Man kann Frauen doch nicht vor ihren persönlichen Lebensentscheidungen schützen. Sollte man auch nicht.
Ich bin für die Wahllösung: weniger Stunden oder mehr Gehalt.
Was denkst Du, ganz ehrlich, würde dabei herauskommen? Mehr Männer würden sich für das Gehalt, mehr Frauen für die Stundenreduzierung entscheiden. Und das ist auch OK so.
Wieso eine Gruppe für effektive Gehaltseinbußen zu weniger Wochenarbeitszeit "zwingen"? Das ist genauso unsinnig, wie Frauen zu einer höheren Wochenarbeitszeit zu zwingen, obschon ihnen offensichtlich andere Dinge wichtiger sind...
Deine Sprache liest sich zudem etwas sehr politisch gefärbt, aber womöglich ist das auch nur meine Befindlichkeit. Ich bin kein Freund zu großer Partikularisierung aus der Ecke, die gleichzeitig Solidarität predigt.
Nach über einem Jahrzehnt sollte endlich wieder energisch die Wochenarbeitszeit angegangen werden.
Insbesondere im überwiegenden Interesse und der ernstlichen und solidarischen Wertschätzung Frauen gegenüber:
Wir haben nach Stand des DGBs vom 30.06.2018 4,8 Millionen Beschäftigte im öffentlichen Dienst, davon sind mit 57 % mehr als die Hälfte Frauen, mithin über 2,7 Millionen. Knapp die Hälfte aller Frauen arbeitet in Teilzeit, bei den Kommunen sogar über 55 %.
Wir sprechen also von über 1 Million Frauen, viele von ihnen in den sog. systemrelevanten Bereichen, die über Verantwortung nicht nur reden, sondern handeln. Die Verantwortung und Betreuung von Kindern und älteren Angehörigen und Mitmenschen leben und aktiv verwirklichen. Frauen, die Gehaltseinbußen spüren und regelmäßig von Beförderungen ausgenommen werden. Frauen, die nur zu deutlich das Damoklesschwert der geringeren Altersvorsorge spüren, spätestens mit dem jährlichen Kontoauszug der Rentenversicherung.
Ganz zu schweigen von den unzählbaren Frauen, die das Arbeitspensum für Betreuung und Pflege „irgendwie“ versuchen in Vollzeit zu wuppen und kräftemässig auf dem Zahnfleisch kriechen.
Allen Gleichstellungsversuchen zum Trotz hat sich so gut wie überhaupt nichts für Frauen getan. Attraktive Stellen, insbesondere im gehobenen Bereich, werden nach wie vor intern und überwiegend an männliche Kollegen vergeben, weil sie, teilweise auch bewusst, mit Vollzeit und derart vielen Anforderungs-Attributen an zb. Anwesenheit, Erreichbarkeit und Erfahrungen belegt werden, die Frauen mit beträchtlichen privaten Verpflichtungen überhaupt erst keinen Zutritt ermöglichen, und an die, was überaus zu beanstanden ist, erst gar nicht bei Besetzungsfragen gedacht wird.
Und zur öffentlichen Ausschreibung kommen dann in aller Regel die Stellen, für die sich intern niemand finden ließ. Mal abgesehen von den öffentlich auszuschreiben Bürgermeisterstellen, neu geschaffenen (Dienst-)Stellen und techn. Stellen. Ausnahmen bestätigen die Regel.
Seit über 10 Jahren beobachte ich die Ausschreibungen im öD im Radius von 50 km: darunter war zb. keine Führungsposition, die auch nur ansatzweise Frauen und Menschen in Teilzeit überhaupt bewusst einen Zutritt ermöglicht hätte.
Keine Rede von Rücksichtnahme auf Betreuung und Pflege, individuell mögliche Vereinbarungen, Anpassung organisatorischer Abläufe etc.
Obwohl gesellschaftlich breit geschätzt und respektiert wird, dass gerade Frauen mit erheblichen privaten Verpflichtungen allgemein echte Organisationstalente mit äußerst effizienten Arbeitsweisen sind, mit neuen Ideen und erfolgsoptimierten Lösungsorientierungen arbeiten.
Da nützt am Ende einer Ausschreibung der Satz „Bewerbungen von Frauen sind ausdrücklich erwünscht“ oder ein halbherzig hingeworfener Text, weil normativ erwünscht, „bei gleicher Leistung...Frauen bevorzugt...“ auch nichts, wenn vorher mindestens 10 abgeschriebene, uralte „war schon immer so“-orientierte Anforderungsprofile, genau das ausschließen, und zur Farce werden lassen.
Und, ja, individuelle Stundenvereinbarungen sind überall möglich. Sonst säßen wir heute noch vor 50-Stunden-Wochen und Plakaten mit „Samstags gehört Vati mir“.
Insofern würde eine Reduzierung der wöchentlichen Arbeitszeit wesentlich mehr und deutlich schneller dazu beitragen, dass die überwiegende Anzahl an Beschäftigten im öffentlichen Dienst, nämlich Frauen, annähernd mehr Chancen auf Karriereaussichten und bessere Altersvorsorge hat, als alle Gleichstellungsversuche- und versprechen bisher.
Der Diskussionsansatz sollte daher die 35-Stundenwoche sein, auch nach den positiv überwältigenden Umfrageergebnissen zur Möglichkeit der Arbeitszeitreduzierung.
Damit würde dann auch die alte allgemeine Schallgrenze von 38,5 Stunden (1990 West) durchbrochen, die in den Jahren 2006-2008 wieder beginnend mit 39 Stunden zurückgeführt wurde.
Und darüber hinaus deutlich zur Attraktivität des öffentlichen Dienstes, insbesondere der schwer zu besetzenden Stellen, beitragen.
Mit derzeitigem Blick unter Corona-Bedingungen auf Wirtschaft und Steueraufkommen wäre eine Reduzierung auch unter Konzentration und Bündelung/Forcierung/Digitalisierung von Arbeitsprozessen ohnehin wesentlich erfolgreicher und vorteilhafter für Arbeitnehmer und Arbeitgeber, realistisch gesehen.
Denn angesichts der Einbrüche in Wirtschaft und Steueraufkommen, der aktuell breit und umfangreich aufgestellten Zuschüsse für Unternehmen und Privatpersonen, den daraus resultierenden Haushaltsfehlbeträgen und Kreditaufnahmen, sowie dem voraussichtlich größtenteils wegfallenden Solidaritätszuschlag in wenigen Monaten, wird zu den Verhandlungen mit den ersten Quartalszahlen mit Diskussionen um eine „gesellschaftlich soziale“ Nullrunde und somit Auseinandersetzungen grob rund um einen Inflationsausgleich zu rechnen sein, und die Rate bewegte sich in den letzten Monaten von 1,4 % bis aktuell 0,9%.
Und letztlich wäre eine neue, geringere Wochenarbeitszeit auch ein wichtiges Zeichen für große Teile der Privatwirtschaft, auch dort für Millionen Frauen in Teilzeit, und auch dort wesentlich in systemrelevanten Bereichen.
Fazit: Die Verhandlungen sollten von breiter Solidarität für Menschen in Teilzeit, eben hauptsächlich Frauen, zudem meist in systemrelevanten Bereichen, getragen sein.
Es ermöglicht ihnen ad hok einen nachhaltigen Schritt in eine fairere und bessere Vergütung, bessere Karriereaussichten und Altersvorsorge und adäquate Wertschätzung - und käme insgesamt sofort und absehbar mittelfristig allen Beschäftigten im öD zu Gute, langfristig hoffentlich auch allen Erwerbstätigen.
Und optimal wäre es, wenn irgendwann überhaupt nicht mehr von „Vollzeit“ und „Teilzeit“ die Rede wäre, auch diese Begrifflichkeiten zeugen nur noch von althergebrachten und inzwischen überholten Lebensmustern, und dienten letztlich nur der arbeitsrechtlichen Bequemlichkeit.