Autor Thema: [Allg] Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)  (Read 2715677 times)

NordWest

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Antw:[Allg] Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #4425 am: 19.06.2023 14:25 »
Nehmen wir an, die Familienzuschläge mit der Anrechnung des Ehegattengehalts (fiktiv) werden Gesetz. Ist es dann nicht so, dass durch Heirat das Gehalt sinken kann?

Ja, das kann passieren. Und durch Tod des Partners oder Scheidung stiege es dann wieder. Völlig absurd.

OpaJürgen

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Antw:[Allg] Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #4426 am: 19.06.2023 18:15 »
Das VG Berlin hat am 16. Juni die R1/R2-Besoldung für die Jahre 2016/2017 als „evident unzureichend“ bezeichnet und die Verfahren dem BVerfG vorgelegt. Für die Jahre 2018-2021 hat es die Besoldung hingegen zwar als zu niedrig, aber in einer Gesamtschau nicht als „evident unzureichend“ angesehen und die diesbezüglichen Klagen abgewiesen:

https://www.lto.de/persistent/a_id/52027/

Letzteres ist ja leider schon ein gewisser Dämpfer…

Ozymandias

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Antw:[Allg] Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #4427 am: 19.06.2023 19:42 »
Ooof, einfache Verwaltungsgerichte sind aber auch nicht gerade für wegweisende Urteile bekannt. Da hockt auch nur ein Richter mit 2 Schöffen.

Leider sind die Beschlüsse noch nicht veröffentlicht. Evtl. wären die Klagen mit der kommenden BVerfG-Rechtsprechung anders entschieden worden. Ein teurer Nachteil, wenn zu früh entschieden wird, hilft nur noch Berufung.

Mal gucken was die jungs von https://www.berliner-besoldung.de/ dazu sagen werden.

SwenTanortsch

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Antw:[Allg] Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #4428 am: 19.06.2023 19:51 »
Ich würde erst einmal die Begründung des Gerichts abwarten, die augenscheinlich noch nicht veröffentlicht ist, bevor ich zu enttäuscht oder verunsichert wäre, Opa. Denn erst, wenn sie vorliegt, können wir die Fälle als solche hinreichend betrachten. Zunächst einmal hat das VG nach der Pressemitteilung festgestellt, dass das Mindestabstandsgebot evident verletzt ist, was auch nicht anders zu erwarten wäre: "In den Jahren 2018 bis 2021 sei die Richterbesoldung dagegen nicht verfassungswidrig gewesen. Zwar werde weiterhin der Mindestabstand der untersten Besoldungsgruppe zum Grundsicherungsniveau deutlich unterschritten, allerdings lasse eine Gesamtabwägung aller alimentationsrelevanten Kriterien die Besoldung nicht als evident zu niedrig erscheinen." (https://www.berlin.de/gerichte/verwaltungsgericht/presse/pressemitteilungen/2023/pressemitteilung.1335853.php).

Da die Verletzung des Mindestabstandsgebots den vom absoluten Alimentationsschutz umfassten Gehalt der von der Verletzung betroffenen Besoldungsgruppen tangiert, führt sie hier zwangsläufig zur Verfassungswidrigkeit der Norm. Entsprechend führt das Bundesverfassungsgericht aus:

"Wird bei der zur Prüfung gestellten Besoldungsgruppe der Mindestabstand zur Grundsicherung für Arbeitsuchende nicht eingehalten, liegt allein hierin eine Verletzung des Alimentationsprinzips. Hinsichtlich der Verfassungsmäßigkeit der Alimentation einer höheren Besoldungsgruppe, bei der das Mindestabstandsgebot selbst gewahrt ist, lässt sich eine solche Schlussfolgerung nicht ohne Weiteres ziehen. Eine Verletzung des Mindestabstandsgebots betrifft aber insofern das gesamte Besoldungsgefüge, als sich der vom Besoldungsgesetzgeber selbst gesetzte Ausgangspunkt für die Besoldungsstaffelung als fehlerhaft erweist. Das für das Verhältnis zwischen den Besoldungsgruppen geltende Abstandsgebot zwingt den Gesetzgeber dazu, bei der Ausgestaltung der Besoldung ein Gesamtkonzept zu verfolgen, das die Besoldungsgruppen und Besoldungsordnungen zueinander in Verhältnis setzt und abhängig voneinander aufbaut. Erweist sich die Grundlage dieses Gesamtkonzepts als verfassungswidrig, weil für die unterste(n) Besoldungsgruppe(n) die Anforderungen des Mindestabstandsgebots missachtet wurden, wird der Ausgangspunkt für die darauf aufbauende Stufung in Frage gestellt. Der Besoldungsgesetzgeber ist danach gehalten, eine neue konsistente Besoldungssystematik mit einem anderen Ausgangspunkt zu bestimmen." (Rn. 48 der aktuellen Entscheidung; Hervorhebung durch mich)

Da die betrachtete R-Besoldung nicht unterhalb der Mindestalimentation liegen dürfte, hat das VG offensichtlich hier keine Verfassungswidrigkeit der Norm erkannt, da es höchstwahrscheinlich keine eigenständigen Schlussfolgerungen aus den relativen Alimentationsschutz auf Grundlage des Abstandsgebots zwischen verschiedenen Besoldungsgruppen gezogen hat (was m.E. schon heute auf Grundlage der vorliegenden Direktiven möglich wäre). Höchstwahrscheinlich wird es gleichfalls keine tiefergehende Gesamtbetrachtung als Folge der Betrachtung der ersten Prüfungsstufe vollzogen haben. Denn sobald man hier über die vereinfachten Berechnungen hinausgehend "Spitzausrechnungen" vornimmt, dürfte sich m.E. für die betrachteten Jahre die Vermutung einer verfassungswidrigen Unteralimentation auch der höheren Besoldungsgruppen begründen lassen, denke ich. Von diesem ihm offensichtlich zur Verfügung stehenden Mittel hat das VG höchstwahrscheinlich keinen umfangereicheren Gebrauch gemacht, vermute ich, obgleich ihm das Bundesverfassungsgericht in der Rn. 164 ff. der aktuellen Entscheidung entsprechende Mögichkeiten gelassen hat. Von daher dürfte es dann die betrachtete R-Besoldung augenscheinlich als nicht evident unzureichend betrachtet, aber wegen der allgemeinen Bedeutung die Berufung zugelassen haben, wie das die o.g. Pressemitteilung ausführt: "Da nur das Bundesverfassungsgericht verbindlich die Verfassungswidrigkeit der gesetzlich geregelten Berliner R-Besoldung feststellen kann, hat das Gericht diese Frage für die Jahre 2016 und 2017 dem Bundesverfassungsgericht vorgelegt. Gegen die Abweisung der Klagen in Bezug auf die Jahre 2018 bis 2021 kann Antrag auf Zulassung der Berufung zum Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg gestellt werden."

Das Ergebnis ist für die betreffenden Kläger der Jahre 2018 bis 2021 ärgerlich und sicherlich enttäuschend, weil sie nun den weiteren Rechtsweg beschreiten müssen - langfristig dürfte die Entscheidung aber auch ein Gutes haben, nämlich dem Bundesverfassungsgericht die Möglichkeit geben, direktiv eindeutige Folgerungen aus einem eklatant verletzten Mindestabstandsgebot auch für die Fälle zu ziehen, deren Besoldung nicht unterhalb der Mindestalimentation liegt, nämlich spätestens, sobald es sich mit diesen Fällen zu beschäftigen hat - mit hoher Wahrscheinlichkeit dürften entsprechende Ausführungen bereits in der anstehenden Entscheidung zu finden sein, da auch hier mehrere Fälle zu betrachten sein werden, in denen die höherwertigen Besoldungsgruppen oberhalb der Mindestalimentation liegen, diese aber evident von unteren Besoldungsgruppen nicht erreicht wird. Letztlich bedarf es eine Methodik, die Rückschlüsse auf die Wahrscheinlichkeit einer verfassungswidrigen Unteralimentation höherer Besoldungsgruppen zulässt und die darüber hinaus die Frage klärt, welche konkreten prozeduralen Pflichten den Gesetzgeber treffen, wenn er im Gesetzgebungsverfahren eine Verletzung des Mindestabstandsgebots identifiziert. Um genau solche Fälle zu vermeiden, die für die Betroffenen weitere aufwändige Verfahrensschritte und die für die weiteren Instanzen gleichfalls gehörige Mehrarbeit bedeuten, sollte es wahrscheinlich sein, dass das Bundesverfassungsgericht in den anstehenden Entscheidungen methodisch für weitere Klarheit sorgen wird.

Mal schauen, wann das VG seine Entscheidungsbegründung veröffentlicht. Es dürfte interessant sein, sie im einzelnen zu betrachten.

OpaJürgen

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Antw:[Allg] Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #4429 am: 19.06.2023 20:41 »
Ich denke auch, Ozymandias, dass die das sicherlich nicht unkommentiert lassen ;)

Und dank dir für die raschen und instruktiven Ausführungen, Swen, das beruhigt ein wenig, ich war dann doch erstmal durchaus besorgt, ob man bei dem Thema Besoldung vielleicht doch zu große Hoffnungen hatte. Die Veröffentlichung der Entscheidung bringt in der Tat wohl erst die für die Einordnung notwendigen tiefergehenden Erkenntnisse und ich hoffe natürlich, dass du damit recht behältst, dass das VG insofern in der vorgenommenen Gesamtbetrachtung hinter dem ihm eigentlich zur Verfügung stehenden Mitteln zurückgeblieben ist. Es wird insofern spannend, ob das OVG-BB die Berufung zulässt (das VG selbst hat es ja nicht getan), die Voraussetzungen dafür sind ja relativ eng und wirklich interessant wird es sicherlich eh erst mit den anstehenden BVerfG-Entscheidungen, die wären doch eigentlich ideal fürs Sommerloch :)


SwenTanortsch

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Antw:[Allg] Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #4430 am: 19.06.2023 23:02 »
Gern geschehen, Opa. Zugleich enthält die Pressemitteilung auf jeden Fall eine zwar erwartbare, aber doch ebenso gute Nachricht, nämlich den Entscheidungszeitraum betreffend, der in den zurückgewiesenen Klagen die Jahre 2018 bis 2021 umfasst. Damit, dass ebenfalls das Jahr 2021 betrachtet und für dieses ebenso die deutliche Verletzung des Mindestabstandsgebots festgestellt wird, wird bestätigt, was umfassend bereits 2021 nachgewiesen worden ist, nämlich dass das Abgeordnetenhaus mit seiner einstimmigen Verabschiedung des BerlBVAnpG 2021 die ihm vergangenheitsbezogen vom Bundesverfassungsgericht aufgetragenen Verpflichtungen materiell weiterhin nicht hinreichend nachgekommen ist (vgl. https://www.berliner-besoldung.de/wp-content/uploads/2021/01/Untersuchung-von-BerlBVAnpG-2021-24.01.21.pdf und https://www.berliner-besoldung.de/wp-content/uploads/2021/07/Zum-Besoldungsniveau-der-Berliner-Landesbeamten.pdf). Damit ist gerichtlicherseits festgestellt, dass die vom Abgeordnetenhaus vollzogenen Bemessungen evident sachwidrig gewesen sind. Der Besoldungsgesetzgeber hat sich damit ein weiteres Mal, dieses Mal im direkten Gefolge der ihn betreffenden bundesverfassungsgerichtlichen Entscheidung, nicht an diese gebunden gesehen, indem er willkürlich Bemessungsverfahren verwendet hat, die zu keinen realitätsgerechten Ergebnissen gelangten. Dies wird zwar für die beim Bundesverfassungsgericht anhängigen Verfahren zur Berliner A-Besoldung formal keine Rolle spielen; das Bundesverfassungsgericht dürfte die vom Abgeordnetenhaus 2021 vollzogenen Entscheidungen aber sicherlich ebenfalls zur Kenntnis nehmen, auch wenn das VG hier keine Vorlagebeschlüsse vollzogen hat.

Sofern es vor dem OVG zur Berufungsverhandlung kommen sollte, wird das sicherlich nicht schon im Sommer geschehen, Opa, denke ich. Denn der Aufwand wird sowohl klägerseits als auch vonseiten des Gerichts wie meistens in diesen Fällen als erheblich erwartbar sein. Zugleich hat das OVG ein weiteres Mal nur zwei prinzipielle Entscheidungsmöglichkeiten: Es folgte dem Vorlagebeschluss und kommt - jahresweise - zum selben Ergebnis /es kann natürlich ebenso für einzelne Jahre zu unterschiedlichen Ergebnissen gelangen). Dann würde es die Klage zurückweisen, aber sicherlich die Revision zulassen, die dann vom Bundesverwaltungsgericht verhandelt werden würde; oder es folgte ihm nicht und würde die Alimentation der Jahre 2018 bis 2021 als verfassungswidrig erkennen, sodass es dann einen Vorlagebeschluss formulieren würde. So oder so wird es aber noch recht lange dauern, bis in diesen Fällen eine rechtskräftige Entscheidung vorliegen wird - darin und in dem damit verbundenen Arbeits-, Nerven- und nicht zuletzt auch finanziellen Aufwand sollte vor allem die Enttäuschung der Kläger zu finden sein.

Nun gut, nun warten wir erst einmal die Entscheidungsbegründung ab.

Ozymandias

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Antw:[Allg] Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #4431 am: 20.06.2023 11:55 »
BVerfG, Beschluss vom 4. Mai 2020 – 2 BvL 4/18  Rn. 48

Zitat
(2) Wird bei der zur Prüfung gestellten Besoldungsgruppe der Mindestabstand zur Grundsicherung für Arbeitsuchende nicht eingehalten, liegt allein hierin eine Verletzung des Alimentationsprinzips. Hinsichtlich der Verfassungsmäßigkeit der Alimentation einer höheren Besoldungsgruppe, bei der das Mindestabstandsgebot selbst gewahrt ist, lässt sich eine solche Schlussfolgerung nicht ohne Weiteres ziehen. Eine Verletzung des Mindestabstandsgebots betrifft aber insofern das gesamte Besoldungsgefüge, als sich der vom Besoldungsgesetzgeber selbst gesetzte Ausgangspunkt für die Besoldungsstaffelung als fehlerhaft erweist. Das für das Verhältnis zwischen den Besoldungsgruppen geltende Abstandsgebot zwingt den Gesetzgeber dazu, bei der Ausgestaltung der Besoldung ein Gesamtkonzept zu verfolgen, das die Besoldungsgruppen und Besoldungsordnungen zueinander in Verhältnis setzt und abhängig voneinander aufbaut. Erweist sich die Grundlage dieses Gesamtkonzepts als verfassungswidrig, weil für die unterste(n) Besoldungsgruppe(n) die Anforderungen des Mindestabstandsgebots missachtet wurden, wird der Ausgangspunkt für die darauf aufbauende Stufung in Frage gestellt. Der Besoldungsgesetzgeber ist danach gehalten, eine neue konsistente Besoldungssystematik mit einem anderen Ausgangspunkt zu bestimmen.

Wir haben zwar bisher nur Textschnipsel, aber wie will das Verwaltungsgericht dieser Rechtsprechung gerecht werden, wenn es die Klagen einfach abweist?

was_guckst_du

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« Antwort #4432 am: 20.06.2023 12:02 »

Nun gut, nun warten wir erst einmal....... ab.

..was Anderes haben wir in den letzten drei Jahren nicht gemacht und werden es erfahrungsgemäß auch in den folgenden Jahren wohl noch tun (müssen)...
Gruß aus "Tief im Westen"

Meine Beiträge geben grundsätzlich meine persönliche Meinung zum Thema wieder und beinhalten keine Rechtsberatung. Meistens sind sie ernster Natur, manchmal aber auch nicht. Bei einer obskuren Einzelfallpersönlichkeit antworte ich auch aus therapeutischen Gründen

Anwender

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« Antwort #4433 am: 20.06.2023 12:04 »
Da das BVerfG nun auch die Verfassungswidrigkeit der Gefangenenbezüge festgestellt hat, hätte es doch auch gleich die offenen Verfahren zur Beamtenalimentation mitentscheiden können, sie sind ja "artverwandt".  ???

https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2023/bvg23-056.html;jsessionid=6A40780CDBA60E54A81859EE055129AF.internet991

SwenTanortsch

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Antw:[Allg] Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #4434 am: 20.06.2023 13:00 »

Nun gut, nun warten wir erst einmal....... ab.

..was Anderes haben wir in den letzten drei Jahren nicht gemacht und werden es erfahrungsgemäß auch in den folgenden Jahren wohl noch tun (müssen)...

Das ist deine allgemeine Sicht auf die Dinge, da du offensichtlich seit Jahr und Tag abwartest. Meine Sicht auf die Dinge ist eine andere: Ich warte die Entscheidungsbegründung ab und schaue dann, was ich mit ihr anfange. Drei Jahre oder länger wiederkehrend nur dasselbe Statement zu schreiben, fände ich für mich zu langweilig - nicht umsonst hat sich seit der letzten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts doch zu viel getan, was man mit Floskeln allerdings wohl eher nicht erfasst und auch nicht ändert.

@ Ozy

Genau wegen u.a. dieser Passage wird es interessant sein, wie die Begründung des VG ausschaut. Zurzeit sind die Entscheidungen bis zum 13.06. öffentlich zugänglich - in ein paar Tagen wissen wir mehr.

@ Anwender

Die Gefangenenbezüge unterliegen dem Strafvollzuggesetzen und entsprechend einem anderen Rechtsgebiet. Es dürfte nicht mehr allzu lange bis zur Veröffentlichung der anstehenden Entscheidungen dauern - sowohl die Komplexität der Materie als auch der lange währende konzertierte Verfassungsbruch sollten eine jeweils präzsie Entscheidungsbegründung fordern, damit das Bundesverfassungsgericht seinem Verfassungsauftrag hinreichend nachkommen kann. Warten ist anstrengend, aber mit einer jeweils nicht hinreichenden Entscheidungsbegründung wäre uns allen deutlich weniger gedient. Darüber hinaus ist die von Dir verlinkte Entscheidung allerdings hinsichtlich des Prozeduralisierungsgebots und der unterschiedlichen Aufgaben der jeweiligen Gewalten höchstwahrscheinlich - auch für unser Thema - recht interessant, wobei ich sie noch nicht hinreichend genug durchdrungen habe, um hier ganz klar zu sehen. Dennoch ist die Lektüre m.E. auch so schon sehr empfehlenswert.


Anwender

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Antw:[Allg] Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #4435 am: 20.06.2023 14:48 »
Hallo Swen,
die "Artverwandtschaft" habe ich nur im übertragenen Sinne gesehen.
Irgendwie sind wir ja auch "Gefangene" unseres Dienstherrn, zumindest kommt es mir ab und zu so vor.

SwenTanortsch

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« Antwort #4436 am: 20.06.2023 17:06 »
Ich hatte mir das schon gedacht, Anwender - die "Gefangenschaft" liegt ja genau darin begründet, dass sich der Dienstherr das Sonderrechtsverhältnis zunutze macht, dem der Beamte unterliegt, ohne die damit verbundenen Kompensationsleistungen zu gewähren, entsprechend gibt es hier ja tatsächlich Überschneidungen zwischen beiden Rechtsgebieten. Denn der Gefangene unterliegt ebenfalls einem Sonderrechtsverhältnis, das allerdings verfassungsrechtlich ganz anders geartetet ist, worauf das Bundesverfassungsgericht in der von Dir hervorgehobenen Entscheidung an einer Stelle explizit abhebt: In dem Sonderrechtsverhältnis des Beamten sind unmittelbar aus der Verfassung entspringende (Leistungs-)Rechte angelegt, wie sie sich hinsichtlich der Besoldung aus Art. 33 Abs. 5 GG ergeben, während das hinsichtlich der Vergütung von Gefangenenarbeit nicht der Fall ist. Entsprechend finden wir hier zwei unterschiedliche Rechtsgebiete vor. In diesem Sinne hebt das Bundesverfassungsgericht nun in der von Dir genannten Entscheidung hervor und kommt dabei auf die verfassungsrechtlich enge Parallelität der Begründungspflichten hinsichtlich der Gewährung einer amtsangemessenen Alimentation und der Bemessung eines sachgerechten Maßes der Parteienfinanzierung (hinsichtlich der Parteien betrachtet Art. 21 GG ihren Verfassungsstatus) zurück, die es hier nicht explizit hätte nennen müssen (nicht umsonst werden hier zwei Beispiele von einigen möglichen genannt), die es aber offensichtlich hinsichtlich der den Gesetzgeber treffenden prozeduralen Pflichten hier nennen wollte, und zwar mit erneutem Verweis auf die neue Rechtsprechung zur Parteienfinanzierung, wie sie in dem Verfahren 2 BvF 2/18 Ende Januar gefällt worden ist - entsprechend ist die nachfolgende Passage auch und gerade für unser Thema interessant, da das Bundesverfassungsgericht hier auch den Besoldungsgesetzgeber - implizit und hier "ohne Not" - an die Beachtung seiner Begründungspflichten erinnert:

"Besondere prozedurale Anforderungen an das Gesetzgebungsverfahren mit entsprechenden Begründungslasten des Gesetzgebers bestehen im vorliegenden Zusammenhang dagegen nicht. Soweit die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Beispiel bei Besoldungsfragen (vgl. BVerfGE 130, 263 <300 ff.>; 139, 64 <126 f. Rn. 129 f.>; 140, 240 <296 Rn. 112 f.>; 145, 1 <13 Rn. 28 f.>; 145, 304 <326 Rn. 68>; 149, 382 <395 f. Rn. 21>; 155, 1 <48 Rn. 97>) oder bei der Parteienfinanzierung (vgl. BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 24. Januar 2023 - 2 BvF 2/18 -, Rn. 129 f. – Parteienfinanzierung - Absolute Obergrenze) besondere Anforderungen an die Begründungslast im Gesetzgebungsverfahren gestellt hat, betraf dies typischerweise die gesetzliche Ausgestaltung in der Verfassung selbst angelegter (Leistungs-)Rechte, die ohne entsprechende Anforderungen an die Ermittlung und Begründung der Regelungsgrundlagen leerzulaufen drohen (vgl. BVerfGE 150, 1 <90 f. Rn. 178 m.w.N.>; BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 24. Januar 2023 - 2 BvF 2/18 -, Rn. 131). Das ist bei der Bestimmung der Vergütung von Gefangenenarbeit nicht der Fall." (Rn. 256 - https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2023/06/rs20230620_2bvr016616.html).

Entsprechend ist es nun ebenfalls interessant, dass das Bundesverfassungsgericht im Vorfeld dieser Darlegung noch einmal die unterschiedlichen Anforderungen, wie sie den Gesetzgeber auf der einen Seite und die judikative Gewalt auf der anderen treffen, herausstellt und sie mit der Betrachtung der Begründungspflichten verbindet, was es beides zunächst einmal gar nicht hätte so vollziehen müssen, da es ja am Ende in der gerade zitierten Passage darauf hinweist, dass in dem betrachteten Fall zur Vergütung von Gefangenenarbeit den Gesetzgeber gar keine tiefergehenden Begründungspflichten treffen - entsprechend darf man die Passage ab der Rn. 248, die in den gerade zitierten Ausführungen mündet wohl ebenfalls als das verstehen, was sie wohl auch (aber nicht nur) sein soll: ein über Bande gespielter Ball, den man auf den Besoldungsgesetzgeber zurollen lässt. Nicht umsonst hebt das Bundesverfassungsgericht nun in der Rn. 252 hervor, dass der Gesetzgeber als Folge des weiten Entscheidungsspielraums, über den er verfügt, unterschiedliche Konzepte erproben darf (ohne dass das hier genannt wird, könnte man hinsichtlich der Gewährung einer amtsangemessenen Alimentation als ein solches Konzept die Doppelverdienerfamilie verstehen, aber ebenso auch deutlich höhere oder neue familienbezogene Besoldungskomponenten), um zugleich aber die damit verbundenen Pflichten, denen er in diesen Fällen unterworfen ist, noch einmal zu konkretisieren:

"Der Gesetzgeber darf Konzepte erproben, muss ein Gesetz aber bei Fehlprognosen (vgl. BVerfGE 57, 139 <162>; 89, 365 <378 ff.>; 113, 167 <234>; 150, 1 <90 Rn. 176>) oder dann nachbessern, wenn die Änderung einer zunächst verfassungskonform getroffenen Regelung erforderlich ist, um diese unter veränderten tatsächlichen Bedingungen oder angesichts einer veränderten Erkenntnislage mit der Verfassung im Einklang zu halten. Eine zunächst verfassungskonforme Regelung kann unter veränderten Umständen verfassungswidrig werden, sofern der Gesetzgeber dem nicht durch Nachbesserung entgegenwirkt (vgl. BVerfGE 116, 69 <91>; 132, 334 <358 Rn. 67 m.w.N.>; 143, 216 <245 Rn. 71>; 150, 1 <90 Rn. 176>)."

Dabei enthält sich das Bundesverfassungsgericht nicht der Erinnerung daran, dass eine geplante gesetzliche Regelung grundsätzlich auf die Zukunft ausgerichtet ist (während die gerichtliche Kontrolle grundsätzlich nur vergangenheitsbezogen erfolgen kann; hier liegt einer der zentralen Unterschiede, die sich den unterschiedlichen Gewalten aus den verschiedenen Verfassungsaufträgen stellen) und dass die im Gesetzgebungsverfahren verpflichtend zu vollziehenden Betrachtungen realitätsgerecht zu erfolgen haben, dass sich der Gesetzgeber in seiner Gesetzgebung nicht zuletzt auf wissenschaftlicher Basis als lernfähig zu erweisen hat, der ständigen Prüfungspflicht unterliegt, das Ziel dabei nicht aus den Augen verlieren darf, in Abhängigkeit vom Verfassungsrang der zu betrachtenden Maßnahmen ggf. zu Nachbesserungen verpflichtet ist und ebenso nachträglich erkennbar gewordene Zweifel nicht abtun kann, sondern sie aktiv aufnehmen muss, um - zusammengefasst - sein Gesamtkonzept regelmäßig auf Tragfähigkeit und Zielerreichung zu überprüfen. All das wird nicht zuletzt hinsichtlich des Resozialisierungsauftrags formuliert, dürfte aber eben gleichfalls auch bis zu einem gewissen Grad über Bande gespielt sein. Entsprechend dürfte sich zumindest auch diese Passage so lesen lassen - ich würde sie zumindest als Besoldungsgesetzgeber so lesen, sofern es mir ein Anliegen wäre, eine rechtssichere und also amtsangemessene Alimentation zu gewähren -; nicht umsonst hat das Bundesverfassungsgericht ja den Gesetzgeber mittlerweile wiederholt daran erinnert, dass eine Verfehlung der den Gesetzgeber treffenden prozeduralen Anforderungen für sich betrachtet bereits zur Verfassungswidrigkeit der Norm führen kann:

"Die Verpflichtung, der gesetzlichen Ausgestaltung des Vollzugs möglichst realitätsgerechte Annahmen und Prognosen zugrunde zu legen, wirkt auch in die Zukunft. Der Gesetzgeber muss daher sich selbst und den mit der Anwendung der gesetzlichen Bestimmungen befassten Behörden die Möglichkeit sichern, aus Erfahrungen mit der jeweiligen gesetzlichen Ausgestaltung des Vollzugs und der Art und Weise, in der die gesetzlichen Vorgaben angewendet beziehungsweise umgesetzt werden, und dem Vergleich mit entsprechenden Erfahrungen außerhalb des eigenen Kompetenzbereichs, etwa in anderen Ländern oder im Ausland (s.o. Rn 15 bis 22), zu lernen. In diesem Zusammenhang ist vor allem die Erhebung aussagefähiger, auf Vergleichbarkeit angelegter Daten geboten, die bis auf die Ebene der einzelnen Anstalten eine Feststellung und Bewertung der Erfolge und Misserfolge des Vollzugs – insbesondere der Rückfallhäufigkeit – sowie die gezielte Erforschung der hierfür verantwortlichen Faktoren einschließlich des Einflusses der Gefangenenarbeit und ihrer Entlohnung ermöglichen. Solche Daten dienen wissenschaftlicher und politischer Erkenntnisgewinnung sowie einer öffentlichen Diskussion, die die Suche nach den besten Lösungen anspornt und demokratische Verantwortung geltend zu machen erlaubt (vgl. BVerfGE 116, 69 <91>).

Der Gesetzgeber war bereits in der Vergangenheit und bleibt auch weiterhin aufgefordert, die Bezugsgröße des monetären Teils der Vergütung sowie den Umfang des nicht monetären Vergütungsteils, etwa in Form von durch regelmäßige Arbeit zu erzielenden Freistellungstagen, einer ständigen Prüfung zu unterziehen (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 24. März 2002 - 2 BvR 2175/01 -, Rn. 42, 49). Auch nachdem der Gesetzgeber Regelungen getroffen hat, denen sich nachvollziehbar ein in sich stimmiges Resozialisierungskonzept entnehmen lässt, welches den genannten Anforderungen entspricht, muss er vor dem Hintergrund des verfassungsrechtlichen Resozialisierungsgebots einerseits und des sich ständig verändernden gesamtwirtschaftlichen und gesellschaftlichen Umfelds sowie des Fortschritts in der Strafvollzugsforschung andererseits sicherstellen, dass die von ihm mit dem gewählten Konzept verfolgten Ziele auch weiterhin erreichbar sind.

Angesichts des hohen Gewichts der grundrechtlichen Belange, die im Strafvollzug berührt werden, ist der Gesetzgeber zur Beobachtung der Auswirkungen seiner Maßnahmen und gegebenenfalls zur Nachbesserung verpflichtet (vgl. zum Jugendstrafvollzug BVerfGE 116, 69 <91>). Im Zuge der Umsetzung nachträglich erkennbar gewordene Zweifel an der Eignung des Resozialisierungskonzepts können für die Zukunft etwa Vorkehrungen in Gestalt einer wissenschaftlichen Begleitung oder von Evaluationen des Gesetzesvollzugs erforderlich machen (vgl. BVerfGE 116, 69 <91>; 150, 1 <90 Rn. 176>). Der Gesetzgeber muss sein Gesamtkonzept auf dessen Tragfähigkeit und die Zielerreichung in regelmäßigen Abständen überprüfen und das Ergebnis dieser Prüfung nachvollziehbar darlegen. Hierzu gehören auch Ausführungen zu Ziel und Bemessung der Vergütung für Gefangenenarbeit." (Rn. 253 ff.)

Ergo: Auch aus diesen Passagen lassen sich - denke ich - Hinweise entnehmen, wohin das Bundesverfassungsgericht mit seinen anstehenden Entsscheidungen steuert. Da die 17 Besoldungsgesetzgeber der den letzten Zitaten zu entnehmenden Programmatik vielfach bis heute nicht entsprochen haben, darf man sich recht sicher sein, dass sich in der Begründung der anstehenden Entscheidungen ähnliche Erinnerungen finden lassen werden, so wie sich die generell weitere Verschärfung der sich dem Gesetzgeber stellenden prozeduralen Verpflichtungen dort gleichfalls finden lassen sollte, wie sie das Bundesverfassungsgericht zu Beginn des Jahres in der Entscheidung 2 BvF 2/18 ebenfalls bereits vollzogen hat. Hier zeigen sich den Besoldungsgesetzgebern von daher wohl gleichfalls die ersten Früchte, die sie sich in den letzten drei Jahren auf ihrer Art redlich verdient haben werden.

lotsch

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Antw:[Allg] Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #4437 am: 20.06.2023 18:41 »
Was für Folgen hat das für den Gesetzgeber, wenn das BVerfG feststellt, dass er die prozeduralen Pflichten verletzt hat? Muss er diese nur bis zu einem bestimmten Datum nachholen? Das wäre m.E. ein Witz und würde die Sache nur weiter verzögern. Ich erwarte vom BVerfG mehr. Erstens müsste der Verfahrensablauf wesentlich beschleunigt werden, zweitens müsste die Nachzahlungsverpflichtung auf alle Beamte des Besoldungsrechtskreises ausgeweitet werden, einschl. Verzinsung, und nicht nur auf jene die Widerspruch oder Klage eingereicht haben. Dies ist gerade in Zeiten hoher Inflation unabdingbar. Stellt euch mal vor, wir haben 2 Jahre hintereinander 30 % Inflation und der Gesetzgeber erhöht die Besoldung nicht.

SwenTanortsch

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« Antwort #4438 am: 21.06.2023 08:51 »
Das Bundesverfassungsgericht führt zunächst aus, dass eine Verletzung der den Gesetzgeber treffenden prozeduralen Anforderungen für sich betrachtet zur Verfassungswidrigkeit der Norm führen kann. Das sollte insbesondere dann greifen können, wenn der Verstoß gegen das Begründungsgebot so weitgehend sein dürfte, dass eine gerichtliche Prüfung nicht angemessen möglich wäre, sodass die gerichtliche Kontrolle nicht hinreichend gewährleistet werden könnte (mit dieser Frage wird sich das Bundesverfassungsgericht mit hoher Wahrscheinlichkeit in zwei der fünf bremischen Vorlagebeschlüsse beschäftigen). Da das Bundesverfassungsgericht bislang die Verfassungswidrigkeit einer Norm allein wegen der Verfehlung der prozeduralen Anforderungen noch nicht entschieden hat, sind Deine beiden Fragen nicht hinreichend zu beantworten, lotsch. Es dürfte aber wahrscheinlich sein, dass das Bundesverfassungsgericht in einem solchen Fall den Gesetzgeber mit seiner Entscheidung dazu auffordern dürfte, innerhalb eines bestimmten Zeitraums seiner Begründungspflicht hinreichend nachzukommen, sodass nicht nur der amtsangemessene Gehalt der gewährleisteten Nettoalimentation gesichert, sondern ebenso deren Begründung hinreichend gewährleistet wäre. Es dürfte entsprechend wahrscheinlich sein, dass das Bundesverfassungsgericht zuvor als Folge der nicht hinreichenden Begründung die Frage nicht eindeutig beantworten konnte, ob die gewährte Nettoalimentation amtsangemessen gewesen war. Der Gesetzgeber müsste dann also genau diesen Nachweis mittels einer hinreichenden Begründung führen - oder eben, sofern er das nicht könnte, bis zu jenem Datum dafür Sorge tragen, dass der amtsangemessene Gehalt der gewährten Nettoalimentation garantiert wäre, was er dann gleichfalls sachgerecht zu begründen hätte.

Da sich diese Frage bislang dem Bundesverfassungsgericht so noch nicht gestellt hat - der evident unzureichende bzw. evident sachwidrige materielle Gehalt der Alimentation konnte bislang in jedem so betrachteten Fall eindeutig festgestellt werden, selbst wenn deutliche Zweifel vorlagen, dass der Gesetzgeber die ihn treffenden Begründungspflichten hinreichend erfüllt hätte -, bleibt abzuwarten, wie das Bundesverfassungsgericht zukünftig hinsichtlich prozeduraler Verfehlungen vorgehen wird. Wie ich hier ja schon mehrfach zu begründen versucht habe, dürfte das Bundesverfassungsgericht erneut - wie schon nach 2012 ebenso 2018 und 2020 - die den Gesetzgeber treffenden Begründungspflichten - ggf. in einzelnen Teilen noch einmal deutlich - verschärfen; das lässt zumindest die Entscheidung 2 BvF 2/18 aus dem Januar vermuten - und das wäre sachlich offensichtlich auch nötig in Anbetracht des zunehmenden Qualitätsverfalls, wie er sich in der besoldungsrechtlichen Gesetzgebung immer deutlicher zeigt. Die Begründungspflicht darf dabei als solche als ein scharfes Schwert begriffen werden, auch - oder vielleicht gerade - weil die Gesetzgeber ihr in ihrer bisherigen Gesetzgebung weit überwiegend wiederkehrend nicht den Rang zugesprochen haben, die ihr das Bundesverfassungsgericht in seiner bisherigen Rechtsprechung gegeben hat. Nicht umsonst kann eine sachlich nicht hinreichend begründbare Entscheidung vom Gesetzgeber nicht vollzogen werden - und insofern steht bspw. die deutlich begründete Sachfrage im Raum, ob die betroffenen Gesetzgeber in den letzten Jahren die Abkehr vom Alleinverdiener- zugunsten des Doppelverdienermodells tatsächlich hinreichend sachgerecht begründet haben. Sofern das nicht der Fall wäre, könnten solche Entscheidungen mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht vollzogen werden, auch - oder vielleicht eher: gerade - wenn als Folge der Entscheidung der materielle Gehalt der gewährten Nettoalimentation als amtsangemessen zu betrachten wäre, wie er sich ggf. durch die Garantie des Mindestabstandsgebots von einem Doppelverdienermodell darstellte. Soll heißen: Gegebenenfalls kann der Gesetzgeber durch die Abkehr vom Alleinverdienermodell das Mindestabstandsgebot erfüllen; wenn er aber den verfassungskonformen Gehalt des Doppelverdienermodells nicht hinreichend begründen kann, dürfte es ihm kaum gestattet sein, jene Abkehr zu vollziehen - darin zeigt sich als Beispiel das offensichtlich scharfe Schwert der Begründungspflicht (wobei sich hinsichtlich des Doppelverdienermodells, so wie es bislang im einzelnen begründet worden ist, heute auch ohne dezidierte Betrachtung der Begründungen mit gutem Grund vermuten lässt, dass es materiell gegen verschiedene Verfassungsgebote verstößt, die über Art. 33 Abs. 5 GG hinausreichen, sodass es auch hier ggf. nicht in erster Linie auf die Betrachtung des Begründungsgebots ankäme, um die Verfassungswidrigkeit der Regelung zu erkennen).

Was Du über Deine Fragen hinaus im Anschluss schreibst, ist für mich sachlich gut nachvollziehbar - jedoch dürfte es hinsichtlich der Nachzahlungsverpflichtung auf alle Beamte (verfassungs-)rechtlich nur bedingt geschehen, da den Beamten die Pflicht trifft, sich aktiv um seine Dienstgeschäfte zu kümmern, was sich ebenfalls auf die Bewiderspruchung der ihm gewährten Besoldung und Alimentation erstreckt (u.a. deshalb habe ich vor rund drei Jahren das Thema 2 BvL 4/18 hier im Forum eingestellt, um damit im kleinen Rahmen mit dafür Sorge zu tragen, dass die Zahl der Widersprüche steigt, sowohl um damit individuelle Ansprüche zu sichern, als auch um so ggf. den Druck auf den jeweiligen Gesetzgeber zu erhöhen). Es sollte entsprechend davon auszugehen sein, dass das Bundesverfassungsgericht nicht von seiner durch das Bundesverwaltungsgericht ausgeformten Leitlinie abweichen wird, nachdem es erst in der aktuellen Entscheidung für jeden erkennbar hervorgehoben hat, dass neben der Klage ebenfalls ein statthafter Rechtsbehelf hinreichend zur Wahrung ggf. vorhandener Ansprüche ist. Darüber hinaus ist - wie ich das hier ja schon mehrfach betrachtet habe - die Materie weiterhin auf mehreren Ebenen so komplex, dass die Forderung einer Beschleunigung zwar ebenfalls nachvollziehbar ist und auch erfreulich wäre, dass sie aber als solche nicht realistisch ist. Denn es dürfte zu vermuten sein, dass die weiterhin nicht vollzogene Entscheidung hinsichtlich der angekündigten Vorlagebeschlüse vonseiten des Bundesverfassungsgerichts sich nicht aus einer diesbezüglichen Untätigkeit ergibt, sondern weil es Sorge dafür trägt, seinen Verfassungsauftrag hinreichend sachlich zu erfüllen - so könnte es bspw. den Gesetzgeber nicht wiederholt dazu auffordern, hinsichtlich seiner Begründungspflichten sorgsam zu verfahren, wenn es in Anbetracht der Kompelxität der Materie selbst keine sorgsame Entscheidungsbegründungen vorlegen würde. Darüber hinaus dürfte es maßgeblich insbesondere von den anstehenden Entscheidungen abhängen, wie sich das Thema "Besoldungsrecht" zukünftig weiter entwickeln wird, nachdem sich in den letzten rund drei Jahren nun eindeutig gezeigt hat, dass die Gesetzgeber zunächst einmal nicht bereit sind, im Rahmen der bundesverfassungsgerichtlichen Rechtsprechung hinreichend auf den Boden der Verfassung zurückzukehren. In diesem Sinne ist das, was ich hier wiederholt formuliert habe, zu verstehen: Meines Erachtens ist sachliche Präzision wichtiger als Schnelligkeit - auch wenn ebenfalls ich (als von den Entscheidungen als ein Widerspruchsführer aktiv Betroffener) lieber heute als morgen eine Entscheidung hätte. Was nützte (mir) eine schon lange gefällte Entscheidung über die anhängigen Vorlagenbeschlüsse, wenn sie am Ende nicht dazu führte, dass die vergangenheitsbezogen durch statthafte Rechtsbehelfe garantierten Ansprüche gewährleistet werden würden und dass zukünftig die Rückkehr zu einer amtsangemessenen Alimentation wieder geschehen würde?

Die politischen Beharrungskräfte als Folge des konzertieren Verfassungsbruchs, den Ulrich Battis schlüssig hervorhebt, sind so extrem, dass es einer klugen Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts bedarf - und dabei sollte m.E. nicht vergessen werden, dass allein die Dienstherrn die Verantwortung für die seit vielen Jahren gebrochene Verfassung tragen und nicht das Bundesverfassungsgericht, das seit 2012 das Handeln der Gesetzgeber zunehmend eingehegt und dabei keinen Zweifel daran gelassen hat, dass es diesen Weg konsequent weiterverfolgen wird, sofern die Dienstherrn nicht gezwungenermaßen freiwillig wieder auf den Boden des Grundgesetzes zurückkehrten.
« Last Edit: 21.06.2023 09:00 von SwenTanortsch »

IchhabdamalneFrage

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Antw:[Allg] Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #4439 am: 21.06.2023 09:14 »
Hallo zusammen,

nun habe ich eben meine Bezügemitteilung erhalten und der FZ Stufe 1 ist ersatzlos weggefallen. Ein paar Infos zu mir:

- Verheiratet seit 2020
- ein Kind
- Bundesland Hamburg

Wisst ihr weshalb es zu dieser ersatzlosen Streichung kam? Ich hatte gedacht, dass es hierfür einen Ersatz geben soll.

LG