Wer sich thematisch informieren will, findet hier auf engem Raum weiterhin den umfassendsten Überblick über die Ergebnisse der Tarifrunde TV-L 2023:
https://oeffentlicher-dienst.info/tv-l/tr/2023/
Und hier werden nun nach und nach die Folgen für die Besoldungsentwicklung in den einzelnen Rechtskreisen dargelegt:
https://oeffentlicher-dienst.info/beamte/land/tr/2023/
Danke Swen,
wie stehst du denn zu dem Ergebnis im Hinblick auf die amtsangemessene Alimentation?
Gern geschehen, Richard. Ich kann mir dazu ehrlich gesagt noch keine substanzielle Meinung bilden, insbesondere da ja in den allermeisten der 16 Rechtskreise noch nicht absehbar ist, wo wann und wie genau eine Übertragung der Tarifeinigung auf die jeweiligen Landesbeamten geschehen wird. Ich denke, das Tarifergebnis als solches wäre unter einer konkreten Prämisse, sofern es dann zeit- und wirkungsgleich auf die jeweiligen Landesbeamten übertragen werden würde, vom Umfang her völlig akzeptabel und also gesamtgesellschaftlich erwartbar - nur ist diese konkrete Prämisse eben nicht gegeben (was man wiederum nicht den Gewerkschaften und ihren Verhandlern vorwerfen kann), nämlich dass wir in allen Rechtskreisen eine amtsangemessene Alimentation vorfinden würden. Wäre diese Prämisse gegeben, dann
1. wäre der Wohlstandsverlust, der mit der Einigung unter Beachtung der seit 2021 in den allermeisten Rechtskreisen vollzogenen Besoldungsentwicklungen einhergeht, sachlich akzeptabel, da er im gesamtgesellschaftlichen Kontext keine Ausnahme wäre;
2. könnte die mit dem Sockelbetrag einhergehende Einschmelzung von Besoldungsabständen ggf. sachlich gerechtfertigt werden, wobei man das für jeden einzelnen Rechtskreis gesondert betrachten müsste (die hier -
https://oeffentlicher-dienst.info/tv-l/tr/2023/ - für den Tarifbereich wiedergegebenen Abstände lassen sich nicht so ohne Weiteres auf die Abstände zwischen einzelnen Besoldungsgruppen übertragen; sie geben aber einen Vorgeschmack auf anstehende Spreizungen, vgl. auch weiter unten);
3. würde wir also von einem insgesamt anderen und einem deutlich höheren Besoldungsniveau und von entsprechend anderen Grundgehaltssätzen sprechen, die jeweils der Ausgangspunkt der Übertragung des Tarifergebnisses wären und die trotz der nun verlängerten Wohlstandsverluste verfassungsrechtlich wohl akzeptabel und hinzunehmen gewesen wären;
4. ließe sich ggf. auch die lange Laufzeit sachlich rechtfertigen, was allerdings spätestens dann nicht der Fall sein wird (und auch unter einer heute amtsangemessenen Besoldung womöglich nicht der Fall gewesen wäre), sobald die Verbraucherpreise bis Ende 2025 doch wieder deutlicher anziehen sollten und dann erneut keine entsprechende Anpassungen gesetzlich vorgenommen werden würden, wie das seit spätestens 2021 in allen Rechtskreisen der Fall ist. Denn die 1,4 % aus 2021 und 2,8 % aus dem Dezember 2022 stellen im Kontext der gezielt fortgesetzten verfassungswidrigen Unteralimentation eine sachlich und also verfassungsrechtlich nicht akzeptable Fortführung der "Sonderopfer"-Politik der mindestens letzten 15 Jahre dar.
Zusammengefasst: Das Ergebnis war im Vorhinein in diesen Regionen erwartbar und wird unter der Prämisse, dass das Mindestabstandsgebot in allen 16 Rechtskreisen der Länder weiterhin und zum Teil erheblich verletzt wird und dass die Besoldungssystematik in kaum einem Rechtskreis mehr verfassungsrechtlich vertretbar sein dürfte, deren Verwerfungen i.d.R. noch einmal verschärfen, wobei in der (gerichtlichen) Kontrolle jede einzelne Besoldungsgruppe in jedem einzelnen Rechtskreis für sich anhand der bundesverfassungsgerichtlichen Parameter zu prüfen wäre. Nehmen wir uns also mal als Beispiel Hamburg vor, dann gibt der Besoldungsrechner unter
https://oeffentlicher-dienst.info/beamte/land/tr/2023/ auf Basis der Hochrechnung und Absichtserklärung folgendes Bild von der Grundgehaltstabelle (
https://oeffentlicher-dienst.info/c/t/rechner/beamte/land/tr/2023?id=beamte-hamburg-2025&matrix=1) im Vergleich zur heutigen Situation (
https://oeffentlicher-dienst.info/c/t/rechner/beamte/hh?id=beamte-hamburg-2023b&matrix=1) wieder - es werden jeweils die Grundgehaltssätze in der Endstufe im Sinne des bundesverfassungsgerichtlichen Pflichtenhefts betrachtet:
2023 2025 prozentuale Steigerung
A 4: 2.808,06 € 3.173,50 € 13,01 %
A 10: 4.116,24 € 4.553,63 € 11.02 %
A 16: 7.759,11 € 8.396,86 € 8,22 %
R 3: 8.558,14 € 9.239,84 € 7,97 %
R 8: 11.213,92 € 12.041,69 € 7,38 %
Es lässt sich also als Folge des Sockelbetrags eine deutlich geplante soziale Staffelung erkennen. Die Abstände zwischen der Besoldungsgruppe A 4 und den weiteren genannten Besoldungsggruppen würden, sofern es zu der angekündigten zeit- und wirkungsgleichen Übertragung des Tarifergebnisses auf die Beamten, Richter und Staatsanwälte in Hamburg kommen sollte, entsprechend wie folgt verringert bzw. abgeschmolzen werden:
2023 2025 Differenz
A 4: 100 100
A 10: 146,59 % 143,49 % 3,1 %P
A 16: 276,32 % 264,59 % 11,7 %P
R 3: 304,77 % 291,16 % 13,6 %P
R 8: 399,35 % 379,44 % 19,9 %P
Nimmt man hingegen die Besoldungsgruppe A 10 zur Grundlage des systeminternen Besoldungsvergleichs, ergibt sich folgendes Bild:
2023 2025 Differenz
A 10: 100 100
A 16: 188,49 % 184,40 % 4,1 %P
R 3: 207,91 % 202,91 % 5,0 %P
R 8: 272,43 % 264,44 % 8,0 %P
Der systeminterne Besoldungsvergleich indiziert also auf Basis der Besoldungsgruppe A 4 für die Besoldungsgruppen ab A 16 aufwärts die Vermutung einer verfassungswidrigen Unteralimentation; mit der Besoldungsgruppe A 10 ist das nicht der Fall, wobei allerdings auch hier eine deutliche Abschmelzung von Besoldungsabständen als Folge der sozialen Staffelung festzustellen ist. Diese soziale Staffelung, wenn sie denn so kommt, ebnete entsprechend Abstände zwischen vergleichbaren Besoldungsgruppen ein und müsste im Kontext der weiterhin gegebenen Verletzung des Mindestabstandsgebots zu betrachten sein, die in der bekannten Stellungnahme zum unlängst verabschiedeten Besoldungsstrukturgesetz sachlich nachgewiesen worden ist (vgl. die S. 22 ff. unter
https://bdr-hamburg.de/?p=1146). Entsprechend positioniert sich der Finanzsenator weiterhin gezielt gegen den Hamburgischen Richterverein, der erst unlängst seine sachlich begründeten Positionen dargelegt hat:
https://www.richterverein.de/presse/nachrichten/nachricht/news/nachhaltige-staerkung-des-rechtsstaats-amtsangemessene-besoldung-jetzt-schluss-mit-den-jahrelangen-verfassungsverstoessenDer langen Rede kurzer Sinn: Der Tarifabschluss wird, sofern er zeit- und wirkungsgleich auf die Beamten des jeweiligen Rechtskreises übertragen werden sollte (was mit hoher Wahrscheinlichkeit kaum in allen Rechtskreisen geschehen wird), zwangsläufig zu einer ggf. deutlichen Verringerung von Besoldungsabständen als Folge der den Tarifabschluss prägenden sozialen Staffelung führen, die im Einzelfall zu betrachten ist und aber die mit einer entsprechenden Übertragung den höheren Besoldungsgruppen stärkere Wohlstandsverluste zumuten wird als den unteren, wobei - wie das gerade gezeigte hamburgische Beispiel verdeutlicht - man schon heute absehen können dürfte, dass eine entsprechende Übertragung ggf. höheren Besoldungsgruppen ein "Sonderopfer" abverlangen wird, das sich in Anbetracht der wiederkehrend sachwidrigen Bemessungen des Mindestabstands zur Grundsicherung mit einiger Wahrscheinlichkeit dann kaum sachlich rechtfertigen lassen dürfte. Auch dieses Faktum könnte man nun wiederum kaum den Gewerkschaften vorwerfen - auch nicht dem dbb -, da sie nicht für die Umsetzung des Ergebnisses verantwortlich sind und sie ebenso keine Verantwortung für die weiterhin vom jeweiligen Gesetzgeber aufrechterhaltene verfassungsiwidrige Unteralimentation haben. Denn i.d.R. haben sie in den jeweiligen Rechtskreisen im Zuge des Beteiligungsverfahren auf diese Unteralimentation hingewiesen und sie nicht selten umfassender nachgewiesen.
Ergo: Ich weiß noch nicht so genau, was ich von alledem halten soll. Es hätte mich nicht gewundert, wenn das Tarifergebnis noch bescheidener ausgefallen wäre - es war aber von vornherein klar, dass jedes Tarifergebnis nicht dazu führen könnte, in den Rechtskreisen wieder zu einer amtsangemessenen Alimentation zurückzukehren. Unter dem Blickwinkel einer amtsangemessenen Alimentation hat sich durch das Tarifergebnis nichts geändert: Sie dürfte in allen Rechtskreisen nach wie vor weit entfernt sein, sodass nun die nächste Runde der Begründung verfassungswidriger Besoldungsgesetze einsetzen wird und zugleich ggf. in verschiedenen Rechtskreisen so wie in den Nordstaaten, die in vier von fünf Fällen eine entsprechende Regelung bereits verabschiedet haben (und im fünften Fall mit der entsprechenden Planung weit vorangeschritten sind), mit der Novellierung eines Doppelverdienermodells Hand in Hand gehen, um so die Verfassungswidrigkeit unbegründet ummänteln zu können. All das war aber auch schon vor dem Tarifabschluss offensichtlich absehbar.