Hier was aus BW: Klage auf höhere Richterbesoldung in Baden-Württemberg für die Jahre 2012 bis 2022 hat keinen Erfolg
https://www.rechtundpolitik.com/justiz/vg-karlsruhe/klage-auf-hoehere-richterbesoldung-in-baden-wuerttemberg-fuer-die-jahre-2012-bis-2022-hat-keinen-erfolg/
"Ferner wahre die Besoldung der untersten Besoldungsgruppe im Falle einer vierköpfigen Alleinverdienerfamilie den gebotenen Abstand von 15 % zur Grundsicherung."
Wie kommt die Kammer zu dieser Aussage?
Ich dachte, @Swen und viele andere hätten in diversen Threads auf Tausenden von Seiten herausgearbeitet, dass insbesondere das genannte Mindestabstandsgebot seit vielen Jahren in ALLEN Besoldungsrechtskreisen signifikant verletzt ist, teilweise bis hoch zu den Besoldungsgruppen A10/A11/A12/etc.?
Zu diesem Fall hatte ich auf den letzten Seiten - Pars pro Toto - einiges gesagt. Ein Verwaltungsgericht prüft einen Fall auf Grundlage der gesetzlichen Regelungen. Es geht dabei solange davon aus, dass die gesetzliche Regelung sachgerecht ist, solange es nicht zu dem Schluss gelangt, dass eine gesetzliche Regelung, die für die Entscheidung des Falls heranzuziehen ist,
evident sachwidrig ist. Kommt das Verwaltungsgericht während der Prüfung zu dem Schluss, dass eine für die Entscheidung des Falls heranzuziehende gesetzliche Regelung evident sachwidrig ist, setzt es das Verfahren aus und formuliert eine Vorlage an das Bundesverfassungsgericht. Kommt es - was der Regelfall ist - zu dem Schluss, dass alle notwendigerweise anzuwendenden gesetzlichen Regelungen angewendet werden können, entscheidet es über den Fall. Das tut es auch dann, wenn es davon ausgeht, dass eine gesetzliche Regelung, die zur Entscheidung des Falls heranzuziehen ist, mit 99,99 %iger Wahrscheinlichkeit sachwidrig ist - denn 99,99 % sind nicht 100 %, also stellen keine Evidenz dar.
Eine gesetzliche Regelung - insbesondere eine besoldungsrechtliche Regelung - beruht auf einer Gesetzesbegründung. Die Gesetzesbegründung zeigt regelmäßig, dass ein Gesetz sachgerecht ist; denn genau das ist ja die Aufgabe der Begründung, das Gesetz zu begründen. Kommt das Verwaltungsgericht auf Grundlage des Untersuchungsgrundsatzes zu dem Schluss, dass die Begründung der gesetzlichen Regelung ebenso wie die gesetzliche Regelung selbst evident sachwidrig sind, greift das, was ich im letzten Absatz geschrieben habe. Kommt es nicht zu diesem Ergebnis, entscheidet es über den Fall.
Das Verwaltungsgericht Karlsruhe ist im Zuge der Untersuchung des Falls auf Grundlage der Gesetzesbegründung zu dem Ergebnis gekommen, dass das Mindestabstandsgebot nicht verletzt ist. Es ist dabei wiederkehrend der Gesetzesbegründung gefolgt, sodass es nicht zu dem Ergebnis gekommen ist, dass die Bemessung des Grundsicherungsniveaus oder der gewährten Nettoalimentation evident unzureichend erfolgt wären, so wie das die Gesetzesbegründung dargelegt hat bzw. das der Beklagte ggf. im Laufe des Verfahrens ausgeführt hat (die Betrachtung des 15-%igen Abstands zum Grundsicherungsniveau ist erst seit 2015 Teil des "Pflichtenhefts" und erst seit 2020 als ein hergebrachter Grundsatz des Berufsbeamtentums betrachtet worden; auch deshalb betrachtet die Kammer hinsichtlich des Mindestabstandsgebots vor allem die Gesetzesbegründung für das letzte Jahr des Klageverfahrens, nämlich für das Jahr 2022).
Dabei dürfte es nun auch hier so sein, wie es nicht selten ist: Der Kläger wird nicht hinreichend substantiiert haben, dass das Mindestabstandsgebot evident sachwidrig missachtet worden ist. Dazu kann man im einzelnen - auf die Schnelle - die Sicht der Kammer betrachten (Entscheidung vom 18.03.2025 - 12 K 4318/23 -,
https://www.landesrecht-bw.de/bsbw/document/NJRE001605779, Rn. 60 ff.), was ich aus Zeitgründen nur an einem Beispiel tun möchte:
Die Kammer ist in der Betrachtung des Mindestabstandsgebots u.a. zu dem Schluss gekommen, dass die Ermittlung der Wohnkosten für das Jahr 2022 in Höhe von 1.300,- € sachgerecht erfolgt ist (Rn. 63 ff.). Dabei hat sie es ebenfalls als sachgerecht angesehen, dass der Gesetzgeber für die Bemessung des Jahres 2022 offensichtlich die Werte des 95 %-Perzentils aus dem Jahr 2020 um 100,- € erhöht hat und so unter Heranziehung des 95 %-Perzentils der
Kosten für Unterkunft und Heizung insgesamt den gerade genannten Betrag zugrunde gelegt hat.
Es wäre nun am Kläger gewesen, diese Ansicht als evident sachwidrig zu begründen, was offensichtlich nicht geschehen ist. Die Kammer ist so der Gesetzesbegründung gefolgt, was für alle Beteiligten - mit Ausnahme des Beklagten - ärgerlich ist. Denn - das brauche ich hier nicht ausführen, weil ich das hier schon vielfach auch mit tiefgehenderen Begründungen ausgeführt habe - sozialrechtlich sind die Kosten für den Mietzins von den weiteren Kosten unabhängig zu betrachten. Insofern darf das 95 %-Perzentil der Kosten für Unterkunft und Heizung insgesamt nicht herangezogen werden, was auch das Bundesverfassungsgericht eindeutig, aber nicht ganz einfach zu verstehen so formuliert hat. Der Kammer dürfte das augenscheinlich nicht bekannt sein, weshalb sie nun der Gesetzesbegründung folgt, die nicht vom Kläger hinreichend - also evident - erschüttert worden ist.
Tatsächlich sieht sich ein Gericht in der Prüfung regelmäßig veranlasst, zunächst einmal die kalten Unterkunftskosten anhand des 95 %-Perzentils der laufenden Unterkunftskosten sowie des 95-Perzentils der laufenden Betriebskosten zu bemessen, die 2022 in Baden-Württemberg 970,- € und 300,- € betragen haben. Entsprechend ist von kalten Unterkunftskosten von 1.270,- € auszugehen.
Darüber hinaus sind nun unabhängig von den kalten Unterkunftskosten die Heizkosten zu bemessen, und zwar im Jahr 2022 anhand des aktuellen Heizspiegels mit den Kosten des Vorjahrs, also hier anhand dieses Links (
https://www.heizspiegel.de/fileadmin/hs/heizspiegel-2022/heizspiegel-2022.pdf), der auf der Seite 4 Kosten pro qm von 25,91 € angibt. Damit finden wir bei einer in BW zugrundzulegenden 90 qm großen Wohnung jährliche Heizkosten von 2.331,90 €, also monatliche Heizkosten von 194,33 €, sodass von warmen Unterkunfstkosten in Höhe von 1.464,33 € und nicht 1.300,- als realitätsgerecht auszugehen sein muss.
Dabei hat ein Verwaltungsgericht zu beachten - denn es st an die betreffende Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gebunden -, dass die von Verfassungs wegen zu berücksichtigenden Aufwendungen zur Sicherung des Existenzminimums vom Steuergesetzgeber nach dem tatsächlichen Bedarf realitätsgerecht zu bemessen sind und also Sorge zu tragen ist, dass typisierende Regelungen in möglichst allen Fällen den entsprechenden Bedarf abdecken (BVerfGE 120, 125 <155>). Dabei steht es dem Besoldungsgesetzgeber zwar frei, die Höhe des Grundsicherungsniveaus mit Hilfe einer anderen plausiblen und realitätsgerechten Methodik als der vom Bundesverfassungsgericht herangezogenen zu bestimmen. Ihn trifft jedoch die Pflicht, die ihm zu Gebote stehenden Erkenntnismöglichkeiten hinsichtlich der Höhe der Grundsicherungsleistungen auszuschöpfen, um die Entwicklung der Lebensverhältnisse zu beobachten und die Höhe der Besoldung an diese Entwicklung kontinuierlich im gebotenen Umfang anzupassen. (BVerfGE 155, 1 <28 Rn. 53>) Seine Herangehensweise muss deshalb von dem Ziel bestimmt sein, sicherzustellen, dass die Nettoalimentation in möglichst allen Fällen den gebotenen Mindestabstand zu dem den Empfängern der sozialen Grundsicherung gewährleisteten Lebensstandard wahrt (BVerfGE 155, 1 <26 f. Rn. 52>).
Zugleich hätte die Kammer m.E. zu beachten gehabt, dass zugrunde gelegte Sozialleistungen dann als evident unzureichend zu betrachten sind, wenn offensichtlich würde, dass sie in der Gesamtsumme keinesfalls sicherstellen können, Hilfebedürftigen in Deutschland ein Leben zu ermöglichen, das physisch, sozial und kulturell als menschenwürdig anzusehen ist, weshalb es auf die Höhe der Leistungen insgesamt und nicht auf einzelne Berechnungselemente ankommt, die dazu dienen, diese Höhe zu bestimmen (BVerfGE 137, 34 <75 Rn. 81>).
Auch das dürfte der Kammer nicht bekannt gewesen sein, denn ansonsten hätte sie nicht dem Gesetzgeber folgen dürfen und warme Unterkunfstkosten von 1.300,- als sachgerecht betrachten können, da die Differenz zu einer realitätsgrecht bemessenen Höhe von 1.464,33 € so hoch ist, als dass noch davon ausgegangen werden könnte, dass die Gesamtsumme für die Unterkunft insgesamt von 1.300,- € am Ende zu einem Grundsicherungsniveau führen könnte, sicherstellte, Hilfebedürftigen in Deutschland ein Leben zu ermöglichen, das physisch, sozial und kulturell als menschenwürdig anzusehen ist. Denn die warmen Unterkunftskosten werden um 11,2 % zu gering bemessen, sodass sie nicht als realitätsgerecht bemessen angesehen werden könnten, da die Gesamtsumme des so bemessenen Grundsicherungniveaus am Ende substantiell zu gering ist, als dass sie ein hinreichend menschenwürdiges Leben ermöglichte.
All das vorzubringen wäre nun aber Aufgabe des Klägers gewesen, da er sich - wie ich auf vorherigen Seiten ausführe - nicht darauf verlassen kann, dass die Kammer das, was ich hier schreibe, tatsächlich weiß. Man sollte voraussetzen, dass sie das weiß - aber offensichtlich wusste sie es nicht, weshalb sie keine Veranlassung gesehen hat, hier nicht der Gesetzesbegründung zu folgen. Entsprechend hat die Kammer in der Rn. 66 ausgeführt (Hervorhebung durch ST:):
"In diesem Zusammenhang erscheint es entgegen der Auffassung des Klägers auch nicht als evident sachwidrig, dass der Landesgesetzgeber sich dazu entschieden hat, auf das '95%-Perzentil: Kosten für Unterkunft und Heizung insgesamt' zurückzugreifen und nicht auf eine andere Metrik mit weiterer Bezugnahme auf den bundesweiten Heizkostenspiegel (vgl. BVerfG, Beschluss vom 4. Mai 2020 - 2 BvL 4/18 - juris, Rn. 62, zum Rückgriff auf den bundesweiten Heizspiegel für die Entnahme entsprechender Richtwerte).
Der Kläger legt nicht näher dar, weshalb die gewählte Metrik den Bedarf für Unterkunft und Heizung nicht realitätsgerecht abbildet."
Der langen Rede kurzer Sinn (ich könnte hier jetzt noch weiterschreiben, habe dafür aber derzeit wenig Zeit): Ich warne regelmäßig davor, zu glauben, besoldungsrechtliche Klagen seien easy going und wegen des Untersuchungsgrundsatzes sowieso schon von allein entschieden. Das sind sie eben nicht, wie das vorliegende Beispiel zeigt. Wer sichergehen will, dass seine Klage Erfolg haben wird, sieht den steinigen Weg der Substantiierung vor sich, deshalb habe ich vor ein paar Tagen hier geschrieben, dass es regelmäßig immer nur um eines geht: Begründen, Begründen, Begründen.