Wie funktioniert denn in der Praxis die Vollstreckungsanordnung?
Würden in dem Zusammenhang Beträge für die Mindestbesoldung oder ziemlich konkrete Vorgaben vom BVerfG genannt werden?
Zunächst einmal heißt es im Fünften Leitsatz der aktuellen Entscheidung:
"Beim systeminternen Besoldungsvergleich ist neben der Veränderung der Abstände zu anderen Besoldungsgruppen in den Blick zu nehmen, ob in der untersten Besoldungsgruppe der gebotene Mindestabstand zum Grundsicherungsniveau eingehalten ist. Ein Verstoß gegen dieses Mindestabstandsgebot betrifft insofern das gesamte Besoldungsgefüge, als sich der vom Gesetzgeber selbst gesetzte Ausgangspunkt für die Besoldungsstaffelung als fehlerhaft erweist. Die indizielle Bedeutung für die verfassungswidrige Ausgestaltung der zur Prüfung gestellten Besoldungsgruppe ist dabei umso größer, je näher diese an der Grenze zur Mindestbesoldung liegt und je deutlicher der Verstoß ausfällt."
Damit hebt das Bundesverfassungsgericht im ersten Satz hinsichtlich
des materiellen Gehalts einer amtsangemessenen Alimentation hervor, dass hinsichtlich der beiden Abstandsgebote weder der Abstand zwischen den Besoldungsgruppen noch der Mindestabstand zum Grundsicherungsniveau, also die Mindestalimentation, verletzt werden dürfen. Ist allerdings das Mindestabstandsgebot verletzt, erweist sich der vom Gesetzgeber gesetzte Ausgangspunkt - also mindestens die einem aktiven verheirateten Beamten mit zwei Kindern in der niedrigsten Erfahrungsstufe der untersten Besoldungsgruppe gewährte Nettoalimentation - als fehlerhaft, wie der zweite Satz verdeutlicht. Daraus folgt
materiell zwangsläufig, dass all jenen Beamten, denen eine die Mindestalimentation nicht überschreitende Nettoalimentation gewährt wird, eine höhere Nettoalimentation zu gewähren ist, wobei dabei die Abstände zwischen den Besoldungsgruppen entsprechend einer amtsangemessenen Alimentation zu beachten sind;
materiell nicht zwangsläufig folgt daraus aber, dass nun das Grundgehalt all jener wie beschrieben betroffenen Beamten anzuheben wäre. Denn die Alimentation speist sich ja nicht allein aus dem Grundgehalt als allerdings Hauptkomponente der Besoldung, sondern kann auch durch Nebenkomponenten oder bspw. Änderungen im Beihilferecht erhöht werden.
Deshalb kommt nun der dritte Satz ins Spiel: Denn nun wechselt das Bundesverfassungsgericht vom
materiellen Gehalt der als Wenigstens zu gewährenden Nettoalimentation zur Besoldungsprüfung, also in
die indizielle Prüfsystematik, die der Besoldungsgesetzgeber wie auch die Gerichte zu beachten haben (nicht umsonst wird hier ein Leitsatz formuliert). Der dritte Satz sagt nun hinsichtlich des Prüfverfahrens aus, dass es in der Prüfung eine Mindestsbesoldung gibt, die den Verletzungsgrad der Besoldungssystematik offenbart: Je größer der Fehlbetrag zwischen dem tatsächlichen Grundgehaltssatz in der niedrigsten Erfahrungsstufe der untersten Besoldungsgruppe ausfällt und je mehr Besoldungsgruppen hinter der Mindestbesoldung zurückfallen, als desto verletzter ist die Besoldungssystematik anzusehen. Entsprechend hebt das Bundesverfassungsgericht in der Rn. 49 hervor:
"Ob eine zur Behebung eines Verstoßes gegen das Mindestabstandsgebot erforderliche Neustrukturierung des Besoldungsgefüges zu einer Erhöhung der Grundgehaltssätze einer höheren Besoldungsgruppe führt, lässt sich daher nicht mit der für die Annahme eines Verfassungsverstoßes erforderlichen Gewissheit feststellen. Die Wahrscheinlichkeit hierfür ist umso größer, je näher die zur Prüfung gestellte Besoldungsgruppe selbst an der Grenze zur Mindestbesoldung liegt. Je deutlicher der Verstoß ausfällt und je mehr Besoldungsgruppen hinter dem Mindestabstandsgebot zurückbleiben, desto eher ist damit zu rechnen, dass es zu einer spürbaren Anhebung des gesamten Besoldungsniveaus kommen muss, um die gebotenen Abstände zwischen den Besoldungsgruppen wahren zu können. Die Verletzung des Mindestabstandsgebots bei einer niedrigeren Besoldungsgruppe ist daher (nur) ein Indiz für die unzureichende Ausgestaltung der höheren Besoldungsgruppe, das mit dem ihm nach den Umständen des Falles zukommenden Gewicht in die Gesamtabwägung einzustellen ist."
Entsprechend hat der Besoldungsgesetzgeber im Gesetzgebungsverfahren zunächst einmal zu ermitteln, ob
materiell die Mindestalimentation gewährt wird - und falls das nicht der Fall ist, ist
indiziell anhand der Mindestbesoldung der Grad der Verletzung der Besoldungssystematik zu prüfen. Danach ist der Gesetzgeber prozedural zwingend dazu aufgefordert, zu begründen, wie er eine verletzte Besoldungsordnung heilen wollte. Nun dürfte allerdings eine entsprechende Heilung kaum ohne die Anhebung von Grundehaltssätzen möglich sein, wenn - wie bspw. in Bayern oder Berlin oder Baden-Württemberg oder Niedersachsen - sowohl die Mindestbesoldung viele hundert Euro höher liegt als das tatsächlich gewährte Besoldungsniveau und wenn der Hälfte oder mehr als der Hälfte der Besoldungsgruppen nur ein Besoldungsniveau gewährt wird, was noch unterhalb der Mindestbesoldung liegt. Wollte der Besoldungsgesetzgeber dennoch ohne Anhebung von Grundgehaltssätzen wieder
materiell zu einer amtsangemessenen Alimentation zurückkehren, müsste er das nur anhand von sachlichen Gründen vollziehen - wobei das "nur" hier der Haken ist. Solch stark verletzte Besoldungssystwematiken lassen sich nicht durch Anhebung von Nebenkomponenten heilen, da diese Nebenkomponenten i.d.R. zur Besoldungsdifferenzierung führen, was im Ergebnis dann zu einem Verstoß gegen das Abstandsgebot zwischen den Besoldungsgruppen führt, da die Besoldungsdifferenzierung zur Einebnung von Abständen zwischen Besoldungsgruppen führt, womit ein Verstoß gegen die Ämterwertigkeit und also das Leistungsprinzip vorliegt.
Soweit - etwas vereinfacht - wird das, was ich hier schreibe, etwas komplexer in dem genannten ZBR-Beitrag aus dem Mai anhand eines Berechnungsverfahrens für den indiziellen Parameter der Mindestbesoldung betrachtet und eine entsprechende Berechnungsmethodik am Beispiel Berlin begründet.
Das vorweggeschickt, um Deine Fragen zu beantworten, Unknown.
1) § 35 BVerfGG führt aus: "Das Bundesverfassungsgericht kann in seiner Entscheidung bestimmen, wer sie vollstreckt; es kann auch im Einzelfall die Art und Weise der Vollstreckung regeln." Kommt nun ein Besoldungsgesetzgeber wiederholt seiner Verpflichtung, eine amtsangemessene Alimentation zu gewähren, nicht nach, wird das Bundesverfassungsgericht in einem konkreten Normenkontrollverfahren entsprechend handeln und also den aufgeforderten Besoldungsgesetzgeber mit einer Frist auffordern, bis dahin wieder für die Gewährung einer amtsangemessenen Alimentation zu sorgen, sowie die Verwaltungsgerichte ermächtigen, nach dieser Frist Klägern eine amtsangemessene Alimentation zuzusprechen, ohne noch das Bundesverfassungsgericht einzuschalten. Voraussetzung, dass die Gerichte entsprechend handeln können, ist ein hinreichend genaues Verfahren, um das Maß einer amtsangemessenen Alimentation bestimmen zu können.
Dieses Maß ist durch die weitgehend abgeschlossene neue Besoldungsdogmatik der Bundesverfassungsgerichts mittlerweile weitgehend ermittelbar: sowohl hinsichtlich des materiellen Gehalts anhand der Mindestalimentation als auch hinsichtlich dessen indizieller Prüfung anhand der Mindestbesoldung. Darüber hinaus liegen alle nötigen bundesverfasungsgerichtlichen Aussagen hinsichtlich des Abstandsgebots zwischen den Besoldungsgruppen vor. Mit hoher Wahrscheinlichkeit dürfte die neue Besoldungsdogmatik nach der angekündigten Entscheidung vollständig vorliegen, sodass dann auch die praktischen Voraussetzungen für die Ermächtigung der Untergerichte nach § 35 BVerfGG gegeben sein dürfte. Es wird dann nur noch eine Frage der Zeit sein, dass es einen der Besoldungsgesetzgeber trifft - und danach, sofern der heutige Weg fortgeschritten wird, trifft es eben nacheinander die weiteren.
2) Entsprechend der gerade gemachten Ausführungen bedürfte es dann keiner weiteren Vorgaben mehr, was den Besoldungsgesetzgebern - so vermute ich - ebenfalls nicht ganz klar sein sollte.