Ich halte es für sinnvoll und gut, dass der Landesverband Schleswig-Holstein nun eine Verzögerungsrüge auf den Weg gebracht hat, um damit den Interessen seiner Mitglieder zu dienen. Der formelle Weg sieht nun wie folgt aus:
Eine Verzögerungsrüge kann nach § 97b Abs. 1 BVerfGG nur eingelegt werden, wenn mindestens eine Wartezeit von einem Jahr nach Eingang des Normenkontrollverfahrens vergangen ist (
https://www.gesetze-im-internet.de/bverfgg/__97b.html). Da das Normenkontrollverfahren 2 BvL 13/18 seit 2018 in Karlsruhe anhängig ist, ist die Wartezeit erfüllt. Zugleich bedarf es aber im Sinne der gerade genannten Norm keiner Bescheidung über einer Verzögerungsrüge. Frühestens nach einer Anschlusszeit von sechs Monate nach Erhebung der Verzögerungsrüge kann dann nach § 97b Abs. 2 BVerfGG eine Verzögerungsbeschwerde erhoben werden. Den Beschwerdeführer treffen dann weiterhin die Begründungs- und Substantiierungslasten, sodass man davon ausgehen kann - schätze ich -, dass der dbb-SH schon heute mit den Vorarbeiten für die Verzögerungsbeschwerde beginnen wird, um dann im Verlauf des Sommers nachzustoßen und eben Verzögerungsbeschwerde zu erheben, nachdem er nun zunächst einmal seine Verzögerungsrüge begründet hat.
In der Begründung ist besonders in den Blick zu nehmen, dass sich der Kläger bei Richtervorlagen bislang nicht zur subjektiven Bedeutung der Verfahrenslänge geäußert hat, da er sich ja nicht an das Bundesverfassungsgericht gewendet hat, sondern eben die jeweilige verwaltungsgerichtliche Kammer. Der dbb-SH hat sich also schon heute - sicherlich nach einiger Vorarbeit - in der Pflicht gesehen, die Umstände, die die Unangemessenheit der Verfahrensdauer begründen, dergestalten darzulegen, dass sich für den Senat ein vollständiges Bild jener Umstände ergibt (vgl.
Maciejewski, in: Burkiczak (Hrsg.), BVerfGG, 2. Aufl. 2022, § 97b, Rn. 11). Hier nun finden sich dann im Besonderen die Begründungs- und Substantiierungslasten. Denn die Umstände, die die Unangemessenheit der Verfahrensdauer begründen, sind insbesondere dann umfangreicher darzulegen, wenn sich die subjektive Bedeutung des Beschwerdeführers daraus ergibt, dass Gegenstand des Verfahrens laufende Geldleistungen sind, die der Beschwerdeführer zur Finanzierung seines Lebensunterhalts benötigt (Rn. 12). Das ist hier nun offensichtlich der Fall. Durch die Verzögerungsrüge sieht sich der Berichterstatter nun veranlasst, in Reaktion auf die Verzögerungsrüge das Verfahren entscheidend voranzutreiben (Rn. 19). Auch deshalb gibt es die genannte Wartefrist von sechs Monaten zwischen Verzögerungsrüge und Verzögerungsbeschwerde; diese Wartezeit gibt dem Bundesverfassungsgericht Gelegenheit, im zeitlich vorangetriebenen Verfahren zu einer Entscheidung zu gelangen.
Im Brandenburger Fall hat der Beschwerdeführer am 31.03.2022 die Dauer des Normenkontrollverfahrens gerügt und am 30.03.2023 moniert, dass das Vorlageverfahren weiterhin nicht in der Jahresvorschau angekündigt worden sei, um nach einer zwischenzeitlichen Antwort des Bundesverfassungsgerichts schließlich am 07.06.2023 Verzögerungsbeschwerde erhoben zu haben, über die Beschwerdekammer am 21.12.2023 entschieden hat, also rund ein halbes Jahr, nachdem die Beschwerde erhoben worden ist (
https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2023/12/vb20231221_vz000323.html).
Auch diese Verzögerungsbeschwerde war nach § 97b Abs. 2 nicht nur schriftlich einzulegen, sondern - gleichzeitig - zu begründen. Realistisch und rational betrachtet, wird der Zweite Senat nun auch in diesem Fall aus Schleswig-Holstein durch die Warnfunktion der Verzögerungsrüge darauf aufmerksam gemacht worden sein, dass er im Verlauf des Jahres mit einiger Wahrscheinlichkeit sich einer schleswig-holsteinischen Verzögerungsbeschwerde gegenübersehen werden dürfte. Nach der Erhebung der Verzögerungsbeschwerde sieht sich der Berichterstatter dann nach § 97d Abs. 1 in der Regel binnen Monatsfrist nach Eingang der Begründung veranlasst, Stellung zu nehmen. Diese Stellungnahme ist dem Beschwerdeführer zur Kenntnis zu geben (
Maciejewski, in: Burkiczak (Hrsg.), BVerfGG, 2. Aufl. 2022, § 97d, Rn. 4).
Der langen Rede kurzer Sinn: Der Senat wird nun vor Augen haben, dass er wohl damit rechnen darf, sich im Verlauf des Sommers mit einer weiteren Verzögerungsbeschwerde konfrontiert zu sehen. Sofern BVR Maidowski dann noch als Berichterstatter tätig sein sollte, sollte er binnen Monatsfrist eine entsprechende Stellungnahme erstellen, die daraufhin auch dem Beschwerdeführer zur Kenntnis gegeben werden müsste, also rund eindreiviertel Jahre nach der genannten brandenburgischen Entscheidung; ist BVR Maidowski dann nicht mehr der Berichterstatter, würde sich der dann als Berichterstatter fungierende BVR in der entsprechenden Pflicht sehen. Bis etwa Jahresbeginn 2026 müsste dann die Beschwerdekammer der Beschwerde stattgeben oder sie zurückweisen. Gäbe die Beschwerekammer der Beschwerde statt, wäre als Rechtsfolge § 97a Abs. 2 Sätze 2 bis 4 in Anwendung zu bringen, die da lauten: "Hierfür kann Entschädigung nur beansprucht werden, soweit nicht nach den Umständen des Einzelfalles Wiedergutmachung auf andere Weise, insbesondere durch die Feststellung der Unangemessenheit der Verfahrensdauer, ausreichend ist. Die Entschädigung gemäß Satz 2 beträgt 1 200 Euro für jedes Jahr der Verzögerung. Ist der Betrag gemäß Satz 3 nach den Umständen des Einzelfalles unbillig, kann das Bundesverfassungsgericht einen höheren oder niedrigeren Betrag festsetzen." Wiese sie die Beschwerde zurück, wäre innerstaatlich der Rechtsweg ausgeschöpft, da die Entscheidung unanfechtbar ist. Es stände dann allerdings weiterhin der Weg zur Anrufung des EGMR frei.
Dabei ist weiterhin damit zu rechnen, dass Karlsruhe sich bis auf Weiteres nicht offiziell dazu äußern wird, wie man in diesem Fall weiter vorgehen wird. Gegebenenfalls dürfte es nicht unwahrscheinlich sein, dass wir im nächsten Monat Schleswig-Holstein nun wieder in der Jahresvorschau 2025 (wie schon 2023) wiederfinden werden; das wäre zumindest allein schon aus eigenem Interesse des Senats zu erwarten, da man in der ggf. zu erstellenden Begründung über die zu erwartende Verzögerungsbeschwerde dann darauf verweisen könnte - anders als 2023 hinsichtlich der brandenburgischen Vorlage -, dass eine Entscheidung in absehbarer Zeit in Aussicht gestellt werden wird. Darauf könnte der Berichterstatter dann in einer ggf. von ihm zu erstellenden Stellungnahme verweisen - das würde aber nur dann sachlich Sinn ergeben, wenn man nun tatsächlich an der Beschleunigung des oder der anhängigen schleswig-holsteinischen Verfahren arbeiten würde. Denn hierbei bleibt zugleich zu bedenken, dass neben dem Verfahren 2 BvL 13/18 ebenfalls noch die Verfahren 2 Bvl 4/21 anhängig sind, die den gleichen Betrachtungszeitraum 2007 umfassen und also alsbald seit rund vier Jahren einer Entscheidung harren; auch liegt noch die Verfassungsbeschwerde 2 BvR 2217/23 aus dem Jahr 2023 über die Regelung des Familienergänzungszuschlags im Jahr 2022 vor.
Zugleich dürfte es m.E. wahrscheinlich sein - nicht umsonst liegt hierin ja der zentrale Zweck einer Verzögerungsrüge -, dass der Senat nun die Dringlichkeit einer Entscheidung auch im eigenen Sinne erkennt. Je nachdem, wie weit man im Verlauf des Jahres 2023 bereits vorangeschritten war und seitdem ggf. weiterhin tätig geworden ist, sollte es für den Senat nun ggf. angetan sein, die nach der Entscheidung über die "Pilotverfahren" angekündigte Beschleunigung der weiteren Verfahren - gerade als Folge der "Pilotverfahren" - dann zunächst einmal hinsichtlich Schleswig-Holstein in die Tat umzusetzen. Denn sofern nun jene Verfahren beschleunigt werden und also binnen Jahresfrist eine Entscheidung finden sollten, wäre eine Verzögerungsbeschwerde gegenstandslos.
Ergo: Je einiger sich der Senat in der Begründung seiner Entscheidung in den angekündigten "Pilotverfahren" zeigt, desto schneller sollten wir diese Entscheidung vorfinden, desto wahrscheinlicher dürfte es sein, dass es einer Entscheidung über die sich abzeichnende Verzögerungsbeschwerde aus Schleswig-Holstein nicht mehr bedürfte, da man dass Verfahren 2 BvL 13/18 nun zuvor abschlösse. Je länger nun der Senat benötigt - aus welchen Gründen auch immer -, um zu einer Entscheidung über die "Pilotverfahren" zu gelangen, mit desto größerer Wahrscheinlichkeit müsste er sich einer Entscheidung der zuständigen Beschwerdekammer gegenübersehen, die wiederum - wie gerade dargestellt - einiges Aufsehen erregen dürfte, würde die Kammer der Beschwerde stattgeben, und die andererseits, würde sie sie zurückweisen, wohl das EGMR auf den Plan rufen sollte (wobei jenes allerdings gleichfalls nicht sogleich drei Tage nach Klageeingang entscheiden dürfte). Weder das eine noch das anderen dürfte im Interesse des Bundesverfassungsgerichts als Ganze liegen, so ist zu vermuten.