Liegt allerdings für die jeweils zur Prüfung heranzuziehende Besoldungsgruppe keine unmittelbare Verletzung des Mindestabstandsgebots vor, zeigt sich die Sachlage insgesamt komplexer und ist das jeweilige Risiko am Ende dann doch von Fall zu Fall und Rechtskreis zu Rechtskreis zu differenzieren.
Hallo Swen, hierzu hätte ich eine kleine Verständnisfrage:
1.) Wenn beispielsweise ein Bundes-A5 mit zwei Kindern klagt, ist die Sachlage eindeutig: Die aktuelle Besoldung verletzt erheblich das Mindestabstandsgebot (weil bei weitem nicht die mindestens geforderten 115% einer vierköpfigen Bürgergeldfamilie erreicht werden), somit ist glasklar, dass diese verfassungswidrig ist.
2.) Wenn hingegen z.B. ein Bundes-A15 klagt, wird es aus meiner Sicht etwas „komplizierter“:
a) Das Mindestabstandsgebot ist natürlich (hoffentlich
) nicht verletzt.
b) Aber auch die fünf BVerfG-Parameter der ersten Prüfungsstufe (Vergleich der Besoldungsentwicklung mit der öD-Tarifentlohnung, dem Nominallohnindex sowie dem Verbraucherpreisindex, systeminterner Besoldungsvergleich, Quervergleich mit anderen Bundesländern) sind möglicherweise ebenfalls nicht verletzt.
Wenn nämlich von vorneherein die Besoldung in allen Besoldungsgruppen (in allen Besoldungskreisen) deutlich zu niedrig ist, dann wird dies konstruktionsbedingt (aufgrund der Ausgestaltung der fünf Kriterien) im Prüfverfahren unter Umständen nicht „aufgedeckt“.
Siehst du daher eventuell einen anderen „juristischen Weg“, wie man von der eindeutigen Verfassungswidrigkeit in den unteren Besoldungsgruppen (aufgrund der klaren Verletzung des Mindestabstandsgebots) auf die – sich zumindest in meinen Augen daraus logischerweise ergebende – ebenfalls verfassungswidrige Besoldung auch in höheren Besoldungsgruppen „schließen“ kann?
Bei den von Dir aufgeworfenen Fragen handelt es sich um zentrale, BVerfGBeliever, die also in den Kernbereich des "Pflichtenhefts" hineinreichen, weshalb ich den von Dir unter der Nr. 2 aufgeworfenen Fall kurz für all jene entfaltete, die sich nicht so tiefgehend in der Thematik auskennen:
Das "Pflichtenheft" betrachtet in den ersten drei Parametern der ersten Prüfungsstufe regelmäßig einen 15-jährigen Betrachtungszeitraum, der also - wollen wir bspw. das letzte Jahr in der gerichtlichen Prüfung betrachten - mit dem Basisjahr 2009 den Zeitraum von 2010 bis 2024 im Vergleich des Besoldungsindex mit dem Tariflohnindex im öffentlichen Dienst, dem allgemeinen Nominallohnindex und dem Verbraucherpreisindex im jeweiligen Rechtskreis in den Mittelpunkt der Betrachtung rückt. Wenn nun allerdings für den Zeitraum vor 2010 in Frage steht, dass hier eine amtsangemessene Alimentation gewährt worden sei, dann wird ggf. eine zu jenem Zeitpunkt bereits abgesenkte und also nicht mehr sachgerechte Besoldung mit einer ggf. nicht minder sachgerechten Besoldung im Jahr 2024 verglichen. Das Ergebnis kann nun ggf. problematisch sein.
Wie wäre nun damit umzugehen?
1. Im nächsten Winter wird dazu ein umfangreicher Beitrag in der ZBR erscheinen, der sich also mit der Problematik langer Verfahrensdauern auseinandersetzen und das exemplarisch betrachten wird. An dessen Ende wird dann auch ein Vorschlag erstellt, wie hilfsweise verfahren werden könnte, wenn lange Verfahrensdauern ggf. problematische Prüfergebnisse zu Folgen haben könnten - bzw. nicht ausgeschlossen werden kann, dass letztere gegeben sein könnten. Diesem Ergebnis kann ich hier nicht vorweggreifen.
2. Zugleich ist 2022 und 2023 mit der Methodik des "Grundgehaltsäquivalents" in der ZBR ein zuvor bereits entwickeltes Verfahren dargestellt worden, das seitdem an verschiedenen Orten praktiziert worden ist, so bspw. auch in der Betrachtung des aktuellen Gesetzentwurfs (vgl. bspw. nur den Anhang der Nr. 134 unter:
https://forum.oeffentlicher-dienst.info/index.php/topic,120049.120.html). Diese Methodik zur
indiziellen Betrachtung der Mindest
besoldung stellt dabei darauf ab, dass der Senat in der Rn. 49 der aktuellen Entscheidung unmissverständlich klargestellt hat (Hervorhebungen durch ST.): "Die Verletzung des Mindestabstandsgebots bei einer niedrigeren Besoldungsgruppe ist daher (nur) ein Indiz für die unzureichende Ausgestaltung der höheren Besoldungsgruppe,
das mit dem ihm nach den Umständen des Falles zukommenden Gewicht in die Gesamtabwägung einzustellen ist." (
https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2020/05/ls20200504_2bvl000418.html)
Da nun der Senat darüber hinaus im fünften Leitsatz der aktuellen Entscheidung ausführt:
"Ein Verstoß gegen dieses Mindestabstandsgebot betrifft insofern das gesamte Besoldungsgefüge, als sich der vom Gesetzgeber selbst gesetzte Ausgangspunkt für die Besoldungsstaffelung als fehlerhaft erweist. Die indizielle Bedeutung für die verfassungswidrige Ausgestaltung der zur Prüfung gestellten Besoldungsgruppe ist dabei umso größer, je näher diese an der Grenze zur Mindestbesoldung liegt und je deutlicher der Verstoß ausfällt",
kann man m.E. das Gewicht eines verletzten Mindestabstandsgebots nicht so ohne Weiteres ausklammern, wenn bspw. mehr als ein Drittel oder gar die Hälfte aller Besoldungsgruppen sowie entsprechend bspw. mehr als ein Drittel oder mehr als die Hälfte aller Tabellenfelder
indiziell hinter der 115 %igen Vergleichsschwelle zum Grundsicherungsniveau zurückbleiben, und zwar das insbesondere auch dann, wenn kein weiterer Parameter der ersten Prüfungsstufe mathematisch für die Vermutung einer verfassungswidrigen Unteralimentation sprechen sollte. Denn ein solches Indiz wäre ja nun mit dem ihm nach den Umständen des Falles zukommenden Gewicht in die Gesamtabwägung einzustellen und offensichtlich von erheblicher Aussagekraft, und zwar je deutlicher der Verstoß gegen das Mindestabstandsgebot ausfällt und desto mehr Besoldungsgruppen und Tabellenfelder indiziell hinter der 115 %igen Vergleichsschwelle zum Grundsicherungsniveau zurückblieben. Unter diesen Bedingungen könnte man also nicht so ohne Weiteres die Vermutung einer verfassungswidrigen Unteralimentation ausschließen, denn nicht umsonst führt der Senat im sechsten Leitsatz aus: "Sind
ein oder zwei Parameter erfüllt, müssen die Ergebnisse der ersten Stufe, insbesondere das Maß der Über- beziehungsweise Unterschreitung der Parameter, zusammen mit den auf der zweiten Stufe ausgewerteten alimentationsrelevanten Kriterien im Rahmen der Gesamtabwägung eingehend gewürdigt werden." (Hervorhebungen durch ST.)
Damit wird deutlich, dass es sich bei der Konstatierung einer gegebenen oder nicht gegebenen
Vermutung einer verfassungswidrigen Unteralimentation um keinen rein formalen Akt handelt (wie das viele Gerichte zwischen 2015 und 2020 so gesehen haben, ebenso wie das vielfach in der Literatur so betrachtet worden ist), sondern dass nun die ggf. vorhandene besondere Schwere des Indizes der verletzten Mindestbesoldung in der Gesamtabwägung sachgerecht mit einbezogen werden muss - also mit der ihm zukommenden Schwere im Vergleich mit weiteren Indizien -, wobei dabei gleichfalls nicht unberücksichtigt bleiben könnte, dass der Senat im fünften Leitsatz der aktuellen Entscheidung unmissverständlich ausführt (Hervorhebungen durch ST.):
"Ein Verstoß gegen dieses Mindestabstandsgebot betrifft insofern das gesamte Besoldungsgefüge, als sich der vom Gesetzgeber selbst gesetzte
Ausgangspunkt für die Besoldungsstaffelung als
fehlerhaft erweist."
Wenn nun aber bspw. die indizielle Mindestbesoldung (das Grundgehaltsäquivalent) selbst noch in den Besoldungsgruppen A 10, A 11 oder A 12 nicht erreicht wird und also am Ende bspw. ein Drittel bis mehr als die Hälfte aller Tabellenfelder das Grundgehaltsäquivalent zur Mindestalimentation unterschreiten, dann sollte sich der Ausgangspunkt der Besoldungsordnung A im Sinne des letzten Zitats als so schwer fehlerhaft darstellen, dass der Besoldungsgesetzgeber kaum darum herumkommen sollte, die Grundgehaltssätze sachgerecht zu erhöhen. Denn nicht umsonst heißt es in der Rn. 48 der aktuellen Entscheidung:
"Erweist sich die Grundlage dieses Gesamtkonzepts als verfassungswidrig, weil für die unterste(n) Besoldungsgruppe(n) die Anforderungen des Mindestabstandsgebots missachtet wurden, wird der Ausgangspunkt für die darauf aufbauende Stufung in Frage gestellt. Der Besoldungsgesetzgeber ist danach gehalten, eine neue konsistente Besoldungssystematik mit einem anderen Ausgangspunkt zu bestimmen. "
Denn eine indizielle Verletzung der Mindestbesoldung, die sich bspw. auf die Besoldungsgruppe A 10, A 11 oder A 12 erstreckt, umfasst nun augenscheinlich nicht nur "die unterste(n) Besoldungsgruppe(n)", sondern reicht hier jetzt bis in den ehemals gehobenen Dienst hinein. Entsprechend sollte das aktuelle Judikat in diesem Fall - egal, zu welchem Ergebnis die weiteren Parameter der ersten Prüfungsstufe die Prüfung führen sollten - als Folge des relativen Normenbestandsschutzes zu dem Ergebnis führen, dass sich die Besoldung aller Bediensteten als nicht sachgerecht darstellt, da sich die Besoldungssystematik als so fehlerhaft und also so inkonstistent darstellt, dass sie mitsamt eines neuen Ausgangspunkts zu reparieren wäre, und zwar unter Beachtung des Abstandsgebots zwischen vergleichbaren Besoldungsgruppen und unter Erfüllung des besonderen Prozeduralisierungsgebots im Besoldungsrecht.
So in etwa würde ich - in aller im Forum gegebenen Kürze - argumentieren, um die Frage(n) zu beantworten.