Autor Thema: Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)  (Read 2089548 times)

emdy

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #6420 am: 17.07.2023 22:03 »
@Nanum: Ohne das jetzt auch nur ansatzweise erschöpfend zu betrachten: Bei der Erfahrungsstufe kann zumindest grundsätzlich die Annahme gerechtfertigt werden, dass mit längerer Erfahrung eine bessere Leistung erbracht wird, was leistungsgerecht wäre. Eine Erfahrungsstufe wäre in diesem Sinne die Anerkennung von Leistung.

Mit dem Vergleich 30/50 jähriger Beamter meine ich die gestiegenen Immobilienkosten. Umfassende und ausgewogene Betrachtung dazu unter:
https://www.finanzfluss.de/blog/immobilienkauf-frueher-einfacher/

Und dass die Kosten steigen, hat der Dienstherr insoweit zu kompensieren, dass das bekleidete Amt nicht an Wertigkeit verliert, nur weil ich später geboren bin. So jedenfalls meine These, die ich anhand der Rechtsprechung nicht weit hergeholt sehe.
« Last Edit: 17.07.2023 22:10 von emdy »

Nanum

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #6421 am: 17.07.2023 23:09 »
Hallo,
danke für die Erklärung. Ich verstehe nun.

Arox

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #6422 am: 18.07.2023 08:58 »
Ich weiß jetzt nicht genau, ob ich hier richtig bin, wie sieht das denn jetzt mit dem verheirateten Zuschlag aus, das habe ich jetzt noch nicht ganz verstanden, fällt der weg oder nicht? Ist er pensionsberechtigt oder wird er. ich mehr berücksichtigt? ich meine es steht ja auch in der Berechnung hier auf der Seite wird er voraussichtlich sogar erhöht. Ichhoffe es kann mir jemand Licht ins Dunkle bringen. Dankeschön

BVerfGBeliever

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #6423 am: 18.07.2023 10:28 »
@emdy: Es stimmt vermutlich, dass der Erwerb von Wohneigentum heute „schwieriger“ ist als vor zwanzig Jahren, aber was soll da der Gesetzgeber machen? Den heute 30-jährigen einen Zuschlag zahlen und den heute 50-jährigen nicht? Und was ist mit denen, die lieber zur Miete wohnen?

Zielführender wäre aus meiner Sicht eine etwas allgemeinere Betrachtung:
- Sowohl heute als auch vor zwanzig Jahren sind/waren die Lebenshaltungskosten sowohl für 30-jährige als auch für 50-jährige in München oder Frankfurt (deutlich) höher als in Pirmasens oder Görlitz.
- Sowohl heute als auch vor zwanzig Jahren sind/waren die Gehälter in der Privatwirtschaft sowohl für 30-jährige als auch für 50-jährige in München oder Frankfurt (deutlich) höher als in Pirmasens oder Görlitz.

Somit ließe sich in meinen Augen ein (moderater) allgemeiner Ortszuschlag durchaus sachgerecht begründen.


Deutlich weniger sachgerecht stellt sich hingegen aus meiner Sicht die aktuelle Situation in NRW dar:
1.) Ein lediger kinderloser E4/5-Angestellter bekommt brutto 3.043,02€, was netto 2.293,11€ entspricht (StKL I, abzüglich KV/PV).
2.) Ein lediger kinderloser A5/3-Beamter (VII) bekommt brutto 2.621,19€, was netto 2.270,28€ entspricht (StKL I, abzüglich KV/PV).
3.) Ein verheir. E4/5-Angestellter mit 5 Kindern bekommt brutto 3.043,02€, was netto 2.554,03€ entspricht (StKL III, abzüglich KV/PV).
4.) Ein verheir. A5/3-Beamter (VII) mit 5 Kindern bekommt brutto 6.656,58€, was netto 5.470,92€ entspricht (StKL III, abzüglich KV/PV).

Die beiden Kinderlosen bekommen netto ungefähr den gleichen Betrag, bei den beiden Kinderreichen bekommt der Beamte mehr als das Doppelte des TV-L Tarifbeschäftigten!

Knecht

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #6424 am: 18.07.2023 10:44 »
Krass - das finde ich in dieser Höhe tatsächlich nicht gerechtfertigt. Irgendwo ist NRW da ganz stramm falsch abgebogen. Die haben untereinander ja sicher noch mehr unfrieden, als sowieso üblich... (auch die Beamten mit weniger Kindern)

AdenosinTP

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #6425 am: 18.07.2023 11:00 »
@emdy: Es stimmt vermutlich, dass der Erwerb von Wohneigentum heute „schwieriger“ ist als vor zwanzig Jahren, aber was soll da der Gesetzgeber machen? Den heute 30-jährigen einen Zuschlag zahlen und den heute 50-jährigen nicht? Und was ist mit denen, die lieber zur Miete wohnen?

Zielführender wäre aus meiner Sicht eine etwas allgemeinere Betrachtung:
- Sowohl heute als auch vor zwanzig Jahren sind/waren die Lebenshaltungskosten sowohl für 30-jährige als auch für 50-jährige in München oder Frankfurt (deutlich) höher als in Pirmasens oder Görlitz.
- Sowohl heute als auch vor zwanzig Jahren sind/waren die Gehälter in der Privatwirtschaft sowohl für 30-jährige als auch für 50-jährige in München oder Frankfurt (deutlich) höher als in Pirmasens oder Görlitz.

Somit ließe sich in meinen Augen ein (moderater) allgemeiner Ortszuschlag durchaus sachgerecht begründen.


Deutlich weniger sachgerecht stellt sich hingegen aus meiner Sicht die aktuelle Situation in NRW dar:
1.) Ein lediger kinderloser E4/5-Angestellter bekommt brutto 3.043,02€, was netto 2.293,11€ entspricht (StKL I, abzüglich KV/PV).
2.) Ein lediger kinderloser A5/3-Beamter (VII) bekommt brutto 2.621,19€, was netto 2.270,28€ entspricht (StKL I, abzüglich KV/PV).
3.) Ein verheir. E4/5-Angestellter mit 5 Kindern bekommt brutto 3.043,02€, was netto 2.554,03€ entspricht (StKL III, abzüglich KV/PV).
4.) Ein verheir. A5/3-Beamter (VII) mit 5 Kindern bekommt brutto 6.656,58€, was netto 5.470,92€ entspricht (StKL III, abzüglich KV/PV).

Die beiden Kinderlosen bekommen netto ungefähr den gleichen Betrag, bei den beiden Kinderreichen bekommt der Beamte mehr als das Doppelte des TV-L Tarifbeschäftigten!


Wir wollten uns doch nicht mit den AN vergleichen... wenn man diese Vergleiche heranzieht, muss man auch nicht auf einen Beschluss des Bundesverfassungsgerichts warten; dieser wird sich auch nur auf Beamte beziehen!

lotsch

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #6426 am: 18.07.2023 11:17 »
@emdy: Es stimmt vermutlich, dass der Erwerb von Wohneigentum heute „schwieriger“ ist als vor zwanzig Jahren, aber was soll da der Gesetzgeber machen? Den heute 30-jährigen einen Zuschlag zahlen und den heute 50-jährigen nicht? Und was ist mit denen, die lieber zur Miete wohnen?

Zielführender wäre aus meiner Sicht eine etwas allgemeinere Betrachtung:
- Sowohl heute als auch vor zwanzig Jahren sind/waren die Lebenshaltungskosten sowohl für 30-jährige als auch für 50-jährige in München oder Frankfurt (deutlich) höher als in Pirmasens oder Görlitz.
- Sowohl heute als auch vor zwanzig Jahren sind/waren die Gehälter in der Privatwirtschaft sowohl für 30-jährige als auch für 50-jährige in München oder Frankfurt (deutlich) höher als in Pirmasens oder Görlitz.

Somit ließe sich in meinen Augen ein (moderater) allgemeiner Ortszuschlag durchaus sachgerecht begründen.


Deutlich weniger sachgerecht stellt sich hingegen aus meiner Sicht die aktuelle Situation in NRW dar:
1.) Ein lediger kinderloser E4/5-Angestellter bekommt brutto 3.043,02€, was netto 2.293,11€ entspricht (StKL I, abzüglich KV/PV).
2.) Ein lediger kinderloser A5/3-Beamter (VII) bekommt brutto 2.621,19€, was netto 2.270,28€ entspricht (StKL I, abzüglich KV/PV).
3.) Ein verheir. E4/5-Angestellter mit 5 Kindern bekommt brutto 3.043,02€, was netto 2.554,03€ entspricht (StKL III, abzüglich KV/PV).
4.) Ein verheir. A5/3-Beamter (VII) mit 5 Kindern bekommt brutto 6.656,58€, was netto 5.470,92€ entspricht (StKL III, abzüglich KV/PV).

Die beiden Kinderlosen bekommen netto ungefähr den gleichen Betrag, bei den beiden Kinderreichen bekommt der Beamte mehr als das Doppelte des TV-L Tarifbeschäftigten!


Wir wollten uns doch nicht mit den AN vergleichen... wenn man diese Vergleiche heranzieht, muss man auch nicht auf einen Beschluss des Bundesverfassungsgerichts warten; dieser wird sich auch nur auf Beamte beziehen!


Das BVerfG vergleicht aber sehr wohl mit den AN der freien Wirtschaft und mit den AN des öffentlichen Dienstes. Das sind zwei Prüfkriterien für die amtsangemessene Alimentation.

BVerfGBeliever

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #6427 am: 18.07.2023 11:20 »
Wobei ja der Vergleich mit den Tarifbeschäftigten und der Privatwirtschaft nach meinem Verständnis durchaus Bestandteil des "Prüfprogramms" sind.

Aber gut, dann kontrastiere ich eben nur die brutto 2.621,19€ des kinderlosen A5/3-Beamten mit den 6.656,58€ seines kinderreichen A5/3-Kollegen (der mehr als das Zweieinhalbfache bekommt!)...

Edit: @lotsch ist mir zuvorgekommen.

Floki

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #6428 am: 18.07.2023 12:04 »
Krass - das finde ich in dieser Höhe tatsächlich nicht gerechtfertigt. Irgendwo ist NRW da ganz stramm falsch abgebogen. Die haben untereinander ja sicher noch mehr unfrieden, als sowieso üblich... (auch die Beamten mit weniger Kindern)

Das trifft es ganz gut. Aber die Familienzuschläge in NRW sind ohnehin wieder verfassungswidrig. Der DRB-NRW hat im Januar 2023 angekündigt dagegen zu klagen. Vergleiche von verfassungswidrigen Besoldungen, etc. sind nicht zielführend.

Tom1234

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #6429 am: 18.07.2023 16:20 »
@Swen
Habe mir die (deine) Stellungnahme BL SH vom 05.05.2023 näher angeschaut und kam auf die Frage, ob bei der Bemerssung der Mindestalimentation nicht noch ein Pauschalbetrag für berufliche Aufwendungen (Fahrtkosten) hinzuzurechnen wäre?

emdy

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #6430 am: 18.07.2023 20:40 »
@emdy: Es stimmt vermutlich, dass der Erwerb von Wohneigentum heute „schwieriger“ ist als vor zwanzig Jahren, aber was soll da der Gesetzgeber machen? Den heute 30-jährigen einen Zuschlag zahlen und den heute 50-jährigen nicht? Und was ist mit denen, die lieber zur Miete wohnen?
[...]
Somit ließe sich in meinen Augen ein (moderater) allgemeiner Ortszuschlag durchaus sachgerecht begründen.

Nein, keine Sorge, ich wollte vielmehr an diesem Sachverhalt verdeutlichen, auf welches Terrain man sich begibt, wenn man die Besoldung überwiegend bedarfs- und nicht amtsangemessen ausrichtet und finde den fiktiven "Wohnraumerwerbszuschlag" nicht abwegiger als 87% mehr durch Kinderzuschlag...

Ein moderater Ortzuschlag wäre jedenfalls sicherlich verfassungskonform darzustellen.

PolareuD

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #6431 am: 18.07.2023 21:07 »
https://www.welt.de/politik/deutschland/plus246454936/Strafen-fuer-Gewalttaeter-Warum-die-Justiz-in-Deutschland-an-ihre-Grenzen-stoesst.html

Fazit: Zu wenig Person, zu viel unbesetzte Planstellen, zu wenig Geld. Immer die selbe Leier, aber ändern will die Politik mal wieder nichts daran.

DRB NRW:

Zitat
In allen Gesprächen erfahren wir grund-
sätzliche Unterstützung. Jedoch wird uns unter Hin-
weis auf die aktuell sehr angespannte Haushaltslage
wenig Hoffnung auf einen schnellen Erfolg gemacht

https://www.drb-nrw.de/fileadmin/Landesverband-Nordrhein-Westfalen/Dokumente/rista/drb_nrw_rista_03_23.pdf

Seite 17.

SwenTanortsch

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #6432 am: 19.07.2023 00:56 »
@Swen
Habe mir die (deine) Stellungnahme BL SH vom 05.05.2023 näher angeschaut und kam auf die Frage, ob bei der Bemerssung der Mindestalimentation nicht noch ein Pauschalbetrag für berufliche Aufwendungen (Fahrtkosten) hinzuzurechnen wäre?

Die Mindestalimentation wird ja vom Bundesverfassungsgericht als 115 %ige Vergleichsschwelle zum Grundsicherungsniveau betrachtet, Tom, weshalb hier keine entsprechenden Fahrtkosten betrachtet werden können.  Denn die vierköpfige Bedarfsgemeinschaft befindet sich als Grundsicherungsempfänger per se in keinem Beschäftigungsverhältnis, sodass hier keine entsprechenden Fahrtkosten anfallen können. Die Fahrtkosten werden hingegen, sofern das der Beamte in seiner Steuererklärung so veranlasst, steuerlich bei der Entfernungspauschale mit 30 C je Kilometer der einfachen Wegstrecke materiell betrachtet. Eine darüber hinaus gehende Betrachtung als die individuell steuerliche sieht das Bundesverfassungsgericht weiterhin nicht vor, wobei bei der Bemessung der Nettoalimentation die Steuerlast regelmäßig anhand des Lohnsteuerrechners des Bundesfinanzministeriums in standardisierter Art und Weise wie folgt betrachtet wird (ich ziehe nachfolgend das vorletzte Jahr heran https://www.bmf-steuerrechner.de/bl/bl2021/eingabeformbl2021.xhtml und lege die Besoldungsgruppe A 3/1 nach dem BBesG zugrunde):


Geburtsjahr: 1991 (Der betrachtete Beamte wird nicht älter, es wird immer einer 30-jähriger Beamter betrachtet)

Steuerklasse: 3 (Der Beamte ist verheiratet)

Kinderfreibeträge: 2 (in der Familie leben zwei Kinder)

Kirchensteuer: keine (die Frage hat das Bundesverfassungsgericht nicht abschließend geklärt, geht aber so vor)

Lohnzahlungszeitraum: Jahr

Jahresbruttolohn: 33.246,84 € (Grundgehalt: 27.945,84 €; Familienzuschläge: 5.301,00 €)

Davon Versorgungsbezüge: 0 €

Rentenversicherung: keine gesetzliche KV

Kraknkenversicherung: private KV ohne Arbeitgeberzuschuss

Zusatzbeitragssatz zur gesetlichen KV: 0 %

Pflegeversicherung: ohne Zuschlag von 0,35 %

monatlicher Beitrag zur PKV: 510,70 (BEG-Beitrag laut Mitteilung des PKV-Verbands)

Steuerlast: 1.138,- € (https://www.bmf-steuerrechner.de/bl/bl2021/resultbl2021.xhtml?acckey=true)


Auch hier kann nun die Fahrtkostenpauschale nicht betrachtet werden, da es sich um ein individuelles Kriterium des jeweiligen Beamten handelt, das als solches nicht durch bemessebare Beträge verallgemeinert werden könnte.

Zugleich ist das sachlich auch nicht nötig, wie im Anschluss gezeigt wird, wobei die nachfolgende Betrachtung für manche erst einmal zu verarbeiten sein dürfte, schätze ich, weil sie die wiederkehrend sachlich problematische Darlegungs- und Vorgehensweise der Besoldungsgesetzgeber im Kopf haben, die also einen absoluten materiellen Zusammenhang zwischen der Mindest- und der gewährten Nettoalimentation konstruieren, den es in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgericht so aber nicht gibt.

Die Erzählung der Dienstherrn lautet:

- Darlegungsweise: Die Bemessung der Mindestalimentation sei notwendig, um sie mit der Höhe der tatsächlich gewährten Nettoalimentation vergleichen zu können, sobald die gewährte Nettoalimentation die Mindestalimentation übersteigt, läge materiell eine amtsangemessene Alimentation vor.

- Vorgehensweise: das Grundsicherungsniveau und die auf dieser Basis ermittelte Mindest- sowie die vom Dienstherrn gewährte Nettoalimentation werden bemessen (weiterhin in keinem Rechtskreis bislang vollständig sachgerecht, i.d.R. evident unzureichend; aber das ist für unseren hier betrachteten Fall hier im Moment sachlich zweitrangig).

- proklamiertes Ergebnis: Das Mindestabstandsgebot sei nicht verletzt.

Tatsächlich betrachtet das Bundesverfassungsgericht die Mindestalimentation aber grundlegend anders:

- Es betrachtet die Mindestalimentation als 115 %ige Nettovergleichsschwelle zum Grundsicherungsniveau (darin folgen die Gesetzgeber der bundesverfassungsgerichtlichen Rechtsprechung; hier besteht kein Dissens).

- Die so bemessene Mindestalimentation stellt den Betrag der gewährten Nettoalimentation dar, der vom absoluten Alimentationsschutz umfasst ist. Diesseits des vom absoluten Alimentationsschutz umfassten Betrags sind keine Einschnitte in die gewährte Nettoalimentation möglich (deshalb "absoluter Alimentationsschutz").

- (a) Damit stellt die Mindestalimentation nicht den Betrag dar, über den die gewährte Nettoalimentation hinausreichen muss, um dann eine amtsangemessene Alimentation zu gewähren, wie das die Besoldungsgesetzgeber verstehen wollen und entsprechend darstellen. (b) Vielmehr ist in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgericht jede gewährte Nettoalimentation verfassungswidrig, die unterhalb des Betrags der Mindestalimentation verbleibt: "Wird bei der zur Prüfung gestellten Besoldungsgruppe der Mindestabstand zur Grundsicherung für Arbeitsuchende nicht eingehalten, liegt allein hierin eine Verletzung des Alimentationsprinzips" (vgl. in der aktuellen Entscheidung die Rn. 48). Aussage (a) und Aussage (b) sehen auf den ersten Blick identisch aus - sie sind es aber nicht, und zwar mit weitreichenden Konsequenzen.

Denn aus der sachgerechten Betrachtung des Mindestabstandsgebots im Sinne von (b) wird deutlich, dass jedes Unterschreiten der Mindestalimentation verfassungswidrige ist und dass auf Grundlage des Mindestabstabstandsgebots materiell keine weitere Aussage hinsichtlich der gewährten Nettoalimentation möglich ist, woraus folgt, dass eine gewährte Nettoalimentation, die jenseits der Mindestalimentation liegt (also betragsmäßig größer ist), nur ein Indiz dafür ist, dass die dieser Besoldungsgruppe gewährte Nettoalimentation verfassungskonform sein kann. Das ist der entscheidende Gedanke, den man sich klar machen muss, um die Sachlogik der Rechtsprechung zu durchdringen:

1. Eine die Mindestalimentation unterschreitende Nettoalimentation stellt einen Einschnitt in den absoluten Alimentationsschutz dar, was ausnahmslos zu dem Ergebnis führt, dass die Regelung materiell-rechtlich  verfassungswidrig ist.

2. Überschreitet die Nettoalimentation die gewährte Nettoalimentation, ist das im Prüfverfahren des Bundesverfassungsgerichts als ein Indiz dafür zu betrachten, dass eine amtsangemessene Alimentation vorliegen kann. Weitergehende, materiell-rechtliche Schlüsse können aus dem Überschreiten allein nicht gezogen werden.

Und nun wird ggf. der eine oder andere sagen: Warum soll das wichtig sein?

Bemessen wird nun also die 2021 im Bund gewährte Nettoalimentation für die Besoldungsgruppe A 3/1 sowie das Grundsicherungsniveaus für dasselbe Jahr:

Bruttobesoldung: 33.246,84 €
- Steuerlast:          1.138,00 €
Nettobesoldung:   32.108,84 €
- PKV-Beitrag:        7.604,40 € (laut Mitteilung des PKV-Verbands)
+ Kindergeld:         5.256,00 €
Nettoalimentation: 29.760,44 €

Grundsicherungsniveau (die Corona-bedingten Beträge vernachlässige ich nachfolgend):

Regelsätze zwei Erwachsen in
häuslicher Bedarfsgemeinschaft: 9.624,00 €
Regelsätze zwei Kinder:              7.357,44 €
kalte Unterkunftskosten:           16.548,00 € (95 %-Perzentil Bayern)
Heizkosten:                                2.016,90 €  (22,41 € x 90 qm)
Bedarfe für Bildung und
Teilhabe sowie Sozialtarife:             839,52 € (der Betrag ist deutlich zu gering)

Grundsicherungsniveau:          36.385,86 €
Mindestalimentation:               41.843,74 €

Mindestalimentation im Monat: 3.486,98 €
gewährte Nettoalimentation:    2.480,04 €
absoluter Fehlbetrag:               1.006,94 €

Hier zeigt sich nun der o.g. Unterschied:

Sowohl der Bundesverfassungsgericht als auch der Dienstherr werden nun bei sachgerechter Betrachtung zu dem Ergebnis kommen, dass die gewährte Nettoalimentation verfassungswidrig ist, da sie die Mindestalimentation eklatant unterschreitet, sodass ein starker Einschnitt in den vom absoluten Alimentationsschutz umfassten Betrag der zu gewährenden Nettoalimentation vorliegt, wie er sich im absoluten Fehlbetrag zeigt.

Die Gesetzgeber behaupten nun aber, dass die gewährte Nettoalimentation verfassungskonform sei, sobald die gewährte Nettoalimentation in der Besoldungsgruppe A 3/1 3.487,- betragen wird (wobei i.d.R. keiner der Gesetzgeber Bemessungsverfahren vollzieht, die zu einem so hohen Fehlbetrag führen, sondern ihn anhand von sachwidrigen Methoden sachwidrig niedriger bemessen).

Das Bundesverfassungsgericht wird in einer gewährten Nettoalimentation in Höhe von 3.487,- € in der Besoldungsgruppe A 3/1 hingegen ein Indiz erkennen, dass sie verfassungskonform sein kann. Sie wird nun also ebenfalls die weiteren Parameter der ersten Prüfungsstufe betrachten, um dann ebenfalls die zweite Prüfungsstufe zu betrachten, um dann zu einer Gesamtabwägung zu gelangen. In der Gesamtabwägung wäre nun in Rechnung zu stellen, dass die Nettoalimentation um nur 0,02 € oberhalb der Mindestalimentation läge. Das Indiz wäre hier nun also ein allenfalls sehr schwaches. In diesem Sinne führt das Bundesverfassungsgericht aus: Hier "sind zunächst die Feststellungen der ersten Prüfungsstufe, insbesondere das Ausmaß der Über- oder Unterschreitung der Schwellenwerte, im Wege einer Gesamtbetrachtung zu würdigen und etwaige Verzerrungen – insbesondere durch genauere Berechnungen (vgl. oben C. I. 2. a), Rn. 30 ff.) – zu kompensieren." Typischwerweise wäre nun zu prüfen, ob bspw. die Bemessungen der Bedarfe für Bildung und Teilhabe und des monetären Gegenwerts der Sozialtarife tatsächlich hinreichend realitätsgerecht wären (was sie in unserem Fall ganz sicher nicht wären). Auch müsste weiterhin beachtet werden, dass es sich bei den Besoldungskomponenten "um das Grundgehalt, den Ortszuschlag (jetzt: Familienzuschlag), die jährliche Sonderzuwendung und das Urlaubsgeld sowie etwaige Einmalzahlungen [handelt]. Inwieweit all diese Komponenten tatsächlich bei der Bestimmung des amtsangemessenen Besoldungsniveaus heranzuziehen sind, ist eine Frage der Begründetheit" (BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 05. Mai 2015 - 2 BvL 17/09 -, Rn 88). Der Gesetzgeber müsste nun besonders sorgfältig seine Gesetzesbegründung vollziehen und dabei also in Rechnung stellen, dass ein Unterschreiten des Mindestalimentation ein Einschnitt in den vom absoluten Alimentationsschutz umfassten Betrag der zu gewährenden Nettoalimentation darstellt, also in jedem Fall verfassungsiwdrig wäre. Mit seiner Begründung müsste er nun also in allen Fällen ausschließen können, dass ein solcher Einschnitt gegeben sei.

Der langen Rede kurzer Sinn: Fahrtkosten können aus den zu Beginn genannten Gründen nicht in den jeweiligen Bemessungen beachtet werden und ihre Beachtung ist sachlich auch nicht nötig, wie die weitere Betrachtung zeigt, da eine amtsangemessene Alimentation am Ende so hoch bemessen sein muss, dass die Fahrtkosten für den Beamten am Ende ein nicht ins Gewicht fallendes Problem darstellen können (der Beamte ist ja weiterhin dazu gezwungen, seinen Wohnort so zu wählen, dass die ordnungsmäßige Wahrnehmung seiner Dienstgeschäfte nicht beeinträchtigt wird, also kann seine Wegstrecke zwischen Wohn- und dienstort i.d.R. nicht übermäßig lang sein). Die steuerliche Kompensation durch die Entfernungspauschale sollte als Ausgleich hinreichend sein - auch in dieser Betrachtung zeigt sich nun eindringlich, dass es dem Dienstherrn nicht gestattet werden darf, weiterhin die Treuepflicht einseitig aufzukündigen.

clarion

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« Antwort #6433 am: 19.07.2023 07:00 »
Hallo  Swen,

Du hast verschiedentlich vorgezeichnet, was die Mindestalimentation für das niedrigste Amt in der niedrigsten Stufe sein muss.

Die Dienstherren versuchen,  durch Streichung von Ämtern und Stufen, die Mindestalimentation zu erreichen, ohne dass die große Mehrheit  der über der Mindestalimentation liegenden Beamten profitiert. Ob diex Einebnung von Ämtern, was quasi eine Abschaffung des einfachen Dienstes ist, mit dem Leistungsprinzip vereinbar ist, muss vermutlich auch höchstrichterlich festgestellt werden.

Ein weiterer Lösungsansatz, die Besoldung unten zu halten, sind die Zuschläge. Was bei einigen persönlichen Konstellationen dazu führt, dass die Zuschläge einen derartig hohen Anteil an der Besoldung ausmachen, dass Inhaber deutlich höherer Ämter weniger auf dem Konto haben. Absurder geht es nimmer.

Nun ist aber immer wieder vom Abstandsgebot der unterschiedlichen Ämtern die Rede, ohne dass diese mit Zahlen hinterlegt werden.  Dazu gibt es wohl keine Rechtssprechung.  Werden die nun erwarteten Entscheidungen dazu Aussagen treffen?

SwenTanortsch

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #6434 am: 19.07.2023 09:58 »
Hallo  Swen,

Du hast verschiedentlich vorgezeichnet, was die Mindestalimentation für das niedrigste Amt in der niedrigsten Stufe sein muss.

Die Dienstherren versuchen,  durch Streichung von Ämtern und Stufen, die Mindestalimentation zu erreichen, ohne dass die große Mehrheit  der über der Mindestalimentation liegenden Beamten profitiert. Ob diex Einebnung von Ämtern, was quasi eine Abschaffung des einfachen Dienstes ist, mit dem Leistungsprinzip vereinbar ist, muss vermutlich auch höchstrichterlich festgestellt werden.

Ein weiterer Lösungsansatz, die Besoldung unten zu halten, sind die Zuschläge. Was bei einigen persönlichen Konstellationen dazu führt, dass die Zuschläge einen derartig hohen Anteil an der Besoldung ausmachen, dass Inhaber deutlich höherer Ämter weniger auf dem Konto haben. Absurder geht es nimmer.

Nun ist aber immer wieder vom Abstandsgebot der unterschiedlichen Ämtern die Rede, ohne dass diese mit Zahlen hinterlegt werden.  Dazu gibt es wohl keine Rechtssprechung.  Werden die nun erwarteten Entscheidungen dazu Aussagen treffen?

Hallo Clarion,
zum Mindestabstandsgebot, seine Bemessung und Betrachtung im Prüfverfahren habe ich ja gerade alles gesagt. Ich fasse hier die Quintessenz zusammen, um das Nachfolgende verständlich zu machen. Damit ggf. Fragen zu einzelnen Aussagen der Zusammenfassung gestellt werden könnten, nummeriere ich die zusammenfassenden Aussagen:

1. In seiner Entscheidung vom 17. November 2015 - 2 BvL 19/09 -, Rn. 93 f. hat das Bundesverfassungsgericht das Mindestabstandsgebot als hergebrachten Grundsatz des Berufsbeamtentums betrachtet. Als Teil des Alimentationsprinzips hat der Gesetzgeber das Mindestabstandsgebot bei der Fortentwicklung des öffentlichen Dienstrechts zu beachten: "Zu den vom Gesetzgeber wegen ihres grundlegenden und strukturprägenden Charakters nicht nur zu berücksichtigenden, sondern zu beachtenden [...] hergebrachten Grundsätzen des Berufsbeamtentums zählt das auch für die Besoldung der Richter und Staatsanwälte maßgebliche [...] Alimentationsprinzip. Art. 33 Abs. 5 GG ist unmittelbar geltendes Recht und enthält einen Regelungsauftrag an den Gesetzgeber sowie eine institutionelle Garantie des Berufsbeamtentums [...]. Des Weiteren begründet Art. 33 Abs. 5 GG ein grundrechtsgleiches Recht der Richter und Staatsanwälte, soweit deren subjektive Rechtsstellung betroffen ist" (Rn. 22 der aktuellen Entscheidung; https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2020/05/ls20200504_2bvl000418.html).

2. Zur Prüfung, ob das Mindestabstandsgebot erfüllt ist, ist im Prüfverfahren die Mindestalimentation der gewährten Nettoalimentation gegenüberzustellen. Die Prüfung einer amtsangemessenen Alimentation - das indizielle Verfahren - ist von der materiell-rechtlichen Dimension - wie gestaltet sich die Höhe der tatsächlich gewährten Alimentation - systematisch zu trennen.

3. Die Mindestalimentation ist materiell-rechtlich die 115 %ige Vergleichsschwelle zur gewährten Nettoalimentation.

4. 115 %ig meint: Sie gibt den Betrag wieder, der 15 % oberhalb des Betrags liegt, den die staatliche Ordnung einer vierköpfigen Bedarfsgemeinschaft zur Bestreitung ihres Lebensunterhalts schuldet.

5. Das Grundsicherungsniveau ist im Prüfverfahren realitätsgerecht vom Besoldungsgesetzgeber zu bemessen, gleiches gilt für die zu bemessene Nettoalimentation.

6. Vergleichsgegenstand zur Mindestalimentation ist die Nettoalimentation, die einem verheirateten, aktiven Beamten mit zwei Kindern gewährt wird, der in der Besoldungsordnung A im im niedrigsten bewerteten Amt und dort in der untersten ausgewiesenen Erfahrungsstufe eingruppiert ist.

7. Das Mindestabstandsgebot besagt, dass Einschnitte in den von der Mindestalimentation umfassten Teil der gewährten Nettoalimentation in jedem Fall ausgeschlossen sind (absoluter Normbestandsschutz, vereinfacht als absoluter Alimentationsschutz bezeichnet).

8. Im Prüfverfahren kann es nun nur zwei prinzipielle Ergebnisse geben:

a) Ein Einschnitt in den von der Mindestalimentation umfassten Teil der gewährten Nettoalimentation (= das Unterschreiten der Mindestalimentation) stellt in jedem Fall einen Verfassungsverstoß dar und zeigt die dem davon betroffenen Beamten gewährte Nettoalimentation als materiell-rechtlich verfassungswidrig.

b) Überschreitet die dem besagten Beamten gewährte Nettoalimentation die Mindestalimentation, dann indiziert das eine verfassungskonforme Nettoalimentation; eine materiell-rechtliche Aussage ist darüber hinaus mit diesem Sachverhalt nicht verbunden. Das Gewicht des Indiz ist mit der ihm zukommenden Bedeutung in das Prüferverfahren einzustellen (je höher der Betrag der gewährten Nettoalimentation oberhalb der Mindestalimentation liegt, desto größer die Wahrscheinlichkeit, dass die gewährte Nettoalimentation sich als amtsangemessen herausstellen kann).

Soweit die zentralen Aussagen, die man zum Mindestabstandsgebot machen kann. Damit kommen wir zum Abstandsgebot zwischen zwei miteinander vergleichbare Besoldungsgruppen, also zu Deiner Frage zu deren Beantwortung ich zunächst einmal auch hier den allgemeinen Rahmen abstecke:

1. Das Bundesverfassungsgericht hat im ersten Leitsatz seiner Entscheidung vom 23. Mai 2017 - 2 BvR 883/14 u.a. (https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2017/05/rs20170523_2bvr088314.html) - jenes Abstandsgebot ebenfalls als hergebrachten Grundsatz des Berufsbeamtentums betrachtet und damit auch jenem Abstandsgebot Verfassungsrang zugesprochen, sodass auch hier das gilt, was ich oben dort unter der Nr. 1 zitiert habe. Denn das Alimentationsprinzip aus Art. 33 Abs. 5 GG sagt aus: "Das Recht des öffentlichen Dienstes ist unter Berücksichtigung der hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums zu regeln und fortzuentwickeln." Als besonders wesentlicher Grundsatz des Berufsbeamtentums ist das Alimentationsprinzip vom Gesetzgeber nicht nur zu berücksichtigen, sondern zu beachten (s.o.). Die beiden Abstandsgebote sind entsprechend ebenfalls von ihm zu beachten, um die Garantie einer amtsangemessenen Alimentation gewährleisten zu können.

2. Einen jedem Amt ist eine Wertigkeit immanent, die sich in der Besoldungshöhe widerspiegeln muss. Die Wertigkeit wird insbesondere durch die Verantwortung des Amtes und die Inanspruchnahme des Amtsinhabers bestimmt. Die „amts“-angemessene Besoldung ist notwendigerweise eine abgestufte Besoldung.

3. Da nun die amtsangemessene Besoldung notwendigerweise eine abgestufte Besoldung ist, muss es zwangsläufig eine Höhe der Alimentation geben, die oberhalb des vom absoluten Alimentationsschutz umfassten Teil der gewährten Nettoalimentation liegt. Da der Anspruch einer amtsangemessenen Alimentation wie gerade gezeigt (vgl. die beiden Nr. 1) Folge auch eines grundrechtsgleiches Rechts ist, muss auch dieser oberhalb der Mindestalimentation liegende Betrag der Nettoalimentation verfassungsrechtlich geschützt sein. Da dieser oberhalb der Mindestalimentation liegende Betrag aber gleichfalls zwangsläufig oberhalb von 15 % des Grundsicherungsniveaus liegt, kann er nicht vom absoluten Alimentationsschutz umfasst sein. Er ist entsprechend nur vom sog. relativen Normbestandsschutz (gemeinhin als relativer Alimentationsschutz bezeichnet) umfasst.

4. Auch diesen vom relativen Alimentationsschutz umfassten Betrag hat das Bundesverfassungsgericht bereits mehrfach betrachtet, da ja das Abstandsgebot zwischen zwei vergleichbaren Besoldungsgruppen seit 2017 ebenfalls ein hergebrachter Grundsatz des Berufsbeamtentums ist. Diesbezüglich hält der Zweite Senat in mittlerweile offensichtlich gefestigter Rechtsprechung fest: "Die Amtsangemessenheit der Alimentation der Richter und Staatsanwälte bestimmt sich auch durch ihr Verhältnis zur Besoldung und Versorgung anderer Beamtengruppen[...]. Durch die Anknüpfung der Alimentation an innerdienstliche, unmittelbar amtsbezogene Kriterien wie den Dienstrang soll sichergestellt werden, dass die Bezüge entsprechend der unterschiedlichen Wertigkeit der Ämter abgestuft sind. Gleichzeitig kommt darin zum Ausdruck, dass jedem Amt eine Wertigkeit immanent ist, die sich in der Besoldungshöhe widerspiegeln muss. Die Wertigkeit wird insbesondere durch die Verantwortung des Amtes und die Inanspruchnahme des Amtsinhabers bestimmt. Die 'amts'-angemessene Besoldung ist notwendigerweise eine abgestufte Besoldung [...]. Die Organisation der öffentlichen Verwaltung stellt darauf ab, dass in den höher besoldeten Ämtern die für den Dienstherrn wertvolleren Leistungen erbracht werden. Deshalb muss im Hinblick auf das Leistungs- und das Laufbahnprinzip mit der organisationsrechtlichen Gliederung der Ämter eine Staffelung der Gehälter einhergehen. Vergleiche sind dabei nicht nur innerhalb einer Besoldungsordnung, sondern gerade auch zwischen den verschiedenen Besoldungsordnungen geboten [...]. Amtsangemessene Gehälter sind auf dieser Grundlage so zu bemessen, dass sie Richtern und Staatsanwälten eine Lebenshaltung ermöglichen, die der Bedeutung ihres jeweiligen Amtes entspricht" (Rn. 43 der aktuellen Entscheidung).

5. Aus dieser Betrachtung folgen nun in der Rechtsprechung die Konsequenzen, also die Festlegung, was aus dem relativen Alimentationsschutz materiell-rechtlich folgt, wobei hier nun nachfolgend zum Teil keine bloß gefestigte, sondern ständige Rechtsprechung betrachtet wird; diesbezüglich sind also dogmatisch keine Veränderungen in der Rechtsprechung zu erwarten (während sich die gefestigte Rechtsprechung im Zuge des von mir wiederkehrend hervorgehobenen Rechtsprechungswandels seit 2012 auf dem Weg zur ständigen Rechtsprechung befindet); die Zentralaussage kennzeichne ich nachfolgend mit stRspr: "Jenseits des verfassungsrechtlich gebotenen Mindestmaßes, wie es sich aufgrund der oben dargestellten Gesamtschau ergibt, genießt die Alimentation einen relativen Normbestandsschutz. Der Gesetzgeber darf hier Kürzungen oder andere Einschnitte in die Bezüge vornehmen, wenn dies aus sachlichen Gründen gerechtfertigt ist [...]. Kürzungen oder andere Einschnitte können durch solche Gründe sachlich gerechtfertigt werden, die im Bereich des Systems der Beamtenbesoldung liegen [...]. Zu solchen systemimmanenten Gründen können finanzielle Erwägungen zwar hinzutreten [stRspr] [...]. das Bemühen, Ausgaben zu sparen, kann aber nicht als ausreichende Legitimation für eine Kürzung der Besoldung angesehen werden [...], soweit sie nicht als Teil eines schlüssigen Gesamtkonzepts dem in Art. 109 Abs. 3 GG verankerten Ziel der Haushaltskonsolidierung dient" (Rn. 94 der aktuellen Entscheidung; zur Haushaltskonsolidierung und den Folgen für den vom absoluten Alimentationsschutz umfassten Betrag der gewährten Nettoalimentation vgl. die hier weiteren sowie die Ausführung in Rn. 95, die ich hier nicht weiter betrachte, weil hier Ausnahmefälle vorliegen).

6. Innerhalb dieses allgemeinen Rahmen, den der Besoldungsgesetzgeber bei der Bemessung der amtsangemessenen Alimentation zu beachten hat, kommen wir nun konkret zu der Frage von Zuschlägen, wobei hier prinzipiell zwei Arten von Zuschlägen zu betrachten sind:

a) Die erste Art von Zuschlägen sind unmittelbar amtsbezogene Zuschläge. Denn wie oben zitiert soll durch die Anknüpfung der Alimentation an innerdienstliche, unmittelbar amtsbezogene Kriterien wie dem Dienstrang sichergestellt werden, dass die Bezüge entsprechend der unterschiedlichen Wertigkeit der Ämter abgestuft sind. Hier nun kann es unmittelbar amtsbezogene Kriterien innerhalb einer Besoldungsgruppe geben, als deren Folge die die Besoldung differenzierenden amtsbezogenen Zuschläge gewährt werden, um die hier höherwertige Leistung sachgerecht alimentieren zu können, die zugleich nicht so hochwertig sein kann, dass das Amt der nächst höheren Besoldungsgruppe zuzuordnen wäre: Amtsbezogene Zuschläge haben die Forderungen des Leistungsprinzips aus Art. 33 Abs. 2 GG zu beachten (auf jenes gehe ich hier nicht weiter ein, um die Ausführungen nicht noch länger zu machen) und sie mit den Forderungen aus Art. 33 Abs. 5 GG zu vermitteln, wie sie sich hier im Alimentationsprinzip zeigen, d.h., amtsbezogene Zuschläge können (und ggf. müssen) die Besoldung innerhalb einer Besoldungsgruppe differenzieren, dürfen jedoch nicht zu dem Ergebnis führen, dass durch sie ein regelmäßig höheres Besoldungsniveau erreicht wird als in der nächst höheren Besoldungsgruppe; denn mit dieser nächsthöheren Besoldungsgruppe wird ein höherwertiges Amt besoldet. Amtsbezogene Zuschläge sind sachgerecht zu gewähren und entsprechend bei ihrer Einführung hinsichtlich der Ämterwertigkeit zu begründen. Lassen sie sich nicht sachlich begründen, können sie nicht gewährt werden.

b) Die zweite Art von Zuschlägen sind prinzipiell solche, die nicht unmittelbar amtsbezogen sind wie nun insbesondere die familienbezogenen Besoldungskomponenten und die also auf Grundlage dessen gewährt werden, dass der Dienstherr nicht nur den Beamten, sondern auch seine Familien lebenslang amtsangemessen alimentieren muss. Es geht hier also insbesondere um den Familienstand und die Kinderzahl sowie neuerdings auch um den Wohnort. Da sie nicht unmittelbar amtsbezogen sind, können sie als Nebenkomponenten der Besoldung zumindest für die vierköpfige Beamtenfamilie keine weiter herausgehobene Bedeutung entfalten (anders sieht das hinsichtlich des alimentativen Mehrbedarfs ab dem dritten Kind als Sonderstrang des Alimentationsprinzips aus). Denn sie können wegen der den Dienstherrn treffenden Alimentationspflicht auch der Familie als Folge des Alimentationsprinzips aus Art. 33 Abs. 5 gewährt werden; dabei sind aber weiterhin die Forderungen aus dem Leistungsprinzips aus Art. 33 Abs. 2 GG zu beachten: Und das bedeutet, dass die amtsangemessene Alimentation grundsätzlich weitgehend mit dem Grundgehalt zu gewähren ist, denn es (und nicht nicht unmittelbar amtsbezogene Kriterien) sichert die Qualität der vom Beamten zu erbringenden Leistung und die Attraktivität des von ihm bekleideten Amts.

Entsprechend dieser letzten Darlegung zum Leistungsprinzips hat das Bundesverfassungsgericht in der letzten Entscheidung festgestellt, dass nicht nur eine Verletzung des Alimentationsprinzips gegeben war, dass also in der R-Besoldung die Alimentation als Ganze zu gering gewesen ist, sondern dass ebenso auch das Leistungsprinzips verletzt war, dass also innerhalb der zu geringen Alimentation insbesondere die Grundgehaltssätze nicht mehr amtsangemessen waren. In diesem Sinne hat es ausgeführt:

Die Richtern und Staatsanwälten gewährte Besoldung "genügte nicht, um Richtern und Staatsanwälten nach der mit ihrem Amt verbundenen Verantwortung und nach der Bedeutung dieser Ämter für die Allgemeinheit einen der Entwicklung der allgemeinen wirtschaftlichen und finanziellen Verhältnisse und des allgemeinen Lebensstandards angemessenen Lebensunterhalt zu ermöglichen [Verstoß gegen das Alimentationsprinzips, die Höhe der Besoldung war unzureichend; ST.]. Bei der Festlegung der Grundgehaltssätze wurde die Sicherung der Attraktivität des Amtes eines Richters oder Staatsanwalts für entsprechend qualifizierte Kräfte, das Ansehen dieses Amtes in den Augen der Gesellschaft, die von Richtern und Staatsanwälten geforderte Ausbildung, ihre Verantwortung und ihre Beanspruchung nicht hinreichend berücksichtigt [Verstoß gegen das Leistungsprinzips, das durch die zu geringen Grundgehaltssätze verletzt wurde; ST.]." (Rn. 99)

So verstanden bedarf es in der anstehenden Entscheidung an sich keiner weiteren Ausformung der diesbzüglichen Rechtsprechung. Denn auch hinsichtlich der prozeduralen Anforderungen, also der Begründungsplicht des Gesetzgebers hinichtlich der beiden Abstandsgebote, ist alles, was notwendig ist, gesagt, sofern die Gesetzgeber gewillt wären, eine amtsangemessene Alimentation gewähren zu wollen. Und darin besteht nun die sachlich schwierig zu lösende Aufgabe des Bundesverfassungsgerichts, die sich ihm verfassungsrechtlich an sich nicht stellen kann: Es muss seine Rechtsprechung so ausführen, dass der länderübergreifend konzertierte Verfassungsbruch zu seinem Ende geführt wird, ohne dass es einen Einfluss auf die vorhandene Lesefähigkeit in den deutschen Parlamenten nehmen kann. Das hört sich nun womöglich wie ein ironisches Fazit an - das Schlimme ist, das ist nicht einmal ironisch gemeint, sondern es fasst die Sachlage leider weitgehend präzise zusammen, wenn ich das richtig sehe.

Und zugleich könnte ich jetzt noch mit Ziff. 7 fortfahren, nämlich nachdem ich in den letzten sechs Ziffern die materiell-rechtliche Sachlaghe betrachtet habe, nun auch hier die davon prinzipiell zu trennenden indiziellen Forderungen des Bundesverfassungsgerichts anzuführen, also wie das Prüfverfahren, der systeminterne Besoldungsvergleich, zu vollziehen wäre. Das ist aber zur Beantwortung Deiner Frage nicht notwendig und würde diesen Beitrag noch einmal deutlich verlängern.
« Last Edit: 19.07.2023 10:09 von SwenTanortsch »