Ein Artikel von Ralf Krämer
Auf den NachDenkSeiten erschien am 29.05.2023 ein Text von Tobias Weißert unter dem Titel „Wo werden eigentlich – und zu wessen Gunsten – Tarifverträge gemacht?“. Diese Frage zu beantworten, wäre nicht so schwierig: Tarifverträge werden in Verhandlungen zwischen Gewerkschaften und Arbeitgebern bzw. ihren Verbänden gemacht. Ihr Ergebnis stellt in der Regel einen Kompromiss dar, der von den Kräfteverhältnissen zwischen den Beteiligten auf Grundlage der gegebenen ökonomischen und politischen Bedingungen bestimmt wird. Dabei geht es für die Gewerkschaften primär um die Interessen der dabei vertretenen und ggf. auch zum Arbeitskampf aufgerufenen Mitglieder, deren Artikulation wiederum auf einem Diskussionsprozess beruht, bei dem sekundär eventuell die Interessen der Klasse insgesamt auch berücksichtigt werden. Ein Arbeitskampf und wie er geführt wird, kann das Ergebnis ggf. beeinflussen, verbessern, aber die allgemeinen Bedingungen nicht außer Kraft setzen.
Kann er nicht? Dann müssten wir ja immer noch im Frühkapitalismus stecken... ...was für ein defätistischer Ansatz!
Eine Antwort auf die selbst gestellte Frage zu geben, wird in dem Text von Weißert aber nicht mal versucht, stattdessen werden falsche und irreführende Behauptungen verbreitet. Die Kernthesen sind: „Den Beschäftigten insgesamt droht als Folge der niedrigen Tarifabschlüsse der führenden Gewerkschaften 2024 gegenüber 2023 ein spürbarer Reallohnverlust.
Vermutlich ist der Autor irgend ein nutzloser Geisteswissenschaftler. Denn die fanden alle Mathe doof.
Zunächst mal ist festzuhalten, dass die Steuer- und Beitragsbefreiung von Sonderzahlungen zum Inflationsausgleich bis zu 3.000 Euro eine Entscheidung der Bundesregierung und der Ampelkoalition im Bundestag war und nicht eine der Gewerkschaften. Insbesondere ver.di hat die dadurch verursachten Einnahmeausfälle bei den Sozialversicherungen kritisiert und deutlich gemacht, dass Einmalzahlungen keine Antwort gegen dauerhaft höhere Preise sind. „Es ist daher notwendig, dass ver.di sich auf Forderungen nach tabellenwirksamen und damit dauerhaft die Löhne erhöhenden Tariferhöhungen konzentriert.“ (ver.di Wirtschaftspolitik Informationen März 2023) Das hat ver.di auch getan und mit den Tarifabschlüssen insbesondere bei der Post und für den öffentlichen Dienst in Bund und Kommunen kräftige dauerhaft wirkende Lohnzuwächse durchgesetzt.
Was bitte? Im Ernst? Wie... ...Wo... ...Hä?!? Vierzehn Monate Tabellenunwirksamt Nullrunde? *ROTFL*
Andererseits wäre es blauäugig zu erwarten, dass, wenn eine solche Möglichkeit für abgabenfreie Sonderzahlungen besteht, diese dann nicht auch genutzt würde.
Ah! Hier kommt es schon, das selbstgebaute Hintertürchen! Natürlich darf man die Nutzen, aber bitte zusätzlich, so, wie es auch gedacht ist!
Abgabenbefreiung ist nämlich nicht nur „eine Lohnsubvention des Staates und der Sozialversicherungen für die Unternehmer“, wie Weißert schreibt, sondern kommt noch mehr (wegen der Steuerbefreiung, die nur die Beschäftigten begünstigt)
Und der AG kann die 3000,- natürlich nicht von der Steuer absetzen, oder wie?
den Beschäftigten zugute, die diese Zahlungen erhalten. Sie erhöht den Verteilungsspielraum insbesondere für höhere Nettoeinkommen.
Was ist das für ein sinnloses Geschwurbel? Proportional haben die höheren Einkommen davon deutlich weniger, als von einer prozentualen Erhöhung.
Das Ziel der Bundesregierung war, dass zugunsten der Einmalzahlungen die tabellenwirksamen, also dauerhaften Lohnerhöhungen geringer ausfallen.
Da schau her! Da lässt der Herr aber was durchsickern! Das war bisher in seiner vollen Umverschämtheit noch nicht in den Medien.
In den Folgejahren würden dann die Realeinkommensverluste voll durchschlagen.
Und das war von der Regierung dann auch so gewollt?
Doch eine Inflationsausgleichsprämie anstatt einer dauerhaft tabellenwirksamen Lohnerhöhung ist in den genannten Tarifrunden nicht vereinbart worden. Die Tabellenerhöhung fällt im Endeffekt jedenfalls bei ver.di nicht geringer aus, als sie ohne diese Prämie gewesen wäre.
Aha. Im Ernst? Mit einer kampfbereiten Basis und einer Monsterinflation als Argumentationshilfe? Da wäre nicht mehr gegangen? Soll ich das jetzt im Ernst glauben?
Dies war allerdings nur umsetzbar im Rahmen einer zweijährigen Laufzeit, die aber auch vorher schon im öffentlichen Dienst und in vielen anderen Bereichen üblich geworden war.
Aha. Weil man sich also an das Grauen gewöhnt hat, nimmt man es künftig hin? "Nur umsetzbar im Rahmen..." Nein. Das sind Verhandlungen. Alles ist verhandelbar. Da wird nichts durch die Naturgesetze gebremst. Klingt wieder sehr defätistisch und dazu noch nach abgekartetem Spiel.
Das kann man grundsätzlich zu Recht kritisieren, aber hier erleichterte es, Tarifergebnisse zu erzielen, die insgesamt vor dem Hintergrund der gegebenen Bedingungen akzeptabel sind.
Wer sagt, dass Tarifverhandlungen leicht sein müssen?
Denn im Ergebnis wird durch die Mitnahme der 3.000 Euro abgabenfreie Sonderzahlung der Nettovorteil für die Beschäftigten maximiert.
Und wieder wird miserables Verhandlungsgeschick als Naturgesetz verkauft.
Tarifergebnisse sind kein Wünsch-dir-was, sondern erfordern die Zustimmung der Gegenseite. Die realistische Alternative wäre gewesen, bereits 2023 eine Tabellenerhöhung zu etwa gleichen oder vielleicht minimal höheren Arbeitgeberkosten zu vereinbaren.
Wenn das als Alternative betrachtet wird, solltet ihr bei Verdi einpacken und neue Leute dranlasasen, die was können. Denn entweder könnt ihr nix, oder ihr seid geschmiert.
Davon hätten aber die vollen Sozialbeiträge sowie Lohnsteuern gezahlt werden müssen. Das hätte für die Beschäftigten über 1.000 Euro bis zu über 1.500 Euro weniger netto bedeutet. Das wäre nicht in ihrem Interesse gewesen.
Im Interesse der Beschäftigten wäre die Erhöhung für 2024 rückwirkend zum 1.1.23 + 3000,- IAZ am Stück gewesen.
Die dauerhaft wirksame Tabellenerhöhung wird durch den Tarifabschluss nur aufgeschoben, aber nicht vermindert.
Mal wieder Geistis und Mathe... ...das Geld aus dem ersten Jahr fehlt.
Für die dauerhafte Tabellenwirkung ist es egal, dass sie nicht schon 2023 beginnt, sondern erst 2024 dann umso kräftiger erfolgt.
Kräftiger als was?
Insgesamt ist der Tarifabschluss im öffentlichen Dienst besser, als er von Weißert und einigen Anderen dargestellt wird. Ab Juli 2023 haben die Kolleginnen und Kollegen monatlich 220 Euro mehr netto in der Tasche als 2022. Die Einmalzahlung von 1.240 Euro im Juni entspricht einer Nachzahlung von 207 Euro je Monat für Januar bis Juni. Diese Inflationsausgleichsprämie ist zwar nicht tabellenwirksam, bringt aber einen spürbaren Nettozuwachs gegenüber 2022, für den ansonsten ein deutlich höherer Bruttozuwachs, für die meisten von über zehn Prozent, nötig gewesen wäre. Weil alle Vollzeitbeschäftigten gleich viel bekommen, ist der prozentuale Zuwachs für niedrige Einkommen besonders hoch. Die Inflation wird 2023 nach den vorliegenden Prognosen im Jahresverlauf – anders als Weißert behauptet – stark zurückgehen und jahresdurchschnittlich etwa 6 Prozent betragen. Sie wird damit mehr als ausgeglichen, gerade auch für die Beschäftigten mit geringen Löhnen. Dies so darzustellen wie Weißert – „ver.di vereinbarte für 2023 eine Nullrunde“ – ist grob irreführend.
Bla, bla, bla. Ich weiß nur eins: Tanken kostet schon wieder über 100,- und beim Lidl bekommt man für 120,- jetzt nur noch einen halben Wagen voll, statt eines ganzen wie noch vor drei Monaten.
[...]für die meisten Beschäftigten wird es in diesen Jahren Reallohnzuwächse geben.
Genau. Für die meisten. Warum nicht für alle? Übrigens, als pikanten Einwurf, das hier:
https://gesundheit-soziales-bildung.verdi.de/mein-arbeitsplatz/hochschulen/++co++19578170-f62b-11ed-bd9e-001a4a160110So, so, die Forschung ist also wichtig. Deßhalb hat man ja auch grade eine Reallohnsenkung für > E9 verhandelt. Weil Forschung ja hauptsächlich von den Straßenkehrern und Müllmännern vorangetrieben wird. Die haben so Sachen entdeckt, wie das die Erde flach ist und Angela Merkel ein Reptil.
Die erheblichen Verluste aus 2022 in der Größenordnung von 5 Prozent werden allerdings nicht nachträglich ausgeglichen. Das gelang aber nirgends. Dabei ist zu beachten, dass diese Reallohnverluste nicht auf Umverteilung zugunsten des Kapitals beruhten, sondern vor allem auf den Preissteigerungen für importierte Energie und Nahrungsmittel in Folge von Engpässen nach Corona und dann Krieg und Sanktionen, die das Volkseinkommen insgesamt gesenkt haben. In einem solchen Umfeld die Reallöhne zu sichern, ist praktisch nicht möglich, deshalb haben sich die Gewerkschaften 2022 auch stark für staatliche Entlastungsmaßnahmen eingesetzt, die die Verluste begrenzt und gemindert haben. Dass marktmächtige Unternehmen versuchen, durch Preissteigerungen zusätzlich ihre Profite zu steigern, stimmt, spielt aber für die Inflation in Deutschland bisher eine untergeordnete Rolle. Die Darstellungen im Text von Weißert, der die Einmalzahlungen ausblendet und die Gewerkschaften quasi zu Schuldigen für die Reallohnverluste erklärt, gehen an den Realitäten vorbei.
Mimimi... ...das Umfeld... ...aber der Staat... ...wir haben... Und wie kommt der auf 5%?
Vor dem Hintergrund dieser Gesamtlage ist es verfehlt, den Gewerkschaften Spaltung und unsolidarisches Verhalten vorzuwerfen, weil sie die Inflationsausgleichszahlungen genutzt haben, um höhere Nettozuwächse für die Beschäftigten zu erreichen, als es sonst möglich gewesen wäre.
Nochmal: Nach welchem Naturgesetz war das nicht möglich? Und wieder: Viel Mimimi...
Die ganz überwiegende Einschätzung in ver.di war, dass keine realistische Aussicht bestand, mit einem Streik mehr rauszuholen, viele Kommunen waren jetzt schon kaum zur Zustimmung zu bewegen.
Ah, jetzt ja: Ein Streik senkt also die Zustimmungsbereitschaft weiter, und erhöht sie nicht! Wenn das mal die Gewerkschaften im neunzehnten Jahrhundert gewusst hätten, dass man mehr bekommt, wenn man einfach den Schwanz einzieht! Nein, die ganze sache stinkt.
Wenn Weißert behauptet, die Gewerkschaften hätten sich „unterworfen“ und „das Recht auf selbstständige Tarifpolitik mit den Mitteln des Arbeitskampfes verkauft“, ist das angesichts der tatsächlichen Bedingungen und Abläufe unterirdisch.
Welche tatsächlichen Bedingungen und vor allem: Was für Abläufe? Es sollte gesetzlich geregelt werden, dass die Verhandlungsprotokolle den Gewerkschatsmitgliedern vor Abstimmung vorzulegen sind. Und bitte notariell beglaubigt. Dann könnte man wenigstens erkennen, dass man verkauft wurde.
Insbesondere muss man das Ergebnis auch im Zusammenhang mit den Unverschämtheiten der letzten zehn Jahre sehen. Da ergibt sich ein eindeutiges Gesamtbild.