Autor Thema: Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)  (Read 6435549 times)

Rheini

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #17325 am: 03.08.2025 19:42 »
Lustig wäre auch einfach eine Art Cut: Grundgehalt der niedrigsten Besoldubgsgruppe 15% über Bürgergeld. Aber nur für den einzelnen Beamten, nicht für eine ganzeFamilie. Für die Familie dann ausnahmslos alles über Zuschläge.

Zum Glück gibt es die "hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums" (Ämterwertigkeit, Binnenabstandsgebot, Leistungsprinzip, usw. usf.), die solch einen hypothetischen Unsinn von vornherein verunmöglichen..

Abwarten. Hergebracht bedeutet althergebracht. Wir haben keinen Kaiser mehr. Die Familie hat schlicht nicht mehr nur einen Versorger. Alles unterliegt einem Wandel und das Bild, wonach ein Beamter einen Partner und zwei Kinder ernähren muss, wurde bereits aufgeweicht. Es wird auch noch weiter aufgeweicht werden.

Das althergebrachte Bild ist vielleicht noch bei Polizisten oder Soldaten etc. teilweise nachvollziehbar. Aber wo ist der Unterschied bei einem angestellten oder verbeamteten Lehrer? Kommt der Lehrer bei Unruhen, Terroranschlag oder im Spannungsfall für mehrere Tage oder Wochen nicht mehr nach Hause? Geht der Lehrer nach Kabul und evakuiert über Wochen Personal? Das Beamtentum unterliegt einem zeitlichen Wandel. Wie Postbeamte und Bahnbeamte werden auch verbeamtete Lehrer etc aussterben. Und mit diesem Wandel wird auch ein Wandel der hergebrachten Grundsätze einhergehen.

Das Problem hier ist, dass 99 Prozent der Beamten nicht in der Lage sind, sich selbst und die Sinnhaftigkeit ihres Beamtenstatus kritisch zu hinterfragen. Ich vermute, dass diese Quote bei Verfassungsrichtern niedriger ist. Einem Verfassungsrichter traue ich tendenziell eher zu, eine Entscheidung zu treffen, die zu seinen eigenen Lasten geht.

Meine Meinung ist, dass die niedrigen Besoldubgsgruppen lächerlich wenig Geld erhalten haben. Dies wurde teilweise ausgebessert und muss weiter ausgebessert werden. Aber die höheren Besoldubgsgruppen? Ich kenne Leute, die sind A11 und A12, über 50 Jahre alt und ohne Kinder. Die arbeiten aus Faulheit nur Teilzeit und jammern dass sie zu wenig Geld bekommen. Und ja ich weiß, Staatsanwälte und Richter würden in der freien Wirtschaft viel mehr Geld bekommen. Ja verdammt, dann sollen sie doch wechseln. Wenn kein Nachwuchs mehr kommt, werden die R Besoldungen schon entsprechend angepasst. Bekommen wir bei den Richtern und Staatsanwälten denn wirklich die besten Studenten? Von den Noten her sicher, aber menschlich? Sind es womöglich auch viele Studenten, die dem Druck in den Kanzleien und der freien Marktwirtschaft bewusst ausweichen und sich mit weniger Geld in einer Behörde zufrieden geben? Menschen die ängstlich sind und unkündbar sein wollen? Menschen die abgesichert sein wollen?

Ich hoffe selbst auch auf fette Nachzahlungen und habe damals finanziell wirklich gelitten. Inzwischen bin ich selbst in einer höheren Besoldubgsgruppe und es reicht dicke für ein würdiges Leben. Die 15 Prozent zur Grundsicherung würde ich vermutlich noch knapp reißen. Aber liegt das an meinem niedrigen Gehalt oder an den vollkommen schwachsinnig hohen Sozialleistungen und dem Umstand, dass ich alleine mit einer vierköpfigen Familie verglichen werde?

Nur mal als Denkanstoß: Eine Bekannte ist als Dozentin an einer Schule für Beamtennachwuchs tätig. Sie hat einen Master und unterrichtet den Nachwuchs als E11. Der Nachwuchs kommt mit A7 aus der Schule und hat netto über 200 Euro mehr auf der Bezügemitteilung. Hand aufs Herz, dass kann nicht fair sein.

Wenn ich Dir folgen soll musst Du mir aber auch die Frage beantworten, was bei den Pflichten nicht mehr Zeitgemäss ist und im gleichen Zuge geschliffen wird.

Oder ist das einseitig?

yogiii

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #17326 am: 03.08.2025 20:29 »
@Verwaltungsgedöns:
Ich stelle mir gerade vor, wie Lehrkräfte in einem Bundesland mal 1-2 Wochen streiken. Oder länger. Oder unangekündigte Warnstreiks. Kommt die 7-jährige Marie morgens zur Schule und die ist unangekündigt geschlossen. Nehmen dann alle arbeitenden Eltern ganz spontan Urlaub, weil sie keine Kinderbetreuung haben? Oder verbraten ihren Jahresurlaub weil Schulen zwei Wochen geschlossen sind? Was ist mit dem impliziten Recht auf Bildung?
Stelle ich mir "lustig" vor.

Etwas Offtopic:
- falls du es gemerkt hast: Es fehlen nicht nur Staatsanwälte und Richter, sondern auch massiv Lehrkräfte
https://de.statista.com/themen/10477/lehrermangel-in-deutschland/

Als Studienrat habe ich ein Uni-Diplom sowie anschließend das 2. Staatsexamen abgelegt. Ein normales Reihenhaus kaufen in einer "normalen Stadt" ist für viele aus eigenen Mitteln nicht (mehr) realisierbar (und geht fast nur noch, wenn Eltern helfen). Ist das amtsangemessene Alimentierung für einen Beamten im höheren Dienst?

Verwaltungsgedöns

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #17327 am: 03.08.2025 20:43 »
@Verwaltungsgedöns:
Ich stelle mir gerade vor, wie Lehrkräfte in einem Bundesland mal 1-2 Wochen streiken. Oder länger. Oder unangekündigte Warnstreiks. Kommt die 7-jährige Marie morgens zur Schule und die ist unangekündigt geschlossen. Nehmen dann alle arbeitenden Eltern ganz spontan Urlaub, weil sie keine Kinderbetreuung haben? Oder verbraten ihren Jahresurlaub weil Schulen zwei Wochen geschlossen sind? Was ist mit dem impliziten Recht auf Bildung?
Stelle ich mir "lustig" vor.

Etwas Offtopic:
- falls du es gemerkt hast: Es fehlen nicht nur Staatsanwälte und Richter, sondern auch massiv Lehrkräfte
https://de.statista.com/themen/10477/lehrermangel-in-deutschland/

Als Studienrat habe ich ein Uni-Diplom sowie anschließend das 2. Staatsexamen abgelegt. Ein normales Reihenhaus kaufen in einer "normalen Stadt" ist für viele aus eigenen Mitteln nicht (mehr) realisierbar (und geht fast nur noch, wenn Eltern helfen). Ist das amtsangemessene Alimentierung für einen Beamten im höheren Dienst?

Der Logik nach müssten aber auch alle Erzieher in der Kita verbeamtet sein. Kita ist noch mehr Infrastruktur als Schule. Viele schulpflichtige Kinder kann ich alleine Zuhause lasen und arbeiten gehen. Bei Kita-Kindern ist es jedoch kaum möglich.

HochlebederVorgang

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #17328 am: 03.08.2025 20:55 »
Ich war gestern im Supermarkt, dort gab es noch keine Spekulatius. Gott sei Dank bin ich dann hier fündig geworden. Sonntag scheint der Tag des „Laut-Denkens“ zu sein. Und sei es auch ohne Bezug zu den tatsächlichen rechtlichen Begebenheiten.

PolareuD

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #17329 am: 03.08.2025 21:05 »
Der Logik nach müssten aber auch alle Erzieher in der Kita verbeamtet sein.

Fände ich persönlich super. Vor allem, wenn ich mich daran entsinne, wie oft mein Kind zu seiner Zeit daheim betreut werden musste, weil nicht ausreichend Betreuungspersonal zur Verfügung stand. Hier könnte eine Verbeamtung gewisse Anreize bieten.

SwenTanortsch

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #17330 am: 03.08.2025 22:43 »
Der Logik nach müssten aber auch alle Erzieher in der Kita verbeamtet sein.

Fände ich persönlich super. Vor allem, wenn ich mich daran entsinne, wie oft mein Kind zu seiner Zeit daheim betreut werden musste, weil nicht ausreichend Betreuungspersonal zur Verfügung stand. Hier könnte eine Verbeamtung gewisse Anreize bieten.

Die Sache ist auch hier die, dass wir unser Thema immer von der Verfassung und damit insbesondere mit Blick auf die Grundrechte bzw. - vom Beamten aus gesehen - seinem grundrechtsgleichen Individualrecht betrachten müssen, das letzteres hier aber unerheblich ist (die nachfolgenden Zeilen dürften sich ein weiteres Mal recht oberlehrerhaft anhören, was aber der Natur der Sache und weniger meinem Berufsstand geschuldet sein sollte - so hoffe ich zumindest oder spiegelt bzw. gaukelt mir ggf. auch nur mein idealisiertes Selbstbild vor).  Zwar ist im Grundgesetz das Grundrecht auf Bildung nicht explizit geregelt. Allerdings finden wir in Art. 2 Abs. 1 GG das Menschenrecht auf die freie Entfaltung der Persönlichkeit, das hinsichtlich der nachwachsenden Generation im Zusammenhang mit Art. 7 Abs. 1 GG zu betrachten ist, wonach das gesamte Schulwesen unter der Aufsicht des Staates steht, während darüber hinaus Art. 7 Abs. 6 GG ein Vorschulwesen als aufgehoben bleibend betrachtet.

Der Staat sieht sich also in der Pflicht, das Menschenrecht auf Bildung im gesamten Schulwesen unter seine Aufsicht zu stellen, während es ein Vorschulwesen nicht gibt, was nicht im Konflikt damit steht, dass die Möglichkeit einer vorschulische Betreuung vorgehalten werden kann, die jedoch nicht gegenüber den Erziehungsberechtigten verpflichtend geregelt werden darf und so der unmittelbaren Aufsicht des Staates entzogen bleibt. Von daher sieht sich der Staat hier anders als hinsichtlich der schulischen Bildung nicht in der Pflicht, jene Betreuung als Regelfall selbst zu gewährleisten, da entsprechend hier auch kein Bildungsauftrag formuliert ist. So verstanden ist die vorschulische Betreuung von Kindern keine unmittelbar hoheitliche Aufgabe, was hinsichtlich der Aufsicht über das gesamte Schulwesen anders ist.

Ergo genießt im vorschulischen Betreuungsbereich der Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG mit seinem besonderen Abwehrrecht - "Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht" - noch einmal besondere Bedeutung, da der Staat sich hier nicht gezwungen sieht, staatliche Betreuungsinstitutionen einzurichten, sodass in den vorschulischen Betreuungsangeboten auch kein Sonderrechtsverhältnis etabliert werden darf - nämlich die Schulpflicht -, mit dem der Staat das gerade genannte Grundrecht der Eltern im staatlichen Schulwesen einschränken darf. Diese Grundrechtseinschränkung ist ihm Bereich der vorschulischen Betreuung ergo nicht gestattet. Das ist die Konsequenz des gerade zitierten Abwehrrechts.

Daraus folgt, dass das Schulwesen mindestens bis zu einem gewissen Grad als eine hoheitliche Aufgabe begriffen werden muss, während die Schulaufsicht in jedem Fall eine hoheitliche Aufgabe ist und während das für vorschulische Betreuungseinrichtungen nicht der Fall ist. Entsprechend gilt auch für die Schule im Regelfall das, was für die öffentliche Verwaltung im allgemeinen gilt und weshalb es - also mit Blick auf die öffentliche Verwaltung - insbesondere ein Streikverbot für Beamte gibt (vgl. die Rn. 157 der unlängst wiederholt genannten Streikverbotsentscheidung; https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2018/06/rs20180612_2bvr173812.html?nn=68080):

"Das Verbot eines Streiks der Beamten dient wie der übrige Kernbestand von Strukturprinzipien des Berufsbeamtentums im Sinne von Art. 33 Abs. 5 GG einer stabilen Verwaltung (vgl. BVerfGE 56, 146 <162> m.w.N.), der Gewährleistung staatlicher Aufgabenerfüllung und damit der Funktionsfähigkeit des Staates und seiner Einrichtungen. Erreicht wird dieses Ziel, das die Verfassung auch durch andere Regelungen des Art. 33 GG gewährleistet, unter anderem durch einen Beamtenapparat, dessen Arbeitsbedingungen einseitig hoheitlich festgelegt werden, dessen Arbeitskraft stets, gerade auch in Krisenzeiten, abgerufen werden kann und der sich an einem Kräftemessen mit seinem Dienstherrn beziehungsweise dem demokratisch legitimierten Gesetzgeber nicht beteiligt."

Auch die Schule muss folglich nicht als Regelfall die Verbeamtung der Lehrkräfte vorsehen - spätestens die Tätigkeit der Schulleitung ist aber als Teil der Aufsichtstätigkeit als hoheitlich zu begreifen, während die einzelne Lehrkraft in der Regel nicht schwerpunktmäßig hoheitlich geprägte Aufgaben wahrnimmt (Rn. 188) -, ist aber dennoch als Regelfall vom Staat selbst als Bildungseinrichtung zu gewährleisten, da private Schulen nach Art. 7 Abs. 4 Satz 2 GG nur als ein Ersatz für öffentliche Schulen zu begreifen sind, während eine Verbeamtung im Rahmen vorschulischer Betreuungsangebote in keinem Fall so zu regeln ist, da hier in keinem Fall hoheitliche Aufgaben geregelt werden.

Ergo: Da in den KiTas selbst in keinem Betreuungsfall hoheitliche Aufgaben erledigt werden, besteht kein sachlicher Grund, hier eine Verbeamtung vorzunehmen.

Verwaltungsgedöns

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #17331 am: 03.08.2025 22:54 »
Swen, du machst mich immer wieder sprachlos. Ich habe schon ein schlechtes Gewissen, zu so später Zeit einen solchen Beitrag ausgelöst zu haben. Du solltest wirklich mal eine Möglichkeit schaffen, dir etwas in den Hut werfen zu lassen. Du hast unglaublich viel für deine Kollegen geleistet. Ich würde sofort auf einen Spenden-Button klicken. Du bist mindestens soviel Wert, wie mein Gewerkschaftsbeitrag. Ich wünsche dir eine Gute Nacht und ziehe wie immer meinen Hut. Bevor ich einschlafe überlege ich, ob du Staatsrechtler, Verfassungsrichter oder eine KI aus der Zukunft bist...