Selbstständige und angestellte Ärzte, Apotheker, Architekten, Rechtsanwälte, Steuerberater, Wirtschaftsprüfer und weitere Angehörige der Freien Berufe haben sich lange auf ihre berufsständischen Versorgungswerke verlassen. Viele Freiberufler vertrauten darauf, dass ihre berufsständischen Versorgungswerke ihnen im Ruhestand eine komfortable finanzielle Absicherung bieten. Diese Pflichtversorgungseinrichtungen ermöglichen es, sich von der gesetzlichen Rentenversicherung befreien zu lassen. Doch in den letzten Jahren geraten die Versorgungswerke zunehmend unter Druck, und die einst sichere Rente ist ins Wanken geraten.
Viele Versorgungswerke finanzieren sich über das sogenannte offene Deckungsplanverfahren, eine Mischung aus Kapitaldeckung und Umlageverfahren. Dadurch galten sie als stabiler gegenüber konjunkturellen und demografischen Veränderungen als die gesetzliche Rentenversicherung. Doch inzwischen trifft die Versorgungswerke ein doppelter Belastungsfaktor: Die Mitglieder der Versorgungswerke leben im Schnitt mehrere Jahre länger als die Gesamtbevölkerung. Die Rentenzahlungen müssen also länger fließen, während die Zahl der aktiv Einzahlenden nicht im gleichen Maß wächst. Zudem profitierten Versorgungswerke jahrzehntelang von soliden Anlagerenditen. Doch das Niedrigzinsumfeld der letzten Jahre, steigende Inflation und schwankende Kapitalmärkte haben die Renditen vieler Versorgungswerke massiv unter Druck gesetzt. Eine wachsende Zahl von Einrichtungen erreicht ihre selbst gesteckten Rechnungszinsziele nicht mehr.
Schon heute haben viele Versorgungswerke begonnen, Maßnahmen zu ergreifen, um ihre langfristige Finanzierbarkeit zu sichern. Einige Versorgungswerke haben die Pflichtbeiträge angehoben, um die Finanzierungslücke zu schließen. Zudem senken viele Versorgungswerke schrittweise den zugrunde liegenden Rechnungszins, um realistische Rentenerwartungen zu ermöglichen, was zu niedrigeren Renten führt. Dynamisierungen oder freiwillige Rentenerhöhungen sind in vielen Versorgungswerken in den letzten Jahren ausgeblieben.
Anders als die gesetzliche Rentenversicherung sind Versorgungswerke nicht staatlich abgesichert. Sollte ein Versorgungswerk in Schieflage geraten, gibt es keine Rettungsanker. Die Mitglieder tragen das volle Risiko. Obwohl Forderungen nach einer stärkeren Regulierung laut werden, sind konkrete politische Lösungen bisher nicht in Sicht. Für den worst case muss der Staat dennoch die berufsständisch Versorgten in Form von bedarfsorientierten Leistungen wie Grundsicherung oder Wohngeld unterstützen.
Die steigende Lebenserwartung führt auch bei den Versorgungswerken zu Diskussionen über eine Anhebung des Renteneintrittsalters. Während die gesetzliche Rentenversicherung bereits auf 67 Jahre steigt, prüfen einige Versorgungswerke Modelle mit einer längeren Beitragszahlungsdauer oder einem späteren Rentenbeginn. Für viele Freiberufler bedeutet das, das sie länger arbeiten müssen, um eine Rente zu erhalten.
Früher galten Versorgungswerke als die bessere Alternative zur gesetzlichen Rentenversicherung, da sie nicht nur allein auf ein Umlagesystem setzen, sondern die Chancen auf dem allgemeinen Kapitalmarkt nutzen. Doch die anhaltende Niedrigzinsphase und die steigende Lebenserwartung lassen die Vorteile schrumpfen. Die gesetzliche Rentenversicherung profitiert von staatlichen Zuschüssen und einem Inflationsausgleich, während Versorgungswerke auf sich alleine gestellt sind. Zudem wird die gesetzliche Rentenversicherung zunehmend auch für Selbstständige interessanter.
Auch bei den Pensionskassen gab es mit dem offenen Deckungsplanverfahren Probleme. Schon vor längerer Zeit gab es Pensionskassen, die bei den Stresstests der BaFin durchgefallen sind. Beispielsweise haben die Kölner Pensionskasse VVaG und die Caritas Pensionskasse VVaG in Ihrer Mitglieder-Vertreterversammlung in 2019 ein Sanierungskonzept beschlossen.
Beide Kassen hatten in der Vergangenheit die steigende Lebenserwartung und die lang anhaltende Niedrigzinsphase in ihren Berechnungen zu wenig berücksichtigt. Weiterhin wurden u. a. Fehler in der Tarifkalkulation und durch zu hohe Leistungsversprechungen gemacht. Pikanterweise wurden diese zu hoch kalkulierten Leistungen damals in Tests bei Stiftung Warentest und ÖKO-Test (10.2010) gelobt und haben in den Vergleichen sehr gut abgeschnitten. Dabei wurde aber nicht berücksichtigt, dass eine Pensionskasse durch Beschluss der Mitgliederversammlung die Leistungen kürzen kann. Das ist damals passiert und kann jederzeit wieder passieren.
Nachdem sich jedoch angesichts hoher Kosten und bescheidener Erträge die mit der 2001 eingeführten „Riester-Rente“ verbundenen Hoffnungen gemeinhin als Trugbild entpuppt haben, spielt das Argument einer angeblich gesicherten höheren Rentabilität privater Vorsorge in der politischen Wirklichkeit derzeit nur noch eine Nebenrolle.
Das Umlageverfahren ist ein leistungsfähiges System der Alterssicherung, das in der Lage ist, die auch in längerer Perspektive absehbaren Herausforderungen des demografischen Wandels zu bewältigen. Es ist durchaus realisierbar, selbst bei einer über die kommenden Jahrzehnte abnehmenden Relation zwischen Arbeiter und Rentner, die Senioren in angemessenem Maß an der Wohlstandsentwicklung partizipieren zu lassen, ohne das Einkommen der aktiven Arbeiter über Gebühr zu strapazieren. Die Stellschrauben hatte ich schon genannt, an denen gedreht werden kann.
Woher kommt dann der bei vielen ramponierte Ruf des Umlagesystems? Hierfür dürfte neben dem Trommeln interessierter Kreise für eine Kapitaldeckung die Differenz zwischen den konstruierten und faktischen Altersbezügen mitverantwortlich sein. Das Interesse dieser Lobbyisten, oder neudeutsch Influencer, dürfte klar sein: Je mehr Menschen ihr Kapital in andere Anlageformen stecken, desto mehr Geld verdienen auch diese interessierten Kreise. Dabei werden oft die Chancen in den Vordergrund gestellt, die Risiken jedoch verharmlost oder ausgeblendet.