@ Nordlicht
Auf den ersten Blick scheint das so, also dass alle anderen Besoldungsgesetzgeber sagen könnten, was schert mich, dass nun das Land xy von einer Vollstreckungsanordnung betroffen ist. Aber in dem Moment, wo das passiert, haben wir politisch wieder den Fall der normativen Kraft des Faktischen (ich zähle jetzt einfach mal auf, was hoffentlich nicht oberlehrerhaft rüberkommt):
Erstens liegen mittlerweile weit über 40 Vorlagenbeschlüsse aus mehr als der Hälfte der Rechtskreise vor. Es sollte sich also, wenn das Bundesverfassungsgericht das scharfe Schwert zieht, keiner mehr allzu sicher sein können, dass er nicht alsbald der nächste oder übernächste ist.
Zweitens dürfte es wahrscheinlich sein, dass das Bundesverfassungsgericht mit der anstehenden bremischen Entscheidung seine seit 2012 neugefasste Besoldungsdogmatik faktisch abschließen wird. Auf dieser Grundlage können dann insbesondere über die beiden Abstandsgebote sämtliche Besoldungsgesetze der letzten über 15 Jahre als verfassungswidrig betrachtet werden, was den Erfüllungsaufwand für die materielle Bemessung von Vollstreckungen deutlich erleichtert. Ich gehe davon aus, dass es nach der bremischen Entscheidung wegen der dann m.E. faktisch abgeschlossenen neuen Dogmatik zu zeitlich schnelleren bundesverfassungsgerichtlichen Entscheidungen kommt, nicht zuletzt, um auch den verfassungsrechtlich garantierten Rechsschutz zu garantieren, aber vor allem, da dann eine abgeschlossene Dogmatik zur Anwendung gebracht werden kann, was die Rechtsprechung deutlich erleichtert. Die schnellere Folge wird deutlichen Druck auf die Besoldungsgesetzgeber ausüben.
Drittens dürfte das Bundesverfassungsgericht, vermute ich begründet (hierzu erscheint im nächsten Frühjahr ein Beitrag in der ZBR, der also dieser Frage en passant nachgeht), sich gezielt die Bremer Vorlagen ausgewählt haben - und von daher dürfte es zukünftig ebenso nach der ersten Vollstreckunsanordnung ggf. recht bald über die Gesetze jener Rechtskreise, die sich weiterhin einer amtsangemessenen Alimentation entziehen wollten, ebenfalls gezielt eine Vollstreckungsanordnung erlassen - mit zumindest Sachsen, Berlin, Baden-Württemberg, Niedersachsen und neuerdings wohl auch Bremen stehen hier ja mehrere Kandidaten zur Verfügung. Das Bundesverfassungsgericht hat offensichtlich wenig Interesse an einer sich immer weiter zuspitzenden Verfassungskrise - und mit der höchstwahrscheinlich nun bald abgeschlossenen neuen Dogmatik hat es auch die Handhabe, sie rechtlich wieder einzudämmen. Folgte nach der ersten, eine zweite oder gar dritte Vollstreckungsanordnung, würde das den Druck auf alle anderen Gesetzgeber noch einmal erhöhen.
Viertens verschafft sich jener Dienstherr, der wieder amtsangemessen alimentierte, zwar für ihn negativ einen schönen neuen Kostenposten (alte Kostenposten rosten nicht), aber als offensichtlichen Vorteil einen gewaltigen Attraktivitätsgewinn nicht nur gegenüber den Nachbarländern. Denn als Folge wird jener Dienstherr wieder deutlich mehr qualifiziertes Personal gewinnen können (das dürfte einer der Gründe sein für Hessens aktuelle Werbemaßnahme, der Thüringen nun folgt; in Hessen dürfte darüber hinaus vielleicht manche etwas helleren Köpfe als in den gerade genannten anderen Ländern verstanden haben, dass es bis zu einem gewissen Grade ebenfalls von einer Vollstreckungsanordnung bedroht sein könne; wenn auch dort die Gefahr zurzeit noch, wenn ich das richtig sehe, geringer sein sollte als in den anderen genannten Ländern). Als Folge werden andere Dienstherrn mehr oder minder gezwungnermaßen ebenfalls ein Interesse haben, wieder eine höhere Alimentation zu gewähren (was nicht hieße, dass sie sogleich zu einer amtsangemessenen Alimentation zurückkehren wollten). Das Stichwort wäre hier: Konkurrenzföderalismus. Sobald der höchstwahrscheinlich unabgesprochen abgesprochene konzertierte Verfassungsbruch an einer Stelle endet, wird sich die Sachlage ändern und es sollte deutlich wahrscheinlicher werden, dass nun diesbezüglich die Konkurrenz wieder deutlich stärker zum Tragen kommt - denn in allen 17 Besoldungsrechtskreisen ist schon heute und wird zukünftig nur noch stärker der Fachkräftemangel deutlich spürbar.
Ulrich Battis' Aufgabe aller diplomatischen Zurückhaltung sollten die Dienstherrn nicht auf die leichte Schulter nehmen, denke ich. Denn es ist ein Signal, wenn ein so renommierter Verfassungs- und Besoldungsrechtler sich so deutlich äußert - er wird entsprechend mit seinen Ansichten eher nicht allein in den Rechtswissenschaften stehen. Auf die Politik gewendet, es steht ihr ggf. einiges Ungemach ins Haus, und zwar mehr politischer als juristischer Art. Nicht umsonst wittern die Medien nun bereits verstärkt, dass hier ein interessantes Thema vorzufinden ist - auch dieser Teil des Themas (Nummer fünf meiner Aufzählung: die Attraktrivität des Themas für die Medien) wird kaum mehr so ohne Weiteres enden, insbesondere, wenn es weitere bundesverfassungsgerichtliche Entscheidungen gibt.
Der langen Rede kurzer Sinn: Die Besoldungsgesetzgeber haben nach 2020 den Bogen nun endgültig völlig überspannt - nun wird langsam die Zeit beginnen, in der sie dafür zahlen werden: politisch und nach und nach auch alimentativ, denke ich. Da das absehbar war, wird's nun bald wieder keiner gewesen sein wollen - auch das dürfte zu einem sich ausbildenden politischen Bewusstseinswandel führen, der uns in den nächsten Monaten noch das eine oder andere Schauspiel liefern wird und von daher für die Medien interessant ist (Medien lieben Themen, die sich personalisieren lassen, was hier der Fall ist) - was nicht heißt, dass morgen die heile Besoldungswelt in Deutschland ausbrechen wird; aber mit der Friedhofsruhe wird es vielleicht schon jetzt, spätestens wohl nach der nächsten bundesverfassungsgerichtlichen Entscheidung eher vorbeisein, und nach einer Vollstreckungsanordnung dürfte medial ein Tsunami auf die betroffenen Politiker zulaufen.
@ Finanzer
Ja, nur über beklagte Fälle kann ein Gericht entscheiden - und zugleich ist von den Gerichten (wie ich vorhin schon geschrieben habe) die strikte Akzessorietät zu beachten. Zugleich liegt aber heute bereits mit der Kategorie der Mindestbesoldung ein indizieller Parameter vor, mit dessen Hilfe - sofern das Bundesverfassungsgericht ihn in der nächsten Entscheidung sachlich noch deutlicher bestimmt - der Grad der Verletztheit einer Besoldungsordnung recht genau ermittelbar ist. Darüber hinaus verweisen schon heute beide Abstandsgebote so stark aufeinander, dass von ihnen ausgehend - vergangenheitsbezogen - offensichtlich klare Nachzahlungsregelungen recht problemlos erstellt werden könnten, denke ich, und zwar für alle Besoldungsordnungen und in ihnen für alle Besoldungsgruppen und Erfahrungsstufen: Denn die Systematik in den noch bestehenden Besoldungsgruppen dürfte als solche nicht verfassungswidrig sein; von daher dürfte es problemlos entscheidbar sein, ausgehend von der Mindestalimentation auf Grundlage gegebener Abstände Nachzahlungsforderungen zu erheben - das nun würde deutlich teurer, als wenn die Besoldungsgesetzgeber ihren heute deutlich eingeschränkten weiten Entscheidungsspielraum nutzten, um selbst zu gerichtsfesten Regelungen zu kommen. Um also bis hierher zu gelangen, bedarf es nicht mehr allzu vieler bundesverfassungsgerichtlicher Direktiven, da - wie schon gesagt - die neue Besoldungsdogmatik, wenn ich das richtig sehe, praktisch weitgehend abgeschlossen ist. Und dabei ist allerdings in Rechnung zu stellen, dass nicht zuletzt in Hamburg, Thüringen und auch in Berlin in letzter Zeit die Widerspruchszahlen deutlich gestiegen sind, als das Thema auch medial präsenter wurde und ebenso die Gewerkschaften und Verbände angefangen haben, größere Präsenz zu gewinnen - wenn also das Bundesverfassungsgericht als übernächste Entscheidung Berlin aufrufen würde, wäre ich mir als Senat von Berlin nicht mehr so sicher, dass der § 35 BVerfGG niemals zur Anwendung käme. Und entsprechend dürften zugleich nun in allen Rechtskreisen nach und nach die Widerspruchszahlen deutlich steigen - eben weil das Thema nun langsam medial bekannter wird, schätze ich, und weil in verschiedenen Rechtskreisen Gewerkschaften und Verbände ebenfalls reger werden.