Um mal, wie das sicher nicht nur Boßler wünscht, zum Thema zurückzukommen und also weiterhin HansGeorgs Frage nachzugehen, soll nachfolgend der übergreifende Rahmen zwischen Staatsfinanzen und Besoldung beleuchtet werden, ohne den unser Thema nicht hinreichend durchdrungen werden kann:
Wie gesagt, man muss beim Thema Finanzen und Alimentation zunächst zwischen den beiden Funktionen, die der Gesetzgeber jeweils sachgerecht zu erfüllen hat, unterscheiden, weshalb ich gestern gezielt vom Haushalts- und Besoldungsgesetzgeber gesprochen und beide entsprechend unterschieden habe. Ich schreibe also hier mal die "Vorgeschichte" zu meinem letzten Beitrag, damit der verfassungsrechtliche Rahmen klar ist, den der Besoldungsgesetzgeber als Besoldungsgesetzgeber vorfindet, nachdem der Haushaltsgesetzgeber als Haushaltsgesetzgeber gehandelt hat und also im Vorjahr einen für das zu betrachtende Jahr zu beachtenden Haushalt beschlossen hat. Was tut also der Haushaltsgesetzgeber und worauf hat er dabei zu achten? Dieser Rahmen kann in knapper Form und damit verkürzt wie folgt beschrieben werden (wer mal Drucksachen zur Haushaltsgesetzgebung gelesen hat, wird allein ob ihres Umfangs ermessen können, dass hier im Rahmen unseres Forums eine nur sehr eingeschränkte Betrachtung möglich ist):
1. Das Parlament hat in seiner Funktion als Haushaltsgesetzgeber darauf zu achten, dass zunächst ein ausgeglichener Haushalt nach Art. 109 Abs. 3 GG i.V.m. 115 Abs. 2 GG zu beschließen ist, der die Prinzipien der Jährlichkeit, Jährigkeit und Fälligkeit erfüllt. Kredite dürfen demnach in Normallagen 0,35 % des nominalen Bruttoinlandsprodukts nicht überschreiten. Das nominale Bruttoinlandsprodukt betrug 2022 3,876 Billionen €. Als Folge darf in Normallagen die Höhe der im Haushaltsjahr 2023 aufgenommenen Kredite 1,35 Mrd. € nicht überschreiten.
2. Sofern eine Normallage besteht und also die mögliche Schuldengrenze nicht überschritten werden darf, hat der Haushaltsgesetzgeber einen Haushalt zu verabschieden, der sich in diesem Rahmen zu bewegen hat. Er muss also ggf. deutliche Kürzungen im Haushalt vornehmen, um der sog. "Schuldenbremse" Genüge zu tun. Diese Kürzungen können ebenfalls nur im Rahmen des Grundgesetzes erfolgen, womit wir verfassungsrechtlich drei Kategorien bilden können, die der Haushaltsgesetzgeber zu betrachten hat, was ich jeweils an einem Beispiel verdeutliche:
(a) Als Folge des jeweiligen Staatsautrags gibt es Haushaltsmittel, die nicht gekürzt werden können und die also ausnahmslos zu bewilligen sind. So hat der Gesetzgeber als Folge unserer Verfassung bspw. zu beachten, dass einem Bedürftigen ein sozialhilferechtliches Existenzminimum zu gewähren ist, mit dem als geringst möglicher Betrag die zum Überleben notwendigen materiellen Bedürfnisse im Rahmen des Sozialstaatsprinzips gesichert sind. Einschnitte in dieses Existenzminimum sind dem Gesetzgeber nicht gestattet. Die hierzu notwendigen Haushaltsmittel kann der Haushaltsgesetzgeber folglich nicht kürzen, sondern hat er zu garantieren (und um nicht missverstanden zu werden: Der Sozialgesetzgeber kann im Rahmen seines Auftrags und der zu beachtenden Verfassung die Höhe des Existenzminimums verändern; er muss dabei aber sachgerecht vorgehen und das dabei im Gesetzgebungsverfahren anhand einer plausiblen und nachvollziehbaren Methodik begründen, die Bemessung also realitätsgerecht vornehmen; hinter dieses Ergebnis kann der Haushaltsgesetzgeber - der in einer Legislaturperiode in Personalunion der Sozialgesetzgeber ist - nicht zurück, da ansonsten das Ergebnis ein Einschnitt in das Existenzmimimum wäre, das der Gesetzgeber jedoch zu garantieren hat).
(b) Anders sieht das hinsichtlich von Haushaltsmitteln aus, die zweckgebunden, jedoch nicht zwangsläufig zu garantieren sind, die also vollständig der politischen Handlungsfähigkeit des Parlaments unterworfen sind. Ein Beispiel wären die typischen Subventionen wie bspw. die Befreiung von der Kerosinsteuer: So ist weiterhin in allen Mitgliedsstaaten der EU der kommerzielle Kerosinverbrauch steuerfrei gestellt, womit die kommerzielle europäische Luftfahrt subventioniert wird. Diese Steuerbefreiung ist verfassungsrechtlich nicht zwangsläufig nötig, da hier keine durch den Gesetzgeber zu beachtenden besonderen verfassungsrechtlichen Schutzrechten zu beachten wären. Sie unterliegt also der vollständigen politischen Verfügungsgewalt des Haushaltsgesetzgebers (womit allerdings nichts darüber ausgesagt wird, dass es politisch auch im europäischen Rahmen einfach wäre, diese Subvention allein in Deutschland zu beenden; diese Diskussion könnte also der Haushaltsgesetzgeber führen und das würde nicht zuletzt in Hinsicht auf den europäischen Rahmen eine schwierige Diskussion werden; hier im Forum muss sie nicht geführt werden, da es nur um die beispielhafte Veranschaulichung geht).
(c) Darüber hinaus gibt es Haushaltsposten, in die der Haushaltsgesetzgeber nicht vollständig eingreifen kann, da er sie zumindest in Teilen wegen zu beachtender verfassungsrechtlicher Schutzrechte aufbringen muss, in die also keine vollständige Eingriffsmöglichkeit zur Gewährleistung des soliden Haushalts möglich sind. Sie stehen zwischen den beiden anderen gerade genannten Idealtypen.
3. Die aus der Alimentation seiner Bediensteten resultierenden Kosten sind nun im Sinne der dritten Kategorie zu begreifen, weshalb ich gestern gezielt zwischen dem Haushalts- und Besoldungsgesetzgeber unterschieden habe. Denn in diesem Beitrag, den ich hier gerade schreibe, haben wir bislang ausschließlich den Haushaltsgesetzgeber betrachtet, der einen Haushalt im Rahmen der Verfassung zu verabschieden hat. Sofern er nun Kürzungen im Haushalt vornehmen will oder muss, kann er sie nicht im Rahmen der der Kategorie (a) unterliegenden Mittel tätigen, da diese von ihm garantiert zur Verfügung gestellt werden müssen. Er kann sie darüber hinaus vollständig im Rahmen der der Kategorie (b) unterliegenden Mittel vornehmen, weil sie vollständig seiner politischen Gestaltungsfreiheit unterliegen (was nichts darüber aussagt, dass ihr Zugriff politisch nicht immer ganz einfach zu gestalten wäre) und er kann sie zumindest in Teilen im Rahmen der von (c) umfassten Mittel betrachten.
4. In diesem Sinne kann er nun also die notwendigen Haushaltskürzungen in einer Normallage vornehmen und zur Konsolidierung der Staatsfinanzen daran auch die Beamten beteiligen; jedoch darf er ihnen eben kein "Sonderopfer" aufbürden, womit wir nun vom Haushalts- zum Besoldungsgesetzgeber wechseln und so die "Vorgeschichte" zu meinem letzten Beitrag beenden. Jetzt kann man noch einmal das lesen, was ich gestern geschrieben habe, sodass verständlich wird, bis wohin der Besoldungsgesetzgeber im Rahmen unserer Verfassung Kürzungen im Bereich der Beamtenalimentation vornehmen kann und wo ihm das nicht gestattet ist.
5. Wenn man nun also das, was ich gestern geschrieben habe, nun noch einmal gelesen oder sich dessen hinreichend erinnert hat, dann wird deutlich, denke ich, dass das Bundesverfassungsgericht nicht so handeln könnte, wie es HansGeorg befürchtete: Denn das Bundesverfassungsgericht kann dem Besoldungsgesetzgeber eben keinen Auftrag erteilen, wie der Haushaltsgesetzgeber zu handeln hätte. Denn der Haushaltsgesetzgeber wird in der Besoldungsrechtsprechung nicht angesprochen; sein weiter Entscheidungsspielraum, den er als Haushaltsgesetzgeber hat, spielt in einer Entscheidung über ein Besoldungsgesetz keine Rolle.
6. Dahingegen kann der Besoldungsgesetzgeber als solcher die von ihm zu gewährende amtsangemessene Alimentation nur im Rahmen des Haushalts vollziehen, die der Hauhaltsgesetzgeber ihm in diesem Rahmen zugewiesen hat und ggf. in einem Nachtragshaushalt noch weiterhin zuweist. Der Besoldungsgesetzgeber muss dabei den in meinem letzten Beitrag hervorgehobenen Verpflichtungen nachkommen und verfügt dabei über die dort genannten Rechte, die sich aus dem weiten Entscheidungsspielraum ergeben, über die er verfügt.
7. Sofern also der Haushaltsgesetzgeber dem Besoldungsgesetzgeber - der er im Rahmen einer Legislaturperiode in Personalunion ebenfalls ist - keine hinreichenden Mittel zur Verfügung stellt, mit denen der Besoldungsgesetzgeber keine im Rahmen der Verfassung zu garantierende amtsangemessene Alimentation für möglichst alle Beamten gewährte, würde der Besoldungsgesetzgeber den Beamten ein "Sonderopfer" abverlangen, was ihm verfassungsrechtlich verboten wäre, solange er dabei nicht das hinreichend beachtete, was ich gestern unter den Punkten 1 bis 4 geschrieben habe.
8. Dieses "Sonderopfer" verlangen derzeit und nachgewiesenermaßen spätestens seit 2008 weiterhin alle Besoldungsgesetzgeber mindestens jenem Teil seiner Beamten ab, dem keine Alimentation auf Höhe der Mindestalimentation gewährt wird (= Einschnitt in den vom absoluten Alimentationsschutz umfassten Teil der zu gewährenden Nettoalimentation); darüber hinaus ist es wahrscheinlich, dass das als Folge des Abstandsgebots zwischen vergleichbaren Besoldungsgruppen ebenso für ausnahmslos alle Beamten, Richter und Staatsanwälten gilt, da das Mindestabstandsgebot in allen Rechtskreisen weiterhin und zumeist recht deutlich verletzt wird, was als Folge des Abstandsgebots zwischen vergleichbaren Besoldungsgruppen ein höchstwahrscheinlich sachlich nicht zu rechtfertigender Einschnitt in den vom relativen Alimentationsschutz umfassten Teil der zu gewährenden Nettoalimentation führt.
9. In diese Sinne ist also auf Basis der dort genannten Prämissen mein gestriges Fazit zu verstehen: Das Bundesverfassungsgericht verpflichtet mit seiner Entscheidung einen Besoldungsgesetzgeber dazu, vergangenheitbezogen eine verfassungswidrige Alimentation zu heilen und setzt so voraus, dass jener Besoldungsgesetzgeber daraus die notwendigen Konsequenzen für sein gegenwärtiges und zukünftiges Handeln zieht - tut er das hinsichtlich die Gegenwart und Zukunft nicht, handelt das Bundesverfassungsgericht, sofern es angerufen wird, daraufhin erneut.
10. Das Ergebnis eines solchen Handelns ist nun das, was wir in der Vergangenheit hier bereits recht ausführlich betrachtet haben (und was dort in seiner Ausführlichkeit nachgelesen werden kann und hier nicht noch einmal ausführlich behandelt werden muss): eine negative Gesetzgebung.
11. Diesen Prozess beobachten wir seit 2012, da das Bundesverfassungsgericht seitdem eine neue Dogmatik zum Alimentationprinzip erstellt, mit der es seine vormalige Dogmatik nach und nach der neuen Situation, die sich nicht nur, aber gerade auch aus der 2006 vollzogenen Reföderalisierung des Besoldungsrechts ergeben hat, anpasst. Da es dabei penipel seinen Verfassungsauftrag beachtet, vollzieht es folglich eine zurückhaltende, auf den Maßstab evidenter Sachwidrigkeit beschränkte verfassungsgerichtliche Kontrolle, wobei mit jedem Ergebnis einer weiteren Kontrolle die Zurückhaltung zwar bestehen bleibt, jedoch über die "negative Gesetzgebung" der vormaligen Entscheidungen eine immer umfangreichere Dogmatik entsteht, gegen die im Einzelnen evident sachwidrig verstoßen werden kann. Je enger die Dogmatik wird, desto weniger Spielräume findet der (Besoldungs-)Gesetzgeber vor, da die "negative Gesetzgebung" bedeutet, dass zuvor nicht von der bundesverfassungsgerichtliche Kontrolle betrachtete Spielräume nun betrachtet und damit zumeist eingeschränkt werden.
12. Genau in diesem Prozess befinden wir uns, womit wir ggf. - jetzt gelangen wir auf das Feld der begründeten Spekulation - davon ausgehen dürfen, dass das Bundesverfassungsgericht seine aktuelle Entscheidung zum Zweiten Nachtragshaushaltsgesetz 2021 vor seinen angekündigten Entscheidungen zu den Besoldungsgesetzen in Schleswig-Holstein 2007, Bremen 2013 und 2014 sowie Niedersachsen 2007 bis 2012 und 2014 bis 2016 gefällt und auch in dieser Deutlichkeit so gefällt hat, um den Besoldungsgesetzgebern am Beispiel des Haushaltsgesetzgebers vor Augen zu führen, welche Probleme von einer Dogmatik ausgehen können, die am Ende sehr weitgehende Konsequenzen für das politische Handeln im Rahmen unserer Verfassung fordert.
13. Da in unserem Parlamenten zu einem nicht geringen Teil intelligente und juristisch versierte Menschen sitzen, werden das dort durchaus nicht wenige Menschen verstehen. Sie haben also nun erneut die Möglichkeit, in den im Verlauf des ersten Halbjahrs 2024 anstehenden Gesetzgebungsverfahren die Intelligenz und den juristischen Sachverstand zum Wohle aller und damit auch zum eigenen Wohle zu verwenden.
14. Tun sie das nicht oder können sich nicht durchsetzen - wovon ich ausgehe, dass das passieren wird, also dass sie sich nicht durchsetzen können -, wird ggf. auch im Zeitraum, da jene 16 Gesetzgebungsverfahren noch nicht in allen Rechtskreisen abgeschlosen sind, eine Entscheidung unmittelbar für die genannten drei Besoldungsgesetzgeber erfolgen, die mittelbar für alle 17 Bedeutung hat und die - davon darf man ausgehen - den Weg der Dogmatikfortschreibung konsequent fortführt.
15. Der politische Druck, der sicherlich nicht das Hauptziel der aktuellen Entscheidung über das Zweite Nachtragshaushaltsgesetz 2021 ist, der aber durchaus gezielt von Karlsruhe in Kauf genommen wird, hat sich entsprechend auch auf die Besoldungsgesetzgeber erhöht: Denn das Thema gezielter verfassungswidriger Gesetzgebung wird so schnell nicht wieder von der Tagesordnung verschwinden und medial präsent bleiben, was das Bundesverfassungsgericht - davon darf man ausgehen - durchaus im Vorfeld seiner aktuellen Entscheidung in Rechnung gestellt haben wird.
16. Die Messlatte ist nun also, obgleich keine Entscheidung über die Besoldungsgesetzgebung gefällt worden ist, noch einmal erhöht worden, indem den Deliquenten das Instrumentarium des Richters vor Augen geführt worden ist. Im Schach gilt der gute alte Grundsatz, dass die Drohung vielfach stärker als ihre Ausführung ist - und das dürfte beim Besoldungsschach zwischen Gesetzgeber und Zweitem Senat kaum anders sein: Denn das Ziel des Bundesverfassungsgerichts bleibt weiterhin dasselbe, ohne dafür Legionen zur Verfügung zu haben, will es, dass seiner Rechtsprechung gefolgt wird.
17. Wer daran - an dem letzten Satz nach dem letzten Doppelpunkt - nach der aktuellen Entscheidung noch einen Zweifel hätte, dem wäre nach meinem Empfinden nicht mehr zu helfen. Denn die Deutlichkeit, mit der der Zweite Senat gerade gehandelt hat, verweist auf seine Unabhängigkeit und die Ernsthaftigkeit, mit der Karlsruhe seinem Verfassungauftrag nachkommt. Alles andere wäre auch, wenn man sich ein wenig mit der Materie befasst hat, eher erstaunlich.
18. Mit den letzten Zeilen will ich zugleich nicht sagen, dass man als Betroffener nun nicht endlich eine Entscheidung über die angekündigten Normenkontrollverfahren erwarten dürfte; denn diese Erwartung kann ich gut nachvollziehen und sie ist mehr als verständlich. Auch diese Zeilen sollen jedoch dazu beitragen, nachvollziehbar zu machen, wieso nach meiner Meinung das Bundesverfassungsgericht handelt, wie es handelt: Verfassungsrechtlich hat die aktuelle Entscheidung nichts mit der bundesverfassungsgerichtlichen Rechtsprechung zum Besoldungsrecht zu tun - pragmatisch wird das offensichtlich nicht ganz so sein. Um beim Schach zu bleiben: Der vorletzte Fehler gewinnt.