Ich glaube, du ueberschaetzt an dieser Stelle die ministerielle Geschwindigkeit und damit auch die reale Umsetzungskraft des Apparats deutlich.
Nicht, weil es an Erkenntnis oder Problembewusstsein fehlt, sondern weil ministerielle Entscheidungsprozesse nun einmal nicht linear, sondern stark sequenziell, absicherungsgetrieben und rueckgekoppelt laufen. Zwischen „Problem erkannt“, „Modell skizziert“ und „entscheidungsreife Vorlage“ liegen regelmaessig mehrere Schleifen aus Mitzeichnung, Querpruefung, Neubewertung und... nicht selten... bewusster Entschleunigung. Das ist kein Defekt, sondern Teil der Steuerungslogik.
Gerade bei Themen mit verfassungsrechtlicher Sprengkraft wird eher Zeit als Ressource eingesetzt, um Risiken zu begrenzen, als Tempo, um Handlungsfaehigkeit zu demonstrieren. Erwartete Klarheit von aussen trifft dabei auf interne Vorsichtspflichten, die jeden Schritt mehrfach absichern muessen: fachlich, fiskalisch und politisch.
Was von aussen wie Zoegern wirkt, ist intern oft schlicht prozedurale Notwendigkeit. Wer hier schnelle, stringente Bewegung erwartet, misst den Apparat an Massstaeben, die er systembedingt nicht erfuellen kann und to be honest....auch nicht soll. Das mag unbefriedigend sein, erklaert aber, warum sich Prozesse weniger durch Tempo als durch Beharrung und schrittweise Justierung auszeichnen.
Wir erinnern uns doch gerne an die Grundsteuerreform
Das war schnell. Ja. Aber nicht gut und jetzt beschaeftigen sich Gerichte und produzieren Folgekosten fuer den oeffentlichen Sektor in Millionenhoehe damit.
Das was manche nun als Traegheit im System bezeichnen ist im Grunde der Preis fuer Rechtsstaatlichkeit und Dauerhaftigkeit.
Ich merke, ich schweife ab 
Die kurze Antwort also auf deine doch sehr konkrete Frage: Nein. 
Ich schätze deine Beiträge hier sehr und auch deine Art wie du politische Prozesse erklärst.
Nur habe ich dafür leider kein Verständnis mehr.
"bewusste Entschleunigung" ist genau das, was hier jeder, insbesondere die Bundesbeamten seit 5 Jahren merken. Wieviel Absicherung, Rückkopplung, querprüfung usw usw benötigt man denn noch, um seiner Uraufgabe als Staat nachzukommen, nämlich seine treuen, verfassungsschützenden Diener nach Verfassungsrecht zu bezahlen?
Bewusste Entschleunigung ist das Gegenteil von effizienter Verwaltung.
Ich erinnere mich an Prozesse in unserem Land, als Milliarden von Euro innerhalb von Tagen freigegeben wurden. Sei es Eurokrise, Corona oder UKR-Konflikt. Auch wenn diese Sichtweise abgedroschen ist, passt sie mMn sehr gut. Denn ohne zu zögern Geld in Milliardenhöhe in kurzer Zeit freizugeben, dessen Freigabe nicht verfassungsmäßig notwendig war, lässt eine Nichtzahlung einer verfassungsrechtlich notwendigen Besoldung wie ein Stich in das verfassungstreue und im Verfassungsrecht geschulte Herz des Beamten wirken.
Es wird hier vorsätzlich einfach nicht verfassungsmäßig besoldet. Auch das führt zu erheblichem Aufwand für die Gerichte und zu Folgekosten für den öffentlichen Sektor.
Die Besoldungsgesetzgeber haben bisher den großen Vorteil, dass nur eine geringe Zahl von Beamten von diesem jahrzehntelangem Verfassungsbruch wissen.
Für mich sind all die Erklärungen und Zeitspiele nichts als Verachtung für die Staatsdiener.
Diese Spielchen sind nicht der Preis für Rechtsstaatlichkeit, es ist rechtsstaatsfeindlich und demokratiegefährdend.
@all - verzeiht', das wird nun ein wenig ausladender, aber ich kann es nicht kompakter gestalten ohne meine dahinterliegende Emotion zu verlieren
@DrStrange,
Ich habe darueber geschlafen, weil mir dein Text naeher ging, als ich dachte.
Ich schreibe dir das nicht, um dich zu beruhigen. Ich schreibe es, weil dein Text zeigt, dass du an einem Punkt bist, an dem viele hier innerlich schon stehen... aber nur wenige ihn so klar benennen. Und genau deshalb moechte ich offen sagen, warum ich so schreibe, wie ich schreibe, und warum mein Ton oft anders wirkt, als man ihn in dieser Lage erwarten wuerde.
Dein Beitrag ist kein Ausbruch. Er ist auch kein Populismus. Er ist das, so vermute ich, was entsteht, wenn jemand lange loyal war, lange vertraut hat und irgendwann merkt, dass dieses Vertrauen einseitig belastet wird. Das ist kein Versagen deinerseits... es ist ein Signal. Und es ist ein gefaehrliches Signal, nicht weil es laut ist, sondern weil es leise bleibt und sich rational begruendet anfuehlt.
Ich habe diesen Punkt selbst erreicht. Nicht theoretisch, sondern ganz real. Es gab eine Phase, da war die Kuendigung nicht mehr rhetorisches Mittel, sondern bereits formuliert. Nicht aus Trotz, sondern aus dem Gefuehl heraus, dass man Teil eines Systems ist, das seine eigene Begruendung langsam verliert. Was mich davon abgehalten hat, war nicht Loyalitaet, sondern ein Gedanke, der sich fesstgesetzt hat: Rechtsstaatlichkeit misst sich nicht daran, wie schnell sie Genugtuung verschafft, sondern daran, ob sie auch dann noch traegt, wenn sie enttaeuscht. Das war 2009.
Das ist der Grund, warum ich heute anders schreibe als Frueher. Nicht, weil ich weniger kritisch geworden bin... im Gegenteil. Sondern weil ich gelernt habe, dass es einen Unterschied gibt zwischen Anklage und Befund. Dein Text bewegt sich genau an dieser Schwelle. Und genau dort will ich ihn aufgreifen, nicht abwehren.
Du sprichst von Verfassungsbruch, Rechtsfeindlichkeit, Demokratiegefaehrdung. Ich versteh' warum. Denn aus der Perspektive des Betroffenen fuehlt es sich exakt so an. Der Staat weiss, was er tun muesste. Er kann handeln, wenn er will. Und er tut es hier nicht. Dieser Widerspruch frisst Vertrauen.
Was ich versuche...und das ist der Kern meines Ansatzes...ist nicht, diesen Eindruck kleinzureden, sondern ihn einzuordnen, bevor er kippt. Denn sobald wir dem System nicht mehr Traegheit, Ueberforderung oder politische Feigheit vorwerfen, sondern bewusste Rechtsfeindlichkeit, veraendern wir die Debatte fundamental. Dann geht es nicht mehr um Reparatur, sondern um Schuld. Und ab diesem Moment schliessen sich Systeme.
Das bedeutet nicht, dass alles legitim waere. Im Gegenteil: Ein verfassungswidriger Zustand, der ueber Jahre verwaltet wird, ist kein Betriebsunfall mehr. Er wird zu einem strukturellen Problem. Und ja, je laenger dieser Zustand andauert, desto weniger traegt die Erklaerung mit Vorsicht und Komplexitaet. Ab einem gewissen Punkt wird Zeit nicht mehr zum Risikopuffer, sondern zur Verantwortungsauslagerung.
Und genau hier treffen sich unsere Positionen. Ich widerspreche dir nicht im Ergebnis, sondern im Zeitpunkt der Eskalation. Ich halte es fuer entscheidend, dass wir die Begriffe so lange sauber halten, wie Karlsruhe selbst noch nicht eskaliert hat. Nicht aus Ehrfurcht, sondern aus Strategie. Denn der Rechtsstaat lebt davon, dass seine Kritik praeziser ist als seine Versaeumnisse.
Was viele hier spueren, und was dein Text nach meiner Lesart offenlegt, ist keine Revolte. Es ist Erosion. Beamte streiken nicht. Sie verweigern nicht offen. Sie ziehen sich innerlich zurueck, sichern sich ab, reduzieren Risiko, verlieren Bindung. Das ist der gefaehrlichste Zustand, den ein Staat haben kann, weil er nicht auffaellt und trotzdem wirkt.
Deshalb schreibe ich so, wie ich schreibe: ruhig, manchmal sperrig, manchmal scheinbar bremsend. Nicht, weil ich das Tempo nicht sehen wuerde, sondern weil ich weiss, wie schnell berechtigte Wut in etwas umschlagen kann, das am Ende niemandem mehr nutzt vor allem und insbesondere am wenigsten denen, die hier eigentlich Recht haben (das kann ich nicht oft genug unterstreichen)
Dein Beitrag ist wichtig. Nicht trotz seiner Schaerfe, sondern wegen ihr.
Meine Antwort darauf ist kein Gegenangriff, sondenr der Versuch, diesen Punkt zu halten:
innerhalb einer Linie zu bleiben, die uns Argumentationsmacht gibt.
Wenn wir diese Linie verlieren, gewinnt niemand. Wenn wir sie halten, wird es laenger dauern aber es bleibt reparabel. Und genau darum geht es mir.
@Durgi wow und Danke, mehr bleibt mir da eigentlich nicht zu sagen.
Ich denke das was @DrStrange schreibt denken sich ein Großteil derer, die sich seit Jahren mit der aA beschäftigen.
Aber seien wir doch ehrlich, es ist ein kleiner Teil aller Beamten in Deutschland. Die überwiegende Mehrheit hat noch nicht wirklich begriffen, dass sie seit Jahren von ihren Besoldungsgesetzgebern über den Tisch gezogen werden.
Aber genau so ehrlich müssen wir mit uns selbst sein, ob wir als Poltiker bzw. Personen die sich um Besoldungsgesetze kümmern und mit den begrenzten Haushaltsmitteln planen müssten, nicht genau so versuchen würden, die Ausgaben für die Beamten möglichst gering zu halten.
Ich nehme es den Verantwortlichen nicht übel. Vielmehr bin ich froh, dass wir in einem Rechtsstaat leben in dem das Handeln der Politiker und verantwortlichen Personen regelmäßig überprüft wird bzw. jederzeit hinterfragt werden kann.
Mein aller größten Dank gehört demjenigen, der sich bis zum Verfassungsgericht durch alle Instanzen gestritten hat und für die Entscheidung vom 19. November gesorgt hat. Eigentlich müssten wir alle ihm eine Statue bauen.
Wenn ich mir jetzt die Aufregung im Bund, Berlin und einigen anderen Bundesländern so ansehe, dann habe ich die Hoffnung, dass jetzt endlich der richtige Weg einer aA eingeschlagen wird.
Auch wenn mir klar ist, dass wir es eigentlich mit Autoverkäufern zu tun haben, die uns eine abgeranzte Kiste ohne TÜV und nicht verkehrstauglich, zum Höchstpreis verkaufen wollen.