Autor Thema: Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)  (Read 6373763 times)

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #14760 am: 07.10.2024 09:25 »

Deswegen muss vom Brutto einfach mehr Netto übrig bleiben, finanziert durch eine Reduktion der Sozialausgaben. Wenn man an keiner Stellschraube des Systems drehen kann, muss eventuell ein neues System her. Dann lohnt sich ja bald eine neue Verfassung.Dann sind die Reichsbürger zufrieden und man kann den Sozialstaat aus der Ewigkeitsgarantie entfernen.

Man muss ja nicht übertreiben - aber ja: Das Leben ist auch Veränderung.

Die Schieflagen entstehen doch vor allem dort, wo einkommenslose Haushaltsangehörige existieren. Bei Kindern ist das mit der fehlenden Erwerbstätigkeit noch selbstverständlich, bei der "Hausfrau" sieht das aber etwas anders aus.

Da sollte jede Paarkonstellation selbst entscheiden können, ob der eine oder andere einer Erwerbstätigkeit nachgehen möchte oder nicht. Eine gesellschaftliche Förderung von Erwerbslosigkeit ist jedoch ein veraltetes Bild und nicht (mehr) mehrheitsfähig.

PolareuD

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #14761 am: 07.10.2024 09:32 »
Mit der aktuellen Entscheidung des OVG Rheinland-Pfalz, Beschl. v. 25.09.2024 - 2 A 11745/17.OVG -  haben wir nun die erste Entscheidung auch zur Betrachtung des Partnereinkommens in der Besoldungsbemessung vorliegen, die zu dem erwartbaren Ergebnis kommt, wie seine Pressemitteilung das ausführt (bis zum Vorliegen der schriftlichen Entscheidung dürfte es noch einige Zeit dauern, ist zu vermuten):

"Ausgangspunkt zur Bestimmung des hierbei [bei der Betrachtung des Mindestabstandsgebots; ST.] maß­geblichen Nettoalimentationsniveaus sei weiterhin die aus der bisherigen Besol­dungs­praxis ab­geleitete Bezugsgröße der Alleinverdienerfamilie mit zwei minderjähri­gen Kindern und nicht – wie vom beklagten Land argumentiert – eine Hinzuverdiener­fami­lie, bei der zu den Besoldungsbezügen noch ein Partnereinkommen im Umfang einer geringfügigen Beschäftigung hinzugerechnet werde. Auch für die hier streitgegen­ständlichen Jahre 2012 bis 2014 sei nach den gesetzlichen Regelungen und der inso­weit maßgeblichen Gesetzesbegründung davon auszugehen, dass der Landesbesol­dungsgesetzgeber das Grundgehalt von vornherein so bemessen habe, dass – zu­sam­men mit den Fami­lienzuschlägen für den Ehepartner und die ersten beiden Kinder – eine bis zu vier­köpfige Familie unterhalten werden könne." (https://ovg.justiz.rlp.de/presse-aktuelles/pressemitteilungen/detail/besoldung-von-beamten-in-rheinland-pfalz-in-der-besoldungsgruppe-a-8-in-den-jahren-2012-bis-2014-wegen-verletzung-des-mindestabstandsgebots-verfassungswidrig)

Für die Zeit nach 2014 hat der Kläger offensichtlich keinen erneuten Widerspruch eingelegt, was nach einer Beförderung aber zwingend geboten ist. Entsprechend sollte das untere Drittel der Pressemitteilung zu lesen sein.

Ich muss mich übrigens korrigieren, wir haben hier die erste Entscheidung einer Berufungsinstanz. Tatsächlich hat das VG Koblenz bereits im April eine schlüssige Auseinandersetzung zur Betrachtung des Partnereinkommens von Beamten in zwei diesbezüglich gleichlautenden Entscheidungen vollzogen. Sie sind die offensichtlich ersten Entscheidungen, die entsprechende Betrachtungen anstellt. Eine solche entsprechende "Erstbegründung" ist regelmäßig nicht unbedeutend, weil sie anderen Verwaltungsgerichten die Möglichkeit erlaubt, sich bei seiner Entscheidungsfindung und also in deren Vollzug mit den Argumenten des hier nun vorlegenden Verwaltungsgerichts auseinanderzusetzen, wobei in Rheinland-Pfalz (ebenso wie in Brandenburg) die Besonderheit zu beachten wäre, dass der Besoldungsgesetzgeber hier bereits in den 2010er Jahren ein Doppelverdienermodell in das Besoldungsrecht eingeführt hat.

Entsprechend hat nun das VG Koblenz in den Verfahren 5 K 686/22.KO und 5 K 1153/22.KO am 29.04.2024 in seinen Vorlagebeschlüssen hinsichtlich der Besoldungsgruppen A 7 und A 8 die augenscheinlich vom Land in der mündlichen Verhandlung ausgeführten Argumente abgewogen (vgl. die gleichlautende Begründung ab der S. 20: https://vgko.justiz.rlp.de/fileadmin/justiz/Gerichte/Fachgerichte/Verwaltungsgerichte/Koblenz/Entscheidungen/Nr_13-2024_VOE_5_K_686-22_KO_Beschluss_-Vorlage_an_BVerfG-_vom_29-04-2024.pdf). Das Ergebnis war nun nicht anders zu erwarten, da der rheinland-pfälzische Besoldungsgesetzgeber bislang genauso wenig wie irgendein anderer einen neuen Kontrollmaßstab in seine Besoldungsrecht eingeführt hat, weshalb der Verwaltungsgerichtsbarkeit letztlich nichts anderes überigbleibt, als weiterhin die Alleinverdienerfamilie als Kontrollmaßstab heranzuziehen. Das Verwaltungsgericht macht in diesem Zusammenhang schlüssig darauf aufmerksam, dass das Prozeduralisierungsgebot auch hinsichtlich der Einführung eines neuen Kontrollmaßstabs fordert, dass eine entsprechende Begründung noch im laufenden Gesetzgebungsverfahren zu vollziehen ist und nachträglich für entscheidungsrelevante Zeiträume nicht mehr möglich ist (vgl. S. 22).

Es darf davon ausgegangen werden, denke ich, dass das weitere Verwaltungsgerichte in der Sache in der Regel kaum anders sehen dürften, eben weil der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgericht eine andere Bezugsgröße als die Alleinverdienerannahme bislang nicht zu entnehmen ist und weil eine andere Bezugsgröße in ihrer Funktion als Kontrollmaßstab bis auf Weiteres von keinem Besoldungsgesetzgeber erstellt worden wäre. Entsprechend kann man nun Besoldungsgesetzgeber auch anderer Rechtskreise mit diesen Entscheidungen argumentativ konfrontieren, denke ich.

Für mich stellt sich die Frage, ob es einen Sinn ergeben würde, die Interessensverbände auf den/die Beschlüsse des VG bzw. OVG Koblenz aufmerksam zu machen? Diese könnten die Aussagen aus den Beschlüssen als Argumentationshilfe in der Verbändeanhörung zum BBVAngG am 11.10.24 verwenden. Auch wenn nur das BVerfG eine Norm verwerfen kann, liefern die erst- und zweitinstanzlichen Beschlüssen eindeutige Indizien für den verfassungswidrigen Gehalt von Hinzuverdiener-Modellen als Leitbild.

GeBeamter

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #14762 am: 07.10.2024 10:13 »

Mir scheint das gravierendere Problem zu sei, dass Wohnungen in manchen Gegenden einfach unbezahlbar geworden sind, weil es in den Städten und Speckgürteln um die Städte herum viel zu wenige Wohnungen gibt. Swen schrieb weiter oben, dass der Freizügigkeit wegen Bürgergeldempfängern und Beamten die Mittel an die Hand gegeben werden müssten, überall wohnen zu können. Da frage ich mich, ob dann nicht mit derselben Begründung bis auf die sehr gut verdienenden Bürger jeder Anspruch auf Wohngeld haben müsste, der in Frankfurt oder München wohnen möchte.

Man hat das Gefühl, wir Deutschen sind zu faul, zu bräsig und zu selbstherrlich geworden. Made in Germany steht nicht mehr unbedingt für Qualität. Die anderen haben uns diesbezüglich eingeholt und Zukunfttechnologien, z.B. Solar,  haben wir aus der Hand gegeben. Wie man am Beispiel der VW Mitarbeiter sieht, erkennen viele die Zeichen der Zeit noch immer nicht.

Es kann aber ja auch nicht Ziel der Übung sein, dass Beamte 1-2 Fahrstunden von der Dienststelle entfernt wohnen (müssen). In den Ballungsräumen Hamburg, Rhein-Main, München, Stuttgart und Köln-Bonn sind die Bodenpreise und Mieten in einem
 hohen zweistelligen Km-Umkreis extrem hoch sind. Da stellt sich dann schon die Frage, wie der Dienstherr mit Rufbereitschaften, der Vereinbarkeit von Beruf und Familie sowie der Home Office Regelung umgehen will. Im Moment sehe ich da keinen Veränderungswillen.

Zu dem Punkt, dass wir Deutschen angeblich zu faul seien, bin ich auch der Meinung, dass das eine liberale und konservative Mär ist. Unser produzierendes Gewerbe hat Probleme, weil für arbeitsintensive Tätigkeiten (industrielle Produktion) die Lohnkosten in Deutschland im  internationalen Vergleich dann doch zu hoch sind. Andere Nationen haben das verstanden und haben entweder Konkurrenz entwickelt (China) oder sich auf andere Wirtschaftsgebiete fokussiert (Niederlande, Schweiz, Norwegen,...). Nur unseren Politikern wurde erfolgreich eingeredet, man müsse den Wirtschaftszyklus künstlich am Leben halten ("Wir sind ja Industrienation"). Das rächt sich jetzt, weil jetzt auch die notwendige Energietransformation der Industrieproduktion zusetzt. Weil das so ist, kommt jetzt der Beißteflex der unternehmernahen Parteien, die deutschen seien zu faul und die GenZ erst Recht. Tatsächlich haben sich die Arbeitsstunden in Deutschland nicht verringert. Und dass die GenZ ihren Marktwert kennt und sich sagt "bevor ich eine Ausbildung zur Bürokraft beim Sanitärbetrieb um die Ecke mache, schließe ich einen Ausbildungsvertrag als Bürokraft in einem Daxkonzern, denn nach der Ausbildung ist das Gehalt dort deutlich höher", das kann ich verstehen. Ich kann auch verstehen, dass diese jungen Leute so gefragt sind, dass sie genau wissen, dass sie nach einem Jahr Backpacking in Australien immer noch mit Kusshand in einem Betrieb genommen werden. Präziser: dem Handwerker um die Ecke mag das ein Malus sein ("ein Jahr bei den Känguruhs rumgelungert"), aber bei internationalen Konzernen ist das ein gern gesehenes Attribut (Sprachkenntnisse, Organisationsfähigkeit, und nicht zuletzt Hörner abgestoßen).

waynetology

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« Antwort #14763 am: 07.10.2024 10:20 »

Deswegen muss vom Brutto einfach mehr Netto übrig bleiben, finanziert durch eine Reduktion der Sozialausgaben. Wenn man an keiner Stellschraube des Systems drehen kann, muss eventuell ein neues System her. Dann lohnt sich ja bald eine neue Verfassung.Dann sind die Reichsbürger zufrieden und man kann den Sozialstaat aus der Ewigkeitsgarantie entfernen.

Man muss ja nicht übertreiben - aber ja: Das Leben ist auch Veränderung.

Die Schieflagen entstehen doch vor allem dort, wo einkommenslose Haushaltsangehörige existieren. Bei Kindern ist das mit der fehlenden Erwerbstätigkeit noch selbstverständlich, bei der "Hausfrau" sieht das aber etwas anders aus.

Da sollte jede Paarkonstellation selbst entscheiden können, ob der eine oder andere einer Erwerbstätigkeit nachgehen möchte oder nicht. Eine gesellschaftliche Förderung von Erwerbslosigkeit ist jedoch ein veraltetes Bild und nicht (mehr) mehrheitsfähig.

Das gilt leider auch nicht für alle.

Es soll Menschen geben, die für die Kinderbetreuung zu Hause bleiben müssen.

Oftmals gibt es Not an Betreuungsmöglichkeiten, gerade bei Kindern unter 3 Jahren. Dann gibt es häufig auch das Problem, dass auf Grund der begrenzten Betreuungszeit viele Arbeitgeber gar nicht bereit sind Eltern einzustellen. Ganz zu schweigen davon, ob es sich auf Grund der extrem hohen Kosten überhaupt lohnt das Kind in die Betreuung zu geben.

Somit wird es immer eine/n Hausfrau/ Hausmann geben.

Rentenonkel

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« Antwort #14764 am: 07.10.2024 10:30 »
@Rentenonkel, auch in deinem Modell hätte die Besoldung eines verheirateten A4/A5/A6 mit zwei Kindern in Mietstufe VII eine sehr hohe leistungslose Komponente (Kinderzuschläge plus vierfacher ROMZ). Sie wäre daher mutmaßlich höher als die Besoldung eines ledigen und kinderlosen A11/A12/A13 in Mietstufe I.

Somit würde ich davon ausgehen, dass das Leistungsprinzip und die Ämterwertigkeit verletzt wären, weil das (gesunde) Verhältnis zwischen leistungsbezogenen und leistungslosen Besoldungskomponenten nicht gewahrt wäre.

Ich habe mir, um meinen Gedanken nochmal aufzugreifen, die Begründung und die Zahlen des aktuellen Gesetzesentwurfes des Landes NRW angeschaut mit den entsprechenden Bedarfen für die Miete für eine 4 köpfige Familie.

   I                II               III               IV                V                VI                VII
 676,80 €     759,30 €     844,00 €     941,90 €     1.034,30 €  1.128,90 €     1.238,90 €

Davon ausgehend, dass die Zahlen richtig sind, ergibt sich ein Unterschied gegenüber Mietenstufe I von jeweils

             II              III       IV                V                VI       VII
     82,50 €     167,20 €     265,10 €     357,50 €     452,10 €     562,10 €

netto.

Wenn ich diese Differenz auf die Anzahl der Familienmitglieder herunter breche, komme ich auf einen wohnortbezogenen Zuschlag von monatlich

    II               III         IV                V                VI       VII
 20,63 €     41,80 €     66,28 €     89,38 €     113,03 €     140,53 €

Ausgehend von rund 25 % Abgaben müsste sich demnach das Brutto um etwa folgenden Betrag pro Person erhöhen:

 II               III             IV                V                VI           VII
 27,50 €     55,73 €     88,37 €     119,17 €     150,70 €     187,37 €


Ich könnte mir vorstellen, dass ein solcher Zuschlag (der möglicherweise von mir nicht in der richtigen Höhe berechnet wurde) grundsätzlich möglich sein sollte, weil doch dieser leistungslose Zuschlag pro Person eher moderat ist und nicht nur Familien mit Kindern zustehen würde, sondern allen Beamten. Somit würde bei Mietenstufe VII auch dem alleinstehenden Beamten ein Betrag von 187,37 EUR zustehen. Ist das prinzipiell eine denkbare Lösung oder übersehe ich etwas?

Reisinger850

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« Antwort #14765 am: 07.10.2024 10:34 »
In NRW steht er ausschliesslich Beamten mit Kindern zu...

MoinMoin

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #14766 am: 07.10.2024 10:39 »

Deswegen muss vom Brutto einfach mehr Netto übrig bleiben, finanziert durch eine Reduktion der Sozialausgaben. Wenn man an keiner Stellschraube des Systems drehen kann, muss eventuell ein neues System her. Dann lohnt sich ja bald eine neue Verfassung.Dann sind die Reichsbürger zufrieden und man kann den Sozialstaat aus der Ewigkeitsgarantie entfernen.

Man muss ja nicht übertreiben - aber ja: Das Leben ist auch Veränderung.

Die Schieflagen entstehen doch vor allem dort, wo einkommenslose Haushaltsangehörige existieren. Bei Kindern ist das mit der fehlenden Erwerbstätigkeit noch selbstverständlich, bei der "Hausfrau" sieht das aber etwas anders aus.

Da sollte jede Paarkonstellation selbst entscheiden können, ob der eine oder andere einer Erwerbstätigkeit nachgehen möchte oder nicht. Eine gesellschaftliche Förderung von Erwerbslosigkeit ist jedoch ein veraltetes Bild und nicht (mehr) mehrheitsfähig.
Deswegen ist eine Stellschraube durchaus die Erhebliche Erhöhung des Kindergeldes. Wenn jeder 600-800 Euro pro Kind Cash auf die Krallen bekommt, so wie es der Bürgergeldler erhält, dann dürfte sowohl der Neid sich reduzieren, als auch das Soziale Ungleichgewicht.
Und die Besoldung wäre da auch wieder stärker im Lot.

MoinMoin

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #14767 am: 07.10.2024 10:41 »

Mir scheint das gravierendere Problem zu sei, dass Wohnungen in manchen Gegenden einfach unbezahlbar geworden sind, weil es in den Städten und Speckgürteln um die Städte herum viel zu wenige Wohnungen gibt. Swen schrieb weiter oben, dass der Freizügigkeit wegen Bürgergeldempfängern und Beamten die Mittel an die Hand gegeben werden müssten, überall wohnen zu können. Da frage ich mich, ob dann nicht mit derselben Begründung bis auf die sehr gut verdienenden Bürger jeder Anspruch auf Wohngeld haben müsste, der in Frankfurt oder München wohnen möchte.

Man hat das Gefühl, wir Deutschen sind zu faul, zu bräsig und zu selbstherrlich geworden. Made in Germany steht nicht mehr unbedingt für Qualität. Die anderen haben uns diesbezüglich eingeholt und Zukunfttechnologien, z.B. Solar,  haben wir aus der Hand gegeben. Wie man am Beispiel der VW Mitarbeiter sieht, erkennen viele die Zeichen der Zeit noch immer nicht.

Es kann aber ja auch nicht Ziel der Übung sein, dass Beamte 1-2 Fahrstunden von der Dienststelle entfernt wohnen (müssen). In den Ballungsräumen Hamburg, Rhein-Main, München, Stuttgart und Köln-Bonn sind die Bodenpreise und Mieten in einem
 hohen zweistelligen Km-Umkreis extrem hoch sind. Da stellt sich dann schon die Frage, wie der Dienstherr mit Rufbereitschaften, der Vereinbarkeit von Beruf und Familie sowie der Home Office Regelung umgehen will. Im Moment sehe ich da keinen Veränderungswillen.

Zu dem Punkt, dass wir Deutschen angeblich zu faul seien, bin ich auch der Meinung, dass das eine liberale und konservative Mär ist. Unser produzierendes Gewerbe hat Probleme, weil für arbeitsintensive Tätigkeiten (industrielle Produktion) die Lohnkosten in Deutschland im  internationalen Vergleich dann doch zu hoch sind. Andere Nationen haben das verstanden und haben entweder Konkurrenz entwickelt (China) oder sich auf andere Wirtschaftsgebiete fokussiert (Niederlande, Schweiz, Norwegen,...). Nur unseren Politikern wurde erfolgreich eingeredet, man müsse den Wirtschaftszyklus künstlich am Leben halten ("Wir sind ja Industrienation"). Das rächt sich jetzt, weil jetzt auch die notwendige Energietransformation der Industrieproduktion zusetzt. Weil das so ist, kommt jetzt der Beißteflex der unternehmernahen Parteien, die deutschen seien zu faul und die GenZ erst Recht. Tatsächlich haben sich die Arbeitsstunden in Deutschland nicht verringert. Und dass die GenZ ihren Marktwert kennt und sich sagt "bevor ich eine Ausbildung zur Bürokraft beim Sanitärbetrieb um die Ecke mache, schließe ich einen Ausbildungsvertrag als Bürokraft in einem Daxkonzern, denn nach der Ausbildung ist das Gehalt dort deutlich höher", das kann ich verstehen. Ich kann auch verstehen, dass diese jungen Leute so gefragt sind, dass sie genau wissen, dass sie nach einem Jahr Backpacking in Australien immer noch mit Kusshand in einem Betrieb genommen werden. Präziser: dem Handwerker um die Ecke mag das ein Malus sein ("ein Jahr bei den Känguruhs rumgelungert"), aber bei internationalen Konzernen ist das ein gern gesehenes Attribut (Sprachkenntnisse, Organisationsfähigkeit, und nicht zuletzt Hörner abgestoßen).
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« Antwort #14768 am: 07.10.2024 11:11 »

Deswegen muss vom Brutto einfach mehr Netto übrig bleiben, finanziert durch eine Reduktion der Sozialausgaben. Wenn man an keiner Stellschraube des Systems drehen kann, muss eventuell ein neues System her. Dann lohnt sich ja bald eine neue Verfassung.Dann sind die Reichsbürger zufrieden und man kann den Sozialstaat aus der Ewigkeitsgarantie entfernen.

Man muss ja nicht übertreiben - aber ja: Das Leben ist auch Veränderung.

Die Schieflagen entstehen doch vor allem dort, wo einkommenslose Haushaltsangehörige existieren. Bei Kindern ist das mit der fehlenden Erwerbstätigkeit noch selbstverständlich, bei der "Hausfrau" sieht das aber etwas anders aus.

Da sollte jede Paarkonstellation selbst entscheiden können, ob der eine oder andere einer Erwerbstätigkeit nachgehen möchte oder nicht. Eine gesellschaftliche Förderung von Erwerbslosigkeit ist jedoch ein veraltetes Bild und nicht (mehr) mehrheitsfähig.

Das gilt leider auch nicht für alle.

Es soll Menschen geben, die für die Kinderbetreuung zu Hause bleiben müssen.

Oftmals gibt es Not an Betreuungsmöglichkeiten, gerade bei Kindern unter 3 Jahren. Dann gibt es häufig auch das Problem, dass auf Grund der begrenzten Betreuungszeit viele Arbeitgeber gar nicht bereit sind Eltern einzustellen. Ganz zu schweigen davon, ob es sich auf Grund der extrem hohen Kosten überhaupt lohnt das Kind in die Betreuung zu geben.

Somit wird es immer eine/n Hausfrau/ Hausmann geben.

Dann wäre die Lösung aber das Anbieten bzw. staatliche Fördern von Betreuungsmöglichkeiten für Kinder und nicht das staatliche Fördern von Erwerbslosigkeit.

GeBeamter

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« Antwort #14769 am: 07.10.2024 11:33 »

Dann wäre die Lösung aber das Anbieten bzw. staatliche Fördern von Betreuungsmöglichkeiten für Kinder und nicht das staatliche Fördern von Erwerbslosigkeit.

Nach der Logik fördert der Staat aber ja nicht die Erwerbslosigkeit, sondern garantiert nur das Überleben einer Bedarfsgemeinschaft und gewährt ein gewisses Maß an Unterstützung für außerschulische Bildung.

Die Dauerverweigerer, die sich im Bürgergeldsystem eingerichtet haben, sind eine überschaubare fünfstellige Zahl. Das ist keine Belastung für die öffentlichen Haushalte.

Viel schlimmer ist, dass der Großteil der Bürgergeldempfänger als Aufstocker tätig ist, ebenso müssten dies je nach Wohnort und Zahl der Kinder sogar die Beamten. Womit wir wieder bei meiner Ausgangsthese sind: bestimmte Arbeitgeber und auch der öffentliche Dienst betreibt Lohndumping zu Lasten des Steuerzahlers bzw des Bediensteten. Es leben also viele Leute von ihrer Hände Arbeit nur knapp über oder sogar unter dem wissenschaftlich bestimmten Existenzminimum. Man lebt somit also von Erspartem aus bessern Zeiten, das man eigentlich für das Alter braucht, spart Ausgaben irgendwo ein (Kind geht nicht mit der Schule ins Theater, ist an dem Tag zufällig krank,...) oder wenn man nicht Beamter ist, verdient man "steuerfrei" etwas dazu.

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« Antwort #14770 am: 07.10.2024 11:48 »

Dann wäre die Lösung aber das Anbieten bzw. staatliche Fördern von Betreuungsmöglichkeiten für Kinder und nicht das staatliche Fördern von Erwerbslosigkeit.

Nach der Logik fördert der Staat aber ja nicht die Erwerbslosigkeit, sondern garantiert nur das Überleben einer Bedarfsgemeinschaft und gewährt ein gewisses Maß an Unterstützung für außerschulische Bildung.

Die Dauerverweigerer, die sich im Bürgergeldsystem eingerichtet haben, sind eine überschaubare fünfstellige Zahl. Das ist keine Belastung für die öffentlichen Haushalte.

Viel schlimmer ist, dass der Großteil der Bürgergeldempfänger als Aufstocker tätig ist, ebenso müssten dies je nach Wohnort und Zahl der Kinder sogar die Beamten. Womit wir wieder bei meiner Ausgangsthese sind: bestimmte Arbeitgeber und auch der öffentliche Dienst betreibt Lohndumping zu Lasten des Steuerzahlers bzw des Bediensteten. Es leben also viele Leute von ihrer Hände Arbeit nur knapp über oder sogar unter dem wissenschaftlich bestimmten Existenzminimum. Man lebt somit also von Erspartem aus bessern Zeiten, das man eigentlich für das Alter braucht, spart Ausgaben irgendwo ein (Kind geht nicht mit der Schule ins Theater, ist an dem Tag zufällig krank,...) oder wenn man nicht Beamter ist, verdient man "steuerfrei" etwas dazu.

Ich bezog mich mit meiner Aussage nicht auf das Bürgergeld sondern auf die Beamtenalimentation, die sich aktuell noch auf 4 Köpfe bezieht. Sorry für die Verwirrung.

GeBeamter

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #14771 am: 07.10.2024 11:57 »


Ich bezog mich mit meiner Aussage nicht auf das Bürgergeld sondern auf die Beamtenalimentation, die sich aktuell noch auf 4 Köpfe bezieht. Sorry für die Verwirrung.

Bei der Förderung der Kinderbetreuung bin ich übrigens ganz dabei. Mein Dienstort ist im südlichen NRW. Wer das Glück hatte auf Rheinland-Pfälzischer Seite zu mieten oder zu kaufen, behält pro Kind 300-600€ pro Monat (je nach Alter und Betreuungsform) mehr in der Tasche, als der, der in NRW lebt und sein Kind dort betreuen lassen muss.

Ryan

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« Antwort #14772 am: 07.10.2024 13:07 »
@Rentenonkel, auch in deinem Modell hätte die Besoldung eines verheirateten A4/A5/A6 mit zwei Kindern in Mietstufe VII eine sehr hohe leistungslose Komponente (Kinderzuschläge plus vierfacher ROMZ). Sie wäre daher mutmaßlich höher als die Besoldung eines ledigen und kinderlosen A11/A12/A13 in Mietstufe I.

Somit würde ich davon ausgehen, dass das Leistungsprinzip und die Ämterwertigkeit verletzt wären, weil das (gesunde) Verhältnis zwischen leistungsbezogenen und leistungslosen Besoldungskomponenten nicht gewahrt wäre.


Ich habe mir, um meinen Gedanken nochmal aufzugreifen, die Begründung und die Zahlen des aktuellen Gesetzesentwurfes des Landes NRW angeschaut mit den entsprechenden Bedarfen für die Miete für eine 4 köpfige Familie.

   I                II               III               IV                V                VI                VII
 676,80 €     759,30 €     844,00 €     941,90 €     1.034,30 €  1.128,90 €     1.238,90 €

Davon ausgehend, dass die Zahlen richtig sind, ergibt sich ein Unterschied gegenüber Mietenstufe I von jeweils

             II              III       IV                V                VI       VII
     82,50 €     167,20 €     265,10 €     357,50 €     452,10 €     562,10 €

netto.

Wenn ich diese Differenz auf die Anzahl der Familienmitglieder herunter breche, komme ich auf einen wohnortbezogenen Zuschlag von monatlich

    II               III         IV                V                VI       VII
 20,63 €     41,80 €     66,28 €     89,38 €     113,03 €     140,53 €

Ausgehend von rund 25 % Abgaben müsste sich demnach das Brutto um etwa folgenden Betrag pro Person erhöhen:

 II               III             IV                V                VI           VII
 27,50 €     55,73 €     88,37 €     119,17 €     150,70 €     187,37 €


Ich könnte mir vorstellen, dass ein solcher Zuschlag (der möglicherweise von mir nicht in der richtigen Höhe berechnet wurde) grundsätzlich möglich sein sollte, weil doch dieser leistungslose Zuschlag pro Person eher moderat ist und nicht nur Familien mit Kindern zustehen würde, sondern allen Beamten. Somit würde bei Mietenstufe VII auch dem alleinstehenden Beamten ein Betrag von 187,37 EUR zustehen. Ist das prinzipiell eine denkbare Lösung oder übersehe ich etwas?


Die (lineare) Aufteilung der Zuschläge auf die Familienmitglieder (hier jeweils ein Viertel) sehe ich kritisch. Ich hatte auch mal ähnliche Berechnungen auf Basis der Wohngeldtabelle durchgeführt. Demnach wird der Unterschiedsbetrag zwischen I und VII im Wesentlichen (zu ca. 59%) bereits durch die erste Person im Haushalt erklärt.

Mietunterschied (VII-I) laut Wohngeldtabelle ( https://www.gesetze-im-internet.de/wogg/anlage_1.html ):
4 HH Mitglieder: 1065 (VII) - 568 (I) = 497
1 HH Mitglied:    633          - 338      = 295 (-> 59% von 497)

Zusätzliche Personen fallen also nicht so sehr ins Gewicht. Das Bild dürfte für 95%-Perzentile ähnlich aussehen. Auch Heizkosten dürften im Wesentlichen durch die erste Person im Haushalt (bzw. das Vorhandensein einer auch kleinen Wohnung) getrieben werden.

Insgesamt sehe ich es auch kritisch, die günstigste Wohngegend zum Maß aller Dinge zu machen.

waynetology

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« Antwort #14773 am: 07.10.2024 13:17 »

Dann wäre die Lösung aber das Anbieten bzw. staatliche Fördern von Betreuungsmöglichkeiten für Kinder und nicht das staatliche Fördern von Erwerbslosigkeit.

Nach der Logik fördert der Staat aber ja nicht die Erwerbslosigkeit, sondern garantiert nur das Überleben einer Bedarfsgemeinschaft und gewährt ein gewisses Maß an Unterstützung für außerschulische Bildung.

Die Dauerverweigerer, die sich im Bürgergeldsystem eingerichtet haben, sind eine überschaubare fünfstellige Zahl. Das ist keine Belastung für die öffentlichen Haushalte.

Viel schlimmer ist, dass der Großteil der Bürgergeldempfänger als Aufstocker tätig ist, ebenso müssten dies je nach Wohnort und Zahl der Kinder sogar die Beamten. Womit wir wieder bei meiner Ausgangsthese sind: bestimmte Arbeitgeber und auch der öffentliche Dienst betreibt Lohndumping zu Lasten des Steuerzahlers bzw des Bediensteten. Es leben also viele Leute von ihrer Hände Arbeit nur knapp über oder sogar unter dem wissenschaftlich bestimmten Existenzminimum. Man lebt somit also von Erspartem aus bessern Zeiten, das man eigentlich für das Alter braucht, spart Ausgaben irgendwo ein (Kind geht nicht mit der Schule ins Theater, ist an dem Tag zufällig krank,...) oder wenn man nicht Beamter ist, verdient man "steuerfrei" etwas dazu.

Wenn ich die Menschen die ich kenne betrachte, kann ich mir fast nicht vorstellen, dass die Zahl nur im fünfstelligen Bereich liegt. Die muss deutlich höher sein.
Ich denke letzteres was du sagst trifft eher zu und ist auch das Problem. Abgesehen von Betrügereien mit Aufstockern innerhalb eines Gewerbes.

Aber das gehört hier nicht hin, ich gönne den Bedürftigen alles. Es muss fair bleiben, und dann sehe ich die 15% als minimal Ziel an. Denn zieht man die Kosten die durch das arbeiten entstehen ab, bleibt es nicht bei 15%.
Das ist das, was ich hier sehr erschreckend finde. Viele der Menschen hier sagen, dass es zu viel sei, wenn ein A3 besoldeter die Aufstockung erfährt, die er erfahren müsste. Gleichzeitig meckern sie aber, wenn man sagt, dass das Bürgergeld zu hoch sei.

Der Staat muss die Betreuungsmöglichkeiten fördern und gleichzeitig die selben Regelungen für alle einführen was die Kosten angeht. Es kann nicht sein, dass ich "Glück" haben muss, um im Nachbarland zu Wohnen, damit keine Kosten für die Betreuung anfallen.

NelsonMuntz

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #14774 am: 07.10.2024 14:18 »
@waynetology: Es geht ja nicht um den Single ohne Kinder - ich denke, hier ist jeder(!) der Meinung, dieser A3er muss deutlich höher alimentiert sein, als ein Bürgergeldempfänger.