Autor Thema: [Allg] Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)  (Read 3961481 times)

Lichtstifter

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Antw:[Allg] Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #6750 am: 21.11.2024 13:25 »
Rechnet hier eigentlich jedes Land für sich aus, wie hoch die Mindestversorgung sein muss, oder ist das einheitlich?

Wenn es nicht einheitlich der gleiche Betrag ist, was er sein müsste (richtig,  oder?), würde mich interessieren warum das so ist und wie hoch die Differenz zwischen dem niedrigsten und höchsten Wert ist. Hat das jemand um Blick?

Torsten Schwan, Osnabrück, Das Alimentationsniveau der Besoldungsordnung A 2008 bis 2020 – eine „teilweise drastische Abkopplung der Besoldung“ als dauerhafte Wirklichkeit?

"Seit 2012 entwickelt das Bundesverfassungsgericht eine neue Dogmatik amtsangemessener Alimentation. Mit einer aktuellen Entscheidung hat es nun die Kriterien zur Bemessung der Mindest- und Nettoalimentation weiter konkretisiert. Der Beitrag betrachtet das Alimentationsniveau der A-Besoldung nach Maßgabe der neuen Dogmatik und zeigt so, dass die Alimentation aller Bundesländer seit spätestens 2008 nicht mehr amtsangemessen ist. Die unteren Besoldungsgruppen erreichen seitdem in der Regel nicht einmal das Grundsicherungsniveau."

https://www.doev.de/ausgaben/5-2022/

Ist zwar kostenpflichtig, kann aber eventuell über die Hausbibliothek kostenlos bestellt werden.

Ein neuer Beitrag wird wohl im Januar in der ZBR erscheinen.

Hi PolareuD,

hast du die Anhandlung von Torsten Schwan in deinen persönlichen Fundus?

Habe bei mir in der Dienststelle nach der Zeitschrift gefragt, ist nicht im Portfolio. Meinen Rechtspfleger-Kumpel mit Online-Zugang zu C.H. Beck hat auch keinen Zugriff, da nicht vom Abonnement umfasst.

Würde dies bei einer möglichen Klage auf eigene Faust im Anhang gerne mit dabei haben und überhaupt erstmal nach Durchlesen der Abhandlung mir wieder das (zeitl.) Ausmaß der Besoldungsmisere vor Augen führen.

Desperado

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Antw:[Allg] Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #6751 am: 21.11.2024 14:12 »
Nach letzten Umfragen ist die CDU in Niedersachsen wohl vorne in der Wählergunst..

Hier mal ein Statement zur Besoldung von MdL Martina Machulla

https://www.abgeordnetenwatch.de/profile/martina-machulla/fragen-antworten/warum-bezahlt-niedersachsen-seine-beamte-vergleichsweise-so-schlecht-und-ggf-verfassungswidrig

Hoffentlich erinnert sie sich auch noch daran, falls die CDU die nächste Regierung in Niedersachsen anführt

Ich bin gerade etwas entsetzt über den doch sehr grossen Unterschied von meinem Bundesland (NDS) zu den anderen. Auffällig ist auch, dass ganz unten die Länder stehen in denen in den letzten Jahrzehnten überwiegend die SPD regiert hat. Das war mir so auch nicht bewusst.

Ozymandias

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Antw:[Allg] Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #6752 am: 21.11.2024 14:22 »
https://search.subito-doc.de/vufind/EdsRecord/edsgvk,edsgvk.1794381260

Hier kann man alle möglichen Fachartikel bestellen, kosten glaube ich 7,50 Euro pro Artikel.
Dort kann man auch Stuttmann, Färber oder Battis bestellen, was man möchte.

Fragmon

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Antw:[Allg] Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #6753 am: 21.11.2024 16:59 »
Nach letzten Umfragen ist die CDU in Niedersachsen wohl vorne in der Wählergunst..

Hier mal ein Statement zur Besoldung von MdL Martina Machulla

https://www.abgeordnetenwatch.de/profile/martina-machulla/fragen-antworten/warum-bezahlt-niedersachsen-seine-beamte-vergleichsweise-so-schlecht-und-ggf-verfassungswidrig

Hoffentlich erinnert sie sich auch noch daran, falls die CDU die nächste Regierung in Niedersachsen anführt

Einfach nur widerlich. Die Besoldungspolitik in den Bundesländern ist ein typisches Beispiel für parteipolitische Standpunktwechsel, die oft mit der Rolle als Regierung oder Opposition zusammenhängen. In jedem Bundesland könnte man die Oppositionsparteien zur Besoldung befragen und wahrscheinlich Zustimmung für eine Erhöhung finden. Richtet man dieselbe Anfrage jedoch an die Regierungsparteien, erntet man meist Widerspruch.

Zum Beispiel beklagt sich in Niedersachsen die CDU über die von der SPD und den Grünen festgelegten zu niedrigen Gehälter. In Sachsen hingegen ist es die CDU, die die Besoldung bestimmt, und die Linken, die Kritik üben. Diese Muster könnte man vermutlich in jedem Bundesland erkennen. Das Ergebnis ist, dass die jeweilige Opposition für eine Erhöhung der Besoldung eintritt, während die Regierungsparteien dies ablehnen, wobei sich die Meinungen mit jedem Wechsel der Legislaturperiode in Abhängigkeit von der Rolle ändert.

In der vorherigen Legislaturperiode in Sachsen hatten sich die Grünen als Oppositionspartei über die niedrige Besoldung beschwert. Seitdem sie Teil der Regierung sind, scheinen sich jedoch viele der früheren Kritiker nicht mehr an ihre damaligen Forderungen nach einer höheren Besoldung zu erinnern.

SwenTanortsch

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Antw:[Allg] Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #6754 am: 21.11.2024 18:40 »
@Swen:

Ich denke auch, dass wir in wesentlichen Teilen einer Meinung sind.

Mir geht es jetzt allerdings eher darum, die Frage zu klären, inwieweit der weite Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers, ein Ergebnis zu erzielen, welches am Ende verfassungsgemäß wäre, doch etwas eingeschränkt sein könnte.

[1] So stelle ich mir erst einmal die Frage, ob der Gesetzgeber im Rahmen seines weiten Gestaltungsspielraums grundsätzlich aufgrund der stark unterschiedlich hohen Wohnkosten im Land die Besoldung auch generell an diesen Umstand knüpfen könnte.

[2] Wäre es demnach generell sachgerecht, wenn er sich bei der Alimentation zunächst an niedrigen Wohnkosten orientiert, bei höheren Wohnkosten allerdings zusätzliche, leistungslose Zuschlägen gewährt und sich bei der Orientierung der Höhe dieser Zuschläge bspw an den Mietenstufen orientiert?

[3] Könnte er familienbezogene Zuschläge generell sachgerecht auch an den Wohnort knüpfen, da die Wohnkosten ja mit dem Wohnbedarf steigen und dieser Wohnbedarf sich wiederum an die Anzahl der Personen in der Beamtenfamilie orientieren?

[4] Könnte er die Familienzuschläge anheben oder müsste er sie in jedem Fall auf das aktuelle Niveau einfrieren?

[5] Wenn er die Familienzuschläge anheben könnte, könnte er sich bei der Obergrenze der Familienzuschläge daran orientieren, dass diese bspw nicht mehr als 40 % des Regelsatzes ausmachen, die ein vergleichbarer Bürgergeldempfänger zzgl 15 % bekommen würde? Wäre das wohl noch sachgerecht?

[6] Wäre es dann nicht auch sachgerecht, wenn ein Single Ministerialbote in Hintertupfing deutlich weniger Besoldung erhalten würde, als einer in Berlin oder München, weil er ja nur etwa die Hälfte an Ausgaben für eine vergleichbare Wohnung und Heizung hat und der Wohnort ihm ja durch den Dienstherrn vorgeschrieben wird?

[7] Könnte der Besoldungsgesetzgeber durch diese Zuschläge auch sachgerecht vermeiden, dass auch ein Single Ministerialbote in Hintertupfing ein so hohes Einkommen erzielen würde, dass das kaum mehr als amtsangemessen wahrgenommen werden kann, weil man bei der tieferen Betrachtung der Amtsangemessenheit der Besoldung andernfalls zum Ergebnis kommen müsste, dass er andernfalls deutlich mehr verdienen würde, als vergleichbare Tarifangestellte im ÖD und auch als vergleichbare Tätigkeiten in der PW, die mit Mindestlohn entlohnt werden?

[8] Wäre es dementsprechend also denkbar, dass die ausschließliche Erhöhung der Grundbesoldung in allen Besoldungskreisen mit dem Ziel, eine verfassungsgemäße Besoldung zu erreichen, doch nicht so alternativlos ist, sondern eine weitere Differenzierung des Umfangs der Erhöhung der individuellen Besoldung sich auch an dem Wohnort und der Anzahl der Personen in der Beamtenfamilie orientieren dürfte und könnte?

Hey Rentenonkel,
das sind sehr konkrete Fragen, die Du (Dir) stellst, was ich gut finde; denn darum muss es ja gehen, um die Konkretisierung, da uns reines Theoretsieren nicht weiterhilft - und den Dienstherrn auch nicht, wobei die heute seit 2006 anders als über weite Strecken nach 1949 zunehmend weniger theoretisieren, also mindestens Grundlagen für die Rechtsbildung betreiben - denn das kann man als "Theoretisierung" begreifen -, sondern insbesondere das Besoldungsrecht in eine Abbruchbude verwandeln bzw. weitgehend schon verwandelt haben. Ich gehe Deine Fragen gleichfalls mal wieder chronologisch durch, wobei ich mich weiterhin knapp halten muss, da ich im Moment zeitlich anderweitig eingebunden bin (im Nachhinein, auch wegen der Länge Deines Beitrag sind's mal wieder über 20.000Zeichen, was hier am Beginn so nicht geplant war; entsprechend unterteile ich den Beitrag mal wieder in zwei Teile):

[1] Die aktuelle Besoldungsrechtsprechung lässt genau diese Möglichkeit. Hier geht es also nicht zuletzt um den Passus, der hier im Forum bereits wiederkehrend hin- und hergewendet worden ist:

"Der Besoldungsgesetzgeber ist allerdings nicht verpflichtet, die Mindestbesoldung eines Beamten oder Richters auch dann an den regionalen Höchstwerten auszurichten, wenn dieser hiervon gar nicht betroffen ist. Der Gesetzgeber muss nicht pauschalieren, sondern kann den maßgeblichen Bedarf individuell oder gruppenbezogen erfassen (vgl. BVerfGE 87, 153 <172>). Insbesondere ist er frei, Besoldungsbestandteile an die regionalen Lebenshaltungskosten anzuknüpfen, etwa durch (Wieder-)Einführung eines an den örtlichen Wohnkosten orientierten (Orts-)Zuschlags (vgl. hierzu BVerfGE 117, 330 <345 ff.>), wie es derzeit regelmäßig bei einer Auslandsverwendung (vgl. § 1b Abs. 1 Nr. 1 LBesG BE i.V.m. § 52 Abs. 1 BBesG i.d.F. vom 6. August 2002) und teilweise auch innerhalb eines Landes (vgl. Art. 94 BayBesG) praktiziert wird. Eine an Wohnsitz oder Dienstort anknüpfende Abstufung ist mit dem Alimentationsprinzip vereinbar, sofern sie sich vor Art. 3 Abs. 1 GG rechtfertigen lässt (vgl. BVerfGE 107, 218 <238, 243 ff.>; 117, 330 <350 f.>). Mit den Mietenstufen des Wohngeldgesetzes, denen alle Kommunen entsprechend den örtlichen Verhältnissen des Mietwohnungsmarktes zugeordnet sind, stünde ein leicht zu handhabendes Kriterium bereit." (Rn. 61 der aktuellen Entscheidung https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2020/05/ls20200504_2bvl000418.html)

Es ist wird also eindeutig festgehalten, dass die Mindestbesoldung - also offensichtlich der Betrag einer amtsangemessenen Besoldung, der indiziell vom absoluten Alimentationsschutz umfasst ist; respektive im Kontext auch der Betrag, der dem jeweiligen Beamte in seinem jeweiligen Amt mindestens als Besoldung gewährt werden muss (hier wird nicht explizit von der Mindestalimentation gesprochen) - nicht an den regionalen Höchstwerten ausgerichtet werden muss, wenn der jeweilige Beamte in Regionen lebt oder dort seinen Dienstsitz hat, in denen er nicht von den jeweiligen Höchtwerten betroffen ist. Da die Mindestalimentation allein keine Aussagen über die amtsangemessene Höhe einer zu gewährenden Alimentation macht und darüber hinaus auch methodisch ungeeignet ist, um sie zur Bemessung eines amtsangemessenen Besoldungsniveaus heranzuziehen, kann sie also auch hier keine Rolle spielen.

Darüber hinaus hält das Zitat fest,  dass der Besoldungsgesetzgeber insbesondere frei ist, Besoldungsbestandteile an die regionalen Lebenshaltungskosten anzuknüpfen, etwa durch (Wieder-)Einführung eines an den örtlichen Wohnkosten orientierten (Orts-)Zuschlags. Dazu verweist der Senat auf die maßgebliche Ballungsraumzulage-Entscheidung BVerfGE 117, 330 (https://www.servat.unibe.ch/dfr/bv117330.html) aus dem Jahr 2007, in der er festgestellt hat, dass der Gesetzgeber nicht verpflichtet ist, bei der Beamtenbesoldung regionale Unterschiede in den Lebenshaltungskosten durch die Gewährung einer Ortszulage oder andere Maßnahmen auszugleichen; seine Pflicht erstreckt sich nur darauf, die von ihm bestallten Beamten möglichst ausnahmslos amtsangemessen zu alimentieren. Darüber hinaus hat der Senat an der im Zitat genannten Stelle (BVerfGE 117, 330 <345 ff.>) noch einmal die seit 1873 vonstatten gegangene Regelung eines Ortszuschlagswesens referiert, um so die Komplexität eines möglichen Ortszuschlags in seiner historischen Entwicklung offenzulegen, was sich als sehr lesenswert darstellt. Im Anschluss hat er dann begründet, wieso der Besoldungsgesetzgeber sich nicht in der Pflicht sieht, unterschiedliche regionale Lebenshaltungskosten durch einen (Orts-)Zuschlag auszugleichen (BVerfGE 117, 330 <348 ff.>), um ihn aktuell im gerade aufgeführten Zitat daran zu erinnern, dass er unbenommen der nicht existenten Pflicht,  unterschiedliche regionale Lebenshaltungskosten durch einen (Orts-)Zuschlag auszugleichen, doch über das Recht verfügt, entsprechend zu verfahren.

An ggf. möglichen Verfahrensweisen mangelt es dabei wie vom Senat in der Ballungsraumzulage-Entscheidung gezeigt offensichtlich nicht - wobei hervorzuheben ist, dass nicht alles, was seit 1873 dereinst praktiziert worden ist, sich heute als verfassungskonform herausstellen bräuchte, da es wiederkehrend nicht vom (über einen langen Zeitraum hier noch nicht existenten) Bundesverfassungsgericht kontrolliert worden ist. Diese Darlegung umfasst ebenso die hinsichtlich eines Ortszuschlagswesens nachfolgend zitierte Zusammenfassung:

"Bei der Ausgestaltung der Zulagen zur Beamtenbesoldung handelt es sich um eine Detailregelung, die keinen zwingenden Bezug zur Angemessenheit der Alimentation aufweist. Für diese sind vielmehr die Nettobezüge maßgeblich (vgl. BVerfGE 44, 249 [266]; 81, 363 [376]; 99, 300 [315]), mithin das, was sich der Beamte von seinem Gehalt tatsächlich leisten kann (vgl. BVerfGE 44, 249 [266 f.]; 56, 353 [361 f.]; 81, 363 [376]; 99, 300 [314 f.]; 114, 258 [286]). Hierfür ist nicht entscheidend, ob die Bezüge aus dem Grundgehalt, aus Grundgehalt und Ortszulage oder aus anderen Komponenten bestehen. Sieht der Gesetzgeber keinen gesonderten Ausgleich für die örtlich bedingten Lebenshaltungskosten vor, so kann dies im Hinblick auf die hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums nicht missbilligt werden, wenn sich die Bezüge gleichwohl auch in Ballungsräumen noch als angemessen erweisen. Die Entscheidung des Gesetzgebers im Jahre 1971, allen Beamten einheitlich die höchste Stufe S des bestehenden Ortszuschlagsystems zu gewähren, ist daher nicht zu beanstanden.

Es gibt keinen Grundsatz im Sinne des Art.  33 Abs.  5 GG, wonach sich die Besoldung des Beamten aus Grundgehalt, Kinderzuschlag und Ortszuschlag zusammensetzen müsste (vgl. BVerfGE 44, 249 [263]; 49, 260 [272]). Der Gesetzgeber kann die Struktur der Beamtenbesoldung und die Zahlungsmodalitäten pro futuro ändern, solange dies nicht die verfassungsrechtlich garantierte Alimentierungspflicht und die hierdurch gesicherte Untergrenze einer amtsangemessenen Besoldung verletzt." (BVerfGE 117, 330 <350>).

So verstanden lässt sich Deine Frage, ob der Gesetzgeber im Rahmen seines weiten Gestaltungsspielraums grundsätzlich aufgrund der stark unterschiedlich hohen Wohnkosten im Land die Besoldung auch generell an diesen Umstand anknüpfen könnte, eindeutig beantworten: Ja, er ist dazu im Rahmen seiner Möglichkeiten und also insbesondere unter Beachtung der sich aus Art. 3 Abs. 1 GG ergebenden Forderungen verfassungsrechtlich berechtigt.

SwenTanortsch

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Antw:[Allg] Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #6755 am: 21.11.2024 18:41 »
[2] Entsprechend lässt sich auch Deine zweite Frage, ob es demnach generell sachgerecht wäre, wenn der Besoldungsgesetzgeber sich bei der Alimentation zunächst an niedrigen Wohnkosten orientierte, bei höheren Wohnkosten allerdings zusätzliche, leistungslose Zuschlägen gewährte und sich bei der Orientierung der Höhe dieser Zuschläge bspw an den Mietenstufen orientierte, hinreichend beantworten, nämlich dass er das darf; denn das hat das Bundesverfassungsgericht in dem von mir eingangs festgehaltenen aktuellen Zitat entsprechend so formuliert.

Er hat aber dabei weiterhin zu beachten, dass die Mindestalimenation dabei kein sachgerechtes Mittel ist, um entsprechende Besoldungsdifferenzierungen begründen zu wollen. Darüber hinaus bleibt nach wie vor das Amt das wesentliche Maß, um auf Grundlage des Leistungsgrundsatzes eine amtsangemessene Alimentation zu bemessen und zu begründen. Entsprechend hat der Besoldungsgesetzgeber weiterhin zu beachten, dass die so zu betrachtende amtsangemessene Alimentation zwangsläufig nicht mit dem allgemeinen Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG kollidieren darf, was explizit auch in der Gewährung eines (Orts-)Zuschlags zu beachten wäre. Ebenso führt das Bundesverfassungsgericht am Ende des aktuellen Zitats aus, dass mit den Mietenstufen des Wohngeldgesetzes, denen alle Kommunen entsprechend den örtlichen Verhältnissen des Mietwohnungsmarktes zugeordnet sind, ein leicht zu handhabendes Kriterium bereitstünde, um ein entsprechende (Orts-)Zuschlagswesens neu einzuführen.

Dabei kann allerdings - wie ich das in der Vergangenheit hier wiederholt dargelegt habe, weshalb ich es hier nicht wiederholen möchte - im Rahmen der bis hierhin von mir gemachten Darlegungen nicht ausgeklammert werden, dass die in sieben Mietenstufen untergliederte Systematik des Wohngeldgesetzes nicht ausschließen kann, dass ggf. regional bzw. lokal eng beieinander liegenden Wohn- oder Dienstorte gänzlich unterschiedliche Mietenstufen zugeordnet sind, ohne dass sich zwischen ihnen tatsächlich stark differierende Unterkunftskosten nachweisen lassen. Sachgerecht wird sich also ggf. nur ein (Orts-)Zuschlag sachlich rechtfertigen lassen, der ggf. zweigeteilt ist wie sich das mit der regelmäßigen Wegscheidung zwischen A 9 und A 10 ebenso beim Familienzuschlag rechtfertigen lässt. Denn ebenso wäre in Rechnung zu stellen, dass ja ein mit einem höherwertigen Amt bestallter Beamter gleichfalls das Recht auf einen höheren Lebenskomfort hat. Entsprechend dürfte der (Orts-)Zuschlag nur eine allenfalls jeweils verhältnismäßig geringe Höhe haben dürfen, da ja das Amt mitsamt der mit ihm verbundenen Leistung und nicht der Wohnort das maßgebliche Kriterium der amtsangemessenen Alimentation ist. Entsprechend können Zuschläge ähnlich wie Zulagen eine allenfalls ergänzende Funktion haben, worauf der Senat jaauch im Zitat aus der Ballungsraumzulage-Entscheidung hinweist, wenn er asufhürt, dass Zulagen letztlich generell nur eine Detailregelung sind, die als solche keinen zwingenden Bezug zur Angemessenheit der Alimentation aufweist. Entsprechend hebt der Senat in seiner genannten Entscheidung über eine Ballungsraumzulage ebenso fest:

"Die Höhe der tatsächlich anfallenden Lebenshaltungskosten kann auch in regionaler Hinsicht differieren. Die wirtschaftlichen und finanziellen Verhältnisse unterscheiden sich regional teilweise erheblich, sodass unterschiedliche Nettobeträge erforderlich sein können, damit die Beamten in der Lage sind, sich in der Lebenswirklichkeit annähernd das Gleiche zu leisten. Es verletzt das Alimentationsprinzip daher nicht, sondern steht mit ihm im Einklang, wenn bei der Bemessung der Bezüge von Beamten, die das gleiche Amt innehaben, an Wohnsitz oder Dienstort anknüpfende Abstufungen vorgesehen werden, sofern sich solche regionalen Unterscheidungen nach Anlass und Ausmaß der Differenzierung vor Art.  3 Abs.  1 GG rechtfertigen lassen (vgl. BVerfGE 107, 218 [238]). Welche Alimentation angemessen ist, bedarf allerdings der Konkretisierung durch den Gesetzgeber und ist von den jeweiligen Verhältnissen abhängig. Bei der Bestimmung der Höhe der amtsangemessenen Besoldung hat sich der Besoldungsgesetzgeber an der Entwicklung der wirtschaftlichen und finanziellen Verhältnisse sowie dem allgemeinen Lebensstandard zu orientieren." (BVerfGE 117, 330 <352>).

Denn hinsichtlich der Hervorhebung, dass sich mit dem gleichen Amt bestallte Beamte in der Lebenswirklichkeit annähernd das Gleiche zu leisten haben können, führt der Senat gleichfalls aus, auch hier wäre also Art. 3 Abs. 1 GG beachtlich:

"Zwar trifft es zu, dass Bezieher niedriger und mittlerer Einkommen von Teilen dessen, was die Attraktivität des Lebens an Orten mit hohem Preisniveau ausmacht, gerade aus Kostengründen nicht oder nur eingeschränkt profitieren können. Auch wenn berücksichtigt wird, dass etwa Teile des kulturellen Angebots, gehobene Einkaufsmöglichkeiten und innerstädtische Wohnquartiere nur von Personen mit höherem Einkommen intensiv oder überhaupt genutzt werden können, ist aber die Einschätzung nicht offensichtlich verfehlt, dass auch für Bezieher niedrigerer Einkommen den höheren Lebenshaltungskosten Vorteile gegenüberstehen, die dagegen sprechen, die geringere Kaufkraft des Beamtengehalts in diesen Räumen ohne weiteres mit einem entsprechend geringeren Lebensstandard gleichzusetzen. Als Beispiele seien nur die in Ballungsräumen reichhaltigeren Bildungsangebote und medizinischen Versorgungsmöglichkeiten, vielfältigere Freizeit- und Unterhaltungsangebote auch in den niedrigeren Preissegmenten oder ortsspezifische Vorteile wie die Nähe zu attraktiven Erholungsgebieten genannt. Solche Faktoren mögen sich einer präzisen statistischen Erfassung weitgehend entziehen; sie sind darum aber nicht unbeachtlich. Die Berücksichtigung dieser Gesichtspunkte hält sich im Rahmen des dem Besoldungsgesetzgeber zustehenden Einschätzungsspielraums." (BVerfGE 117, 330 <353f.>)

Sich annähernd das Gleiche leisten zu können, kann also - über eine rein monetäre Betrachtung hinaus - ebenso mit bedingen, dass ein Beamter mit einer Unterkunft an einem niedrigpreisigen Ort gar nicht die Möglichkeiten vorfindet, um sich regelmäßig das Gleiche leisten zu können, bzw. dazu einen Aufwand betreiben muss, den der an einem Ort mit höheren Unterkunftskosten lebende Beamte nicht aufbringen muss. All das kann also gleichfalls kaum in einer rein monetären Betrachtung aufgelöst werden, worin sich erneut der maßgebliche Grundsatz bricht, dass die Lebenshaltung des Beamten vor allem durch das Grundgehalt zu gewährleisten ist, in dem sich mittelbar das Lesistungsprinzip offenbart, und das Zuschläge und Zulagen nur in einem begrenzten Maße sachgerecht sein können, ohne mit den Forderungen aus Art. 3 Abs. 1 GG zu kollidieren.

[3] Spätestens an dieser Stelle wird es nun offensichtlich schwierig: Denn zunächst einmal können wir feststellen, dass die Bemessung des alimentationsrechtlichen Mehrbedarfs ab dem dritten Kind genau diese von Dir in Aussicht gestellte(n) Unterscheidung(en) in den Blick nimmt, dass hier also nicht mehr die Forderungen des Leistungsgrundsatzes eine Rolle spielen, sondern ausschließlich der entsprechende Mehrbedarf. Der Gedankengang, der dahintersteht, ist so einfach wie tragend. Sobald hier nun für das dritte und jedes weitere Kind ein sachgerecht an konkreten Verhältnissen erstellter Mindestbedarf bemessen wird, der als Untergrenze zu begreifen ist, kann sich die am Ende dem Beamten mit drei Kinder gewährte Alimentation nicht als nicht amtsangemessen herausstellen, da er ja nun hinsichtlich dieser Kinder nicht oder nur in einem zu tolerierenden Maße auf die familienneutralen Bestandteile der Besoldung zurückgriffen werden muss - tolerierbar bedeutet dabei auch, dass es in der freien Entscheidung des Beamten steht, eine Familien zu gründen und deren Größe mitzubestimmen. Auch deshalb finden wir ab dem dritten Kind erheblich höhere kinderbezogener Zuschläge, die zwingend erforderlich sind, als sich das für die ersten beiden Kinder sachlich rechtfertigen lässt. Auch deshalb habe ich in meinen vorherigen Beiträgen auf den Unterschied zwischen amtsangemessener Alimentation des Beamten mit einer bis zu vierköpfigen Familien und dem alimentationsrechtlichen Mehrbedarf ab dem dritten KInd verwiesen.

Denn hinsichtlich der bis zu vierköpfigen Beamtenfamilien kann eine entsprechende Bedarfsbemessung kaum in einem übergreifenden Maße möglich sein, ohne dann ggf. den qualitativen Unterschied zwischen dem einer Beschäftigung nachgehenden Beamten und seiner Familie und einer Bedarfsgemeinschaft, die der staatlichen Fürsorge unterliegt, noch hinreichend zu beachten: Ein Beamter und seine Familien können nicht wie eine Bedarfsgemeinschaft betrachtet werden - und darüber hinaus lässt sich der amtsangemessene Gehalt einer gewährten Besoldung und Alimentation nur hinreichend begründen, nicht aber mathematisch exakt berechnen (was ebenso hinsichtlich der Mathematik für den alimentationsrechtlichen Mehrbedarf gilt, da auch hier nur eine am Mindestbedarf orientierte Untergrenze gebildet wird).

Der Besoldungsgesetzgeber kann also im Sinne des eingangs herangezogenen aktuellen Zitats den maßgeblichen sich aus der jeweils gewählten Unterkunft ergebenden Bedarf individuell oder gruppenbezogen erfassen; er wird aber kaum eine so erfasste Sachlage in einem dermaßen starken Maße individualisieren können, dass er am Ende ein bestimmte Grundgehalt gewährte und darüber hinaus die Unterkunftskosten für jeden einzelnen Beamten gesondert erfasste und begliche. Denn dann wären wir weitgehend dort, wo wir uns hinsichtlich von Grundsicherungsempfängern befänden, ohne dass es einen sachlichen Grund geben könnte, wieso das bei den sich in einem Sonderstatusverhältnis befindenden und dabei einer Beschäftigtung nachgehenden Bediensteten ebenso der Fall sein sollte. Auch hier bliebe also der Grundsatz bestehen, dass der Beamte seine Bedürfnisse im weit überwiegenden Maße aus dem seinem Amt entsprechenden Grundgehalt zu befriedigen hat - denn wenn das hinsichtlich der Unterkunftskosten anders sein könnte, bliebe die Frage, wieso das dann nicht für alle Bedarfe von Beamten der Fall sein sollte. Das Ergebnis wäre dann eine in einem weitgehenden Maße ähnliche Betrachtung von Beamten, die sich, ihm ihre volle Arbeitskraft zur Verfügung stellend. in den Dienst des Dienstherrn gestellt sehen, und Grundsicherungsempfängern, die ohne Beschäftigung der staatlichen Fürsorge unterliegen. Eine solche Betrachtung kann folglich nicht mit den hergebrachten Grundsätzen des Berufsbeamtentums - und in unserem Fall also insbesondere mit der Fürsorgepflicht des Dienstherrn, dem der Beamte seine volle Arbeitskraft zur Verfügung stellt - in Einklang gebracht werden.

[4] Ein Einfrieren von Besoldungsbestandteilen ist generell zwar möglich, aber ggf. nicht immer zu rechtfertigen, da wir ja tatsächliche Bedarfe vorfinden, die ebenfalls der Verbraucherpreisentwicklung unterliegen. Entsprechend wäre ein Einfrieren durchaus möglich - das ist seit den 1990er Jahren hinsichtlich der jährlichen Sonderzahlung so geschehen -; ein entsprechendes Einfrieren müsste also weiterhin gewährleisten, dass das Gehalt als Ganzes amtsangemessen ist und damit eine entsprechende Lebensführung der mit unterschiedlichen Ämtern bestallten Beamten ermöglicht. Entsprechend darf der Besoldungsgesetzgeber auch Zulagen und Zuschlägen im Rahmen des weiten Entscheidungsspielraums, über den er verfügt, ggf. deutlich anheben, muss dabei aber weiterhin die Forderungen aus Art. 33 Abs. 2 GG und Art. 33 Abs. 5 GG sowie Art. 3 Abs. 1 GG hinreichend im Blick behalten.

[5] Eine solche rein mathematische Betrachtung dürfte kaum sachgerecht sein; denn nicht umsonst finden wir ja mit dem um 15 % angehobenen Grundsicherungsbedarf nur eine Mindestalimentation vor, die die Grenze zur Unteralimentation beschreibt und darüber hinaus allein keine Aussage über den amtsangemessenen Gehalt der zu gewährenden Nettoalimentation zulässt. Auch hier zeigt sich also, dass die Betrachtung von keiner Erwerbsarbeit nachgehenden Grundsicherungsempfängern keinen sachlichen Bezug zu den einer Beschäftigung nachgehenden Beamten ermöglicht, die sich darüber hinaus in einem Sonderstatusverhältnis befinden und sich auch deshalb dazu gezwungen sehen, ihre ganze Arbeitskraft ihrem Dienstherrn zur Verfügung zu stellen, um so als eine Art Korrelat amtsangemessen alimentiert zu werden.

[6] Auch hier wird die Höhe der Unterkunftskosten zu einem maßgeblichen Krtierium der amtsangemessenen Alimentation gemacht und damit das tatsächliche Verhältnis sachwidrig umgedreht: Denn die amtsangemessene Alimentation muss es dem Beamten ermöglichen, sich an jedem Ort des Rechtskreises eine Unterkunft leisten zu können, die amtsangemessen ist - was nicht bedeutet, dass er sich gezwungen sehen muss, immer genau den Ort zu wählen, an dem die höchsten Unterkunftskosten gegeben sind (das würde ihm ggf. sogar untersagt werden, nämlich wenn dieser Wohnort nach Ansicht des Dienstherrn zu weit vom Dienstort entfernt wäre, sodass dem Beamten untersagt werden kann, dort seinen Hauptwohnsitz zu nehmen). Es ist seine freie Wahl, innerhalb der Forderungen, die sich aus dem Sonderstatusverhältnis hinsichtlich der Wohnortwahl ergeben, ggf. auch einen Wohnort zu wählen, der deutlich geringere Wohnkosten für ihn mit sich bringt, um dann ebenfalls weiterhin die hier ggf. geringere Lebensqualität in Kauf zu nehmen - wie ich das unter der Nr. [2] skizziert habe - und aber als Folge einen geringen Teil seiner Besoldung für die Unterkunft aufzubringen, um sich mit den so ersparten Besoldungsteilen einen ggf. höheren anderen Lebenszuschnitt zu leisten - und sei es auch nur, für den Zeitraum vorzusorgen, da er sich nicht mehr in einem aktiven Dienstverhältnis befinden wird, soll heißen, indem er den Differenzbetrag spart.

Denn da die ihm gewährte Alimentation ein grundrechtsgleiches Individualrecht darstellt, bleibt es weiterhin in seinem Ermessen, wie er mit dem verfassungsrechtlich Eigentum gleichkommenden Gehalt seiner Alimentation verfährt. Der Dienstherr kann keinen Zugriff auf entsprechende Lebenszuschnitte beanspruchen, da Art. 14 Abs. 1 GG auf die Alimentation angewendet einem grundrechtsgleichen Inidividualrecht auf Eigentum gleichkäme, jedenfallssolange sich das nicht aus dem Sonderstatusverhältnis - also der Einschränkung konkreter Grundrechte - rechtfertigen ließe. Ein sachlicher Grund für deutlich unterschiedliche Besoldungsniveaus der das gleiche Amt bekleidenden Beamten ist weiterhin nicht ersichtlich und dürfte sich weiterhin nicht vor Art. 3 Abs. 1 GG rechtfertigen lassen, da weiterhin das Amt und nicht der Wohnort nach Art. 33 Abs. 5 GG maßgeblich für die Höhe der amtsangemessenen Alimentation ist. Ergo: Allen Beamten muss es als Folge der freien Wohnortswahl aus Art. 11 Abs. 1 GG ebenfalls möglich sein, sich eine Unterkunft im jeweiligen Rechtskreis zu nehmen, an dem ggf. die höchsten Wohnkosten anfallen; sie sehen sich aber außerhalb der engen Grenzen der bei Beamten auf Basis von Art. 11 Abs. 2 GG einschränkbaren Freizügigkeit nicht gezwungen, sich an einem Ort mit den höchsten Wohnkosten des Rechtskreis eine Unterkunft suchen zu müssen. Entsprechend ist es Teil der auch für sie geltenden Eigentumsgarantie aus Art. 11 Abs. 1 GG, wie sie mit ihrem Eigentum verfahren, solange sie damit nicht die sie treffenden besonderen Forderungen einer amtsangemessenen Lebensführung verletzen, wie sich das aus ihrem Sonderstatusverhältnis ergibt. In diesem Rahmen haben sie bei Bestallung mit dem gleichen Amt aus aRt. 33 Abs. 5 GG heraus das Recht auf eine Alimentation, mit der sich in der Lebenswirklichkeit annähernd das Gleiche leisten können. Nur weil sie sich mit einer weniger teuren Unterkunft begnügend, kann das nicht heißen, dass sie dann auch wesentlich niedriger besoldet und alimentiert werden sollten: Denn hier fänden wir nun offensichtlich einen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG, und zwar das nur umso mehr, als dass der Beamte sich als Folge seines Sonderstatusverhältnis ggf. sogar gezwungen sieht, gar nicht erst eine Wohnung an einem Ort mit den höchsten Unterkunftskosten im Rechtskreis beziehen zu dürfen, da jener so weit von seinem Dienstort entfernt liegt, dass ihm das von seinem Dienstherrn untersagt wird. Entsprechend bleit bestehen, was das Alimentationsprinzip fordert: Maßgeblich ist das Amt und sind nicht Bedingungen, die nicht unmittelbar mit ihm verbunden sind.

[7] Da sich der in einem Dienstverhältnis mit eingeschränkten Grundrechten befindliche Beamte als Folge des Sonderstatusverhältnis in einem verfassungsrechtlich gänzlich anderen Beschäftigungsverhältnis befindet als der sich nicht im Regelverhältnis befindliche Angestellte im öffentlichen Dienst, spricht verfassungsrechtlich nichts dagegen, dass der Beamte deutlich höher besoldet wird als ein Angestellter. Das mag aus einem Gerechtigkeitsempfinden heute ggf. schwer zu vermitteln sein (man sollte das, was ich hier schreibe, als keine Rechtfertigung in die eine oder andere Richtung verstehen); verfassungsrechtlich ist diese Empfindung aber unerheblich. Wie schon in der Vergangenheit dargestellt, ist das Beamtenverhältnis insbesondere als Folge des Art. 33 Abs. 5 GG etwas qualitativ Eigenes. Vergleiche mit der Tarifentlohung im öffentlichen Dienst und mit der Privatwirtschaft sind also geboten, um das amtsangemessene Maß der gewährten Besoldung und Alimentation gerichtlich zu kontrollieren; entsprechend ist es untersagt, Beamte vergleichsweise schlechterzustellen - ihre Besserstellung ist allerdings nicht untersagt, eben weil sie sich gezwungen sehen, ihre gesamte Arbeitskraft dem Dienstherrn zur Verfügung zu stellen und weil sich auch weitere ihre Grundrechte als eingeschränkt erweisen, so wie bspw. gerade hinsichtlich der eingeschränkten Freizügigkeit skizziert. Die vergleichsweise hohe Besoldung von Beamten ist verfassungsrechtlich gefordert, um hinsichtlich des Leistungsgrundsatzes aus Art. 33 Abs. 2 GG die Bestenauslese zu garantieren und um hinsichtlich des Alimentationsprinzips aus Art. 33 Abs. 5 überhaupt rechtfertigen zu können, dass der Beamte sich in maßgeblichen seiner Grundrechte eingeschränkt sieht.

[8] Wer aus der neueren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts eine ausschließliche Anhebung von Grundgehaltssätzen ableiten wollte, missverstände diese Rechsprechung - insbesondere die Forderungen des Mindestabstandsgebots, das für sich allein in Gestalt der Mindestalimentation keine Aussagen über die amtsangemessene Höhe der zu gewährenden Nettoalimentation macht. Wer allerdings meinte, aus den Forderungen des Mindestabstandsgebots keine sachgerechten Schlüsse für die Höhe der Grundgehaltssätze ziehen zu müssen, der verkennte wiederum die neuere Rechtsprechung des Bundesverfassungsgericht ebenso. Nicht umsonst zeigt der Kontrollmaßstab der Mindestbesoldung in allen Rechtskreisen weiterhin eine erhebliche Verletzung der Besoldungssystematik der Besoldungsordnung A, die hier nur geheilt werden kann, in dem es in allen Rechtskreisen im unterschiedlichen Maße auch zur Anhebung der Grundgehaltssätze aller Richter, Staatsanwälte und Beamten kommt. Anders lassen sich die indiziellen Forderungen, die der genannte Kontrollmaßstab seit spätestens 2020 offenbart, nicht hinreichend darstellen, also sachgerecht begründen.

Nun ist der Text doch wieder etwas länger geworden, als vor anderthalb Stunden geplant - sei's drum, vielleicht dient's der Wahrheitsfindung.

HochlebederVorgang

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Antw:[Allg] Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #6756 am: 21.11.2024 18:43 »
Nds. setzt gerade ein Gesetzesvorhaben um, dass durch einen CDU-Minister initiiert wurde. Und zwar durch einen grünen Finanzminister, der das Vorhaben im Finanzausschuss für verfassungswidrig gehalten halt.

Mehr muss man dazu nicht sagen.

Rentenonkel

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Antw:[Allg] Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #6757 am: 22.11.2024 09:10 »
@Swen:

Erst einmal vielen Dank für Deine umfassende Antwort.

Wenn ich Deine Antwort im Kern richtig interpretiere und für mich zusammenfasse, ist es also rechtlich schwierig, die Familienzuschläge so wie derzeit in verschiedenen Bundesländern auch an den Wohnort zu knüpfen, einen zusätzlichen moderaten Ortszuschlag (ich komme wieder auf den von mir in der Vergangenheit so schön umschriebenen ROMZ: RentenOnkelsMietZuschlag  :D) für alle Beamte allerdings einzuführen und gleichzeitig eine moderate Anhebung der Familienzuschläge umzusetzen wäre aber durchaus denkbar und machbar. Dabei müsste der ROMZ ggf. zweigeteilt sein.

Einfach nur um mal ein Beispiel in den Raum zu werfen als Gedankenspiel: ROMZ bei Besoldung bis A8:

Mietenstufe II: 50 EUR,
Mietenstufe III: 100 EUR,
Mietenstufe IV: 150 EUR,
Mietenstufe V:  200 EUR,
Mietenstufe VI: 250 EUR,
Mietenstufe VIi: 300 EUR

ROMZ bei Besoldung ab A9:

Mietenstufe II: 60 EUR,
Mietenstufe III: 120 EUR,
Mietenstufe IV: 180 EUR,
Mietenstufe V:  240 EUR,
Mietenstufe VI: 300 EUR,
Mietenstufe VIi: 360 EUR

(es geht mir hier erst einmal um die Struktur, nicht zwingend um die richtige Höhe)

Das würde dann im Ergebnis dazu führen, dass bspw der Ministerialbote in München oder Berlin mehr Einkommen hätte als der Ministerialbote in Hintertupfingen, allerdings auch der müsste eine (wenn auch geringere) Anpassung seiner Bezüge erwarten dürfen, weil der Besoldungsgeber aufgrund der Begrenztheit der Möglichkeiten neue, flankierende Zuschläge nur in einem überschaubaren Maße einführen kann und darf und bereits vorhandene nur moderat anheben darf und somit damit alleine durch diese Zuschläge keine verfassungsgemäße Besoldung hinbekommen kann.

Habe ich das so in etwa für mich richtig interpretiert?  :D

InternetistNeuland

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Antw:[Allg] Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #6758 am: 22.11.2024 09:16 »
Es ist anscheinend wieder Geld da. Wieso werden in Hessen dann die Besoldungserhöhungen verschoben?

+14% in den Ländern.

https://www.bundesfinanzministerium.de/Monatsberichte/Ausgabe/2024/11/Inhalte/Kapitel-4-Wirtschafts-und-Finanzlage/4-2-steuereinnahmen-oktober-2024.html

Zerot

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Antw:[Allg] Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #6759 am: 22.11.2024 09:57 »
Wochenausblick Bundesverfassungsgericht für die KW 48: leer :-/

Ich habe die Hoffnung, dass sobald die Entscheidungen vom 26.11.2024 und 28.11.2024 verkündet sind, wir endlich dran sind!!!

NordWest

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Antw:[Allg] Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #6760 am: 22.11.2024 10:19 »
Gibt es eigentlich Indizien dafür oder dagegen, dass das nächste BVerfG-Urteil auch über die Verfassungskonformität der Versorgung urteilt?

Es besteht sonst eine nicht unerhebliche Gefahr, dass eine weitere Entkopplung erfolgen könnte, wie z.B. bei der (auch aus anderen Gründen) fragwürdigen "Angleichungszulage" in HH. Daher die o.g. Frage, für deren Beantwortung insbesondere "Swen" vielleicht Indizien kennt?

PolareuD

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Antw:[Allg] Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #6761 am: 22.11.2024 10:35 »
Ich habe mal versucht mit dem ROMZ-Vorschlag von Rentenonkel ein wenig zu rechnen. Kern ist aber weiterhin eine lineare Erhöhung der Besoldungstabelle Bund um 25%.

Besoldungstabelle Beamte Bund 202X
1 2 3 4 5 6 7 8
A 3 3384 3454 3525 3581 3638 3695 3751 3808
A 4 3449 3533 3617 3684 3751 3818 3885 3947
A 5 3473 3578 3662 3744 3827 3911 3994 4074
A 6 3542 3664 3787 3882 3980 4074 4179 4270
A 7 3705 3813 3956 4102 4244 4389 4497 4605
A 8 3904 4035 4219 4404 4590 4719 4849 4978
A 9 4193 4322 4524 4731 4933 5071 5214 5354
A 10 4469 4646 4902 5159 5421 5604 5786 5968
A 11 5071 5342 5611 5881 6067 6253 6439 6625
A 12 5418 5738 6060 6380 6603 6823 7044 7269
A 13 6308 6609 6908 7209 7416 7624 7831 8035
A 14 6480 6867 7256 7644 7911 8180 8447 8716
A 15 7861 8212 8479 8746 9013 9279 9544 9808
A 16 8645 9052 9360 9668 9974 10284 10592 10896

Ortzuschlag bis A8
I 0
II 50
III 100
IV 150
V 200
VI 250
VII 300
Ortzuschlag ab A9
I 0
II 60
III 120
IV 180
V 230
VI 300
VII 350

FamZ V 1 2 ab 3
200 300 300 500

Ergebnis:

Besoldung
A3/1,  2 K, I 4184
A3/1,  2 K, VII 4484

A3/8, 2 K, I 4608
A3/8, 2 K, VII 4908

A5/1, 2 K, I 4273
A5/8, 2 K, VII 5174

Wie man es dreht und wendet, ohne eine signifikante Erhöhung der Besoldungstabelle wird es nicht gehen!

Also Feuer frei. Änderungsvorschläge?

Rentenonkel

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Antw:[Allg] Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #6762 am: 22.11.2024 13:13 »
@PolareuD: So in etwa hatte ich das Ergebnis erwartet.

Allerdings würde sich das Delta in Deiner Berechnung von fast 40 % auf immerhin "nur" noch 25 % verringern.

SwenTanortsch

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Antw:[Allg] Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #6763 am: 22.11.2024 13:31 »
@Swen:

Erst einmal vielen Dank für Deine umfassende Antwort.

Wenn ich Deine Antwort im Kern richtig interpretiere und für mich zusammenfasse, ist es also rechtlich schwierig, die Familienzuschläge so wie derzeit in verschiedenen Bundesländern auch an den Wohnort zu knüpfen, einen zusätzlichen moderaten Ortszuschlag (ich komme wieder auf den von mir in der Vergangenheit so schön umschriebenen ROMZ: RentenOnkelsMietZuschlag  :D) für alle Beamte allerdings einzuführen und gleichzeitig eine moderate Anhebung der Familienzuschläge umzusetzen wäre aber durchaus denkbar und machbar. Dabei müsste der ROMZ ggf. zweigeteilt sein.

Einfach nur um mal ein Beispiel in den Raum zu werfen als Gedankenspiel: ROMZ bei Besoldung bis A8:

Mietenstufe II: 50 EUR,
Mietenstufe III: 100 EUR,
Mietenstufe IV: 150 EUR,
Mietenstufe V:  200 EUR,
Mietenstufe VI: 250 EUR,
Mietenstufe VIi: 300 EUR

ROMZ bei Besoldung ab A9:

Mietenstufe II: 60 EUR,
Mietenstufe III: 120 EUR,
Mietenstufe IV: 180 EUR,
Mietenstufe V:  240 EUR,
Mietenstufe VI: 300 EUR,
Mietenstufe VIi: 360 EUR

(es geht mir hier erst einmal um die Struktur, nicht zwingend um die richtige Höhe)

Das würde dann im Ergebnis dazu führen, dass bspw der Ministerialbote in München oder Berlin mehr Einkommen hätte als der Ministerialbote in Hintertupfingen, allerdings auch der müsste eine (wenn auch geringere) Anpassung seiner Bezüge erwarten dürfen, weil der Besoldungsgeber aufgrund der Begrenztheit der Möglichkeiten neue, flankierende Zuschläge nur in einem überschaubaren Maße einführen kann und darf und bereits vorhandene nur moderat anheben darf und somit damit alleine durch diese Zuschläge keine verfassungsgemäße Besoldung hinbekommen kann.

Habe ich das so in etwa für mich richtig interpretiert?  :D

"ROMZ" ist schön, Rentenonkel, müsste aber noch durch "ROEZ" (RentenOnkelEigentumsZuschlag) ergänzt oder beides zusammen durch den "ROUZ" (RentenOnkelUnterkunftsZuschlag) bzw. den "RO(O)Z" (RentenOnkel(Orts-)Zuschlag) ergänzt werden - ich sehe allerdings schon 17 Finanzminister mit der Frage aufschlagen: "Was kost' der ROEZ?", um dann festzustellen: "Viel zu teuer, machen wir lieber den RONZ, den RentenOnkelNullZuschlag, der sich für den Beamten insbesondere deshalb als besonders attraktiv erweist, da er mit keinem zusätzlichen Antragsverfahren verbunden ist, und darüber hinaus keine Veränderungen vorsieht, sodass sogar der Bestandsschutz des RONZ über die nächsten drei Legislaturperioden hinaus garantiert werden kann, um so die besondere Wertschätzung, die den Beamten entgegenzubringen ist, zu zeigen." Eventuell wird der RONZ dann noch durch GruETZE flankiert, also das GrundsicherungsEinbehaltungsTeuerungsZusatzEinkommen, das sicherstellt, dass das wahlweise vom Dienstherrn zu bestimmende zusätzliche Einkommen des Beamten bei nicht absehbarer Teuerung eines wahlweise von ersterem auszusuchenden Bestandteils des Haushalts von ersterem einzubehalten ist, sofern es sich bei dem Einkommen nicht um eine Grundsicherungsleistung handelt, weshalb ein Grundgehalt sachlich nicht mehr notwendig wäre. Als Gegenleistung zu diesem antragsabhängigen Zusatzbeitrag wird die regelmäßige Arbeitszeit um wöchentlich eine Stunde abgesenkt, nachdem sie pro Monat um acht Stunden angehoben wurde, um auch so zu zeigen, dass man die besondere Wertschätzung des Beamten genauso wie die regelmäßige Steuerschätzung sehr schätzt (weshalb man ab jetzt nur umso mehr die Alimentation des Beamten Monat für Monat schätzt).

Ernsthaft: Ich denke weiterhin, dass sich ein in sieben Stufen untergliedertes Ortszuschlagswesen nicht vor der Verfassung rechtfertigen lässt, da wir weiterhin ein Abgrenzungsproblem haben, das meiner Meinung nach so beamtenrechtlich nicht gelöst werden könnte. Denn weiterhin grenzen Orte, die einer der unteren Mietenstufen zugeordnet werden, direkt an Orten, die einer der oberen Mietenstufen zugeordnet werden, ohne dass sich im Grenzbereich immer entsprechend große Unterschiede in den tatsächlichen Bedarfen finden lassen. Hinsichtlich von Grundsicherungsempfängern wird darauf sozialgesetzlich reagiert, als dass die tatsächlichen Unterkunftskosten anzuerkennen sind, solange sie sich als angemessen herausstellen - wie ich in meinem letzten Beitrag gezeigt habe, ist das aber beamtenrechtlich offensichtlich so nicht möglich.

Ergo: Ich gehe weiterhin davon aus, dass sich am Ende ggf. ein Ortszuschlag sachlich rechtfertigen lassen wird, der ggf. zweigeteilt ist, also in den Besoldungsgruppen bis bspw. A 9 etwas geringer ausfällt als ab den Besoldungsgruppen A 10. Um genau das auszuschließen, was ich gestern hervorgehoben habe, dass nämlich am Ende nicht das Amt, sondern der mit dem Amt in keinem direkten Bezug stehende Wohnort ein maßgebliches Kriterium der amtsangemessenen Alimentation wird, gehe ich darüber hinaus davon aus, dass ein solcher Ortszuschlag eventuell bis A 9 im höheren zweistelligen Bereich liegen kann und ab A 10 dann ggf. knapp über 100,- €, und zwar je nachdem wie stark der Unterschied in der Grundbesoldung zwischen A 9 und A 10 differiert. Aber womöglich sollte auch das schon schwerlich vor Art. 3 Abs. 1 GG in der sozialen Wirklichkeit der Bundesrepublik, wie wir sie heute vorfinden, gerechtfertig werden können.

Es wird seinen Grund gehabt haben, wieso der Besoldungsgesetzgeber seinen 1957 mit drei Ortsklassen (S, A und B) wiedereingeführten Ortszuschlag 1964 auf zwei Ortsklassen reduziert hat (S und A), um ab 1971 nur noch den einheitlichen Ortszuschlag im Rahmen der Ortsklasse S beizubehalten, der so, wie er gewährt wurde, nun de jure noch als solcher bezeichnet wurde, de facto das aber gar nicht mehr war (vgl. meinen gestrigen Verweis auf die entsprechende Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts). Zwar finden wir heute wieder zum Teil erheblich unterschiedliche Unterkunftskosten insbesondere zwischen Ballungs- und ländlichen Räumen wieder. Allerdings zeigt sich die soziale Differenzierung heute offensichtlich noch einmal deutlich stärker als bis 1971, sodass wir eben genau das Phänomen vorfinden, das wir bis 1971 so deutlich offensichtlich nicht vorgefunden haben, nämlich dass wie oben angerissen Orte mit deutlich differierenden Mietenstufen eng beieinanderliegen, also ein Spreizung innerhalb enger Regionen gegeben ist, die bei der Betrachtung eines Ortszuschlags im Hinblick auf die Forderungen aus Art. 3 Abs. 1 GG nicht so ohne Weiteres ausgeklammert werden kann, denke ich.

Der langen Rede kurzer Sinn: Der Dienstherr wird durch die Gewährung eines wiedereingeführten (Orts-)Zuschlags in einem verhältnismäßig geringen Maße Personalkosten einsparen können, nachdem er zunächst einmal für eine amtsangemessene Besoldung aller seiner Beamten gesorgt haben wird. Denn genau das ist ja einer der Zwecke von Zuschlägen und Zulagen, also dass mit ihnen im moderaten Rahmen Personalkosteneinsparungen vorgenommen werden können. Moderat müssen sie deshalb sein, weil sich der amtsangemessene Gehalt der zu gewährenden Nettoalimentation weit überwiegend aus dem Grundgehalt speisen muss, in dem sich mittelbar das Leistungsprinzip verwirklicht. Für sehr viel andere Möglichkeiten - mit Ausnahme einer stärker leistungsorientierten Besoldungsdifferenzierung, wenn wir bei der Besoldungsdifferenzierung verharren wollen - sehe ich hier keine allzu großen verfassungsrechtlichen Chancen.

SwenTanortsch

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Antw:[Allg] Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #6764 am: 22.11.2024 13:31 »
@Swen:

Ich denke auch, dass wir in wesentlichen Teilen einer Meinung sind.

Mir geht es jetzt allerdings eher darum, die Frage zu klären, inwieweit der weite Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers, ein Ergebnis zu erzielen, welches am Ende verfassungsgemäß wäre, doch etwas eingeschränkt sein könnte.

[1] So stelle ich mir erst einmal die Frage, ob der Gesetzgeber im Rahmen seines weiten Gestaltungsspielraums grundsätzlich aufgrund der stark unterschiedlich hohen Wohnkosten im Land die Besoldung auch generell an diesen Umstand knüpfen könnte.

[2] Wäre es demnach generell sachgerecht, wenn er sich bei der Alimentation zunächst an niedrigen Wohnkosten orientiert, bei höheren Wohnkosten allerdings zusätzliche, leistungslose Zuschlägen gewährt und sich bei der Orientierung der Höhe dieser Zuschläge bspw an den Mietenstufen orientiert?

[3] Könnte er familienbezogene Zuschläge generell sachgerecht auch an den Wohnort knüpfen, da die Wohnkosten ja mit dem Wohnbedarf steigen und dieser Wohnbedarf sich wiederum an die Anzahl der Personen in der Beamtenfamilie orientieren?

[4] Könnte er die Familienzuschläge anheben oder müsste er sie in jedem Fall auf das aktuelle Niveau einfrieren?

[5] Wenn er die Familienzuschläge anheben könnte, könnte er sich bei der Obergrenze der Familienzuschläge daran orientieren, dass diese bspw nicht mehr als 40 % des Regelsatzes ausmachen, die ein vergleichbarer Bürgergeldempfänger zzgl 15 % bekommen würde? Wäre das wohl noch sachgerecht?

[6] Wäre es dann nicht auch sachgerecht, wenn ein Single Ministerialbote in Hintertupfing deutlich weniger Besoldung erhalten würde, als einer in Berlin oder München, weil er ja nur etwa die Hälfte an Ausgaben für eine vergleichbare Wohnung und Heizung hat und der Wohnort ihm ja durch den Dienstherrn vorgeschrieben wird?

[7] Könnte der Besoldungsgesetzgeber durch diese Zuschläge auch sachgerecht vermeiden, dass auch ein Single Ministerialbote in Hintertupfing ein so hohes Einkommen erzielen würde, dass das kaum mehr als amtsangemessen wahrgenommen werden kann, weil man bei der tieferen Betrachtung der Amtsangemessenheit der Besoldung andernfalls zum Ergebnis kommen müsste, dass er andernfalls deutlich mehr verdienen würde, als vergleichbare Tarifangestellte im ÖD und auch als vergleichbare Tätigkeiten in der PW, die mit Mindestlohn entlohnt werden?

[8] Wäre es dementsprechend also denkbar, dass die ausschließliche Erhöhung der Grundbesoldung in allen Besoldungskreisen mit dem Ziel, eine verfassungsgemäße Besoldung zu erreichen, doch nicht so alternativlos ist, sondern eine weitere Differenzierung des Umfangs der Erhöhung der individuellen Besoldung sich auch an dem Wohnort und der Anzahl der Personen in der Beamtenfamilie orientieren dürfte und könnte?

Hey Rentenonkel,
das sind sehr konkrete Fragen, die Du (Dir) stellst, was ich gut finde; denn darum muss es ja gehen, um die Konkretisierung, da uns reines Theoretsieren nicht weiterhilft - und den Dienstherrn auch nicht, wobei die heute seit 2006 anders als über weite Strecken nach 1949 zunehmend weniger theoretisieren, also mindestens Grundlagen für die Rechtsbildung betreiben - denn das kann man als "Theoretisierung" begreifen -, sondern insbesondere das Besoldungsrecht in eine Abbruchbude verwandeln bzw. weitgehend schon verwandelt haben. Ich gehe Deine Fragen gleichfalls mal wieder chronologisch durch, wobei ich mich weiterhin knapp halten muss, da ich im Moment zeitlich anderweitig eingebunden bin (im Nachhinein, auch wegen der Länge Deines Beitrag sind's mal wieder über 20.000Zeichen, was hier am Beginn so nicht geplant war; entsprechend unterteile ich den Beitrag mal wieder in zwei Teile):

[1] Die aktuelle Besoldungsrechtsprechung lässt genau diese Möglichkeit. Hier geht es also nicht zuletzt um den Passus, der hier im Forum bereits wiederkehrend hin- und hergewendet worden ist:

"Der Besoldungsgesetzgeber ist allerdings nicht verpflichtet, die Mindestbesoldung eines Beamten oder Richters auch dann an den regionalen Höchstwerten auszurichten, wenn dieser hiervon gar nicht betroffen ist. Der Gesetzgeber muss nicht pauschalieren, sondern kann den maßgeblichen Bedarf individuell oder gruppenbezogen erfassen (vgl. BVerfGE 87, 153 <172>). Insbesondere ist er frei, Besoldungsbestandteile an die regionalen Lebenshaltungskosten anzuknüpfen, etwa durch (Wieder-)Einführung eines an den örtlichen Wohnkosten orientierten (Orts-)Zuschlags (vgl. hierzu BVerfGE 117, 330 <345 ff.>), wie es derzeit regelmäßig bei einer Auslandsverwendung (vgl. § 1b Abs. 1 Nr. 1 LBesG BE i.V.m. § 52 Abs. 1 BBesG i.d.F. vom 6. August 2002) und teilweise auch innerhalb eines Landes (vgl. Art. 94 BayBesG) praktiziert wird. Eine an Wohnsitz oder Dienstort anknüpfende Abstufung ist mit dem Alimentationsprinzip vereinbar, sofern sie sich vor Art. 3 Abs. 1 GG rechtfertigen lässt (vgl. BVerfGE 107, 218 <238, 243 ff.>; 117, 330 <350 f.>). Mit den Mietenstufen des Wohngeldgesetzes, denen alle Kommunen entsprechend den örtlichen Verhältnissen des Mietwohnungsmarktes zugeordnet sind, stünde ein leicht zu handhabendes Kriterium bereit." (Rn. 61 der aktuellen Entscheidung https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2020/05/ls20200504_2bvl000418.html)

Es ist wird also eindeutig festgehalten, dass die Mindestbesoldung - also offensichtlich der Betrag einer amtsangemessenen Besoldung, der indiziell vom absoluten Alimentationsschutz umfasst ist; respektive im Kontext auch der Betrag, der dem jeweiligen Beamte in seinem jeweiligen Amt mindestens als Besoldung gewährt werden muss (hier wird nicht explizit von der Mindestalimentation gesprochen) - nicht an den regionalen Höchstwerten ausgerichtet werden muss, wenn der jeweilige Beamte in Regionen lebt oder dort seinen Dienstsitz hat, in denen er nicht von den jeweiligen Höchtwerten betroffen ist. Da die Mindestalimentation allein keine Aussagen über die amtsangemessene Höhe einer zu gewährenden Alimentation macht und darüber hinaus auch methodisch ungeeignet ist, um sie zur Bemessung eines amtsangemessenen Besoldungsniveaus heranzuziehen, kann sie also auch hier keine Rolle spielen.

Darüber hinaus hält das Zitat fest,  dass der Besoldungsgesetzgeber insbesondere frei ist, Besoldungsbestandteile an die regionalen Lebenshaltungskosten anzuknüpfen, etwa durch (Wieder-)Einführung eines an den örtlichen Wohnkosten orientierten (Orts-)Zuschlags. Dazu verweist der Senat auf die maßgebliche Ballungsraumzulage-Entscheidung BVerfGE 117, 330 (https://www.servat.unibe.ch/dfr/bv117330.html) aus dem Jahr 2007, in der er festgestellt hat, dass der Gesetzgeber nicht verpflichtet ist, bei der Beamtenbesoldung regionale Unterschiede in den Lebenshaltungskosten durch die Gewährung einer Ortszulage oder andere Maßnahmen auszugleichen; seine Pflicht erstreckt sich nur darauf, die von ihm bestallten Beamten möglichst ausnahmslos amtsangemessen zu alimentieren. Darüber hinaus hat der Senat an der im Zitat genannten Stelle (BVerfGE 117, 330 <345 ff.>) noch einmal die seit 1873 vonstatten gegangene Regelung eines Ortszuschlagswesens referiert, um so die Komplexität eines möglichen Ortszuschlags in seiner historischen Entwicklung offenzulegen, was sich als sehr lesenswert darstellt. Im Anschluss hat er dann begründet, wieso der Besoldungsgesetzgeber sich nicht in der Pflicht sieht, unterschiedliche regionale Lebenshaltungskosten durch einen (Orts-)Zuschlag auszugleichen (BVerfGE 117, 330 <348 ff.>), um ihn aktuell im gerade aufgeführten Zitat daran zu erinnern, dass er unbenommen der nicht existenten Pflicht,  unterschiedliche regionale Lebenshaltungskosten durch einen (Orts-)Zuschlag auszugleichen, doch über das Recht verfügt, entsprechend zu verfahren.

An ggf. möglichen Verfahrensweisen mangelt es dabei wie vom Senat in der Ballungsraumzulage-Entscheidung gezeigt offensichtlich nicht - wobei hervorzuheben ist, dass nicht alles, was seit 1873 dereinst praktiziert worden ist, sich heute als verfassungskonform herausstellen bräuchte, da es wiederkehrend nicht vom (über einen langen Zeitraum hier noch nicht existenten) Bundesverfassungsgericht kontrolliert worden ist. Diese Darlegung umfasst ebenso die hinsichtlich eines Ortszuschlagswesens nachfolgend zitierte Zusammenfassung:

"Bei der Ausgestaltung der Zulagen zur Beamtenbesoldung handelt es sich um eine Detailregelung, die keinen zwingenden Bezug zur Angemessenheit der Alimentation aufweist. Für diese sind vielmehr die Nettobezüge maßgeblich (vgl. BVerfGE 44, 249 [266]; 81, 363 [376]; 99, 300 [315]), mithin das, was sich der Beamte von seinem Gehalt tatsächlich leisten kann (vgl. BVerfGE 44, 249 [266 f.]; 56, 353 [361 f.]; 81, 363 [376]; 99, 300 [314 f.]; 114, 258 [286]). Hierfür ist nicht entscheidend, ob die Bezüge aus dem Grundgehalt, aus Grundgehalt und Ortszulage oder aus anderen Komponenten bestehen. Sieht der Gesetzgeber keinen gesonderten Ausgleich für die örtlich bedingten Lebenshaltungskosten vor, so kann dies im Hinblick auf die hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums nicht missbilligt werden, wenn sich die Bezüge gleichwohl auch in Ballungsräumen noch als angemessen erweisen. Die Entscheidung des Gesetzgebers im Jahre 1971, allen Beamten einheitlich die höchste Stufe S des bestehenden Ortszuschlagsystems zu gewähren, ist daher nicht zu beanstanden.

Es gibt keinen Grundsatz im Sinne des Art.  33 Abs.  5 GG, wonach sich die Besoldung des Beamten aus Grundgehalt, Kinderzuschlag und Ortszuschlag zusammensetzen müsste (vgl. BVerfGE 44, 249 [263]; 49, 260 [272]). Der Gesetzgeber kann die Struktur der Beamtenbesoldung und die Zahlungsmodalitäten pro futuro ändern, solange dies nicht die verfassungsrechtlich garantierte Alimentierungspflicht und die hierdurch gesicherte Untergrenze einer amtsangemessenen Besoldung verletzt." (BVerfGE 117, 330 <350>).

So verstanden lässt sich Deine Frage, ob der Gesetzgeber im Rahmen seines weiten Gestaltungsspielraums grundsätzlich aufgrund der stark unterschiedlich hohen Wohnkosten im Land die Besoldung auch generell an diesen Umstand anknüpfen könnte, eindeutig beantworten: Ja, er ist dazu im Rahmen seiner Möglichkeiten und also insbesondere unter Beachtung der sich aus Art. 3 Abs. 1 GG ergebenden Forderungen verfassungsrechtlich berechtigt.

Hm, hier wollte ich noch ein PS. anfügen und hab mal wieder das falschen Knöpfchen gedrückt - ihr macht regelmäßig denselben sachlichen Fehler, wenn ihr irgendwelche Verbindungen zwischen der Mindest- und gewährten Nettoalimentation anstellt. Es gibt hier allein keinen sachlichen Zusammenhang, auch wenn die 17 Besoldungsgesetzgeber seit 2020/21 regelmäßig behaupten und also krude Berechnungen auf Basis der Mindestalimentation anstellen, die sachlich in den meisten Fällen wertlos sind.