Würde "Vorsatz" denn irgend etwas an der Gemengelage ändern? Ich vermute mal nicht. Interessant finde ich im Moment eher wohin die Reise grundsätzlich gehen wird, heißt, ob vom alten Entwurf inhaltlich noch was übrig bleiben wird oder man gänzlich andere Wege beschreiten will.
Ich denke, die Frage nach dem "Vorsatz" bekommt eine unterschiedliche Bedeutung und entfaltet folglich eine unterschiedliche Wirkung, je nachdem, aus welcher Perspektive man sie betrachtet:
I. Strafrechtliche Betrachtung
Wie Floki vor ein paar Tagen zurecht hervorgehoben hat, gibt es strafrechtlich verschiedene Grade des "Vorsatzes", was weiterhin darauf verweist, dass es sich juristisch um einen Begriff aus dem Strafrecht handelt. Als solcher wäre er hier aber formal nicht passend, da es hier nicht um Straftatsbestandteile geht: Der einzelne Abgeordnete kann mit seinem Abstimmungsverhalten einem Gesetz zustimmen, das sich - formal betrachtet - erst nach einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts als verfasungswidrig herausstellen kann. Unabhängig, ob dem der Fall sein wird - also ob dass das Bundesverfassungsgericht zukünftig entsprechend so entscheiden sollte -, ist in jedem Fall davon auszugehen, dass ein Abgeordneter willentlich für ein Gesetz stimmt; darüber hinaus ist in jedem Fall gegeben, dass er das unter der Freiheit seines Mandats tut. Den Willen zur Abstimmung wird hier also niemand bezweifeln, denke ich. Damit wäre eine der beiden notwendigen Bedingungen für ein "vorsätzliches Handeln" gegeben. Darüber hinaus wäre als weitere notwendige Bedingung zu betrachten, ob er auch wissentlich handelte, also mit dem Wissen handelte, dass der Gesetzentwurf nicht mit der Verfassung in Einklang zu bringen wäre: Das dürfte in vielen Einzelfällen der Fall sein, da die Abgeordneten in den unterschiedlichen Parlamenten von verschiedenen Seiten entsprechend informiert worden sind - und ginge es um einen Straftatsbestand, würde nun betrachtet werden, ob auch der Nachweis geführt werden könnte, dass neben dem "Willen" auch das "Wissen" gegeben sei: Könnte der Anfangsverdacht eines Stratatsbestands vorliegen, wäre davon auszugehen, dass eine Staatsanwaltschaft entsprechend ihrem Auftrag zu handeln beginnen würde - allerdings kann er nicht vorliegen und das ist auch gut so, auch wenn wir allesamt irgendwann mal wieder ganz gerne amtsangemessen alimentiert werden würden.
Denn Abgeordnete können mit ihrem Stimmverhalten - weiterhin formal betrachtet - nicht "vorsätzlich" handeln, also mit diesem einen Straftatsbestand erfüllen: Denn der Straftatsbestand, um den es nun ginge, wäre offensichtlich der der Rechtsbeugung: Diese kann aber nur durch einen Richter, Amtsträger oder Schiedsrichter, welcher sich bei der Leitung oder Entscheidung einer Rechtssache zugunsten oder zum Nachteil einer Partei einer Beugung des Rechts schuldig machte, vollzogen werden (§ 339 StGB). Da ein Abgeordneter aber als solcher während der Abstimmung als Abgeordneter handelt, unterliegt er währenddessen nicht dem genannten § 339 StGB, da er hier als Abgeordneter handelt und also nicht als Richter, Amtsträger oder Schiedsrichter. Von daher kann ein Abgeordneter in seinem Abstimmungsverhalten "willentlich" und "wissentlich" gegen die Verfassung abstimmen, aber er kann das - formal betrachtet - nicht "vorsätzlich", da er in seinem Abstimmungsverhalten keine Straftat begehen kann.
Auf der anderen Seite könnte man nun, da es sich sowohl bei der den jeweiligen Gesetzentwurf erarbeitenden Ministerialbürokratie als auch bei dem Regierungskabinett, welches Einigkeit darüber herstellt, jenen Entwurf ins Parlament einzubringen, fragen, ob sie nun formal "vorsätzlich" handelten und also sich der Rechtsbeugung schuldig machten. Denn sie unterliegen ja - anders als ein Abgeordneter - dem § 339 StGB. Allerdings wäre eine solche Betrachtung ebenfalls nicht weiterführend. Denn sowohl der das Gesetz miterarbeitende Beamte als auch jedes einzelne Kabinettsmitglied, das dafür stimmte, dass der entsprechende Gesetzentwurf ins Parlament eingebracht wird, kann nun wiederum keine Rechtsbeugung vornehmen. Denn beiden Gruppen von Amtsträgern liegt in ihrem entsprechenden Handeln zu keiner Zeit ein Verwaltungsakt zugrunde: Bei ihm handelt es sich bekanntlich um jede Verfügung, Entscheidung oder andere hoheitliche Maßnahme, die eine Behörde zur Regelung eines Einzelfalls auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts trifft und die auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet ist (§ 35 VwVfG). Denn da weder die Minister noch die Ministerialbürokratie eine Entscheidung treffen, die auf eine unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet ist, sondern nur einen Gesetzentwurf erarbeiten (Ministerialbürokratie) und in das Parlament einbringen (Kabinett), der erst durch die Verabschiedung durch das Parlament mit Datum seines Inkrafttretens Gesetzeskraft erlangt, ist zuvor zu keiner Zeit eine unmittelbare Rechtswirkung nach außen entfaltende Handlung gegeben gewesen: Ministerialbürokratie und Kabinett hatten ggf. mittelbare Teilhabe - mehr aber auch nicht. Damit ist ihr Handeln nicht als Verwaltungsakt zu betrachten, womit keine Entscheidung einer Rechtssache gegeben ist, sodass keine Rechtsbeugung vorliegen kann. Von daher kann ein Beamter in seiner Beteiligung und Vorbereitung eines Gesetzentwurfs "willentlich" und "wissentlich" einen verfassunhgswidrigen Gesetzentwurf miterarbeiten und kann ein Kabinett ihn entsprechend in das Parlament einbringen, aber auch von ihnen kann keiner das - formal betrachtet - "vorsätzlich" tun, da sie in ihrem entsprechenden Tun keinen Verwaltungsakt vollziehen, sodass keine Entscheidung im Sinne von § 339 StGB vorliegt und also keine Rechtsbeugung gegeben ist und also auch keine Straftat vorliegen kann. Formal betrachtet kann also auch ihr Verhalten nicht "vorsätzlich" sein.
II. Folgen
Formal betrachtet, kann man also mit gutem Grund hervorheben, dass zu keiner Zeit im Gesetzgebungsverfahren ein Vorsatz gegeben sein könne: Denn diese Vorstellung ist entsprechend richtig. Andererseits kann nicht per se ausgeschlossen werden, dass "wissentlich" und "willentlich" gegen die Verfassung verstoßende Gesetzentwürfe von der Ministerialbürokratie erabeitet, vom Kabinett in das Parlament eingebracht und von diesem schließlich verabschiedet sowie im Bund vom Bundespräsidenten ausgefertigt werden - wobei wir uns hier nun wohl bereits in den Tiefen des Staatsrecht bewegen: Denn die Gründungsmütter und Gründungsväter wollten sich das offensichtlich nicht vorstellen wollen (und konnten sich das aber ggf. nach ihren eigenen Lebenserfahrungen allesamt sicherlich dennoch sehr gut vorstellen); ansonsten hätten sie das Grundgesetz anders gestaltet, als es gestaltet worden ist - was sie zum Glück nicht getan haben. Um also die Gesetzeskraft des BBVAnpÄndG 2021/2022 überhaupt erst herzustellen - das ja selbst eingesteht, nicht verfassungskonform zu sein -, ist offensichtlich unter anderem die Garantie gegeben worden, dass kein Beamter durch dieses Gesetz in seinen Rechten eingeschränkt werden würde: Wenn das auch wie an anderer Stelle betrachtet leider nicht so formuliert worden ist (vgl.
https://forum.oeffentlicher-dienst.info/index.php/topic,114508.msg238021/topicseen.html#msg238021). Damit dürfte das Gesetz höchstwahrscheinlich ausgefertigt werden dürfen - es wird interessant werden, wie sich diesbezüglich ein späteres Handeln von Exekutive und Legislative gestalten wird: also auf Grundlage des vor zwei Wochen von Neuling zurecht hier verlinkten Rundschreibens.
Um aber ein "willentlich" und "wissentlich" in seinem Gehalt verfassungswidriges Gesetz zu verhinden, sind nun die verschiedenen Checks and Balances erstellt worden, denen ein Gesetzgebungsverfahren unterliegt, worauf One berechtigt verweist. Diese dürften im Regelfall - darauf hofft man nicht nur als Beamter, sondern mindestens genauso stark als Staatsbürger - greifen, denn anders ließe sich die Legitimität von Herrschaft in unserer Rechtsordnung nicht aufrechterhalten. Die Frage ist nun auf der anderen Seite - hierum kreist seit geraumer Zeit die Diskussion -, wie es innerhalb des beschriebenen Rahmens zu einem m.E. nachweisbar verfassungswidrigen Gesetzentwurf wie dem ursprünglichen Gesetzentwurf vom Februar letzten Jahres kommen kann, der also offensichtlich wissentlich und willentlich entsprechend so erarbeitet worden ist, wenn er auch - allerdings nicht mit dem Ziel, ihn wegen seines verfassungswidrigen Gehalts zu verhindern - am Ende im Kabinett nicht zu finalisieren gewesen war.
Und wieso ist diese Frage wichtig, denn darauf zielt Deine Frage ab: "Würde 'Vorsatz' denn irgend etwas an der Gemengelage ändern?"
1. Zum einen - und vordringlich - dürfte sie für uns als Beamte und Staatsbürger von hohem Interesse sein: Denn sofern entsprechendes staatliches Handeln hinsichtlich der Alimentation von Beamten möglich ist und auch geschehe, könnte nicht ausgeschlossen werden, dass das in anderen parlamentarisch zu regelnden Fragen nicht anders sein müsste oder könnte. In diesem Sinne dürfte der Einwurf der Berliner Sektion des Deutschen Richterbundes aus dem April des letzten Jahres zu verstehen sein, der das Verhalten der Berliner Exekutive und Legislative als "demokratiegefährdend" bezeichnet hat. Nicht anders ist der Appell des Deutsche Richterbunds zu verstehen, mit dem er seine ursprüngliche Position aus dem Februar 2021 grundlegend revidierte, nämlich nicht "die Integrität und die Gemeinwohlorientierung staatlichen Handelns in Frage" zu stellen. Da wir als Beamte eine besondere Verantwortung im Staatsgefüge haben, kann uns diese Frage nicht unberührt lassen - und als Staatsbürger dürfte sie nicht minder auch für uns von Interesse sein.
2. Zum anderen dürfte sie ebenfalls politisch für uns wichtig sein, die wir ein Interesse daran haben, irgendwann mal wieder amtangemessen alimentiert zu werden: Wenn wir hier offensichtlich allesamt einheitlich die Meinung vertreten, es sei Widerspruch gegen die einem gewährte Alimentation zu tätigen und es seien die Kolleginnen und Kollegen entsprechend zu informieren, wenn wir darüber hinaus ebenso allesamt einer Meinung zu seinen scheinen, dass es nicht verkehrt sein kann, entsprechend auf die Abgeordneten des eigenen Wahlkreises mit sachlichen Anfragen und Appellen einzuwirken (wobei wir hier bereits offensichtlich unterschiedliche Ansichten darüber im Forum haben, ob dem ein ausreichendes Gehör geschenkt werden würde), ist die dritte Ebene bislang hier eher unterbeleuchtet: Wie ist das eigentlich mit den Beamtinnen und Beamten in der Ministerialbürokratie - also mit jenen von ihnen, von denen m.E. ausgegangen werden kann, dass sie wissentlich und willentlich an der Erarbeitung von verfassungswidrigen Gesetzentwürfen beteiligt sind. Denn sie sind wie wir alle ebenso an ihren Amtseid gebunden - und sie unterliegen Bedingungen, denen ich nicht unterliege, weshalb ich vor ein paar Tagen das an One geschrieben habe, was ich geschrieben habe: Nämlich dass ich hier keine Hexenjagd veranstalten will, da mir an dieser nicht gelegen ist und ich darüber hinaus in der diesbezüglich bequemem Lage bin, qua meiner Funktion niemals in die Gefahr zu geraten, entsprechend zu einem solchen Handeln aufgefordrt zu werden (wie auch immer diese "Aufforderung" aussehen sollte) - sondern dass ich ganz gerne ebenso die Prozesse verstehen will, zu denen ich am vergangenen Mittwoch meine Fragen an One gestellt habe. Denn je nachdem, wie die Antworten ausfallen, kann für mich Deine Frage tatsächlich erst sinnvoll beantwortet werden. Deshalb habe auch ich die Frage nach dem "Vorsatz" hier wiederkehrend ins Feld geführt.
Denn sie ist mindestens hinsichtlich der beiden gerade aufgeworfenen Interessen- und/oder Fragekomplexe - finde ich - von einigem Interesse.