Also plädierst du für einen familienstandabhängigen Mindestlohn?
Sorry, dass ich jetzt erst antworte.
Nein, ich plädiere nicht für einen familienstandsabhängigen Mindestlohn, allerdings für eine gerechtere, steuerliche Behandlung von Mehrkindfamilien. Das BVerfG hat bewusst die Nettolöhne miteinander verglichen und hier eine Unwucht festgestellt.
Absolut betrachtet, erzielen Mehrkindfamilien ein ähnlich hohes Nettoeinkommen wie kleinere Familien. Pro Kopf steht ihnen jedoch im Durchschnitt ein geringeres Einkommen zur Verfügung. Dies gilt insbesondere für Familien mit vier oder mehr minderjährigen Kindern. Diese Familien sind auch häufiger auf soziale Unterstützungsleistungen angewiesen und tragen ein höheres Armutsrisiko. Eine besondere finanzielle Belastung sehen Familien mit vier und mehr Kindern insbesondere in den Ausgaben für Lebensmittel, Mobilität, Wohnung, Kleidung sowie die Bildung der Kinder.
Das Bundesverfassungsgericht hat 1990 entschieden, dass das Existenzminimum jedes Familienmitglieds steuerfrei zu stellen ist. Unterhaltspflichten der Eltern gegenüber Kindern seien laut Urteil des Gerichts nicht mit Konsumausgaben zu vergleichen, daher müssten die Mittel, die für die Existenzsicherung der Kinder erforderlich sind, bei der Besteuerung unangetastet bleiben. Die erforderliche Freistellung erfolgt dabei entweder über den Kinderfreibetrag oder über das Kindergeld. Laut einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts von 1998 gehört jedoch nicht nur das sächliche Existenzminimum zum Bedarf eines Kindes und damit zum Kinderexistenzminimum, sondern auch die Berücksichtigung von Bildung, Erziehung und Ausbildung. Diese Rechtsprechung wurde durchaus kritisiert, führte aber letztlich zur Einführung eines entsprechenden zusätzlichen Freibetrags.
Weil die Freistellung des Existenzminimums erst mit der Steuererklärung im Folgejahr nachträglich gewährt wird, dient das Kindergeld zunächst für alle Familien als monatliche Kompensation bzw. Vorauszahlung. Das deutsche Kindergeld ist daher weniger ein Instrument zur Familienförderung, sondern vor allem zur Steuerrückerstattung. Eine tatsächliche Förderung findet nur dann statt, wenn die Höhe des erhaltenen Kindergeldes die zu erwartenden Steuernachlässe übersteigt. Der Förderanteil ist umso höher, je geringer das Einkommen der Familie ist.
„Das politische Interesse an einer Anhebung des sozialen Existenzminimums ist eher gering, denn das geltende System in Deutschland trägt dazu bei, dass dann nicht nur im Sozialrecht, sondern auch in anderen Rechtsbereichen höhere Ausgaben anfallen, bei zugleich sinkenden Steuereinnahmen.“ Dr. Maria Wersig, Professorin der Rechtswissenschaften an der Fachhochschule Dortmund AGF e.V. | Dokumentation: Methoden zur Sicherung des Kinderexistenzminimums | 27.06.2016 in Berlin
Ob für Familien das Kindergeld oder der Kinderfreibetrag günstiger ist, prüft das jeweils zuständige Finanzamt bei der Jahressteuererklärung. Dabei wird die Summe des gezahlten Kindergeldes der möglichen Steuerersparnis bei Anwendung des Kinderfreibetrags gegenüber gestellt. Für die Mehrheit der Familien ist die Auszahlung des Kindergeldes günstiger, da ihre Steuerersparnis aufgrund des relativ niedrigen Einkommens nur eine geringe Höhe erreicht.
Wenn allerdings im Sozialrecht bereits ein Existenzminimum definiert wurde, dann darf das steuerliche Existenzminimum nicht dahinter zurückstehen. Der sozialrechtliche Mindestbedarf, also das unterste Netz der sozialen Sicherung, ist demnach auch die Maßgröße für die Freistellung im Steuerrecht. Wenn man also nicht nur den Grundbedarf, sondern auch die anteiligen Wohnkosten mitrechnet, wird das aktuelle Steuerrecht dem zumindest bei Mehrkindfamilien nicht mehr gerecht. Daraus entsteht jedoch ein politisches Problem: Die Erhöhung des Kinderfreibetrages würde sinkende Steuereinnahmen nach sich ziehen.
In Frankreich gibt es beispielsweise ein Familientarifsplitting. Dabei wird das zu versteuernde Einkommen der Familie durch die Anzahl der Familienmitglieder geteilt. Das dritte und jedes weitere Kind wird mit dem Faktor 1,0 doppelt so stark berücksichtigt wie das erste und zweite Kind (jeweils 0,5). Die Steuerminderung pro Kind ist jedoch gedeckelt auf einen maximalen Betrag von rund 2.000 Euro pro Kind, d.h., jedes Kind vermindert die Steuerschuld maximal um diesen Betrag.
Ich bin davon überzeugt, dass mit einer gerechteren Besteuerung (bpsw. nach dem Vorbild Frankreichs) des Einkommens bei Mehrkindfamilien das Armutsrisiko dieser Gruppe generell gemindert werden könnte und es keine extrem hohen Familienzuschläge mehr bräuchte, um in der Gruppe der kinderreichen Beamten eine verfassungsmäßige Besoldung zu garantieren.
Um jedoch das Steuerrecht zu verändern, bedürfte es eine Änderung des Bundesgesetzgeber, auf die die Länder und Kommunen nur begrenzt Einfluss haben.