleichsgrößen (Tariflohnindex, Nominallohnindex und Verbraucherpreisindex) und der vierte Parameter ist ein systeminterner Besoldungsvergleich, dem Abstandsgebot.
Bei den volkswirtschaftlichen Parametern hat sich das BVerfG das Jahr 1996 als Ausgangspunkt seiner Betrachtung genommen. Diesen Bezugspunkt hat das BVerfG gewählt, weil es erst seitdem eine Statistik über den Nominallohnindex und den Verbraucherpreisindex gibt. Somit nimmt das BVerfG jetzt den Betrachtungszeitraum seit 1996 bis heute in den Blick. Das kann aber zu statistischen Ausreißern führen, die gravierende Verzerrungen nach sich ziehen können. Mögliche Verzerrungen sind daher zu identifizieren, um sie dann im gerichtlichen Verfahren auf der zweiten Prüfungsstufe benennen zu können, so dass diese Betrachtung in die Gesamtabwägung und Gesamtbetrachtung einbezogen werden können.
Um die Besoldungsentwicklung bis 1996 weiterhin aufzuschließen, bietet es sich an, die reale Besoldungs- und Lohnentwicklung am Beispiel eines Beamten in A14 zu betrachten, um so mit der Kaufkraftentwicklung eine zentrale volkswirtschaftliche Kennzahl in den Blick zu nehmen, auch wenn die Reallohnentwicklung kein Parameter des Pflichtenheftes ist. Zumindest in Westdeutschland liegen Statistiken seit 1979 vor, so dass man eine Entwicklung zumindest von 1979 bis 1996 betrachten kann.
Aus dem Diagramm Abb. Nr. 4 auf Seite 7 von Dr. Thorsten Schwan (
https://www.thueringer-beamtenbund.de/fileadmin/user_upload/www_thueringer-beamtenbund_de/pdf/2025/Schriftliche_Zusammenfassung_Teilnehmerunterlagen.pdf) kann man erkennen, das ausgehend vom Basisjahr 1979 die bundesdeutschen Reallöhne von 1980 bis 1996 um knapp 10 % gestiegen sind, während die reale Besoldung (also nach Abzug der Kaufkraftentwicklung) um etwa 9 % gefallen ist. Die Realbesoldungslücke lag demnach 1996 bei etwa 19 %. Der Parameterwert liegt somit weit mehr als doppelt so hoch, als es eine besonders deutliche Abkopplung der Besoldung anhand der drei volkswirtschaftlichen Parameter indizierenden Werte ergeben würde. Entsprechend muss davon ausgegangen werden, dass die bundeseinheitlich geregelte Besoldung bereits 1996 vollständig von der allgemeinen Lohnentwicklung abgekoppelt war.
Zwischen 1996 und 2002 gab es jedoch leichte Aufholeffekte, die bei einem Betrachtungsjahr 1996 den Eindruck erwecken, dass die Besoldung eben nicht von der allgemeinen Einkommensentwicklung abgekoppelt wurde und diese somit erst deutlich später sichtbar wird. Nach der Föderalismusreform I im September 2006 hätten die Besoldungsgesetzgeber eigentlich dem entgegen wirken müssen. Allerdings führten die Besoldungsgesetzgeber in unterschiedlicher Ausprägung die vollständig abgekoppelte Besoldung weiter fort. Aufgrund dieser statistischen Verzerrungen wirken die Parameter im Rahmen der Fortschreibungsprüfung jedoch kaum verletzt, obwohl davon auszugehen ist, dass bereits 1996 die Beamten vollständig von der allgemeinen Lohnentwicklung abgekoppelt waren und somit bereits im Ausgangsjahr die Bezüge der betreffenden Beamten in A 14 bereits 1996 schon nicht mehr ausgereicht haben dürften, um den betreffenden Beamten nach seinem Dienstrang, nach der mit ihrem Amt verbundenen Verantwortung und nach der Bedeutung des Berufsbeamtentums für die Allgemeinheit entsprechend des allgemeinen Lebensstandards angemessenen Lebensunterhalt zu gewähren. Außerdem wurde 1996 die Sonderurlaubsregelung verschärft, ein arbeitsfreier Tag gestrichen, die Jubiläumsausgaben für 25 und 40 jähriges Dienstjubiläum gestrichen, die 40 Stundenwoche eingeführt und es gab Leistungskürzungen bei der Beihilfe, die sich im Jahre 1997 mit einer Einführung eines Eigenanteils bei der Beihilfe von 150 DM verschärft hat.
Durch die Veränderung von Altersstufen 1997 und Überführung in Erfahrungsstufen 2003 fand innerhalb des vom BVerfG betrachteten Zeitraum zweimal eine Stauchung des Besoldungsgefüges statt, die vor allem im höheren Dienst wie bei unserem nach A14 besoldeten Beamten, der wenn er bereits vor 1996 in den Beamtendienst ernannt wurde, zweimal miterleben musste, dass er über einen längeren Zeitraum von der allgemeinen Einkommensentwicklung abgekoppelt war und lediglich durch Ausgleichszahlungen im Rahmen der Besitzstandswahrung sein bisherige Besoldung so lange eingefroren wurde, bis die tatsächliche Besoldung die bisherige Besoldung übertroffen hatte. Insgesamt verfolgte der Besoldungsgesetzgeber das Ziel, erhebliche Einsparungen bei der Beamtenbesoldung vorzunehmen. Mit der Dienstrechtsreform 1997 haben Bund und Länder für Besoldung und Versorgung insgesamt etwa 1,5 Mrd DM pro Jahr eingespart. Vom DBB Nordrhein-Westfalen wird es als „Reformruine“ bezeichnet, da es viele Verschlechterungen mit sich bringt. Das politische Versprechen, die eingesparten Gelder zur Zahlung für Leistungselementen wurde politisch so gut wie nicht genutzt.
https://oeffentlicher-dienst.info/beamte/bund/a/1997/stufen1997.htmlhttps://www.otv.de/mediathek/video/heute-vor-25-jahren-reform-im-beamtengesetz/Ab 1997 wurden Beamte in der Lohnsteuertabelle B steuerlich veranlagt, was eine Reduzierung des Nettoeinkommens bedeutete. Somit war der hier betrachtete Beamte in A 14 durch diese strukturellen Reformen von der allgemeinen Einkommensentwicklung abgekoppelt, was sich jedoch bei der Betrachtung der drei volkswirtschaftlichen Parametern noch nicht einmal indizierend auswirkt.
Betrachtung des Abstandsgebot im Kontext der Mindestbesoldung
Zum einen wurden aufgrund der geänderten Erfahrungsstufen die Besoldungsgruppen schleichend gestaucht. So gab es 1996 noch 199 belegte Felder in der Besoldungsordnung A, heute sind es nur noch 88 Felder. Auch bildet im Gegensatz zu 1996 nicht mehr A 1 EF1 den Ausgangspunkt der Besoldungsstaffelung, sondern A3 EF1.
Die wiederkehrende Streichung von unteren Besoldungsgruppen und Erfahrungsstufen sowie die Überleitung der betroffenen Beamten in die entsprechend höheren Gruppen und Stufen war nichts anderes als eine Besoldungserhöhung zu ihren Gunsten. Damit hat aber für alle anderen Bediensteten eine schleichende Abschmelzung ihrer Abstände zu dem Beamten im Ausgangspunkt der Tabelle stattgefunden, der wie wir heute wissen, den Ausgangspunkt der Mindestbesoldung bildet. Während der Bund immerhin noch Beamte in A3 besoldet, sind andere Rechtskreise noch weiter. So ist beispielsweise in Baden Württemberg bereits heute A7 EF 1 der neue Fixpunkt für die Mindestbesoldung.
Dadurch wird schleichend der Abstand der höheren Besoldungsgruppen zur Mindestbesoldung, oder besser ausgedrückt, zur prekären Besoldung verringert. Würde heute weiterhin die erste Erfahrungsstufe der Besoldungsgruppe A1 den Ausgangspunkt der Besoldungsstaffelung und somit bereits dort die Mindestbesoldung gezahlt werden müssen, müsste sich – die lineare Anhebung aller darüber liegenden Besoldungsgruppen und Erfahrungsstufen vorausgesetzt - der Fehlbetrag zur Mindestbesoldung aktuell in einem erheblich größeren Umfang darstellen, als derzeit. Wenn es also heute noch den A1er geben würde, hätten wir heute eine vollständige Einebnung der ursprünglichen Abstände von 1996 im Bund zumindest bis A3, in Baden Württemberg bis zur Besoldungsgruppe A7, zu konstatieren, die das Abstandsgebot absolut verletzen und mithin verfassungsrechtlich nicht zu rechtfertigen wären.
Während sich also im Bund der Beamte in A9 zum Beispiel in der siebten Besoldungsgruppe nach der Besoldungsgruppe, die nach der Mindestbesoldung alimentiert werden muss, befindet, ist er in Baden Württemberg nur in der dritthöchsten Besoldungsgruppe, mithin wäre sein zu prüfender Abstand zu prekären Besoldung durch die dort bereits durchgeführte Streichung der unteren und mittleren Besoldungsgruppen deutlich geringer.