Leitsätze des Urteils ins einfache Deutsche übersetzt:
1. Normalerweise prüft das Bundesverfassungsgericht in so einem Verfahren nur das eine Gesetz, das für den konkreten Fall wichtig ist. Damit Bürger aber wirklich wirksamen Rechtsschutz bekommen, darf das Gericht seinen Blick erweitern und auch ähnliche Gesetze und einen längeren Zeitraum mitprüfen – vor allem dann, wenn absehbar ist, dass ihm in Zukunft noch viele vergleichbare Gesetze zur Entscheidung vorgelegt werden.
2. Der Staat muss seine Beamten und ihre Familien auf Lebenszeit so bezahlen,
dass diese Bezahlung zur Verantwortung ihres Amtes passt und sie vernünftig davon leben können.
Der Sinn dahinter: Beamte sollen finanziell unabhängig sein, damit sie ihre Arbeit fachlich gut machen, sich strikt an Recht und Gesetz halten und niemanden bevorzugen oder benachteiligen. Weil Beamte so abgesichert sind, können sie dem Staat im Zweifel auch mal widersprechen, ohne Angst haben zu müssen, finanziell abzustürzen.
Auf diese Weise hilft das Berufsbeamtentum, die freiheitliche Demokratie vor politischen oder sonstigen Übergriffen zu schützen.
3. Das Grundgesetz garantiert Beamten eine ihrer Stellung angemessene Bezahlung.
Damit verpflichtet es den Gesetzgeber, die Besoldung entsprechend zu gestalten. Dabei hat der Gesetzgeber zwar viel Spielraum, wie er die Besoldung konkret aufbaut (Höhe, Stufen, Zulagen usw.).
Aber: Dieser Spielraum ist begrenzt. Er ist überschritten, wenn die Bezahlung – gemessen am Zweck des Alimentationsprinzips – offensichtlich zu niedrig ist. Ob diese Grenze verletzt ist, kann und darf das Bundesverfassungsgericht überprüfen – und die Besoldungsgesetze dann kippen.
4.Die verfassungsgerichtliche Kontrolle muss nach der Rechtsprechung des Europäischen
Gerichtshofs für Menschenrechte die Gewähr dafür bieten, dass dem – nicht zum Streik be-
rechtigten – Beamten mit dem gerichtlichen Rechtsschutz ein wirksames Mittel zur Verfü-
gung steht, sein individuelles verfassungsmäßiges Recht auf einen angemessenen Le-
bensunterhalt gerichtlich durchzusetzen.
5. Wenn Gerichte prüfen, ob die Beamtenbesoldung offensichtlich zu niedrig ist und damit Art. 33 Abs. 5 GG verletzt, gehen sie in drei Schritten vor. Zuerst wird – wenn es dafür Anhaltspunkte gibt – geschaut, ob überhaupt die Mindestbesoldung eingehalten ist, also ob die Untergrenze klar verfehlt wird (Vorabprüfung).
Dann wird in einem zweiten Schritt geprüft, ob der Staat die Besoldung im Laufe der Jahre ausreichend an die Entwicklung von Preisen, Löhnen und Lebensstandard angepasst hat (die sogenannte Fortschreibungsprüfung, und die selbst nochmal in zwei Stufen). Ergibt sich aus der Mindestbesoldungsprüfung oder aus dieser Fortschreibungsprüfung, dass gegen das Alimentationsprinzip verstoßen wurde, wird im dritten Schritt untersucht, ob dieser Verstoß ausnahmsweise verfassungsrechtlich gerechtfertigt sein könnte – etwa in ganz außergewöhnlichen Notsituationen des Staates.
6. Bei der Frage, welche Faktoren für die Besoldung wichtig sind, wie man sie bewertet und zueinander ins Verhältnis setzt, hat der Gesetzgeber einen gewissen Einschätzungs- und Bewertungsspielraum. Weil er diesen Spielraum hat, hält sich das Bundesverfassungsgericht bei der Kontrolle zurück: Es prüft nicht, ob es selbst alles besser machen würde, sondern nur, ob die Entscheidungen des Gesetzgebers nachvollziehbar und sachlich vertretbar sind. Im Gegenzug hat der Gesetzgeber aber eine inhaltliche Begründungspflicht. Er – bzw. der Dienstherr – muss darstellen können, auf welcher Grundlage er entschieden hat: welche Daten, welche Überlegungen, welche Abwägungen. Wenn das nicht schon im Gesetzgebungsverfahren selbst ausführlich dokumentiert wurde, kann diese Begründung auch später im Gerichtsverfahren nachgereicht werden. Diese inhaltliche Begründungspflicht tritt an die Stelle der früher stärker betonten formalen Anforderungen an das Verfahren.
7. Damit ein Beamter wirklich unabhängig entscheiden kann, darf er keine Angst haben müssen, finanziell „abzustürzen“. Seine Bezahlung muss deshalb so hoch sein, dass er und seine Familie klar weg sind von einem echten Armutsrisiko. Das ist nur dann der Fall, wenn sein Einkommen mindestens 80 % des sogenannten Median-Äquivalenzeinkommens erreicht – das ist die vom Gericht festgelegte Untergrenze, die es „Prekaritätsschwelle“ nennt. Dieses Gebot nennt das Gericht das Gebot der Mindestbesoldung. Früher hat der Senat vor allem mit dem Niveau der Grundsicherung (Bürgergeld usw.) verglichen. Jetzt wird das weiterentwickelt: Maßstab ist das tatsächliche gesellschaftliche Einkommensniveau. Unterschreitet die Besoldung diese 80-%-Schwelle, dann liegt allein dadurch schon ein Verstoß gegen das Alimentationsprinzip vor. Eine weitere komplizierte Prüfung, ob die Besoldung mit Löhnen, Preisen und Lebensstandard Schritt gehalten hat (Fortschreibungsprüfung), ist dann nicht mehr nötig.
8. Wenn man prüfen will, ob der Gesetzgeber die Beamtenbesoldung im Laufe der Jahre ordentlich „mitgezogen“ hat – also passend zu Preisen, Löhnen und Lebensstandard –, dann geschieht das in einem zweistufigen Verfahren. Diese Prüfung nennt das Gericht „Fortschreibungsprüfung“. In der ersten Stufe wird die Entwicklung der Beamtenbesoldung mit drei großen Kennzahlen aus der Volkswirtschaft verglichen: mit der Entwicklung der Tariflöhne, der allgemeinen Bruttolöhne (Nominallöhne) und der Verbraucherpreise (Inflation). Außerdem wird innerhalb des Besoldungssystems selbst geprüft, ob die Abstände zwischen den Besoldungsgruppen noch stimmen (Abstandsgebot). Für alle diese Entwicklungen arbeitet man mit Indizes, die auf ein festes Basisjahr 1996 zurückgerechnet werden, damit man sauber vergleichen kann. Weicht die Besoldung bei einer dieser drei Kennzahlen um mindestens 5 % nach unten ab, ist das jeweils ein starkes Warnsignal dafür, dass das Alimentationsprinzip missachtet wird (das sind die ersten drei „Parameter“). Beim Abstandsgebot liegt ein Verstoß vor, wenn die Abstände zwischen den Besoldungsgruppen deutlich zusammenschrumpfen oder wenn in einer niedrigeren Besoldungsgruppe schon die Mindestbesoldung unterschritten wird; das ist dann der vierte Parameter.
In der zweiten Stufe werden die Ergebnisse dieser ersten, eher rechnerischen Prüfung mit weiteren relevanten Gesichtspunkten zusammen betrachtet und bewertet. Sind mindestens zwei der vier Parameter erfüllt, spricht eine Vermutung dafür, dass die Besoldung verfassungswidrig zu niedrig ist. Trifft keiner zu, wird zunächst davon ausgegangen, dass die Besoldung noch amtsangemessen ist. Ist genau ein Parameter erfüllt, muss besonders gründlich geprüft werden, ob das schon für einen Verfassungsverstoß reicht oder noch erklärbar ist. Die Hinweise aus der ersten Stufe sind also keine Automatismen; sie können in der zweiten Stufe entweder bestätigt oder auch entkräftet werden.