Ich trampe mal durch die Kommentare des Tages:
Also soll man durch eine Reduktion der Verteidigungsfähigkeit den Gegner es ermöglich zum Sieg auf dem Gefechtsfeld zu gelangen?
[1] Die Ursachen für den Ukraine-Krieg liegen viel mehr im Spannungsverhältnis zwischen der Russischen Föderation und der NATO, die sich wechselseitig durch das Handeln der jeweiligen anderen Seite in ihren ureigensten Interessen bedroht sehen. Dies betrifft sowohl militärische, geostrategische als auch ökonomische Dimensionen. Eine gewisse Rivalität zwischen großen Mächten ist normal, nur bedarf es eben einer wechselseitigen Rücksichtnahme, damit eine Rivalität nicht in eine Feindschaft umschlägt. Das Verhältnis begann irgendwann zwischen 2004 und 2007 allmählich zu kippen.
[2] Die Felder, auf denen eine gesunde Rivalität bis hin zu einer feindschaftlichen Spannung besteht, sind so vielfältig wie ihre Lösungsmöglichkeit. Daher sehe ich einen großen Korridor für Diplomatie.
Warum sollte man den Konflikt in der Ukraine angesichts des Klimawandels nicht beispielsweise über die Klärung potenziell rohstoffreicher und gegenwärtig umstrittener Schelfeisgrenzen im Nordpolarmeer beruhigen können? Dort könnte man riesige unbewohnte und ohnehin umstrittene Gebiete für ukrainisches Territorium zwischen Russland und den USA hin- und hertauschen.
Ob und inwiefern dieses nicht mehr versucht wurde und wer da blockiert oder sich nicht an einen Tisch setzen will kann ich nicht beurteilen.
Aber du meinst man bekommt den Russen an den Tisch, wenn man die Ukraine militärisch schwächt?
[3] Das letzte Telefonat zwischen Biden und Putin fand am 12.02.2022 und das letzte Telefonat zwischen Scholz und Putin am 04.03.2022 statt. Danach haben beide westlichen Politiker wiederholt ihre Ablehnung von direkten Verhandlungen betont und versucht Allianzen zur politischen Isolation Russlands zu bilden. Von Baerbock ganz zu schweigen.
Mir schwebte schon nach Beginn des Krieges eine andere Idee vor: Der Westen unternimmt regelmäßig diplomatische Offensiven und leitet nach jedem Ausschlagen Russlands eine Runde an Waffenlieferungen ein. Ich denke, dies hätte gefruchtet und wäre kostengünstiger gewesen.
Gehört in dieser Argumentation der Donbass noch zur Ukraine und die Krim auch und die anderen Ostukrainische Gebiete, die Russland besetzt oder sind das schon abgehakte Gebiete, die man dem Russen überlassen will?
[4] Die durch Russland eroberten Gebiete gehören angesichts der Stärke der russischen Armee unvermeidbar in die Verhandlungsmasse. Mit jedem Tag verliert die Ukraine mehr Staatsgebiet. Der letzte ukrainische Erfolg (abgesehen von dem Einmarsch in Kursk) war der russische Rückzug westlich des Dnipro in Cherson am 9. November 2022. Dort bildet der Fluss nunmehr eine halbwegs natürliche Grenze.
Ein Kriegsende wird bestenfalls Haushaltsmittel freisetzen.
Das Geld ist nicht nicht vorhanden. Es wird nur für andere Dinge ausgegeben. Der Staat ist also mitnichten Bankrott.
Stimmt und stimmt gleichzeitig nicht. Der Staat lebt dramatisch über seine Verhältnisse. Darin lässt sich wie dargelegt ein Bankrott sehen. Die gute Nachricht ist, dies ließe sich ändern, es ist nur nicht einfach und unbequem. - Das muss nicht zwingend über den Weg der FDP erfolgen.
[5] Eine bittere Wahrheit bleibt leider: Ohne grundlegende und schmerzhafte Reformen, wird sich die Situation bis zum Aussterben der Babyboomer kontinuierlich verschärfen. Irgendwann wird auf einen Erwerbstötigen ein Rentner kommen. Die zwingend kommenden Reformen werden niemandem Schmecken.
Außer: Es finden sich mutige und innovative neue Modelle. Den Mut neue Wege zu gehen, verorte ich jedoch der Natur des Menschen geschuldet eher in jungen und dynamischen Gesellschaften. Der Weg Estlands seit den 90ern ist ein solches Beispiel. - Das ist quasi die demografische Todeszone einer Volkswirtschaft. Da muss irgendwann jeder Staat einmal durch.
Angeblich sollten es 15Mrd sein, wobei der Betrag für diese angebliche Notlage (Ukrainekrieg) nur 3-4 Mrd ausgemacht hätte.
Unser BK wollte also unter dem Vorwand einer Notlage viel mehr Geld, als er, sofern man es überhaupt so nennen kann, bräuchte.
[6] Und spätestens hier hätte das BVerfG intervenieren müssen, wenn sich Lindner der Forderung von Scholz gebeugt hätte.
[7] Mein Vorschlag für ein Sparprogramm bleibt Diplomatie statt Krieg. Dann sinken mit Glück sogar die Energiepreise.
Wieviel dieser Mrd fließt eigentlich direkt in Deutsche (Rüstungs)unternehmen und ist damit eigentlich eine Subvention heimischer Industrie? Und Arbeitsplatzsicherung?
[8] Die stärke der deutschen Rüstungsindustrie war immer, dass die Unternehmen (bis auf Rheinmetall) eine starke zivile Sparte haben und dadurch krisenfest sind. Damit benötigen sie im Gegensatz zur amerikanischen Rüstungsindustrie keine zyklischen Konjunkturprogramme (Kriege).
Waffen sind single-use Güter, die im Gegensatz zu dual-use Gütern keinen volkswirtschaftlichen Mehrwert bieten (außer wenn ihr Einsatz Plünderungen ermöglicht). Ihre Produktion und die damit geschaffenen Produktionskapazitäten sind damit nicht nachhaltig.
Und ich nehme Dich mal auf dem Gepäckträger meines Fahrrads mit, da ich zumeist kein Auto fahre. So kommen wir langsamer voran und bleibt mehr Zeit zum Sprechen:
[1] Wie Du es darlegst, die Ursachen für die von Russland 2013/14 initiiierte und geleitete Destabilisierung der Ukraine, die spätestens durch die faktische Annektion der Krim und die ebenfalls vom Moskau aus geleitete Gründung der Volksrepublik Donezk in der Oblast Donezk und der Volksrepublik Lugansk in der Oblast Luhansk völkerrechtlich als offener Angriffskrieg gegen den souveränen Nachbarstaat zu begreifen ist, der seit Frühjahr 2022 mit dem Ziel der Auslöschung der Ukraine als souveränen Staat in eine weitere Phase eingetreten ist, sind so vielschichtig, dass wir sie hier sicherlich weder zu diskutieren brauchen, da das nicht das Thema dieser Seite ist, noch wirklich diskutieren könnten, da sich keiner von uns auch nur in kleinsten Ansätzen mit ihnen auskennt. Über Gefühle reichen wir auch hier nicht hinaus, auch wenn sie rational unterlegt sein mögen. Wir haben hier alle zwangsläufig eine Meinung, weil wir uns seit spätestens dem Frühjahr 2022 direkt in unserem eigenen Leben mit den Folgen des Angriffskriegs konfrontiert sehen, was zwanglsäufig die Emotionen verstärkt; aber diese Meinungen reichen bei keinem von uns über weitgehend nur die jeweils eigene Betroffenheit hinaus. Insofern liegt es auf der Hand, dass wir diese Dikussion hier nicht zu führen brauchen, da wir weder zu einem sachlichen Schluss kommen noch weitgehend über Behauptungen hinausreichen werden. Das könnte man auf einer Seite über dieses Thema, aber wohl kaum auf einer über die Tarifverhandlungen 2024/25 im öffentlichen Dienst tun, denke ich.
[2] Die Ukraine bleibt weiterhin ein völkerrechtlich souveräner Staat, auch wenn er durch den Angriffskrieg der Russischen Föderation von seiner Auslöschung bedroht ist. Völkerrechtlich ist es also unerheblich, welche anderen Staaten der Welt wo und wie und wann ggf. andere Gebiete, die allerdings ebenfalls völkerrechtlich zu betrachten wären, meinten, tauschen zu können, da das nichts mit der völkerrechtlich verbrieften Souveränität der Ukraine zu tun hat. Bei aller "gesunden Rivalität", die ich nicht mit diesem Begriff bezeichnen würde, bleibt das Völkerrecht bestehen, da können sich die Großmächte durchaus gerne streiten, wer wann wo und wie in der Vergangenheit jeweils gegen es verstoßen hat. Mit der Ukraine haben diese Streitereien völkerrechtlich nichts zu tun. Denn die Ukraine hat nach ihrer Gründung im Dezember 1991 meines Wissens nicht gegen das Völkerrecht verstoßen.
[3] Ich kann mit solchen Aussagen wenig bis nichts anfangen, was eventuell mit meiner historischen Ausbildung zu tun hat. Ich weiß wegen dieser aus wiederkehrender Erfahrung, die mittlerweile recht lange währt, wie kompliziert sich im Nachhinein selbst bei banaleren Themen die Aufarbeitung gestaltet und wie komplex sich also die jeweilige Quellenlage und deren Bearbeitung und Beurteilung darstellt. Ich finde es immer wieder erstaunlich - um es mal so auszudrücken -, wie man meinen kann, sehr komplexe politische Probleme - und das sind zumeist alle Probleme zwischen Großmächten, die sich in einem Zustand offener Feindschaft befinden, und zwar das nur umso mehr, sofern einer dieser Großmächte Krieg führt, der maßgebliche Interessen anderer Großmächte bedroht - durch eigene und eher schlichte (das meine ich nicht intellektuell, sondern die Bandbreite des Vorschlags betreffend) Vorschläge lösen zu wollen.
[4] Die Betrachtung des Ukrainekriegs durch die Brille deutscher Haushaltspolitik ist möglich, sollte aber ggf. regelmäßige Besuche des Optikers voraussetzen, denke ich. Was Du als "Verhandlungsmasse" begreifst, bleibt völkerrechtlich weiterhin Teil des ukrainischen Staatsgebietes, auch wenn das der russische Aggressor anders sehen will. Was Du als "halbwegs natürliche Grenze" bezeichnest, ist es nicht, sondern ist ein Frontverlauf als Folge eines völkerrechtlich verbotenen Angriffkriegs. Das kann man anders sehen, man übernimmt damit aber die Sichtweise des Agrgessors. Denn völkerrechtlich gibt es diese "halbwegs natürliche Grenze" nur in dessen Phantasie, die er zu einer Realität machen will.
[5] Hier finden sich m.E. einige weitere gewagte Thesen à la "demografische Todeszonen einer Volkswirtschaft". Sie sind es deshalb, weil Du Prognosen für einen Zeitraum anstellst, der die nächsten 20 bis 30 Jahre umfasst. Betrachtet man, wie sich die vergangene Menschheit jeweils die nächsten 20 bis 30 Jahre vorgestellt hat, dann ist eines regelmäßig sicher, dass ihre Vorstellungskraft in der Regel nicht ausreichte, um zu einer hinreichenden Prognose zu gelangen, wie sich umfassende gesellschaftliche Strukturen in 20 bis 30 Jahren darstellen werden. Es ist sicherlich sinnvoll, sich über auch längere Zeiträume grundlegende Gedanken zu machen - aber das aus der Grundannahme von bspw. "demografische Todeszone einer Volkswirtschaft" zu tun, lenkt den Blick bereits und fordert als Rezeptur Mittel gegen Schmerzen, die ggf. zu einer anderen Krankheit gehören werden (und in diesem Zusammenhang apropos Optiker: Ich war gestern bei meiner Optikerin, die eine Augenanalyse durchgeführt hat, in deren Folge ich einen sog. Fundus-Graduierungs-Bericht erhalten habe, also eine Beschreibung des Gesundheitszustands meiner Augen: Dazu wurde für beide Augen jeweils ein sog. retinales Foto erstellt, das bis vor geraumer Zeit eingeschickt, von nichts anderes machenden Ärzten begutachtet und nach einiger Zeit mit dem Prüfergebnis zurückgesandt wurde; heute übernimmt das künstliche Intelligenz, das Ergebnis lag innerhalb einer Minute vor und die vormaligen Ärzte können heute andere Aufgaben übernehmen). Was ich sagen will: Die wiederkehrenden "Schmerzdiskussionen" sind typisch deutsche Diskussionen, die wir bei uns gerne bis zum Zufügen gegenseitiger Schmerzen führen. In anderen Ländern liegt der Fokus nicht selten auf andere Facetten, obgleich sie den weitgehend gleichen demographischen Problemen ausgesetzt sind. "German Angst" hat m.E. auch was für sich, da wir auch wegen ihr nicht selten eine regelmäßig hohe Vorsorge betreiben - sie verstellt aber ebenso nicht selten den Blick für das, was der Fall ist.
[6] Das ist so formuliert eine verfasungsrechtlich gewagte These, so wie die extreme Gegenposition ebenfalls eine verfassungsrechtlich gewagte These ist. Insofern wagen sich derzeit Regierung und Opposition in ihrem Sprechen jeweils gewagt vor, befinden sich also im Normalzustand der Politik. Verfassungsrechtlich geht es hingegen um die jeweilige Begründung und also, ob ein sachlicher Grund gegeben ist oder nicht. Ob dem so wäre, ließe sich nur im Zuge der Erarbeitung einer entsprechenden Begründung feststellen. Da das nicht geschehen ist, sind beide Thesen sachlich haltlos.
[7] Du wirst in Deutschland kaum jemanden finden, der das nicht unterschriebe. Diplomatie mit einem Aggressor, der sich nicht an das Völkerrecht gebunden sieht und weiterhin die Aulöschung des Staats als sein Hauptziel betrachtet, den er überfallen hat, lässt allerdings nur einen engen Spielraum, sie zu tätigen, ohne vor Dritten auf Dauer unglaubwürdig zu werden. Das ist das Leid der Diplomatie. Wenn sich diplomatisch gestimmte Politiker einer Situation ausgesetzt sehen, dass sie mit dem Nasenring durch die Manage gezerrt werden, da sie als Feind betrachtet werden, werden sie irgendwann Schwierigkeiten haben, eine sachliche Rechtfertigung für Diplomatie Dritten verständlich zu machen. Die Bilder von Putins langen Tisch im Vorfeld seines Überfalls auf die Ukraine sind von ihm nicht umsonst so gewählt worden. Dipolmatie, die an Unterwerfung erinnert, kann nicht als solche betrachtet werden - schon gar nicht, wenn die, die die Dipolmatie betreiben sollen, sich dafür in diesem Rahmen vor der eigenen Bevölkerung zu rechtfertigen haben, die also im hohen Maße mit negativen Konsequenzen von dem Angriffskrieg auf den Dritten betroffen sind.
[8] Damit hast Du leider Recht, nicht zuletzt mit dem letzte Satz. Wir könnten in Europa allesamt in besseren Zeiten leben, wenn es weiterhin keinen Angriffskrieg auf die Ukraine geben würde. Die Empfindung, wie bitter er ist, verbindet uns (und höchstwahrscheinlich noch einiges mehr).
Und eventuell sollten wir in nächster Zeit mal wieder zum Thema zurückkehren, da wir weltpolitisch hier allesamt eher keine völlig identische Sicht auf die Dinge erreichen werden, was auch ganz gut so ist.