Wir beobachten als pädagogischer Dienstleister, der eng mit staatlichen Institutionen zusammenarbeitet, bereits seit dem Sanktionsmoratorium eine eindeutige Verschlechterung der Kennzahlen (Vermittlung in sozialversicherungspflichtige Beschäftigung, Teilnahmen an Sprachkursen, Aufnahme einer Ausbildung usw.) und erwarten mit dem Bürgergeld eine weitere Verschlechterung.
Es herrscht Sockelarbeitslosigkeit, wer gesund ist und arbeiten möchte bekommt in unserem Einzugsgebiet ohne jegliche notwendigen Vorkenntnisse und Qualifikationen Hilfsarbeitertätigkeiten in der Industrie mit 3.000 brutto auf die Fußmatte gelegt. Aber der Begriff Sockelarbeitslosigkeit kennzeichnet sich halt durch ein Klientel, für das das ehemalige "Fordern" eigentlich essenziell ist.
Wobei dann die spannende Frage zu stellen wäre, welcher Teil dieser Sockelarbeitslosen tatsächlich gesund ist und nur nicht arbeiten möchte. Untersuchungen des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung zeigen, dass mindestens 50% der Menschen, die längerfristig erwerbslos sind, gravierende gesundheitliche Einschränkungen haben. Hinzu kommt eine Dunkelziffer von weiteren bis zu 20%, die daraus resultiert, dass nicht offensichtliche -insbes. psychische- Erkrankungen vielfach nicht diagnostiziert und somit im Jobcenter nicht bekannt sind.
Modellprojekte wie das Bundesprogramm RehaPro zeigen, dass diese Menschen in der herkömmlichen Regelstruktur der Jobcenter nicht adäquat betreut werden (können). Gleichzeitig wird deutlich, dass durch aufwendige multiprofessionelle Betreuung die integrationshemmende Wirkung psychischer und körperlicher Erkrankungen kompensiert werden kann und die Betroffenen selbst ein hohes Interesse an der -oft freiwilligen- Teilnahme zeigen. So sind Integrationserfolge feststellbar bei Personen, die bereits seit Jahrzehnten und nicht erst durch das Sanktionsmoratorium faktisch von der gesellschaftlichen Teilhabe durch Erwerbsarbeit ausgeschlossen waren, weil nicht die passende Förder- und Betreuungsstruktur zur Verfügung steht.
25,2% der Leistungsberechtigten werden innerhalb von 12 Monaten in Erwerbstätigkeit integriert (
https://www.sgb2.info/DE/Kennzahlen/Aktuelle-Kennzahlen/aktuelle-kennzahlen.html), zählen also nicht zur „Sockelarbeitslosigkeit“. Von einer eindeutigen Verschlechterung dieser Kennzahl kann ebensowenig die Rede sein wie von einer gesicherten Erkenntnis, dies sei auf das Sanktionsmoratorium oder mangelndes Fordern zurückzuführen.
Ein weiterer erheblicher Teil, nämlich 22,8% der Leistungsberechtigten, geht bereits im individuell maximalen Umfang einer Erwerbstätigkeit nach und muss lediglich „aufstocken“, weil der Verdienst schlicht nicht zum Leben reicht. (
https://www.sozialpolitik-aktuell.de/files/sozialpolitik-aktuell/_Politikfelder/Arbeitsmarkt/Datensammlung/PDF-Dateien/abbIV81b.pdf)
Dieser Wert nimmt in der Zeitreihe seit Einführung des Mindestlohns zum Glück kontinuierlich ab.
Der Anteil der Langzeitbezieher sank um 3,8%, auch hier ist also trotz Sanktionsmoratorium ein positiver Trend erkennbar. Nur etwa 44% dieser Langzeitbezieher sind aber gleichzeitig auch arbeitslos (
https://statistik.arbeitsagentur.de/DE/Statischer-Content/Statistiken/Themen-im-Fokus/Langzeitarbeitslosigkeit/generische-Publikationen/Langzeitarbeitslosigkeit.pdf?__blob=publicationFile&v=4#page22).
Das liegt daran, dass als Langzeitbezieher neben den oben genannten Aufstockern beispielsweise auch Schüler ab 15 Jahren, Teilnehmer an Umschulungen oder Sprachkursen und weitere Gruppen zählen, die vorübergehend oder dauerhaft nicht für die Integration in Arbeit in Frage kommen.
Im Ergebnis ist festzuhalten: Egal ob ich von Leistungsberechtigten, Langzeitarbeitslosen oder Langzeitbeziehern spreche, lässt die Gesamtgröße niemals einen konkreten Schluss auf die Erwerbsmotivation zu.