Autor Thema: Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)  (Read 2089099 times)

BWBoy

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #6810 am: 23.08.2023 13:16 »


Sorry, ja ich will amtsangmessen besoldet sein.
Aber selbst ein wirklich guter Beamter der meint er arbeitet wie Gott, kann eine solche Besoldungstabelle ja wohl niemand mehr mit guten Gewissen rechtfertigen.
Denn die 849€ AEZ aus dem Entwurf wäre eine Steigerung um 32% durchgehend für alle Beamten.

natürlich kann man die mit gutem Gewissen rechtfertigen. Genau genommen zeigt sich an deinem Zögern nur die krasse  Diskrepanz von Löhnen in Deutschlang verglichen mit den Transferleistungen die (zurecht) steigen, jedoch teilweise stärker als die Löhne der Leute die sie finanzieren müssen, was unter anderem dazu führt, dass die Anzahl der Aufstocker zunehmend ansteigt.

Diese Fehlentwicklung ist aus meiner Sicht jedoch kein Grund dafür, dass wir jetzt als Beamte anfangen sollten zu fordern, dass es uns genauso schlecht geht. Keine Sorge, das fordern schon genügend andere. Weil es einfacher ist Empörung über die Stellung anderer zu bekunden statt über die eigene Situation.

clarion

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #6811 am: 23.08.2023 13:29 »
Drei bis sechs Jahre,

Lieber Swen, dein Wort in Gottes Ohr. Dann habe ich noch realistische Chancen, das zu erleben

 ;D

BBaABw

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #6812 am: 23.08.2023 13:46 »
Sonstige Kuriositäten bei großen Familienzuschlägen
Hier mal ein paar nach meiner Kenntnis noch nicht explizit erwähnte kuriose Konstellationen, die ihren Ursprung in den hohen FZ haben.
Beispiel 1:
Ehepaar beide Beamte arbeiten in Vollzeit:
Bruttogehalt nach Tabelle ca. 2*5000Euro. FZ 2*3000Euro=6000Euro entspricht 200%. FZ wird auf 100% gekürzt macht HH-Bruttoeinkommen 13000Euro.
+Kindergeld -PKV für 6 Personen bei 4 Kindern knapp 10000Euro HH-Nettoeinkommen
Beide Partner gehen in TZ 50%:
Bruttogehalt nach Tabelle 2*2500Euro. FZ 2*1500Euro=3000Euro entspricht 100% FZ.
HH-Bruttoeinkommen 8000Euro
+Kindergeld -PKV für 6 Personen bei 4 Kindern gut 7000Euro HH-Nettoeinkommen.
Fazit: Vollzeit knapp 10K Netto. TZ 50% gut 7K Netto. Eine solche Konstellation begünstig massiv die TZ-Beschäftigung.
Beispiel 2:
Ein Partner trennt sich und bekommt die Kinder. Dieser Partner nimmt den FZ mit hat also in TZ 50%
2500Euro nach Tabelle + 3000Euro FZ = 5500Brutto + 1000Euro Kindergeld -PKV + Unterhaltsansprüche gem. DD-Tabelle an den Expartner.
Fazit: Auch hier lohnt sich für keinen der beiden die Arbeitszeit zu erhöhen. Für den Partner mit den Kindern führt eine Arbeitszeiterhöhung nur zu einem relativ kleinen Einkommenszuwachs und wenn der Expartner ohne Kinder mehr Arbeitet, wachsen die Unterhaltsansprüche, sodass auch hier die TZ-Beschäftigung begünstigt wird. 
Gibt bestimmt noch viele anderen Beispiele. Irgendwann muss doch jemand merken, dass man so keine Leistung aus dem Beamtenapparat bekommen kann.
Alle Rechnung sind sehr grob und sollen nur das Prinzip verdeutlichen.

SwenTanortsch

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #6813 am: 23.08.2023 13:55 »
Drei bis sechs Jahre,

Lieber Swen, dein Wort in Gottes Ohr. Dann habe ich noch realistische Chancen, das zu erleben

 ;D

... das, was ich schreibe, ist allerdings typisch juristisch formuliert: Je nachdem, wie die anstehende Begründung ausfällt, kann man von drei bis sechs Jahren ausgehen. Wenn sie allerdings nicht so ausfällt, wie ich das mir in Teilen vorstellen kann, kann es noch sehr lange dauern. Wenn ie Begründung inhaltlich weitgehender formuliert werden wird, als ich das zurzeit vermute, kann's auch schneller gehen. Wie gesagt, nach der anstehenden Entscheidung wissen wir mit hoher Wahrscheinlichkeit mehr. Überraschen wird uns genauso wie die Besoldungsgesetzgeber die Entscheidung in Teilen so oder so.

Knecht

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #6814 am: 23.08.2023 18:11 »
Swen, bei aller Bewunderung für deinen Optimismus und dein Durchhaltevermögen... Ich denke bevor es eine juristisch angemessene Besoldung gibt haben wir uns entweder zurück in die Steinzeit gebombt, rennen dem Klimawandel davon, oder brauchen Unmengen an Finanzen und anderen Kapazitäten um die Folgen von Derartigem zu lindern.

Kurz: mehr als das Trostpflaster wird's mMn nicht werden. Sich damit abzufinden hat zumindest für mich etwas Befreiendes...

VierBundeslaender

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #6815 am: 23.08.2023 18:38 »
Diejenigen, die sich fragen, wieso das so lange dauert, sollten sich das über dreistündige aInterview mit Vosskuhle (darauf habe ich in einem anderen Thread verlinkt) anschauen. Das ist aus zwei Gründen mindesten interessant:
  • Er beschreibt detailliert die Arbeitsweise des Gerichts. Die lesen 600 Seiten Vorlagen pro Entscheidung, teilweise Absatz für Absatz gemeinsam, um genau zu verstehen, was da passiert. So etwas dauert.
  • Und dann berichtet er was geschieht, wenn man sie nicht ernst nimmt. Es muss in den 50er eine Entscheidung zu unehelichen Kindern gegeben haben, die hat die Politik einfach ignoriert. Da beschreibt er die Reaktion des Gerichts mit einem Selbstbewusstsein, das macht Spaß zuzuhören. Vier Monate später war die Entscheidung des BVerfG umgesetzt. Basta.

InternetistNeuland

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #6816 am: 23.08.2023 18:50 »
Wenn der Gesetzgeber die unteren Besoldungsstufen A4 und A5 einfach streichen kann so müsste dies doch genauso mit den oberen Stufen wie z.B. A13 gehen. Dadurch würden Lehrer einfach zurück in A12 rutschen und der Staat spart Geld obwohl ab A6 die Tabellenentgelte erhöht werden.

Alexander79

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #6817 am: 23.08.2023 18:54 »
Diejenigen, die sich fragen, wieso das so lange dauert, sollten sich das über dreistündige aInterview mit Vosskuhle (darauf habe ich in einem anderen Thread verlinkt) anschauen. Das ist aus zwei Gründen mindesten interessant:
Hast du den Link noch irgendwo parat?

Und dann die zweite noch...
Wie hieß das nochmal, welche Möglichkeiten hat das BVerfG nochmal wenn die Regierung ein Urteil nicht umsetzen will?

VierBundeslaender

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« Antwort #6818 am: 23.08.2023 19:10 »
<edit> das Zitat ist falsch, siehe drei Beiträge tiefer. Für sich genommen sind die Aussage aber interessant, deswegen lasse ich sie drin</edit>
Zitat
Durch die bisherige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist bereits geklärt, daß diese Grundrechtsvorschrift einen bindenden Auftrag an den Gesetzgeber enthält, dessen Erfüllung nicht in seinem freien Belieben steht (BVerfGE 8, 210 [216]; vgl. auch BVerfGE 17, 148 [155]). Der Gesetzgeber ist vielmehr verpflichtet, die in Art. 6 Abs. 5 GG ausgesprochene Verheißung zu erfüllen. Er verletzt die Verfassung, wenn er es unterläßt, den Verfassungsauftrag in angemessener Frist auszuführen (BVerfGE 8, 210 [216]), oder wenn er Gesetze erläßt, die dem Verfassungsgebot nicht entsprechen (vgl. BVerfGE 17, 148 [155]; 22, 163 [172]). Weiter hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, daß Art. 6 Abs. 5 GG Ausdruck einer verfassungsrechtlichen Wertentscheidung ist, die Gerichte und Verwaltung im Rahmen der geltenden Gesetze bei der Ausübung ihres Ermessens bindet…

Diese vorübergehende Zeitspanne ist mangels einer ausdrücklichen Befristung im Grundgesetz danach zu bestimmen, welche Frist unter Würdigung aller Umstände angemessen erscheint, um das Anpassungsgesetz vorzubereiten und zu verabschieden. Läßt der Gesetzgeber unter Verletzung der Verfassung diese Frist ungenutzt verstreichen (vgl. BVerfGE 8, 210 [216]), so gewinnt nunmehr der Grundsatz des Art. 1 Abs. 3 GG volle rechtliche Bedeutung und gebietet die anderweite Verwirklichung des Verfassungswillens, soweit sie ohne den Gesetzgeber möglich ist…

Es kommt hinzu, daß die Feststellung, die angemessene Frist für die Erfüllung eines Verfassungsauftrags sei verstrichen, zwangsläufig den Vorwurf einer - mindestens objektiven - Verletzung der Verfassung enthält. Daher werden die Organe der Rechtsprechung erst dann eine solche Verfassungsverletzung feststellen können, wenn die Untätigkeit des Gesetzgebers solange andauert, daß sie auch unter Beachtung seiner grundsätzlichen Dispositionsfreiheit und unter Würdigung aller die Verzögerung rechtfertigenden oder erklärenden Umstände nicht mehr erträglich erscheint. Es liegt nahe anzunehmen, daß diese äußerste Grenze einer angemessenen Frist erreicht ist, wenn der Gesetzgeber fast 20 Jahre nach Erlaß des Grundgesetzes noch immer nicht die von Art. 6 Abs. 5 GG geforderte Regelung für einen elementaren Lebensbereich getroffen hat, obwohl gewiß im gleichen Zeitraum zahlreiche Gesetze verabschiedet worden sind, die von der Wertordnung der Verfassung gesehen weniger bedeutsam und weniger dringlich waren...

Es geht darum, dass das anrufende OLG keine „Nägel mit Köpfen“ machen will:
Zitat
Das OLG meint jedoch, Art. 117 Abs. 1 GG sei insoweit nichtig; denn es verstoße gegen die übergeordneten Grundsätze der Rechtssicherheit und der Gewaltenteilung, wenn, wie es Art. 117 Abs. 1 zweiter Halbsatz GG offenbar wolle, wesentliche Teile des bis dahin gesetzlich geordneten Ehe- und Familienrechts vor Erlaß eines Anpassungsgesetzes aufgehoben würden; damit werde den Gerichten die ihnen wesensfremde Aufgabe übertragen, die entstandene empfindliche Gesetzeslücke durch richterliche Entscheidungen auszufüllen.
« Last Edit: 23.08.2023 19:21 von VierBundeslaender »


VierBundeslaender

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #6820 am: 23.08.2023 19:15 »
Ich glaube, du meinst die Vollstreckungsanordnung, https://www.gesetze-im-internet.de/bverfgg/__35.html

VierBundeslaender

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #6821 am: 23.08.2023 19:20 »
Falsches Zitat oben, ich versuche das zu löschen. Gemeint war das hier:
Zitat
Erfüllt der Gesetzgeber den ihm von der Verfassung in Art. 6 Abs. 5 GG erteilten Auftrag zur Reform des Unehelichenrechts auf dem Gebiete des bürgerlichen Rechts nicht bis zum Ende der laufenden (5.) Legislaturperiode des Bundestages, so ist der Wille der Verfassung soweit wie möglich von der Rechtsprechung zu verwirklichen. Die Verfassungsnorm erlangt insoweit derogierende Kraft gegenüber entgegenstehendem einfachen Recht.

Ryan

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #6822 am: 23.08.2023 21:37 »
Hallo zusammmen,

ich habe gerade noch mal einen Blick in den Gesetzesentwurf zur Besoldungsanpassung im Zuge des Tarifabschlusses (BBVAnpÄndG 2023/2024) geworfen.

https://dserver.bundestag.de/brd/2023/0368-23.pdf

Eigentlich wollte ich nachsehen, ob der Gesetzgeber sich zur Verfassungswidrigkeit äußert, aber da war nicht viel.

Dann bin ich im Zusammenhang mit den Sockelbeträgen bzw. der Abschmelzung auf die Tabelle auf Seite 38 gestoßen. Diese soll die „Veränderung relativer Abstände in Prozent angeben“.

Ich war zunächst überrascht, da nach meinem Verständnis die Auswirkung einer betragsmäßig festgelegten Erhöhung (hier Sockelbetrag von 200 Euro) bei niedriger Besoldung relativ höher ist und dies zur Abschmelzung der relativen Abstände im Vergleich zu den höheren Besoldungsgruppen führen sollte. Bei einem Maß, das dies widerspiegeln soll, hätte ich also eine Tabelle erwartet, die umgekehrt aussieht, d.h. dass die betragsmäßig höheren Werte unten rechts stehen.

Dann habe ich mal nachgerechnet.

Zunächst berechnet man anscheinend relative Abstände (RA) innerhalb einer Tabelle (für beliebige Stufen/Gruppen):
z.B.:
RA_2019 = (A15_2019 – A3_2019) / A15_2019
RA_2024 = (A15_2024 – A3_2024) / A15_2024

Der Wert in der Tabelle (TW) ergibt sich erneut als relativer Abstand:
TW_15 = (RA_2024 - RA_2019) / RA_2019

So komme ich zumindest auf die Werte der Tabelle, mit dem Unterschied, dass diese eine Zeile versetzt sind (warum auch immer).

Ich will nun darauf hinaus, dass dieser Wert im Grunde keine Aussagekraft bzgl. der Abschmelzung hat.

Wenn man TW_15 ein bisschen umstellt kommt man zu

TW_15 = (A15_2024 – A3_2024) / (A15_2019 – A3_2019) * (A15_2019 / A15_2024) -1

Man bildet also ein Verhältnis aus ABSOLUTEN Differenzen in verschiedenen Jahren und multipliziert mit dem Kehrwert der (Brutto-)Wachstumsrate der höheren Gruppe.

Nun der denkbar einfachste Fall hinsichtlich einer Abschmelzung: A 15 und A3 erhöhen zwischen 2019 und 2024 jeweils um den gleichen Betrag X (z.B. 200 Euro):
A15_2024 = A15_2019 + X
A3_2024   = A3_2019   + X
Die absoluten Differenzen zwischen den Besoldungsgruppen ändern sich also nicht. In TW_15 ist der erste Bruch =1 und

TW_15 = A15_2019 / (A15_2019 + X) – 1
oder
TW_15  = -X / A15_2024

(Wer möchte, kann einfach mal Sockelbetrag (200) durch Besoldungstabelle 2024 teilen und prüfen, wie nahe man an der eingangs erwähnten Tabelle ist)

Das heißt, in diesem einfachen Fall hat der Wert TW_15 überhaupt nichts mit der Relation zwischen A15 und A3 zu tun und ist insofern nichtssagend hinsichtlich einer Abschmelzung. Der Wert beschreibt in diesem Fall lediglich den absoluten Erhöhungsbetrag relativ zum erhöhten Gehalt der höheren Gruppe.

Kann man machen, aber wozu?

M.E. wäre es richtig, hier mit Verhältnissen zu arbeiten. Also

Abschmelzung = (A15_2024/A3_2024)  / (A15_2019/A3_2019)  -1

Es gab hier im Forum auch mal eine Diskussion bzgl. der Berechnung der Abschmelzung. Falls jemand noch weiß auf welcher Seite das war, würde ich mich über einen Hinweis freuen.

VG

SwenTanortsch

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #6823 am: 23.08.2023 22:15 »
Swen, bei aller Bewunderung für deinen Optimismus und dein Durchhaltevermögen... Ich denke bevor es eine juristisch angemessene Besoldung gibt haben wir uns entweder zurück in die Steinzeit gebombt, rennen dem Klimawandel davon, oder brauchen Unmengen an Finanzen und anderen Kapazitäten um die Folgen von Derartigem zu lindern.

Kurz: mehr als das Trostpflaster wird's mMn nicht werden. Sich damit abzufinden hat zumindest für mich etwas Befreiendes...

Das, was ich schreibe, mag sich optimistisch anhören, Knecht. Es wird sich nach den anstehenden Entscheidungen klarer sagen lassen, ob hier Optimismus vorliegt. Die Entscheidungsbegründung wird uns deutlicher zeigen, als wir das jetzt sehen können, wohin die Reise geht. Da ich hierzu ja in den letzten Wochen bereits recht viel geschrieben habe, nur ein paar sachliche Einwürfe hinsichtlich meines „Optimismus“:

1. Das Bundesverfassungsgericht hat von 2022 nach 2023 seine zunächst geplante Entscheidung über die Bremische Besoldung der Jahre 2013 und 2014 erweitert auf die niedersächsische Besoldung der Jahre 2005 bis 2012 und 2014 bis 2016 sowie die schleswig-holsteinische der Jahre 2007.

2. Der Grund für die ursprüngliche Auswahl der bremischen Vorlagen dürfte insbesondere darin zu suchen sein, dass es sich bei diesen um die am längsten anhängigen handelt. Darüber hinaus deutet diese ursprüngliche Auswahl ggf. darauf hin, dass sich der Zweite Senat ggf. ein weiteres Mal mit den den Gesetzgeber treffenden prozeduralen Anforderungen beschäftigen wird, da zwei der fünf Verfahren aus ausschließlich prozeduralen Gründen vom vorlegenden Verwaltungsgericht als verfassungswidrig betrachtet worden sind (was sich heute so nicht mehr so darstellen sollte, da seit der letzten Entscheidung klar ist, dass sich auch hinsichtlich dieser beiden Vorlagen das Mindestabstandsgebot als eklatant verletzt zeigt), was 2022 bei der Auswahl dieser Vorlagen bereits offensichtlich war.

3. Das Bundesverfassungsgericht wird also Gründe haben müssen, dass es von 2022 nach 2023 die Anzahl der Verfahren deutlich erweitert hat und dabei mit Niedersachsen einen Vorlagebeschluss des Bundesverwaltungsgerichts aufruft, das zu seiner Vorlageentscheidung auf Grundlage der sachlich weitgehend identischen Argumente wie in der letzten Vorlage zur Berliner Besoldung gekommen ist (auch dort war das vorlegende Gericht das Bundesverwaltungsgericht). Diesbezüglich ist insofern sachlich wenig Neues zu erwarten, weshalb sich umso mehr die Frage stellt, wieso das Bundesverfassungsgericht diese Vorlagen nun - anders als ursprünglich geplant - zur Entscheidung bringen will. Die Verfahrenslänge - die anstehende Entscheidung reicht wie gesagt bis zum Jahr 2005 zurück - kann dabei zwar ein Grund, jedoch kein ausschlaggebender sein, da das Bundesverfassungsgericht dann eher das anhängige Verfahren über die brandenburgische Besoldung im Jahr 2004 hätte heranziehen dürfen.

4. Dabei spricht einiges dafür, dass es hier wie auch hinsichtlich der schleswig-holsteinischen Vorlage eine Art "verfassungsrechtliches Faustpfand" schaffen will (vgl. hier ab der S. 10 https://www.berliner-besoldung.de/wp-content/uploads/2023/03/Weitere-Normenkontrollantraege-vor-der-Entscheidung-5.pdf).

5. Sofern dem so ist, sollte damit deutlicher Druck auf die niedersächsische Landesregierung ausgeübt werden, insbesondere, da jenes „Faustpfand“ ggf. der direkten Vorbereitung einer Vollstreckungsanordnung dienen könnte, wie es an der gerade genannten Stelle ausgeführt und begründet wird. Dabei bleibt in den Blick zu nehmen, dass der niedersächsische Finanzminister vor der letzten Landtagswahl in seiner Funktion als Vorsitzender des Finanzausschusses den verfassungswidrigen Charakter der heutigen Besoldungsgesetzgebung öffentlich eingestanden hat (https://www.abgeordnetenwatch.de/profile/gerald-heere/fragen-antworten/in-der-letzten-landtagssitzung-haben-sie-die-ablehnung-des-gesetzentwurfs-18/11498-fuer-buendnis-90/die-gruenen). Dieses Eingeständnis dürfte es so oder so der Landesregierung zukünftig sachlich nicht einfacher machen, die langjährige Kontinuität der verfassungswidrigen Besoldungspraxis aufrechtzuerhalten, wie sie das Bundesverwaltungsgericht in seinen Vorlagen festgestellt hat, um hierbei vonseiten des Vorsitzenden des Zweiten Senats hervorzuheben: „Wir haben in erschreckender Weise festgestellt, dass dies [die Einhaltung des Mindestabstands zum Grundsicherungsniveau“; ST.] in all den Jahren nicht erreicht wurde“ (https://www.kreiszeitung.de/lokales/niedersachsen/bundesverwaltungsgericht-leipzig-beamtenbesoldung-niedersachsen-verfassungswidrig-10408736.html).

6. Jenes „Faustpfand“ trifft – sofern es so vorbereitet werden sollte – gleichfalls auch Schleswig-Holstein (vgl. ebd., S. 19 f.), wobei Schleswig-Holstein offensichtlich noch nicht der Gefahr einer ggf. bevorstehenden Vollstreckungsanordnung ausgesetzt ist. Jenes „Faustpfand“ müsste allerdings gleichfalls gehörigen Druck auf die Landesregierung ausüben, sofern er so käme, darüber hinaus auch und insbesondere auf die Finanzministerin, die seit über elf Jahren die Besoldungsgesetzgebung des Landes federführend mitzuverantworten hat. Die anstehende Entscheidung des Bundesverfassungsgericht dürfte ihr auch medial nicht unendlich viel Rückenwind bringen, auch weil es zu viele direkte Zitate von ihrer Seite gibt, die den offensichtlich nicht immer gänzlich vetantwortungsvollen Umgang mit Sachverhalten beleuchten.

7. Mit der Erweiterung der ursprünglichen Entscheidung auf zwei weitere Rechtskreise dürfte die anstehenden Entscheidung zu einer Art Grundsatzentscheidung geraten, wie sie seit 2015 so nicht mehr vollzogen worden ist, als zum letzten Mal verschiedene Rechtskreise in einer Entscheidung betrachtet worden sind, wobei anders als 2015 heute damit zu rechnen sein dürfte, dass hier nun alle betrachteten Besoldungsgesetze als verfassungswidrig zu entscheiden sein werden (2015 war es nur das sächsische), was nicht nur den Druck auf alle weiteren Besoldungsgesetzgeber ausüben sollte (umso mehr, als das Bundesverfassungsgericht 2015 die niedersäsische Besoldungsgesetzgebung des Jahres 2005 als noch verfassungskonform betrachtet hat, was es nun offensichtlich korrigieren wird), da sie im Gefolge einer solchen Entwicklung argumentativ in deutlich schwierigere Fahrwasser geraten sollten, sondern noch einmal deutlich stärker als bislang die generelle Problematik der Besoldungsgesetzgebung der letzten weit über anderthalb Jahrzehnte öffentlich macht. Es dürfte insofern mindestens in den betroffenen drei Rechtskreisen von einem (deutlich) größeren medialen Interesse auszugehen sein – Folgen eines solchen größeren Interesse zeigen sich in Hessen, wo sich nach der Entscheidung des VGH Hessen die mediale Öffentlichkeit wiederkehren interessiert gezeigt hat, was an entscheidender Stelle mit dazu geführt haben dürfte, dass der Finanzminister am Ende öffentlich eingestehen musste, dass die aktuelle Gesetzgebung weiterhin verfassungswidrig ist, sodass man das dort dann gleich auch in die letzte Gesetzesbegründung mit eingearbeitet hat.

8. Darüber hinaus ist in den anstehenden Entscheidungen mindestens eine weitere recht deutliche Verschärfung der prozeduralen Anforderungen zu erwarten, die den Besoldungsgesetzgeber dazu zwingen wird, sachliche Kritik noch im Gesetzgebungsverfahren hinreichend zu entkräften, was die Beteiligungsrechte der Gewerkschaften und Verbände deutlich stärken dürfte (vgl. den o.g. Beitrag auf der Seite der Berliner-Bsoldung, S. 3 ff.). Damit zerbricht die generell eher weitgehende Tradition in den Rechtskreisen, sachliche Kritik während des Gesetzgebungsverfahrens geflissentlich zu ignorieren. Mit einer hohen Wahrscheinlichkeit wird diese Entscheidung nicht nur zukunftsorientiert fallen, sondern sich mindestens auf die Gesetzgebungsverfahren erstrecken, die seit 2012 von den Gesetzgebern vollzogen worden sind. Denn seitdem können sie sowohl nicht mehr darüber im Unklaren sein, dass sie in der Besoldungsgesetzgebung von besonderen Begründungspflichten betroffen sind, als auch hat das Bundesverfassungsgericht in seiner hier höchstwahrscheinlich sachlichen Parallelentscheidung zur Parteienfinanzierung – Absolute Obergrenze die genannte Anforderung ebenfalls vergangenheitsbezogen angewandt. Die Einhegung des weiten Entscheidungsspielraums, über den der Besoldungsgesetzgeber prinzipiell verfügt, sollte also mit einer recht hohen Wahrscheinlichkeit an einer empfindlichen Stelle weiterhin vorangetrieben werden. Denn eine nicht hinreichende Entkräftung sachlicher Kritik noch im Gesetzgebungsverfahren sollte nach den anstehenden Entscheidungen bereits direkt in die Verfassungswidrigkeit führen können. Das dürfte den Gewerkschaften und Verbänden gehöriger Ansporn sein, ihre Beteiligungsrechte zukünftig nur umso ernsthafter zu verfolgen, wie das unlängst der DRB bereits gezeigt hat.

9. Schließlich dürfte zu erwarten sein, dass es mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit zu weiteren Ausführungen hinsichtlich des Mindestabstandsgebots kommen wird, sei es bspw. im Hinblick auf die Kosten für die Bedarfe für Bildung und Teilhabe sowie den monetären Gegenwert der Sozialtarife, wie ich das die Tage hier bereits ausgeführt habe. Auch könnte es zu Betrachtung von Methoden zur Prüfung der indiziellen Mindestbesoldung kommen, wie ich das ebenfalls im Forum vor ein paar Tagen dargelegt habe, nicht umsonst sollten gerade erst wieder die Entscheidungen des Berliner VG zeigen, dass hier eine Konkretisierung notwendig ist – so wie das sämtliche seit 2020 vollzogenen Gesetzgebungsverfahren mehr als offensichtlich machen. Sofern es hier zu einer methodischen Betrachtung der in der letzten Entscheidung in einem Leitsatz betrachteten Mindestbesoldung kommen sollte (die Betrachtung in einem Leitsatz macht die anstehende sachliche Vertiefung in den angekündigten Entscheidungen mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit erwartbar), sollte eine direkte Prüfmethodik vorliegen, welche Grundgehaltssätze als evident unzureichend zu betrachten wären, da sie sich nicht (mehr) sachlich rechtfertigen ließen. Auch das würde gehörigen Druck auf die Besoldungsgesetzgeber ausüben, insbesondere, je konkreter eine solche Methodik ausgeführt und dabei mit den prozeduralen Verpflichtungen des Besoldungsgesetzgebers verbunden werden würde, wie das bspw. in dem aktuellen ZBR-Beitrag aus dem Juli diesen Jahres entwickelt worden ist.

10. Schließlich hat uns das Bundesverfassungsgericht in eigentlich jeder seiner seit 2012 gefällten Entscheidung über besoldungsrechtliche Vorlagebeschlüsse mit sachlichen Vertiefungen der seitdem immer konkreter gewordenen neuen Besoldungsdogmatik überrascht – es darf also vermutet werden, dass die anstehenden Entscheidungen weitere sachliche Überraschungen beinhalten könnten. Das nur umso mehr, als es auch (und gerade) dem Bundesverfassungsgericht vor Augen stehen dürfte, dass seit spätestens 2020 alle Besoldungsgesetzgeber seine Rechtsprechung systematisch im Sinne der länderübergreifenden konzertierten Verfassungsbruchs, den Ulrich Battis begründet hervorhebt, missachten.

So verstanden betrachte ich meine zeitliche Einordnung nicht als überaus optimistisch – ich würde das allerdings umgehend so sehen, sofern die anstehenden Entscheidungen nicht deutliche Vorkehrungen beinhalteten, die die Fortsetzung der Missachtung stark erschwerten. Sofern es dazu käme, dass also die anstehenden Entscheidungen keinen hinreichend grundsätzlichen Charakter entfalten würden, wäre die vorhin getätigte zeitliche Einordnung offensichtlich (deutlich) zu optimistisch. Für mich sprechen aber weiterhin zu viele Indizien dafür, dass weitere grundsätzliche und also direktive Ausführungen in Vorbereitung sind, die den genannten zeitlichen Rahmen nicht allzu optimistisch erscheinen lassen sollten. Wer’s anders sieht, sollte dafür einfach mal ein paar sachliche Gründe ins Feld führen, die mich interessieren würden, da ich bislang außer dem Argument, „War schon immer so, wird also immer so bleiben“, eigentlich keine weiteren höre, wenn ich das richtig erinnere.
« Last Edit: 23.08.2023 22:21 von SwenTanortsch »

kleinerluis

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #6824 am: 23.08.2023 22:36 »
Wenn ich richtig informiert bin, verjähren nach drei Jahren eingelegte Widersprüche, wenn auf die Einrede der Verjährung durch unseren Dienstherren nicht verzichtet wurde.
Hat von euch evt. jemand eine Empfehlung für eine Anwaltskanzlei, mit der man wegen einer Klare in dieser Sache zusammensetzen kann? Gut wäre eine Kanzlei, die schon mit Verfahren in dieser Angelegenheit betraut ist.
Hier im tiefen Osten ist schwer Kanzleien zu finden,  die sich mit Beamtenrecht oder öffentlichem Recht wirklich gut auskennen.
Ich nehme auch gern pN.

Grüße
Kleiner_Luis