@swen
Sofern die im Urteil Parteienfinanzierung - Absolute Obergrenze formulierten prozeduralen Anforderungen dem Grundsatz nach auf die Besoldungsgesetzgebung übertragen werden sollten, werden die Dienstherrn sehr viel schneller damit rechnen dürfen, von einer Vollstreckungsanordnung getroffen zu werden.
Swen könntest du dies für mich, sollte es kurz und knapp gehen, kurz erläutern was genau damit gemeint ist bzw was darunter zu verstehen ist. Als Mensch der Zahlen ist es manchmal nicht so einfach dies immer entsprechend zu durchdringen.
Bundi, Du darfst mich doch nicht auffordern, etwas kurz und knapp darzulegen - denn dann tue ich das natürlich mit wenigen (hunderten) Sätzen...
2015 hat das Bundesverfassungsgericht sein Prüfungsheft zur Betrachtung des
materiell angemessenen oder nicht mehr angemessenen Gehalts der gewährten Alimentation erstellt. Betrachten wir jetzt des Umfangs wegen nur die ersten drei Parameter der ersten Prüfungsstufe, also den Vergleich der Besoldungsentwicklung mit der der Tariflöhne im öffentlichen Dienst, dem Nominallohn- und dem Verbraucherpreisindex über einen Zeitraum von 15 Jahren, dann sehen wir bereits in diesem Ausschnitt ein sehr abstraktes Verfahren, um den
materiellen Gehalt der gewährten Alimentation zu prüfen. Denn wenn der indexierte Gehalt jeweils den Wert von 5,0 überschreitet, indiziert das die Vermutung einer evidenten Unteralimentation. Was aber ist dieser Wert von größer/kleiner Fünf? Er ist zunächst einmal nur eine Setzung, die bis zu einem gewissen Grad rechtsrealistisch versucht, die
materielle Dimension der gewährten Nettoalimentation im Kontext der (gesamt-)gesellschaftlichen ökonomischen Entwicklungen zu veranschaulichen. Das ist als solches wie gerade schon gesagt recht abstrakt - denn wie ist beispielsweise die Bedeutung von drei Werten wie 4,8 und 5,9 und 5,2 gegenüber einer Werteskala von 2,1 und 7,0 und 6,8 zu begreifen? Das Verfahren als solches hat einen solch abstrakten Gehalt, das jener für Menschen, die nicht täglich mit Daten und Zahlen beschäftigt sind, nur eine bedinge Klarheit offenbart, denke ich.
Dahingegen sind Juristen durch ihre entsprechende Ausbildung und ihre berufliche Erfahrung darin geschult, versprachlichte und versprachlichende Begründungskontexte aufzunehmen, darzulegen und anzuwenden. Die Begründung als der tägliche
prozedurale Gehalt ihrer Tätigkeit dürfte den meisten Richtern deutlich näher liegen als Zahlenketten, die am Ende als Indizien fungieren.
Wenn also der Bundesgesetzgeber
materiell auch noch 2020 davon ausgegangen sein wird - um's an einem weiteren Beispiel zu veranschaulichen -, dass die Mietenstufen des WoGG sachgerecht seien, um hinsichtlich des Mindestabstandsgebots die Beträge der kalten Unterkunftskosten realitätsgerecht zu bemessen, das Bundesverfassungsgericht das aber dem Gesetzgeber untersagt, da eine solche Methodik
materiell zu nicht realitätsgerechten Ergebnissen führe, dann liegt hier zunächst eine rechtlich eindeutige und eindeutig anzuwendende Direktive vor: "Dass die Auffassung der Bundesregierung, diese Methodik sei auch für die Bestimmung der Mindestalimentation heranzuziehen, nicht zutreffen kann, folgt schon daraus, dass sie in ihrer Stellungnahme die Beamten ausdrücklich auf den Wohngeldbezug verweist. Der Besoldungsgesetzgeber kann sich seiner aus dem Alimentationsprinzip ergebenden Verpflichtung aber nicht mit Blick auf Sozialleistungsansprüche entledigen; die angemessene Alimentation muss durch das Beamtengehalt selbst gewahrt werden" (Rn. 56 in der aktuellen Entscheidung).
Wenn nun die Bundesregierung im aktuellen Entwurf jene Methodik kaum modefiziert erneut und sie damit ein weiteres Mal offensichtlich sachwidrig mit Blick auf Sozialleistungsansprüche verwendet, um die kalten Unterkunftskosten zu bemessen, und also ausführt: "Daher stellt der Gesetzentwurf zur realitätsgerechten Ermittlung der Wohnkosten auf die unterschiedlichen Mietenstufen der WoGV, denen alle Kommunen entsprechend den örtlichen Verhältnissen des Mietwohnungsmarktes der Wohngeldempfängerinnen und -empfänger zugeordnet sind, ab und staffelt dementsprechend die Ergänzungszuschläge regional (§ 41 neu BBesG)" (S. 56), dann liegt hier offensichtlich kein Indiz für eine nicht sachgerechte Bemessung vor, sondern vielmehr ist zunächst einmal davon auszugehen, dass der Gesetzgeber erneut eine sachwidrige Methodik anwendet. Dafür spricht dann
materiell ebenso der Vergleich des Ergebnisses dieser Bemessungmethode mit der vom Bundesverfassungsgericht als realitätsgerecht betrachteten Methode, die kalten Unterkunftskosten anhand des 95 %-Perzentils zu bemessen. Denn der Entwurf legt am Ende kalten Unterkunftskosten in Höhe von 1.171,50 € zugrunde. Das 95 %-Perzentil der kalten Unterkunftskosten beträgt aber in Baden-Württemberg 1.247,- € (+ 6,4 %) und in Bayern 1.379,- € (+ 17,7 %). Hier hätten wir
materiell nun zwei starke Indizien dafür, dass die Bemessung im aktuellen Entwurf nicht realitätsgerecht ist.
Zusammengefasst haben wir folglich eine weitgehend fortgeführte Methodik zur Bemessung der kalten Unterkunftskosten vorliegen, die bereits vom Bundesverfassungsgericht direktiv als sachwidrig betrachtet worden ist, wofür darüber hinaus zwei weitere starke Indizien sprechen - und nun beginnt die typische Arbeit eines Gerichts: Da der Gesetzgeber nicht die identische Methodik angewandt hat, aber eine stark ähnliche, gegen die darüber hinaus zwei starke Indizien sprechen, sodass mit einer hohen Wahrscheinlichkeit davon auszugehen ist, dass die weitgehend fortgeführte Methodik
materiell zu keinen hinreichend sachgerechten Ergebnissen führt und in diesem Fall als sachwidrig zu betrachen wäre, kommt es nun offensichtlich auf die
Begründung an, wieso diese Methode und eben nicht das 95 %-Perzentil zugrunde gelegt worden ist. Nun also geht es darum, ob der Gesetzgeber die ihn treffenden
prozeduralen Anforderungen erfüllt hat, die es gestatten würden, die mit starken Zweifeln belegte Methodik doch als sachgerecht zu betrachten - nämlich in dem Fall, sofern die Begründung, wieso diese Methodik und nicht das 95 %-Perzentil sachgerecht wäre, sachlich stichhaltig wäre.
Auf der genannten S. 56 findet sich aber keine Begründung dafür, wieso die vormalige Methodik kaum modifiziert weiter angewendet wird und weshalb sie sachgerecht sein sollte, obgleich sie eine kaum modifizierte Spielart der vom Bundesverfassungsgericht als nicht sachgerecht betrachteten Methodik darstellt und obgleich zwei starke Indizien darauf hinweisen, dass sie kaum realitätsgerecht sein könnte. Auf der S. 58 wird der Betrag von 1.171,50 € noch einmal genannt, jedoch weiterhin ohne eine weitere sachliche Klärung. Auf der S. 71 wird wiederholt, dass die genannten Mietenstufen sachgerecht seien, jedoch erfolgt auch hier weiterhin keine sachliche Begründung, wieso das der Fall sein solle. Eine weitere
Begründung, wieso die auf das WoGG zurückführbare Methodik und nicht das 95 %-Perzentil verwendet worden ist, findet sich - wenn ich es richtig sehe - im Entwurf nicht.
Damit dürfte die Prüfung jener Methode zu dem Schluss kommen, dass die Bemessung weiterhin sachwidrig sein sollte: Sie verweist den Beamten weiterhin "ausdrücklich auf den Wohngeldbezug", was das Bundesverfassungsgericht als generell sachwidrig betrachtet, sie ist darüber hinaus kaum modifiziert worden und es sprechen zwei starke Indizien gegen sie.
Materiell dürfte sie folglich die vom Bundesverfassungsgericht als evident sachwidrig betrachtete Methodik ungebrochen fortsetzen, wenn das auch nicht im Letzten entschieden werden kann -
prozedural ist der Fall hingegen eindeutig (darauf wollte ich vorhin hinaus, deshalb bringe ich dieses Beispiel), nämlich dass die Bemessungsmethode trotz der sehr starken Zweifel an ihr nicht hinreichend
begründet worden ist. Denn wegen der starken Zweifel hätte nun vom Gesetzgeber eine umfassende Begründung geliefert werden müssen, wieso sie dennoch zu realitätsgerechten Ergebnissen gelangen solle. Da diese Begründung nicht geliefert wird, muss der starke sachliche Zweifel an dieser Metodik als
prozedural nicht ausgeräumt betrachtet werden. Ein anderer als dieser eindeutige Schluss ist auf Grundlage der im Entwurf gemachten Ausführungen nicht möglich.
Unabhängig davon, ob nun die Methodik sachgerecht wäre, bleibt entsprechend als Ergebnis festzustellen, dass hier die
prozeduralen Verpflichtungen vom Gesetzgeber verfehlt worden sind. Die Vielzahl solcher und weiterer sachlich nicht hinreichenden Begründungen, von denen der Gesetzentwurf nur so strotzt, sollte es - sofern das Bundesverfassungsgericht seine Ausführungen aus der Entscheidung 2 BvF 2/18 grundsätzlich auf die Besoldungsgesetzgebungsverfahren überträgt (wovon ich ausgehe) - gänzlich unerheblich machen, ob er am Ende zu einer
materiell amtsangemessenen Alimentation voranschreitet (was nicht der Fall ist, aber gar nicht mehr interessieren muss, sofern die genannte Übertragung stattfindet). Denn
prozedural ist nicht geklärt, ob der Gesetzentwurf hinreichend sachgerecht ist. Als Ergebnis ist die zweite Säule des Alimentationsprinzips nicht hinreichend aufgerichtet, sodass der Gesetzentwurf verfassungswidrig ist.
Als Ergebnis der bundesverfassungsgerichtlichen Rechtsprechung wäre der Gesetzgeber - im Extremfall, ohne dass überhaupt das materielle Prüfverfahren in Gang gesetzt worden wäre - mit einem vom Bundesverfassungsgericht versehenen Datum dazu verpflichtet, ein verfassungskonformes Reparaturgesetz zu verabschieden. Es wird ihm in diesem dann die Möglichkeit gegeben, in einem weiteren Gesetzgebungsverfahren zur Reparatur des
prozedural sachlich nicht hinreichenden und also verfassungswidrigen Begründungsverhalten voranzuschreiten.
Der langen Rede kurzer Sinn: Der Gesetzgeber könnte jetzt in diesem Reparaturgesetz kaum ein weiteres Mal evident sachwidrige Entscheidungen treffen, da er sie ein weiteres Mal nicht sachgerecht begründen könnte. Er könnte ebenso nicht darin fortfahren, offensichtlich evident sachwidrige Entscheidungen nicht hinreichend zu begründen. Denn in beiden Fällen käme ein solches Handeln in einem weitgehenden Maße einer Untätigkeit gleich. Und die forderte im zu häufig vollzogenen Wiederholungsfall dann zwangsläufig eine Vollstreckungsanordnung und zöge jene also nach sich.
Ergo: Eine Prüfung, ob die Entscheidungen im Wiederholungsfall weiterhin nicht hinreichend sachgerecht
begründet worden sind, geht sehr viel schneller und ist im Ergebnis offensichtlich(er). Von daher deutet sich in der Entscheidung 2 BvF 2/18 die nächste Achillesferse der Besoldungsgesetzgeber an. Das Bundesverfassungsgericht wird von den Besoldungsgesetzgebern faktisch fast schon genötigt, ihren weiten Entscheidungsspielraum immer weiter einzuschränken - und diese m.E. bereits vor ihnen stehende Einschränkung
prozeduraler Art dürfte eine der empfindlichsten sein, wenn ich das richtig sehe. Dabei dürften der Bundesgesetzgeber und sein aktuelles Gesetzgebungsverfahren hinsichtlich der anstehenden bundesverfassungsgerichtlichen Entscheidung noch einmal besonders vom Bundesverfassungsgericht in den Blick genommen werden oder bereits worden sein, auch wenn in jener anstehenden Entscheidung davon kein Wort in der Entscheidungsbegründung zu finden sein wird (denn dort geht es ja sachlich um die bremische Besoldung der Jahre 2013 und 2014). Denn auch dieses Gesetzgebungsverfahren des Bundes zeigt ebenfalls nur eines: Es ist dringend notwendig, die Darlegungen im Verfahren 2 BvF 2/18 im Grundsatz auf die Besoldungsgesetzgebung zu übertragen - hätte es dazu noch eines Beweises bedurft, das Bundesministerium des Innern und für Heimat hätte ihn mit diesem Entwurf erbracht.
Da vor der Entscheidung 2 BvF 2/18 bereits absehbar gewesen ist, dass es zukünftig zu weiteren Direktiven hinsichtlich der prozeduralen Pflichten des Besoldungsgesetzgebers kommen werden wird, und da das Datum jener bundesverfassungsgerichtlichen Entscheidung vom 24.01. bereits schon länger festgestanden hat, dürfte es kein so unendlich glücklicher Schachzug gewesen sein, diesen sachlich in jeder Hinsicht grotesken Gesetzentwurf am 16.01. ins Beteiligungsverfahren zu geben. Das Bundesverfassungsgericht wird auch das mit Interesse zur Kenntnis nehmen bzw. schon genommen haben. Politisch intelligente Entscheidungen sollten entsprechend wohl eher anders aussehen.